Nutzungsverhalten

Kindern spielerisch Medienkompetenz vermitteln

06:33 Minuten
Mehrere Kinder schauen gemeinsam auf das Display eines Tablets.
Kinder sollen die Wirkungsmechanismen hinter den Medien, die sie nutzen, verstehen, fordern Medienpädagog*Innen. © Gettyimages / Digital Vision / Emma Innocenti
Von Carina Schroeder · 10.12.2020
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Viel Zeit am Smartphone bedeutet schlechtere Noten. Darauf weist eine noch nicht veröffentlichte Studie des Verhaltensökonomen Tim van Endert hin. Doch Kindern Medienkompetenz und -kontrolle zu vermitteln, ist gar nicht so leicht.
"Ob in Literatur, Film oder Serie: Helden bieten Orientierung in Alltagssituationen, sind ein Spiegel für eigene Gefühle und prägen unsere Kindheit."
"Medienheld" ist eine der Übungen auf der Plattform "MedienUniversum". Entwickelt hat die die Juniorprofessorin Ines Sura von der Universität Greifswald. Extra für Grundschüler, um den Umgang mit Medien zu lernen.
"Wer ist denn eigentlich dein Medienheld? Warum findest du den so toll? Was macht ihn so besonders? Möchtest du so sein wie er oder lieber nicht?", beschreibt Ines Sura ihr Vorgehen. "Dazu kann man Stift und Papier benutzen, ganz analog, indem sie den Medienhelden zum Beispiel zeichnen."

Kindgerechte Ansprache

Diese und andere Übungen finden Pädagog*Innen seit Anfang diesen Jahres im "MedienUniversum". An der Zusammenstellung hat Ines Sura über vier Jahre gearbeitet. Das Angebot ist kostenlos, denn die Techniker Krankenkasse fördert das Projekt.

"Die Medienplanet-App richtet sich konkret an Kinder. Das merkt man auch schnell daran, dass es eine kindgerechte Ansprache enthält, eine spielerische, fröhliche Narrationen dahinter ist, also eine Geschichte dahintersteckt, die Spaß macht", sagt Ines Sura.
"Und ich und meine gelben Freunde, die Dorkis, helfen dabei. Mit spektakulären Anmoderationen, aktivierenden Fragen und lustigen Einspielern", heißt es im Erklärvideo.

Das eigene Medienverhalten verstehen

Die App ermöglicht Grundschülern mit dem Smartphone gedrehte Videos selbst zu bearbeiten und zu schneiden. Sie können Auszeichnungen bekommen, je mehr Übungen sie machen, umso besser. Und auch ein Ernährungs- und ein Medientagebuch führen. Das hilft beim besseren Verstehen des eigenen Medienverhaltens.

"Sie können sich vorstellen, dass das schwierig ist, auch für Kinder, das durchzuhalten, mal eine Woche lang wirklich zu dokumentieren, welchen Medien nutze ich, wie lange und dazu auch: Wie fühle ich mich eigentlich dabei? Mit wem mach ich das?", sagt Ines Sura.

Doch schwierig ist das nicht nur für Kinder, sondern auch für junge Erwachsene. Das zeigt eine aktuelle Studie der Freien Universität Berlin mit 100 Proband*Innen.
Verhaltensökonom Tim van Endert wollte zusammen mit seinem Team herausfinden, warum und weshalb Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren so viel Zeit am Smartphone verbringen. Und ob es da einen Zusammenhang zwischen Smartphonenutzung und Impulskontrolle gib. Dazu hat er ihre Nutzungsdaten ausgewertet.

