Nur der Pfau protestiert

Von Stefan Keim · 20.05.2011
Der Jubel war einhellig. "Der große Marsch", das erste Stück des 1981 geborenen Wolfram Lotz, stelle die Mechanismen des politischen Theaters in Frage, sei eine treffende Satire auf die Absurditäten auf deutschen Bühnen.
Lotz bekam im vergangenen Jahr den Kleist-Förderpreis und den Publikumspreis des Stückemarktes beim Berliner Theatertreffen. In seiner skurrilen Revue treten Josef Ackermann, Bakunin, der Autor selbst, seine Mutter und noch viele andere auf. "Echte Sozialhilfeempfänger" sollen auf die Bühne kommen und "21 mongoloide Kinder" das Theater zerlegen. Die Uraufführung bei den Ruhrfestspielen ging derb daneben.

Alle Regieanweisungen, die sich auf der Bühne nicht umsetzen lassen, werden einfach gesprochen. Wolfram Lotz kommt nicht – wie von ihm gefordert - als er selbst auf die Bühne, ihn vertritt eine Schauspielerin (Gertrud Kohl) im Peter-Handke-Look. Während sich ihre Kollegin Katharina Ley als politisch korrekte Talkmasterin bemüht, Tonfälle von Sophie Rois nachzuahmen. Diese Rolle ist die Konstante des Abends, ein geistig schlichtes Gutmenschlein, das seine platten Politbotschaften rüber bringen will, wobei unerwartete Antworten der Gesprächspartner stören. Einen Mann, der wegen Inzest im Gefängnis saß, will sie überzeugen, dass seine Kinder behindert sein müssen, obwohl sie es nicht sind. Wolfram Lotz karikiert ein engstirniges Agitproptheater, das den Zuschauern seine Weltsicht aufdrücken will. Das könnte lustig sein, wenn es so etwas noch gäbe.

Man wird das Gefühl nicht los, dass Lotz das Theater der 70er-Jahre angreift. Vielleicht hat er mal eine der Wutbürgerchorinszenierungen von Volker Lösch gesehen und glaubt, so etwas werde überall gespielt. Als Satire auf das Gegenwartstheater führt "Der große Marsch" ins Nichts. Es stimmt einfach nicht, was Lotz da behauptet. Es gibt eine philosophische Ebene in dem Stück. Anarchist Bakunin wehrt sich gegen die Zeit, behauptet 1981 geboren zu sein, wie Wolfram Lotz. Aus diesem Gedanken erwächst am Schluss ein Manifest für ein "unmögliches Theater". Lotz fordert, das Verhältnis von Wirklichkeit und Fantasie auf der Bühne auszuloten. Mal davon abgesehen, dass Franz Kafka eine ähnliche Vision im "Naturtheater von Oklahoma" bereits besser formuliert hat, läuft auch dieser Appell ins Leere. Lotz könnte mal ins Theater gehen. Normalerweise wird dort gemacht, was er so vehement verlangt.

Regisseur Christoph Diem konnte mit diesem bei genauer Betrachtung sinnlosen Text anscheinend überhaupt nichts anfangen. Vor der Pause inszeniert er eine Revue ohne Rhythmus, Witz und Spannung. Pure Langeweile mit ein paar leisen Schmunzlern. Dann gehen die Schauspieler als "mongoloide Kinder" ins Publikum, umarmen ein paar Zuschauer und bitten alle auf die Bühne, um sich Nudelsalat zu nehmen. Mit oder ohne Schinken. Danach wird es ganz schlimm. Die Schauspieler des koproduzierenden Saarländischen Staatstheaters hängen nun schlaff zwischen den Reihen herum, während das Publikum auf der Bühne des Theaterzeltes neben dem Festspielhaus sitzt. Lustlos sauen die Darsteller noch ein paar Texte hin. Die einzigen echten Töne kommen von draußen, neben dem Zelt befindet sich ein Tierpark. Ein Pfau ruft penetrant, scheint gegen die quälende Ödnis protestieren zu wollen.

Natürlich ist der Text besser als diese Aufführung. Jeder Text wäre das. Von Virtuosen doppelbödig gespielt, könnte "Der große Marsch" recht lustig werden. Dennoch ist Wolfram Lotz alles andere als eine Entdeckung. Selbstverliebt und kenntnisfrei schreibt er an seinem Thema vorbei.

Informationen der Ruhrfestspiele zu "Der große Marsch"