Nützliche Bürgerarbeit
Bad Schmiedeberg ist ein 4000-Seelen-Ort im äußersten Südosten Sachsen-Anhalts und Modellregion für ein ambitioniertes Projekt: Durch "Bürgerarbeit" soll die Arbeitslosenquote auf 2,8 Prozent sinken - statistisch gilt das als Vollbeschäftigung. Langzeitarbeitslose bekommen durch gemeinnützige Arbeit im Altenheim oder der Kirchgemeinde eine langfristige Perspektive.
Mit ruhiger Hand lenkt Heinz Stegert seinen Wagen durch die Straßen von Bad Schmiedeberg. Links und rechts kleine Häuser, im Erdgeschoss ein paar Läden, dann der Marktplatz. Hier kennt er sich aus: Denn hier wurde Heinz Stegert vor 53 Jahren geboren, in dem kleinen Kurort in der Dübener Heide, im Südosten von Sachsen-Anhalt. Weggegangen ist er nie.
"… dieses historische Gebäude, was wir jetzt sehen, ist das Au-Tor, hier endete früher die Stadt, da waren große Tore dran und dann konnte man sich hier einschließen, also das kein Fremder hier rein kam."
Doch diese Zeiten sind längst vorbei - und seit einigen Monaten kann sich die kleine Stadt vor Besuchern kaum noch retten. Politiker aus der ganzen Bundesrepublik reisen nach Bad Schmiedeberg, die Journalisten kommen sogar aus dem Ausland. Fast über Nacht ist der Name der Stadt zum Synonym geworden für neue Wege in der Beschäftigungspolitik. Denn innerhalb weniger Wochen hat die Stadt ihre Arbeitslosigkeit von rund 16 auf 6,5 Prozent gesenkt – ein kleines Wunder im strukturschwachen Osten, von dem auch Heinz Stegert profitiert. Dabei hatte er die Hoffnung fast schon aufgegeben. Fast 30 Jahre hat Heinz Stegert in einem Ferienpark in Bad Schmiedeberg gearbeitet, zuerst als Elektriker, später als technischer Leiter.
"Dann gab es 2003 diesen Knall: Aus ökonomischen Gründen müssen wir sie entlassen. Und das war’s."
Drei Jahre lang suchte Heinz Stegert eine neue Stelle – ohne Erfolg. Ungewöhnlich sei das nicht, meint Rainer Bomba von der Arbeitsagentur, einer der Geschäftsführer der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt und Thüringen.
"”Also es ist so, dass wir trotz Aufschwungs am Arbeitsmarkt sehen, dass Fachkräfte gebraucht werden und nicht die so genannten Betreuungskunden der Agenturen und Arbeitsgemeinschaften, sprich das Klientel, das mit multiplen Hemmnissen kaum Chancen hat integriert zu werden.""
Multiple Hemmnisse: Oft sind es gleich mehrere Hürden, die den Arbeitslosen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, sagt Rainer Bomba.
"Unter multiplen Hemmnissen verstehen wir insbesondere das Alter heutzutage, wir verstehen darunter eine fehlende Qualifikation, das heißt teilweise sogar fehlende Berufsausbildung oder fehlende Berufserfahrung. Personen, die auch demoralisiert sind, die sagen: Was bringt’s denn überhaupt, was soll ich mich denn noch bewerben?"
Auch Heinz Stegert kennt dieses Gefühl.
"Wenn man die anderen Kollegen sieht, die früh auf Arbeit fahren, man ist zu Hause eigentlich ein Nichtsnutz und man vegetiert dann den ganzen Tag lang hin."
Eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt hat Heinz Stegert noch immer nicht gefunden. Und trotzdem hat er seit Mitte Dezember wieder einen festen Job. Als so genannter Bürgerarbeiter hilft Stegert in der evangelischen Gemeinde der Stadt – organisiert Veranstaltungen und ist Ansprechpartner für Kirchenbesucher. Doch für ihn ist die Bürgerarbeit noch viel mehr.
"”Bedingt durch diese neue Arbeit, die ich jetzt habe, hat man die Möglichkeit, wieder mit anderen zusammenzukommen, sich mit anderen auszutauschen, vor allen Dingen auch Wege und Möglichkeiten zu suchen: Wo findet man was – und das ist das Wichtigste.""
Neue Wege und Möglichkeiten suchen – das will auch Rainer Bomba. Sein Credo ist denkbar einfach: Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit.
Im August 2006 startet deshalb der erste Laborversuch: 20 Langzeitarbeitslose beginnen ihre Arbeit in einem Behindertenprojekt in Magdeburg. Und der Testlauf ist viel versprechend.
"Wir waren so außerordentlich überrascht von den Ergebnissen, dass wir gesagt haben: Das müssen wir in einer großen Fläche ausprobieren, denn eins ist klar: Unsere Bürgerarbeiter waren nicht wesentlich mehr krank als die Stammbelegschaft und es sind noch alle 20 an Bord, und das Schöne ist – zwei sind sogar in den ersten. Arbeitsmarkt übergegangen."
