"Nur ausgeglichene Haushalte werden das Vertrauen wiederherstellen"

Manfred Weber im Gespräch mit Gabi Wuttke · 24.11.2011
Statt Schulden zu vergemeinschaften, sollte die Europäische Union deutlich mehr Druck auf ihre Schuldenstaaten ausüben, fordert der CSU-Europapolitiker Manfred Weber. Die Kürzung von Subventionen, etwa im Agrarbereich, sei dazu ein wirksames Mittel.
Gabi Wuttke: Was vielen gefällt, schmeckt der Bundeskanzlerin noch lange nicht. Sie wehrt sich als Chefin des größten EU-Zahlers weiter dagegen, die europäischen Schulden durch klassische Eurobonds zu vergemeinschaften. Wogegen Angela Merkel nichts hat: Die Verträge von Lissabon zu ändern – grundlegend, um Stabilität für die Zukunft nicht nur zu versprechen, sondern auch kontrollieren zu können. Das eine zu wollen und das andere abzulehnen, geht wiederum Kommissionspräsident Barroso und vielen europäischen Partnerländern zu weit, genau so wie der CSU, der weniger Europa schon immer lieber war.

Um 6:50 Uhr begrüße ich am Telefon Manfred Weber. Einen schönen guten Morgen!

Manfred Weber: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Als christsozialer Europapolitiker, Herr Weber, vertreten Sie eine andere Meinung als beispielsweise der Generalsekretär der CSU. Bis wohin gehen Sie bei den neuen europäischen Verträgen, über die geredet wird, die die Kanzlerin will und viele andere nicht, mit Angela Merkel?

Weber: Die CSU hat am letzten Parteitag einen umfassenden Leitantrag zu Europa verabschiedet, und da haben wir klargestellt, dass wir als Regierungspartei in Berlin uns dafür einsetzen, die Verträge zu ändern, und auch die Kommission – also sprich die europäische Regierung, die Exekutive in Brüssel – zu stärken, um Stabilität umzusetzen, um endlich das Versprechen einzuhalten, das die Staaten gegeben haben, als sie Mitglied im Euroraum geworden sind, nämlich sich nicht über alle Ohren zu verschulden.

Wuttke: Das heißt im Rückschluss, wenn man jetzt zum Beispiel auf den Tag gestern schaut: EU-Kommissionspräsident Barroso wehrt sich vor einer Weiterentwicklung der politischen Union, weil er um den eigenen Bauchnabel kreist?

Weber: Nein, also gestern war das definitiv kein guter Tag, weil wir sind in einer Situation, wo die Märkte extrem beunruhigt sind, die Geldgeber einen großen Bogen um den Euroraum machen, selbst wir Deutsche hatten gestern bei den Anleihenverkäufen Probleme, und das ist teilweise übrigens auch nicht mehr rational, was da auf den Märkten passiert. Wir haben Staaten in der Europäischen Union, die definitiv Schuldentragfähigkeit nachweisen können, und trotzdem funktioniert es derzeit mit den Anleihenverkäufen nicht. Also wir haben es da mit viel Marktversagen auch zu tun, …

Wuttke: Aber es ist schon rational, was der Kommissionspräsident tut?

Weber: … ja, alle haben ihren Job zu erledigen, und es ist klar, dass die Kommission im institutionellen Gefüge Europas das Recht hat, Initiativen zu ergreifen, sogar als einzige Institution das Recht hat, Initiativen zu ergreifen. Und da darf die Kommission Vorschläge auf den Tisch legen, und die darf sie auch vertreten – die muss sie dann auch vertreten. Andererseits darf auch ein starkes Mitgliedsland wie die Deutschen sagen und unsere Kanzlerin deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie von diesen Vorschlägen, die dann kommen, nichts halten. Also wir sollten zurückkehren zur Sachdiskussion, und am Ende der Tage ist klar, dass Eurobonds – also das heißt: die Vergemeinschaftung von neuen Schulden –, dass die nur kommen, wenn alle zustimmen. Also, wir haben als Deutsche dabei Vetomöglichkeit, und die sollten wir dann auch nutzen.

Wuttke: Inwiefern?

Weber: Ja, bei zwei Optionen, die die Kommission vorgestellt hat – bei den Eurobonds …

Wuttke: Drei.

Weber: … Eurobonds ist eine – ich glaube, bei zwei dieser drei ist eine Änderung der Verträge notwendig. Also muss der Lissabon-Vertrag geändert werden, und das geht nur einstimmig. Das heißt, für uns Deutsche in dem Sinn eine Vetomöglichkeit. Und wir als Union wollen das nicht, wir wollen nicht das Signal setzen, ihr könnt euch jetzt zurücklehnen, sondern wir wollen Stabilitätsunion, wir wollen, dass alle jetzt ihre Hausaufgaben machen, Monti, Papademos, alle die in Verantwortung sind, sollen jetzt bitte ihre Hausaufgaben machen und zu sparen beginnen. Nur ausgeglichene Haushalte werden das Vertrauen wiederherstellen, und ich darf schon darauf hinweisen, dass, wenn wir heute eine rotgrüne Regierung in Deutschland hätten, dass wir die Vergemeinschaftung von Schulden bereits hätten, weil sowohl Grüne als auch SPD in Deutschland sich dafür aussprechen, diese gemeinsamen Schulden zu tragen. Und das ist schon politisch auch in diesem Land ein fundamentaler Unterschied.

