Nummer eins in der weltweiten Hinrichtungsstatistik

Von Ruth Kirchner |
In keinem anderen Land werden so viele Menschen hingerichtet wie in China - mehrere Tausend pro Jahr. Die genaue Zahl kann nur geschätzt werden. Denn in der Volksrepublik gehört die Zahl der Exekutionen zu den streng gehüteten Staatsgeheimnissen.
In China können viele Delikte mit dem Tod bestraft werden - nicht nur Mord, sondern auch Drogenhandel und Korruption und andere Wirtschaftsdelikte. Man brauche die Todesstrafe zur Abschreckung, heißt es zur Begründung. Auf den Straßen Pekings gibt es dafür viel Zustimmung.

"Wer ein schweres Verbrechen begeht, muss natürlich mit dem Tod bestraft werden. Wenn Du eine schwere Straftat begehst, verlierst Du Dein Recht auf Leben. Wer schlechte Dinge tut, hat keine Rechte."

Trotz der harten Haltung, hat sich der Umgang mit der Todesstrafe in den letzten 30 Jahren verändert. Öffentliche Hinrichtungen wurden Ende der 80er-Jahre verboten - sie schädigten das Ansehen des Landes. Heute würden Todesurteile in Todeszellen oder speziellen Hinrichtungsbussen vollstreckt, berichtet die kalifornische Gefangenenhilfsorganisation Dui Hua. Tödliche Giftspritzen ersetzen immer häufiger die Gewehrkugeln. Und da seit 2007 der Oberste Gerichtshof jedes Todesurteil überprüfen muss, sei die Zahl der Hinrichtungen gesunken, sagt der Rechtsexperte Liu Renwen von der Akademie für Sozialwissenschaften.

"Dadurch wollte man erreichen, dass die Provinzen zurückhaltender sind beim Verhängen der Todesstrafe, so dass die Zahl der Hinrichtungen weiter zurückgeht."

Die genaue Zahl der Hinrichtungen ist ein streng gehütetes Staatsgeheimnis. Die Dui-Hua-Stiftung geht von 4000 Exekutionen im Jahr aus - das wären im Schnitt elf pro Tag. Die Geheimhaltung der Zahlen verhindert nach Ansicht vieler Experten eine wirkliche Debatte in China. Denn wenn das wahre Ausmaß der Hinrichtungen öffentlich diskutiert werden dürfte, wäre die Akzeptanz vermutlich deutlich geringer, so ihre Argumentation.

Fernsehshows wie diese mit dem Titel "Interviews vor der Hinrichtung” tragen wenig zur Aufklärung bei. Im staatlichen Fernsehen der Provinz Henan ist die Sendung mit Todeskandidaten, die mit Handschellen und Fußfesseln vor die Kamera treten, ein Riesenhit. Die Show ist nicht nur ethisch fragwürdig, sondern verschweigt auch die Probleme des Justizsystems, wo Geständnisse immer noch teils unter Folter erpresst werden und Richter keine Unabhängigkeit genießen. Gerade weil all das Tabuthemen sind und es keine breite öffentliche Debatte gibt, sehen erklärte Gegner der Todesstrafe wie Professor Liu für eine Abschaffung weiterhin keine Chance.

"Wir Rechtsexperten haben schon 1997 die Abschaffung der Todesstrafe für alle nicht gewalttätigen Delikte gefordert. Aber auch das ist sehr schwer. Chinas Gesetzgeber lassen sich zwar vom Gedanken der Reduzierung der Todesstrafe leiten, aber eine Abschaffung ist unrealistisch und gilt als nicht akzeptabel."

Zumindest eine vorsichtige Reform der Todesstrafe hat China letztes Jahr auf den Weg gebracht. Die Zahl der Delikte, die mit dem Tod bestraft werden, wurde auf 55 reduziert. Das Schmuggeln seltener Tiere oder das Plündern archäologischer Ausgrabungsstätten kann demnach nicht mehr mit der Höchststrafe belegt werden. Gleichzeitig, kritisiert Amnesty International, sei es den Gerichten leichter gemacht worden, die Todesstrafe etwa bei Lebensmittel- und Medikamentenskandalen anzuwenden. Menschenrechtsgruppen gehen daher davon aus, dass die Reform die Zahl der Hinrichtungen kaum beeinflussen wird.