Vom Laborversuch zur großen Fläche. Nach Magdeburg wird das Modell in Bad Schmiedeberg getestet. In vier Stufen soll die Arbeitslosigkeit in der Kleinstadt deutlich gesenkt werden.
"Wir hatten in Bad Schmiedeberg 331 Arbeitslose, und wir haben diese Arbeitslosen in Gruppen zu Informationsveranstaltungen eingeladen, haben sie auf ihre Vermittler aufgeteilt und klar und deutlich gesagt: Jeder erhält jetzt ein Angebot definitiv. Das hat dazu geführt, dass in einer ersten Stufe – in der Aktualisierung und Aktivierung – sich diejenigen abgemeldet haben, die klar und deutlich gesagt haben: Wegen Arbeit habe ich mich eigentlich nicht arbeitslos gemeldet. Das gibt es, die Zahl war aber sehr gering, Gott sei Dank, es waren nur fünf Personen."
So räumt das Projekt auch mit dem verbreiteten Vorurteil auf, Arbeitslose wollen gar nicht arbeiten.
"In einer zweiten Stufe werden dann die marktnahen Kunden vermittelt, und das war der Haupterfolg, den wir mit Bürgerarbeit erzielt haben. Denn es haben sich innerhalb von zwei Monaten 20 Prozent unserer dort gemeldeten Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt abgemeldet. Das zeigt auf der einen Seite, dass sehr intensiv vermittelt wurde, sehr intensiv selbst gesucht wurde, auf der anderen Seite aber – und darüber muss man auch sprechen, auch Schwarzarbeit legalisiert wurde."
Intensive Vermittlung und Legalisierung von Schwarzarbeit: Der Test in Bad Schmiedeberg dreht sich nicht nur um Bürgerarbeit. Wenn auf der dritten Stufe allerdings auch Weiterbildung und Berufstraining nicht in Frage kommen, bleibt für die Arbeitslosen am Ende die Chance auf einen gemeinnützigen Job.
Doch die Auswahl der möglichen Tätigkeiten sei nicht ganz einfach, sagt Birgit Ruhland, die als Leiterin der Arbeitsagentur Wittenberg für die Umsetzung des Modellprojekts zuständig ist.
"Wir haben hier nicht nach Tätigkeiten geschaut, wo ein Unternehmen möglicherweise sagen würde: Das wäre auch eine Arbeit, die ich leisten könnte, und das wäre auch eine Arbeit, die ich am Markt umsetzen möchte, sondern es sind ausschließlich Arbeiten, die für ein Unternehmen nicht lukrativ sind, die auch keinen Mehrwert schaffen und wo auch keine Einkünfte zu erwarten sind."
Keinen Mehrwert schaffen – zumindest keinen ökonomischen. Das gilt auch für Britta Bennwitz. Seit drei Monaten hilft die gelernte Zootechnikerin als Bürgerarbeiterin im Altenpflegeheim in Bad Schmiedeberg.
"Guten Morgen Frau Löffler, ausgeschlafen?"
Freitagmorgen im Altenheim. Musiktherapie steht auf dem Programm. Rund 20 alte Frauen sitzen im Kreis und warten auf die nächste Übung. Zum Takt der Musik kreisen sie die Arme, klatschen in die Hände und auf die Knie. Die Therapeutin Gisela Kutzner erklärt die Übungen. Und wenn es bei den alten Damen trotzdem nicht recht klappen will, zeigt Britta Bennwitz ihnen, wie es geht.
"Beide Hände klatschen und auf unsere Knie…"
Die alten Menschen mögen Britta Bennwitz. Denn sie hat für die Senioren Zeit: Kuchenbacken und Arztbesuche, Spaziergänge und Sitzgymnastik – liebevoll kümmert sich Britta Bennwitz um die Heimbewohner. Ihre Aufgaben sind klar definiert.
"Betreuung dürfen wir nur, wir sind ja keine examinierten Schwestern oder so was, oder haben eine spezielle Ausbildung für die Pflege der Bewohner. Dafür ist das Pflegepersonal da und wir sind zur Unterstützung."
Unterstützen statt ersetzen: Die gemeinnützige Arbeit von Britta Bennwitz und Heinz Stegert ist wichtig für die kleine Stadt in Sachsen Anhalt. Die Altenheimbewohner freuen sich über die bessere Betreuung. Und die evangelische Kirche steht nun länger für Besucher offen.
Doch Rainer Bomba von der Arbeitsagentur ist keineswegs ein verträumter Gutmensch, dem es nur um ein erfülltes Leben der Bürgerarbeiter in der Gemeinschaft geht. Denn wenn der Druck auf die Arbeitslosen erhöht wird, bedeutet das für den Staat vor allem eins: Er spart Geld.
