"Nur mit Mladics Billigung"

Moderation: Maike Albath |
Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic hat den serbischen General und Kriegsverbrecher Ratko Mladic aufgefordert, sich dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen. Die serbische Regierung könne einen solchen Mann, der von der Mehrheit des serbischen Volkes als Held gesehen werde, nicht so einfach an eine internationale Institution übergeben, sagte Drakulic.
Albath: Er ist einer der meistgejagten Kriegsverbrecher von Ex-Jugoslawien: Radko Mladic, serbischer General, des Völkermordes angeklagt und verantwortlich für das Massaker an über 7000 Muslimen in Srebrenica 1995. Jahrelang konnte Mladic unbehelligt in seiner Heimat leben. Er wurde gedeckt und narrte seine Widersacher. Doch jetzt nimmt der Druck vonseiten Den Haags und der EU auf Belgrad zu, denn die Auslieferung Mladics ist die Voraussetzung für eine Annäherung an Brüssel. In der letzten Woche gab es Meldung, dass die Verhaftung Mladics kurz bevorstünde. Aber bis heute ist der General auf freiem Fuß.

Diesem Mann widmete die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic ein Kapitel in ihrem Buch "Keiner war dabei", in dem es um das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag geht. Im vergangenen Jahr erhielt sie dafür den Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung.

Frau Drakulic, haben Sie in den letzen Tagen serbische Zeitungen gelesen oder Nachrichten gehört? Wie beurteilt man dort die Bemühungen Mladic festzunehmen?

Drakulic: Ja, natürlich sagen die unterschiedlichen Zeitungen da unterschiedliche Dinge. Das war mir auch schon klar von Anfang an, wenn man da wie ich zu den üblichen Verdächtigen gehören, die die einschlägigen Medien inklusive des Internets nutzen, dann sieht man das schon sehr schnell. Ich habe diese ganze Geschichte über die Auslieferung natürlich sehr stark mitverfolgt, aber mir war klar von Anfang an, dass diesmal auch wieder nichts passieren würde. Es ist eigentlich wieder der gleiche Fall, wie wir ihn schon im letzten Jahr hatten, bei dem Fall um den General Ante Gotovina. Da stand die kroatische Regierung auch schon unter Druck zur Auslieferung, und es ist ebenfalls nichts passiert. So dass ich jetzt eigentlich gar nicht besonders überrascht bin.

Nun haben natürlich viele Zeitungen gesagt: Warum sollten wir ihn ausliefern? Er ist doch unser Held, denn so wird natürlich Mladic gesehen in Serbien. Und es ist natürlich völlig unklar, warum ein solcher Held ausgeliefert werden sollte. Es gibt auch eine Minderheit, die sagt: Nun, wir müssen schauen, wie es wirklich war, wir müssen unsere Verantwortung für diesen Krieg wahrnehmen. Aber die Mehrheit der Menschen ist natürlich vollkommen manipuliert durch die Medien. Einige sagen natürlich auch, wir können hier nicht aufgeben, dieser Kampf muss weiter geführt werden.

Das überrascht mich ebenfalls nicht. Ich sage immer: Es kann keine Gerechtigkeit ohne Wahrheit geben. Aber viele, in Bosnien besonders, sind der Meinung, warum sollten wir unseren Held ausliefern, wenn wir doch letztendlich die Opfer waren? Wir wurden doch im Jahr 1999 bombardiert. Und wenn man noch nicht einmal das Gefühl hat, dass man ein Unrecht begangen hat, dann kann man ja auch niemanden ausliefern wollen. Da wird dann gesagt, der Krieg, hat der überhaupt stattgefunden? Srebrenica, was ist denn da eigentlich passiert? Es gab letztes Jahr eine Konferenz von Jurastudenten in Belgrad, da wurde das gesamte Massaker schlichtweg geleugnet.

Und es ist für mich klar, dass wenn die Menschen gar nicht nach der Wahrheit suchen, dass sie natürlich auch gar kein Motiv haben, einen solchen Täter ausliefern zu wollen, weil sie ihn ja nicht als Täter sehen. Außerdem ist es letztendlich eine große Demütigung, jemanden ausliefern zu müssen an internationale Institutionen. Und da wird dann eben gesagt, es gibt keinen Krieg, aber das wird anders laufen. Wir müssen uns klar werden, wir waren diejenigen, die in den Krieg gegangen sind. Wir waren diejenigen, die angegriffen haben. Und wir müssen auch bezahlen für das, was wir getan haben.

Albath: Es heißt ja, dass Mladic ganz unbehelligt in seinem Haus leben konnte. Er hat seinen Rosengarten gepflegt und ging zu Fußballspielen und ist eben zu so eine Art Märtyrer geworden. Welche Rolle hat denn die Armee bei dem Versteckspiel gespielt?

Drakulic: Ich denke, hier ist auch wieder eine Parallel zu Kroatien zu ziehen. Letztendlich ist ja die Armee eine ganze Welt für sich. Ein ganzes Regierungskonstrukt in sich. Und es kann auch sehr gefährlich sein, sich dort einzumischen und dort einzugreifen. Letztendlich ist ja die Frage, wie viel Kontrolle hat die Regierung über die Polizei, über die Streitkräfte und über den Geheimdienst?

In Kroatien kennen wir dieses Problem auch. Wir wissen, dass die Polizei dort ebenfalls Angeklagte geschützt hat, die eigentlich ausgeliefert werden sollten. Und diese Situation ist in Serbien ja noch schlimmer. Da hat einer der Minister der früheren Regierung Djindjic ganz klar gesagt: Ja, es ist so, dass die Armee die Angeklagten vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag schützt. Und auch als die Regierung gar nicht mehr dafür war, diese Angeklagten zu schützen, haben die Geheimdienste immer noch diese Personen geschützt. Ich also sagte, die Armee ist letztendlich eine Welt für sich, und das ist auch ein ganz heikles Gleichgewicht, das man da halten muss. Es ist sicherlich ganz klar, dass es für die Regierung hier nicht einfach ist sich zu verhalten.

