Nur kein Risiko!
Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Diese Spruchweisheit ist eine plumpe Vereinfachung. Je länger man jedoch das Lamento über den Fehlstart, die Zerstrittenheit sowie die Profil- und Richtungslosigkeit der neuen schwarz-gelben Regierung über sich ergehen lassen muss, umso mehr ist man versucht, an das Körnchen Wahrheit in dieser Phrase zu erinnern.
Die "Suche nach Sicherheit" hat der Historiker Eckart Conze jüngst als Leitprinzip der deutschen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch von 1945 ausgemacht. Es bestimmt bis heute den Umgang von Wahlvolk und Politik mit einheimischen und globalen Herausforderungen, die zu Veränderung und Erneuerung zwingen. Als nationaler Konsens hat sich herausgebildet, dass Umbauten von Staat und Gesellschaft nur in schonenden Schritten und so vonstattengehen sollen, dass die Bürger möglichst wenig davon merken. Schließlich sind die Deutschen lange Zeit gut damit gefahren. So haben sie in den vergangenen Jahrzehnten wechselnde Regierungskonstellationen gewählt, deren wichtigste Voraussetzung jedoch stets die Wahrung der Kontinuität war. Dabei galt als ungeschriebenes Gesetz, dass neue Machtkombinationen erst eine Mehrheit erhielten, nachdem ihr umstürzlerischer Furor bereits erkaltet war.
Die großen Reformwerke der sozialliberalen Koalition waren tendenziell bereits in der ersten Großen Koalition vorbereitet und auf ihre gesellschaftliche Akzeptanz hin überprüft worden. Helmut Kohl trat mit dem Versprechen einer "geistig-moralischen Wende" an, die sich jedoch bald in quälend langes Aussitzen verwandeln sollte. Rot-Grün versprach die "ökologische Modernisierung" Deutschlands, um schnell bei Schröders Politik der "ruhigen Hand" zu landen. Als mit der Agenda 2010 schließlich doch noch ein kühner Einschnitt gewagt wurde, musste die zweite Große Koalition ran, um die Verantwortung für eventuelle soziale Konsequenzen auf möglichst viele politische Schultern zu verteilen.
Alle diese Regierungen gaben sich jedoch immerhin noch Überschriften - Leitmotive, die gesellschaftliche Bedürfnisse in politische Zielvorgaben zu übersetzen versuchten. Selbst Schwarz und Rot verkauften ihre Vernunftehe noch als "Koalition der neuen Möglichkeiten". Ausgerechnet jene "bürgerliche Mehrheit" aber, die von Union und FDP als lange ersehnte "Wunschkonstellation" hingestellt worden war, hat - jenseits der Allerweltsparole "Wachstum" - nicht einmal mehr die Kraft zu rhetorischen Aufbruchsfloskeln. Angela Merkel war freilich von vornherein klar, dass den Deutschen Schwarz-Gelb nur zu verkaufen war, indem die Kanzlerin persönlich dafür bürgte, dass auch unter dieser Koalition nichts aus dem gewohnten Gleichgewicht geraten würde.
Allein die FDP setzte auf markiges Umbruchs-Pathos. Doch es fehlt ihr dafür an gesellschaftlicher Unterstützung. Nicht überbordender Reformfreudigkeit des "bürgerlichen Lagers", sondern vor allem der Angst vor einem linken Regierungsbündnis war das hohe Wahlergebnis der FDP geschuldet. Auch hier überwog in Wahrheit die Suche nach Sicherheit. Dass sich die vermeintliche liberale Reformvision gleich wieder auf Steuersenkungen und Klientelbedienung reduzieren ließ, erleichtert die Domestizierung der FDP enorm.