"Durch das vierstufige Modell, das wir mit Bürgerarbeit umsetzen, ist es so, dass wir viele Personen aus dem Leistungsbezug herausnehmen können, weil sie sich entweder von selber abmelden, sagen, sie wollten nicht arbeiten, oder sie melden sich in Arbeit ab. Und dadurch sparen wir elementar an Arbeitslosengeld I und an Arbeitslosengeld II, und wir sparen an den Kosten für Unterkunft und Heizung, weil die Personen, die jetzt selbst verdienen, von den Kommunen dieses Geld nicht mehr brauchen."
Weniger Geld für weniger Arbeitslose. Kein Wunder, denn das Projekt Bürgerarbeit ist die konsequente Fortsetzung der Politik des Fordern und Förderns, die schon in den Hartz-Gesetzen festgeschrieben wurde. Der Grundsatz: Nur wer wirklich arbeiten will, hat einen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Wer sich verweigert, wird sanktioniert.
Am Lohn jedenfalls kann es nicht liegen, dass die Bürgerarbeiter über ihre neuen Jobs so glücklich sind. Je nach Qualifikation verdienen sie im Monat zwischen 675 und 975 Euro brutto, den Arbeitnehmeranteil an den Sozialabgaben zahlen sie selbst – wie bei einer Festanstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Manche Bürgerarbeiter haben nun am Monatsende ein paar Euro mehr auf dem Konto. Doch für Heinz Stegert gilt das zurzeit nicht.
"Finanziell hat sich nichts geändert bei mir, ich bin noch da dran, dass ich eine kleine Aufstockung bekomme, ich hoffe es, dass es noch positiv beantwortet wird, zurzeit sieht es so aus, dass ich ein wenig weniger bekomme an Geld, aber ich mache trotzdem hier meine Arbeit gern."
Es ist die Arbeit, die Heinz Stegert treibt, nicht das Geld. Das Gefühl, endlich wieder gebraucht zu werden. Doch für ihn soll die Bürgerarbeit in der evangelischen Gemeinde nicht Endstation sein. Er will wieder einen richtigen Job.
Das wünscht sich auch Rainer Bomba von der Arbeitsagentur. Doch er weiß auch, dass es für viele Bürgerarbeiter schwierig wird.
"Wir versuchen mit Bürgerarbeit Personen aus Arbeit in Arbeit – sprich in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Das gelingt uns hier und dort, aber ich warne davor, zu hohe Erwartungen an dieses Konzept bezüglich der Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu stellen, denn wir haben wirklich hier Personen mit multiplen Hemmnissen und es ist außerordentlich schwer, einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen, wenn das Angebot auf der anderen Seite sehr hoch ist."
Ein hohes Angebot und wenig Nachfrage. Auch Britta Bennwitz kennt das Problem.
"Wir machen zusätzlich nur die Betreuung. Und dafür gibt es glaub ich auf dem ersten Arbeitsmarkt auch keine Arbeitsstellen für. Deswegen sind wir ja da."
Beim Mittagessen fragt sie die Senioren nach ihren Wünschen.
"Kartoffeln oder Kartoffelbrei zum Quark…?"
Die alten Frauen und Männer sitzen am Tisch und lassen sich von Britta Bennwitz bedienen. Sie ist 48. Und sie weiß, wie schwer es ist, einen neuen Job zu finden – mit ihrer Ausbildung, in ihrem Alter. Deshalb würde sie am liebsten hier bleiben.
"Der Job macht mir soviel Spaß, bis zur Rente würde ich das hier machen, gerne sogar."
Vielleicht könnte der Wunsch von Britta Bennwitz sogar in Erfüllung gehen. Denn wenn es gut läuft, könnte aus dem zwölfmonatigen Pilotprojekt Bürgerarbeit eine unbefristete Beschäftigung werden, sagt Rainer Bomba.
"Bürgerarbeit an sich sieht vor, eine unbefristete Tätigkeit anzubieten, wir helfen uns momentan in der Modellphase damit, dass wir das ganze auf ein Jahr befristen, jedoch mit der Option der Verlängerung. Wenn wir Klarheit über gesetzliche Bestimmungen, gegebenenfalls gesetzliche Änderungen haben, können wir hier auch über einen längeren Zeitraum hin die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Non-Profit-Bereich abschließen."
Klarheit über gesetzliche Bestimmungen – und vielleicht eine Änderung der aktuellen Rechtslage. Denn bei der Finanzierung plant Rainer Bomba ein Novum: Er will die Bürgerarbeit langfristig aus aktiven und passiven Mitteln bezahlen, das heißt Geld zur Arbeitsförderung und Geld zur Existenzsicherung miteinander vermischen. Nach aktueller Rechtslage ist das verboten. Deshalb wird das Pilotprojekt nicht nur von der Agentur für Arbeit, sondern auch vom Land Sachsen-Anhalt finanziert.