Es geht ganz klar darum, dass im Fall Mladic verhandelt werden muss. Es geht nicht darum, dass man einen solchen Angeklagten einfach so verhaften und ausliefern könnte. Ich denke, dass er auch ganz sicher davon ausgeht, dass er weiter geschützt werden wird. Es gab ja Meldungen in der Zeitung, er ist hier gesehen worden, er ist da gesehen worden und ich denke, dass er sich ganz sicher darauf verlassen kann, dass er auch weiterhin geschützt und gedenkt werden wird. Das heißt, ihn zu verhaften ist eigentlich eine Sache seiner eigenen Entscheidung. Er muss entscheiden, ob er das für die serbischen Menschen, für das serbische Volk tun will. Und man hört da natürlich viele, viele Geschichten. Es ist letztendlich immer ein heikles Geflecht zwischen Regierung, Armee und Polizei beziehungsweise Geheimdiensten und da muss die Regierung eine recht heikle Balance halten.

Natürlich liegt dieses Mal auch ein besonders großer Druck auf den Verhandlungen. Es wird zum Beispiel gesagt, dass wegen des Falles Kosovo nicht besonders stark eingegriffen, beziehungsweise nicht so ein Druck ausgeübt werden sollte auf die serbische Regierung. Wegen der Situation im Kosovo, dort stehen ja Wahlen bevor. Und es könnten sich eventuell faschistische Tendenzen ausbreiten. Das heißt es müssen viele Faktoren hier berücksichtigt werden. Eine Sache ist jedoch ganz klar: Mladic muss ausgeliefert werden. Und die EU muss hier einen höheren Druck ausüben. Es geht ja nicht darum ihn zu finden, sondern es geht darum die Regierung davon zu überzeugen, dass dieser Täter ausgeliefert werden muss.

Albath: Die Schriftstellerin Slavenka Drakulic im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Frau Drakulic, Sie sind inzwischen zwischen Stockholm, Istrien, Wien und den USA zu Hause, haben Sie denn den Eindruck, wenn Sie zurückkehren in Ihre Heimat, nach Kroatien, dass dort inzwischen ein Prozess der Auseinandersetzung mit dem Krieg begonnen hat? Gibt es eine Annäherung zum Beispiel zwischen Schriftstellern zwischen Serbien und Kroatien? Was können Intellektuelle da ausrichten? Können sie einen Dialog beginnen?

Drakulic: Also, wenn es jetzt nur um die Schriftsteller geht, da hat eigentlich der Dialog niemals aufgehört. Es gibt natürlich eine Gruppe sehr nationalistisch eingestellter Schriftsteller, sowohl in Kroatien als auch in Serbien bei denen ich mir niemals vorstellen kann, dass sie miteinander ins Gespräch kommen könnten. Aber alle anderen Schriftsteller sind da anders eingestellt. Wir haben uns in Frankfurt getroffen, zum Beispiel. Wir haben 1999 eine gemeinsame Gesprächsrunde gegründet, die sich regelmäßig trifft. Die Frage ist also nicht: Kann ein solcher Dialog beginnen? Er hat eigentlich schon die ganze Zeit weiter stattgefunden. Einige serbische Schriftsteller sind ja auch schon in Kroatien veröffentlicht worden. Und einige, wie zum Beispiel ich selbst, Schriftsteller aus Kroatien, werden auch in Serbien veröffentlich. Das ist also ein schönes Beispiel für diese Verständigung.

Albath: "Keiner war dabei" heißt Ihr Buch, Slavenka Drakulic, und Sie haben für dieses Buch mehrere Monate lang die Prozesse in Den Haag beobachtet und die Kriegsverbrecher dabei erlebt. Wie wirkten diese Menschen auf Sie?

Drakulic: Nicht nur für mich auch für andere, die dort anwesend waren, war das eine sehr, sehr bewegende Erfahrung, dort im Gerichtssaal zu sein. Sie müssen sich vorstellen, dass der Gerichtssaal sehr klein ist, man sitzt dort eigentlich nur im ganz geringen Abstand zu den Angeklagten, nur einige Meter von ihnen weg, stellen Sie sich das vor. Das war wirklich sehr, sehr bewegend. Für mich war das besonders der Fall, im Falle von Milosevic, von der Verhandlung, denn ich konnte eigentlich gar nicht glauben, dass er da wirklich sitzt, nur einige Meter von mir entfernt.

Und da habe ich mich natürlich gefragt, warum bin ich davon eigentlich so bewegt? Man kann da zu sehr interessanten Schlussfolgerungen kommen, nicht nur über die Menschen, die man dort als Angeklagte sieht, sondern auch über sich selbst. Es ist also eine bewegende Erfahrung. Sehr intensiv, manchmal kann es auch langweilig sein, aber für mich als Schriftstellerin war das sehr, sehr wichtig. Man muss sich da wirklich konzentrieren und immer wieder sich ins Gedächtnis rufen: Das sind die Menschen, die entweder selbst getötet haben oder Tötungen angeordnet haben. Denn diese Menschen sehen so normal aus, sie sehen aus wie die eigenen Verwandten, die eigenen Nachbarn.

Albath: Slavenka Drakulic, die Schriftstellerin über die Banalität des Bösen. Vielen Dank, Frau Drakulic!


Das Gespräch mit Slavenka Drakulic können Sie für begrenzte Zeit in unserem AudioOnDemand-Player nachhören.