Wuttke: Ja, nun setzt die Kanzlerin aber weiter auf die EZB – das ist ja nun genau der große Streitpunkt –, und es ist ja, wenn wir mal auf die Änderung, die mögliche Änderung der europäischen Verträge schauen, jetzt Handeln gefragt, und zwar dringend. Also die Frage: Kommt die Kanzlerin um Eurobonds herum?

Weber: Es ist jetzt Handeln gefragt, aber es ist nicht Handeln gefragt, indem wir neue Schulden machen. Das ist doch der Gedanke, der hinter den Eurobonds steckt. Sondern jetzt ist gefragt, dass die Regierungen, die Probleme haben, jetzt endlich zu Potte kommen. Wir erleben jetzt in Griechenland seit Monaten Ankündigungen, wir erleben in Italien zwar jetzt einen Regierungswechsel, aber bisher auch noch keine konkreten Gesetzesinitiativen. Also es muss gehandelt werden. Das ist der entscheidende Punkt – auch in Spanien mit der neuen Regierung. Ich sage: In allen Fällen ist Hoffnung da, dass es mit der neuen politischen Konstellation gelingen kann, aber das muss doch der zentrale Punkt sein.

Übrigens hatte Italien vor Einführung des Euros Zinssätze im Bereich von zehn, zwölf, 14 Prozent zu zahlen, heute liegen sie bei sieben Prozent, also insofern ist es nun nicht so, dass die Welt untergeht. Der Druck auf diese Märkte, auf diese Staaten durch die Märkte ist entsprechend groß, und den wollen wir auch wirken lassen.

Die Kommission hat übrigens gestern nicht nur diese Eurobonds-Überlegungen vorgestellt, sondern sie hat auch zwei Gesetzesinitiativen, also harte Gesetzgebungen vorgelegt, Verordnungen auf europäischer Ebene, die im Rahmen der bestehenden Verträge die Durchgriffe auf Haushalte verbessern sollen, also auf Staaten, die das Versprechen, drei Prozent Schulden nicht zu übertreten, die dieses Versprechen brechen. Auf die Staaten kann zukünftig – wenn die Gesetze jetzt im Parlament bei uns, im Europäischen Parlament an dem Rat abgestimmt werden – auch härter durchgegriffen werden. Wir tun also auch das, was jetzt im bestehenden Vertragsrahmen möglich ist, um die Stabilitätsunion zu verwirklichen.

Wuttke: Apropos härter durchgreifen – ich möchte an dieser Stelle doch noch mal daran erinnern, dass es noch nicht mal drei Monate her ist, dass man in Brüssel zugesehen hat, wie Herr Berlusconi seine Sparversprechen in Rom dann sofort wieder einkassierte. Da darf man doch schon sagen, es bedarf nicht nur des Hoffens und des Glaubens, sondern wir müssen auch sehen, was in den letzten Monaten nicht passiert ist.

Weber: Aber Frau Wuttke, da sprechen Sie ja genau den Kernpunkt an, warum die Kanzlerin zu Recht sagt, wir brauchen diese Vertragsänderung, weil bisher kann man eben …

Wuttke: Ich persönlich habe ja nichts dagegen.

Weber: … ja, gut! Und ich versuche auch weiter zu überzeugen. Also, wir haben bisher die Situation, dass man sich zwar in Brüssel trifft und dass man dann miteinander spricht, dass man sich gegenseitig verspricht, wir halten das jetzt alles ein, und dann gehen die alle heim in ihre nationalen Hauptstädte, und dann passiert halt manchmal was, und manchmal passiert auch nichts.

Und das müssen wir ändern, wir brauchen da mehr Europa in dieser Fragestellung. Das heißt, wenn in Brüssel etwas vereinbart worden ist, dann muss ich auch eine Exekutive definieren, die dann die Kraft hat, diese Beschlüsse auch durchzusetzen, auch zu sanktionieren, wenn jemand nicht mitspielt. Und da geht es zum Beispiel drum, dass wir bei den Staaten, die eben nicht die Spielregeln einhalten, dann zum Beispiel die Agrarzahlungen stoppen können, die aus europäischen Töpfen kommen, oder die regionalen Mittel stoppen können. In Frankreich wird es eine lebendige Diskussion geben, wenn die alle Agrarzahlungen stoppen würden. Das heißt, wir könnten aus Europa Druck machen, um die Spielregeln umzusetzen, und genau dafür brauchen wir jetzt die Vertragsänderungen.

Wuttke: Also man könnte, wenn man wollte – sagt der christsoziale Europaparlamentarier Manfred Weber im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen sehr, schönen Tag!

Weber: Ich bedanke mich, Wiederhören!


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