Auf eine Verlängerung des Projekts hofft auch Pfarrer Christoph Krause, der neben Heinz Stegert noch drei weitere Bürgerarbeiterinnen beschäftigt.
"Ich kann mir nur wünschen, dass das fortgesetzt wird, vor allem, weil dieser verbindliche Charakter so wichtig ist. Ich habe keine Lust, alle viertel Jahre neue Öffnungszeiten an die Presse zu geben, weil mir mal gerade wieder jemand weggefallen ist oder weil die Politik eine neue Entscheidung über die Zukunft von 1-Euro-Jobbern gefällt hat."
Die Entscheidung über seine eigene berufliche Zukunft erwartet Heinz Stegert nicht vom Staat. Er will sich weiter umschauen, um einen neuen Job zu finden. Doch die Bürgerarbeit bleibt auch für ihn zumindest eine letzte Option.
"Natürlich, wenn das hier nicht fruchten sollte, das man nicht auf den ersten Arbeitsmarkt kommt, und es absolut nichts Positives mehr gibt, na klar würde ich das hier weiterführen."
Weiterführen – für Rainer Bomba heißt das, den bisherigen Weg fortzusetzen. Denn auch wenn bis zur Vollbeschäftigung noch ein paar Prozentpunkte fehlen, verweist Bomba schon heute stolz auf die Erfolge in Bad Schmiedeberg.
"Wir streben an, die Arbeitslosigkeit signifikant zu reduzieren, das heißt auf jeden Fall um die Hälfte, und ich denke, dass eine Arbeitslosenquote momentan in Bad Schmiedeberg von 6,5 Prozent durchaus eine gute Arbeitslosenquote ist, wenn man überlegt, dass wir in Sachsen-Anhalt teilweise noch mit über 20 Prozent zu kämpfen haben. Wir haben hier schon bayerische Verhältnisse."
Bayerische Verhältnisse in Sachsen-Anhalt, mit Arbeitslosenzahlen im einstelligen Bereich. Doch Michael Müller, der in Bad Schmiedeberg ein Obst- und Gemüsegeschäft betreibt, mag sich über die glänzenden Zahlen nicht so recht freuen.
"In meinen Augen wird jetzt eine Konjunktur vorgespielt. Wenn ich in so einem Bereich, wo diese Arbeitslosenquote herrscht, mein Einzelhandelsgeschäft hätte oder mein Obst- und Gemüsegeschäft hätte, dann wäre da was los, dann wäre da Kaufkraft da, dann würde der Umsatz sich um 30 oder 40 Prozent erhöhen, dann hätten wir das Problem nicht, dann könnte ich diese Leute, die ich hier verloren habe, auch fest einstellen. Das ist aber nicht so. Das ist irgendwie bloß eine Verschiebung und eine Augenwischerei."
Seit es die Bürgerarbeit gibt, hat Obsthändler Müller ein Problem. Vier Festangestellte arbeiten in seinem Laden. Doch das ist manchmal nicht genug.
"Man braucht Aushilfskräfte, um den Betrieb am Laufen zu halten, und da ist es so, dass durch die Bürgerarbeit eben es nicht möglich ist in Bad Schmiedeberg Aushilfskräfte zu rekrutieren."
Keine Arbeitskräfte in Bad Schmiedeberg: Was Obsthändler Müller vor neue Schwierigkeiten stellt, wird von vielen anderen als Fortschritt wahrgenommen. Denn seit es die Bürgerarbeit gibt, habe sich die Stimmung in der Stadt geändert, erzählt Pfarrer Christoph Krause.
"Bisher war es durchaus so, wenn ich in eine Familie gekommen bin zu einem Besuch, war innerhalb kürzester Zeit die Rede darauf: Ja, die hat nun auch ihre Arbeit verloren – das war so der eine Teil der Berichterstattung, der andere ging: Ja, meine Kinder, die arbeiten jetzt in Süddeutschland oder in Westdeutschland, die sehe ich wenn’s hoch kommt noch am Wochenende oder die kommen schon gar nicht mehr nach Hause. Jetzt lerne ich auf einmal den dritten Gesprächsgang kennen, der heißt: Und haben sie denn schon mitgekriegt, meine Schwägerin die hat jetzt auch so eine Stelle als Bürgerarbeiterin. Also da kommt jetzt auf einmal etwas Positives rüber."
Denn es geht nicht nur um die Arbeit. Es geht eben auch um die Menschen, die erst durch die Bürgerarbeit wieder Zugang zum gesellschaftlichen Leben in der Stadt gefunden haben.
Auch Peter Heimann kann das verstehen. Doch der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau glaubt nicht an die Zukunft der Bürgerarbeit, selbst wenn sie heute für einen gesellschaftlichen Ausgleich sorgt.
"Das ist sicher kurzfristig und kurzatmig richtig, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Land eine Arbeitslosigkeit, die dann zwar versteckt ist, dass das sozusagen nach Belieben zu finanzieren ist."