Impulsives Entscheidungsverhalten

Zusätzlich mussten die Probanden noch Fragebögen zu psychologischen Merkmalen und zu impulsivem Entscheidungsverhalten ausfüllen.
"Und was dabei herausgekommen ist, ist eben zum einen, dass es einen positiven Zusammenhang gibt zwischen der Bildschirm-Nutzungszeit und der Impulsivität", sagt Tim van Endert. "Das heißt je länger ich am Smartphone bin, desto impulsiver bin ich auch. Das zweite Ergebnis war, dass dieser Effekt getrieben war hauptsächlich von Spiele-Apps und sozialen Medien."
Genau diese Apps aktivieren das Belohnungszentrum in unserem Gehirn, geben uns daher ein gutes Gefühl, wenn wir sie nutzen. Eine neue noch nicht veröffentlichte Studie mit Kindern aus der fünften und sechsten Klasse, an der der Verhaltensökonom aktuell noch arbeitet, weist in dieselbe Richtung.
"Die Kinder, die sich impulsiver entscheiden, dass die eher dazu neigen, Smartphone süchtig zu werden. Und dass die Kinder, die eine größere Selbstkontrolle haben, dass die eher nicht Smartphone süchtig werden. Also diese Selbstkontrolle, die scheint eine enorme Rolle zu spielen, schon im Alter von zehn bis zwölf Jahren."
Daraus schließt Tim van Endert: "Je größer meine Selbstkontrolle, je besser ich in der Lage bin, Impulse zu unterdrücken und meine Ziele zu verfolgen, desto weniger bin ich am Smartphone."

Viel Zeit am Smartphone, schlechtere Noten

Und das hat Folgen für die Schulnoten: Auch das zeigt die neue Studie: Viel Zeit am Smartphone bedeutet schlechtere Noten. Deshalb ist die Unterstützung der Eltern wichtig, sagt Günther Anfang von "Jff", dem "Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis" in München.

"Das heißt also auch, dass darüber gesprochen wird: Wie viel soll Ferngesehen werden? Wie viel darf gespielt werden? All das muss natürlich im Elternhaus schon passieren, weil wenn da schon keine Regeln und keine Absprachen getroffen werden, dann kann es eigentlich nicht mehr so richtig funktionieren."
Günther Anfang ist unter anderem Koordinator des Modellprojekts "Medienkompetenz in der Frühpädagogik stärken".

Hier wurden seit Herbst 2018 Erzieher*Innen aus 100 Kitas medienpädagogisch geschult. Ihnen wurde beigebracht, wie sie Kindern Medien näher bringen können - damit sie die Wirkungsmechanismen dahinter verstehen. Mit solchen Maßnahmen könne man nicht früh genug anfangen, fordert der Medienpädagoge.
"Die Kinder wachsen heute ja mit Medien schon sehr, sehr früh auf. Das heißt, Kinder entdecken das Smartphone der Eltern ja schon mit einem Jahr und spielen mit dem, schauen sich die Fotos der Eltern der Großeltern an und sind sozusagen schon sehr früh mit diesen Medien konfrontiert."

Anleitung für Erzieher*Innen

Zumal gute Medienkenntnisse ja auch für Erwachsene von unschätzbarem Wert sind - gerade in Zeiten von Fake News. Der Modellversuch an den Kitas wird im Auftrag des "Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales" durchgeführt und wissenschaftlich begleitet.
Die Idee auch hier: Kinder sollen verstehen lernen, wie diese Medien funktionieren – auch hier erstellen sie selbst Filme, Podcasts und Interviews. So wie es auch die Materialien des "MedienUniversums" vorschlagen. Allerdings hat Günther Anfang die Erzieher*Innen Schritt für Schritt angeleitet. Das sei wichtig.
"Ich finde jede Initiative grundsätzlich begrüßenswert, muss aber immer wieder sagen, im Alltag ist es letztendlich die direkte Begleitung der Erzieherinnen, der Lehrkräfte, um sie auch wirklich da kompetent zu unterstützen. Da muss man auch vor Ort sein, und das läuft nicht nur über das Netz und läuft nicht nur über Angebote, die im Netz sind. Und manchmal sind diese Angebote dann gut gemeint. Aber gehen an der Realität vorbei."
Doch zur Wahrheit gehört auch: eine enge Betreuung ist sehr viel teurer als etwa das kostenlose Angebot von "MedienUniversum". Und da die Medienkompetenzbildung von Erzieher*Innen und Pädagog*Innen noch ganz am Anfang steht, ist es wichtig, das überhaupt etwas passiert.
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