Nicht nur die politische Klasse, die gesamte Republik nebst ihrer öffentlichen Debattenkultur ist derzeit ganz auf ein Ziel eingestellt: möglichst unauffällig und unbeschadet aus dem Schlamassel herauszukommen. Das gilt für die Wirtschaftskrise im Zeichen horrender Staatsverschuldung ebenso wie für den Krieg in Afghanistan. Dass von Deutschland sowohl in Fragen der Weltwirtschaft als auch der globalen Sicherheitspolitik längst viel mehr verlangt wird, nämlich zukunftsweisende Konzepte, ficht unsere auf Abwehr aller Störungen des Betriebsfriedens angelegte Mentalität kaum an. Niemand bedient das kollektive Bedürfnis, weitestgehend risikofrei durch das Gröbste hindurch geschleust zu werden, besser als Angela Merkel. Visionäres Pathos und dröhnende "Machtworte" kann man da nicht auch noch verlangen.
Richard Herzinger, Journalist, Buchautor, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als politischer Korrespondent der "Welt" und der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und arbeitete als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
Die großen Reformwerke der sozialliberalen Koalition waren tendenziell bereits in der ersten Großen Koalition vorbereitet und auf ihre gesellschaftliche Akzeptanz hin überprüft worden. Helmut Kohl trat mit dem Versprechen einer "geistig-moralischen Wende" an, die sich jedoch bald in quälend langes Aussitzen verwandeln sollte. Rot-Grün versprach die "ökologische Modernisierung" Deutschlands, um schnell bei Schröders Politik der "ruhigen Hand" zu landen. Als mit der Agenda 2010 schließlich doch noch ein kühner Einschnitt gewagt wurde, musste die zweite Große Koalition ran, um die Verantwortung für eventuelle soziale Konsequenzen auf möglichst viele politische Schultern zu verteilen.
Alle diese Regierungen gaben sich jedoch immerhin noch Überschriften - Leitmotive, die gesellschaftliche Bedürfnisse in politische Zielvorgaben zu übersetzen versuchten. Selbst Schwarz und Rot verkauften ihre Vernunftehe noch als "Koalition der neuen Möglichkeiten". Ausgerechnet jene "bürgerliche Mehrheit" aber, die von Union und FDP als lange ersehnte "Wunschkonstellation" hingestellt worden war, hat - jenseits der Allerweltsparole "Wachstum" - nicht einmal mehr die Kraft zu rhetorischen Aufbruchsfloskeln. Angela Merkel war freilich von vornherein klar, dass den Deutschen Schwarz-Gelb nur zu verkaufen war, indem die Kanzlerin persönlich dafür bürgte, dass auch unter dieser Koalition nichts aus dem gewohnten Gleichgewicht geraten würde.
Allein die FDP setzte auf markiges Umbruchs-Pathos. Doch es fehlt ihr dafür an gesellschaftlicher Unterstützung. Nicht überbordender Reformfreudigkeit des "bürgerlichen Lagers", sondern vor allem der Angst vor einem linken Regierungsbündnis war das hohe Wahlergebnis der FDP geschuldet. Auch hier überwog in Wahrheit die Suche nach Sicherheit. Dass sich die vermeintliche liberale Reformvision gleich wieder auf Steuersenkungen und Klientelbedienung reduzieren ließ, erleichtert die Domestizierung der FDP enorm.
Nicht nur die politische Klasse, die gesamte Republik nebst ihrer öffentlichen Debattenkultur ist derzeit ganz auf ein Ziel eingestellt: möglichst unauffällig und unbeschadet aus dem Schlamassel herauszukommen. Das gilt für die Wirtschaftskrise im Zeichen horrender Staatsverschuldung ebenso wie für den Krieg in Afghanistan. Dass von Deutschland sowohl in Fragen der Weltwirtschaft als auch der globalen Sicherheitspolitik längst viel mehr verlangt wird, nämlich zukunftsweisende Konzepte, ficht unsere auf Abwehr aller Störungen des Betriebsfriedens angelegte Mentalität kaum an. Niemand bedient das kollektive Bedürfnis, weitestgehend risikofrei durch das Gröbste hindurch geschleust zu werden, besser als Angela Merkel. Visionäres Pathos und dröhnende "Machtworte" kann man da nicht auch noch verlangen.
Richard Herzinger, Journalist, Buchautor, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als politischer Korrespondent der "Welt" und der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und arbeitete als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".

Richard Herzinger© DIE ZEIT