Trotzdem lehnt IHK-Geschäftsführer Heimann das Konzept nicht komplett ab. Auch er weiß um die Einsparmöglichkeiten für den Staat, wenn der Druck auf Arbeitslose erhöht wird. Doch Heimann bleibt skeptisch.
"Es gibt Elemente, die sind richtig. Aber die Zielrichtung lautet ja nicht, die Menschen in reguläre Arbeit zu bringen, sondern die Zielrichtung lautet: Es gibt gar keine Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt und wir übernehmen sie in die Fürsorge des Staates."
Vom Staat geschaffene Bürgerarbeit – für den studierten Volkswirt Heimann ist das eine Bankrotterklärung der Arbeitsmarktpolitik. Das ewige Mantra der fehlenden Arbeitsplätze für Geringqualifizierte will er nicht gelten lassen. Auch seine These ist einfach: Wenn die Löhne sinken, entstünden auch neue Jobs.
Obsthändler Michael Müller hat schon eine konkrete Idee, wie statt Bürgerarbeit neue Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden könnten. Er wünscht sich ein Kombilohnmodell.
"Ich sage mal so, wenn sie die Hälfte, was die Bürgerarbeit kostet oder ein Drittel an uns, an den Unternehmer weiterführen, dann haben wir richtige Arbeitsplätze, produktive, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, die im Endeffekt bestimmt jedem was bringen."
Nun muss die Politik entscheiden, ob Bürgerarbeit einen festen Platz in der deutschen Arbeitsmarktpolitik erhält - oder ob das Konzept wieder in der Schublade verschwindet. Nach Bad Schmiedeberg wird das vierstufige Konzept der Bürgerarbeit seit wenigen Wochen auch in Barleben in der Nähe von Magdeburg erfolgreich getestet, erzählt Rainer Bomba von der Arbeitsagentur.
"Wir haben jetzt die Stufe vier gezündet und haben in Barleben ähnlich gute Ergebnisse wie in Bad Schmiedeberg erzielt, wobei wir teilweise bei der Integration in den ersten Arbeitsmarkt doch wesentlich besser liegen. Da zeigt sich, was wir erhofft haben: Dass durch die Lage im Speckgürtel von Magdeburg die Integration in den ersten Arbeitsmarkt deutlicher forciert werden kann."
Deshalb ist Bomba auch nicht bange, wenn er an die Zukunft des Projekts denkt.
"Wir hatten an unseren Modellstandorten Besuch aus allen Parlamenten, aus allen Ebenen, wir haben ein sehr interessantes Gespräch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales geführt. Und es ist so, dass Bürgerarbeit eine Chance erhält, eine Chance, auch bundesweit eingeführt zu werden, wenn die Zahlen weiterhin so gut sind. Wir stehen dann dafür, dass wir die Zahlen liefern, die Qualität liefern, die Politik setzt die Voraussetzungen dafür, dass Bürgerarbeit dann auch in größeren Flächenregionen und in allen Bundesländern umgesetzt werden kann."
Bürgerarbeit für alle – und der Traum von der staatlich geförderten Vollbeschäftigung wäre perfekt. Noch immer kann sich Bad Schmiedeberg vor Politikerbesuchen und Anfragen von Journalisten kaum retten. Und Heinz Stegert ist nach all den Interviews schon zu einer lokalen Berühmtheit geworden. Trotzdem ist der Mann mit dem ernsten Gesicht ein bisschen enttäuscht. Denn gewünscht hat er sich eigentlich etwas anderes.
"Der Gedanke erstmal war so gewesen: Wo die ersten Mediengestalter hier antraten, dass man gesagt hat: Hier kommt bestimmt was bei raus, wo man selbst auf diesem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle findet. Aber leider ist das nicht so, man hat bis jetzt keine positive Resonanz gefunden, dass man tatsächlich mal hier irgendwo eine Stelle bekommen könnte. Aber was soll man machen. Man kann dies nicht an den Haaren herbeiziehen, also muss man abwarten, vielleicht kommt noch irgendwas, dass jemand sagt: Mensch, ich brauch den Mann."
"… dieses historische Gebäude, was wir jetzt sehen, ist das Au-Tor, hier endete früher die Stadt, da waren große Tore dran und dann konnte man sich hier einschließen, also das kein Fremder hier rein kam."
Doch diese Zeiten sind längst vorbei - und seit einigen Monaten kann sich die kleine Stadt vor Besuchern kaum noch retten. Politiker aus der ganzen Bundesrepublik reisen nach Bad Schmiedeberg, die Journalisten kommen sogar aus dem Ausland. Fast über Nacht ist der Name der Stadt zum Synonym geworden für neue Wege in der Beschäftigungspolitik. Denn innerhalb weniger Wochen hat die Stadt ihre Arbeitslosigkeit von rund 16 auf 6,5 Prozent gesenkt – ein kleines Wunder im strukturschwachen Osten, von dem auch Heinz Stegert profitiert. Dabei hatte er die Hoffnung fast schon aufgegeben. Fast 30 Jahre hat Heinz Stegert in einem Ferienpark in Bad Schmiedeberg gearbeitet, zuerst als Elektriker, später als technischer Leiter.
"Dann gab es 2003 diesen Knall: Aus ökonomischen Gründen müssen wir sie entlassen. Und das war’s."
Drei Jahre lang suchte Heinz Stegert eine neue Stelle – ohne Erfolg. Ungewöhnlich sei das nicht, meint Rainer Bomba von der Arbeitsagentur, einer der Geschäftsführer der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt und Thüringen.
"”Also es ist so, dass wir trotz Aufschwungs am Arbeitsmarkt sehen, dass Fachkräfte gebraucht werden und nicht die so genannten Betreuungskunden der Agenturen und Arbeitsgemeinschaften, sprich das Klientel, das mit multiplen Hemmnissen kaum Chancen hat integriert zu werden.""
Multiple Hemmnisse: Oft sind es gleich mehrere Hürden, die den Arbeitslosen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, sagt Rainer Bomba.
"Unter multiplen Hemmnissen verstehen wir insbesondere das Alter heutzutage, wir verstehen darunter eine fehlende Qualifikation, das heißt teilweise sogar fehlende Berufsausbildung oder fehlende Berufserfahrung. Personen, die auch demoralisiert sind, die sagen: Was bringt’s denn überhaupt, was soll ich mich denn noch bewerben?"
Auch Heinz Stegert kennt dieses Gefühl.
"Wenn man die anderen Kollegen sieht, die früh auf Arbeit fahren, man ist zu Hause eigentlich ein Nichtsnutz und man vegetiert dann den ganzen Tag lang hin."
Eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt hat Heinz Stegert noch immer nicht gefunden. Und trotzdem hat er seit Mitte Dezember wieder einen festen Job. Als so genannter Bürgerarbeiter hilft Stegert in der evangelischen Gemeinde der Stadt – organisiert Veranstaltungen und ist Ansprechpartner für Kirchenbesucher. Doch für ihn ist die Bürgerarbeit noch viel mehr.
"”Bedingt durch diese neue Arbeit, die ich jetzt habe, hat man die Möglichkeit, wieder mit anderen zusammenzukommen, sich mit anderen auszutauschen, vor allen Dingen auch Wege und Möglichkeiten zu suchen: Wo findet man was – und das ist das Wichtigste.""
Neue Wege und Möglichkeiten suchen – das will auch Rainer Bomba. Sein Credo ist denkbar einfach: Arbeit finanzieren statt Arbeitslosigkeit.
Im August 2006 startet deshalb der erste Laborversuch: 20 Langzeitarbeitslose beginnen ihre Arbeit in einem Behindertenprojekt in Magdeburg. Und der Testlauf ist viel versprechend.
"Wir waren so außerordentlich überrascht von den Ergebnissen, dass wir gesagt haben: Das müssen wir in einer großen Fläche ausprobieren, denn eins ist klar: Unsere Bürgerarbeiter waren nicht wesentlich mehr krank als die Stammbelegschaft und es sind noch alle 20 an Bord, und das Schöne ist – zwei sind sogar in den ersten. Arbeitsmarkt übergegangen."
Vom Laborversuch zur großen Fläche. Nach Magdeburg wird das Modell in Bad Schmiedeberg getestet. In vier Stufen soll die Arbeitslosigkeit in der Kleinstadt deutlich gesenkt werden.
"Wir hatten in Bad Schmiedeberg 331 Arbeitslose, und wir haben diese Arbeitslosen in Gruppen zu Informationsveranstaltungen eingeladen, haben sie auf ihre Vermittler aufgeteilt und klar und deutlich gesagt: Jeder erhält jetzt ein Angebot definitiv. Das hat dazu geführt, dass in einer ersten Stufe – in der Aktualisierung und Aktivierung – sich diejenigen abgemeldet haben, die klar und deutlich gesagt haben: Wegen Arbeit habe ich mich eigentlich nicht arbeitslos gemeldet. Das gibt es, die Zahl war aber sehr gering, Gott sei Dank, es waren nur fünf Personen."
So räumt das Projekt auch mit dem verbreiteten Vorurteil auf, Arbeitslose wollen gar nicht arbeiten.
"In einer zweiten Stufe werden dann die marktnahen Kunden vermittelt, und das war der Haupterfolg, den wir mit Bürgerarbeit erzielt haben. Denn es haben sich innerhalb von zwei Monaten 20 Prozent unserer dort gemeldeten Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt abgemeldet. Das zeigt auf der einen Seite, dass sehr intensiv vermittelt wurde, sehr intensiv selbst gesucht wurde, auf der anderen Seite aber – und darüber muss man auch sprechen, auch Schwarzarbeit legalisiert wurde."
Intensive Vermittlung und Legalisierung von Schwarzarbeit: Der Test in Bad Schmiedeberg dreht sich nicht nur um Bürgerarbeit. Wenn auf der dritten Stufe allerdings auch Weiterbildung und Berufstraining nicht in Frage kommen, bleibt für die Arbeitslosen am Ende die Chance auf einen gemeinnützigen Job.
Doch die Auswahl der möglichen Tätigkeiten sei nicht ganz einfach, sagt Birgit Ruhland, die als Leiterin der Arbeitsagentur Wittenberg für die Umsetzung des Modellprojekts zuständig ist.
"Wir haben hier nicht nach Tätigkeiten geschaut, wo ein Unternehmen möglicherweise sagen würde: Das wäre auch eine Arbeit, die ich leisten könnte, und das wäre auch eine Arbeit, die ich am Markt umsetzen möchte, sondern es sind ausschließlich Arbeiten, die für ein Unternehmen nicht lukrativ sind, die auch keinen Mehrwert schaffen und wo auch keine Einkünfte zu erwarten sind."
Keinen Mehrwert schaffen – zumindest keinen ökonomischen. Das gilt auch für Britta Bennwitz. Seit drei Monaten hilft die gelernte Zootechnikerin als Bürgerarbeiterin im Altenpflegeheim in Bad Schmiedeberg.
"Guten Morgen Frau Löffler, ausgeschlafen?"
Freitagmorgen im Altenheim. Musiktherapie steht auf dem Programm. Rund 20 alte Frauen sitzen im Kreis und warten auf die nächste Übung. Zum Takt der Musik kreisen sie die Arme, klatschen in die Hände und auf die Knie. Die Therapeutin Gisela Kutzner erklärt die Übungen. Und wenn es bei den alten Damen trotzdem nicht recht klappen will, zeigt Britta Bennwitz ihnen, wie es geht.
"Beide Hände klatschen und auf unsere Knie…"
Die alten Menschen mögen Britta Bennwitz. Denn sie hat für die Senioren Zeit: Kuchenbacken und Arztbesuche, Spaziergänge und Sitzgymnastik – liebevoll kümmert sich Britta Bennwitz um die Heimbewohner. Ihre Aufgaben sind klar definiert.
"Betreuung dürfen wir nur, wir sind ja keine examinierten Schwestern oder so was, oder haben eine spezielle Ausbildung für die Pflege der Bewohner. Dafür ist das Pflegepersonal da und wir sind zur Unterstützung."
Unterstützen statt ersetzen: Die gemeinnützige Arbeit von Britta Bennwitz und Heinz Stegert ist wichtig für die kleine Stadt in Sachsen Anhalt. Die Altenheimbewohner freuen sich über die bessere Betreuung. Und die evangelische Kirche steht nun länger für Besucher offen.
Doch Rainer Bomba von der Arbeitsagentur ist keineswegs ein verträumter Gutmensch, dem es nur um ein erfülltes Leben der Bürgerarbeiter in der Gemeinschaft geht. Denn wenn der Druck auf die Arbeitslosen erhöht wird, bedeutet das für den Staat vor allem eins: Er spart Geld.
"Durch das vierstufige Modell, das wir mit Bürgerarbeit umsetzen, ist es so, dass wir viele Personen aus dem Leistungsbezug herausnehmen können, weil sie sich entweder von selber abmelden, sagen, sie wollten nicht arbeiten, oder sie melden sich in Arbeit ab. Und dadurch sparen wir elementar an Arbeitslosengeld I und an Arbeitslosengeld II, und wir sparen an den Kosten für Unterkunft und Heizung, weil die Personen, die jetzt selbst verdienen, von den Kommunen dieses Geld nicht mehr brauchen."
Weniger Geld für weniger Arbeitslose. Kein Wunder, denn das Projekt Bürgerarbeit ist die konsequente Fortsetzung der Politik des Fordern und Förderns, die schon in den Hartz-Gesetzen festgeschrieben wurde. Der Grundsatz: Nur wer wirklich arbeiten will, hat einen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Wer sich verweigert, wird sanktioniert.
Am Lohn jedenfalls kann es nicht liegen, dass die Bürgerarbeiter über ihre neuen Jobs so glücklich sind. Je nach Qualifikation verdienen sie im Monat zwischen 675 und 975 Euro brutto, den Arbeitnehmeranteil an den Sozialabgaben zahlen sie selbst – wie bei einer Festanstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Manche Bürgerarbeiter haben nun am Monatsende ein paar Euro mehr auf dem Konto. Doch für Heinz Stegert gilt das zurzeit nicht.
"Finanziell hat sich nichts geändert bei mir, ich bin noch da dran, dass ich eine kleine Aufstockung bekomme, ich hoffe es, dass es noch positiv beantwortet wird, zurzeit sieht es so aus, dass ich ein wenig weniger bekomme an Geld, aber ich mache trotzdem hier meine Arbeit gern."
Es ist die Arbeit, die Heinz Stegert treibt, nicht das Geld. Das Gefühl, endlich wieder gebraucht zu werden. Doch für ihn soll die Bürgerarbeit in der evangelischen Gemeinde nicht Endstation sein. Er will wieder einen richtigen Job.
Das wünscht sich auch Rainer Bomba von der Arbeitsagentur. Doch er weiß auch, dass es für viele Bürgerarbeiter schwierig wird.
"Wir versuchen mit Bürgerarbeit Personen aus Arbeit in Arbeit – sprich in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Das gelingt uns hier und dort, aber ich warne davor, zu hohe Erwartungen an dieses Konzept bezüglich der Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu stellen, denn wir haben wirklich hier Personen mit multiplen Hemmnissen und es ist außerordentlich schwer, einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bekommen, wenn das Angebot auf der anderen Seite sehr hoch ist."
Ein hohes Angebot und wenig Nachfrage. Auch Britta Bennwitz kennt das Problem.
"Wir machen zusätzlich nur die Betreuung. Und dafür gibt es glaub ich auf dem ersten Arbeitsmarkt auch keine Arbeitsstellen für. Deswegen sind wir ja da."
Beim Mittagessen fragt sie die Senioren nach ihren Wünschen.
"Kartoffeln oder Kartoffelbrei zum Quark…?"
Die alten Frauen und Männer sitzen am Tisch und lassen sich von Britta Bennwitz bedienen. Sie ist 48. Und sie weiß, wie schwer es ist, einen neuen Job zu finden – mit ihrer Ausbildung, in ihrem Alter. Deshalb würde sie am liebsten hier bleiben.
"Der Job macht mir soviel Spaß, bis zur Rente würde ich das hier machen, gerne sogar."
Vielleicht könnte der Wunsch von Britta Bennwitz sogar in Erfüllung gehen. Denn wenn es gut läuft, könnte aus dem zwölfmonatigen Pilotprojekt Bürgerarbeit eine unbefristete Beschäftigung werden, sagt Rainer Bomba.
"Bürgerarbeit an sich sieht vor, eine unbefristete Tätigkeit anzubieten, wir helfen uns momentan in der Modellphase damit, dass wir das ganze auf ein Jahr befristen, jedoch mit der Option der Verlängerung. Wenn wir Klarheit über gesetzliche Bestimmungen, gegebenenfalls gesetzliche Änderungen haben, können wir hier auch über einen längeren Zeitraum hin die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Non-Profit-Bereich abschließen."
Klarheit über gesetzliche Bestimmungen – und vielleicht eine Änderung der aktuellen Rechtslage. Denn bei der Finanzierung plant Rainer Bomba ein Novum: Er will die Bürgerarbeit langfristig aus aktiven und passiven Mitteln bezahlen, das heißt Geld zur Arbeitsförderung und Geld zur Existenzsicherung miteinander vermischen. Nach aktueller Rechtslage ist das verboten. Deshalb wird das Pilotprojekt nicht nur von der Agentur für Arbeit, sondern auch vom Land Sachsen-Anhalt finanziert.
Auf eine Verlängerung des Projekts hofft auch Pfarrer Christoph Krause, der neben Heinz Stegert noch drei weitere Bürgerarbeiterinnen beschäftigt.
"Ich kann mir nur wünschen, dass das fortgesetzt wird, vor allem, weil dieser verbindliche Charakter so wichtig ist. Ich habe keine Lust, alle viertel Jahre neue Öffnungszeiten an die Presse zu geben, weil mir mal gerade wieder jemand weggefallen ist oder weil die Politik eine neue Entscheidung über die Zukunft von 1-Euro-Jobbern gefällt hat."
Die Entscheidung über seine eigene berufliche Zukunft erwartet Heinz Stegert nicht vom Staat. Er will sich weiter umschauen, um einen neuen Job zu finden. Doch die Bürgerarbeit bleibt auch für ihn zumindest eine letzte Option.
"Natürlich, wenn das hier nicht fruchten sollte, das man nicht auf den ersten Arbeitsmarkt kommt, und es absolut nichts Positives mehr gibt, na klar würde ich das hier weiterführen."
Weiterführen – für Rainer Bomba heißt das, den bisherigen Weg fortzusetzen. Denn auch wenn bis zur Vollbeschäftigung noch ein paar Prozentpunkte fehlen, verweist Bomba schon heute stolz auf die Erfolge in Bad Schmiedeberg.
"Wir streben an, die Arbeitslosigkeit signifikant zu reduzieren, das heißt auf jeden Fall um die Hälfte, und ich denke, dass eine Arbeitslosenquote momentan in Bad Schmiedeberg von 6,5 Prozent durchaus eine gute Arbeitslosenquote ist, wenn man überlegt, dass wir in Sachsen-Anhalt teilweise noch mit über 20 Prozent zu kämpfen haben. Wir haben hier schon bayerische Verhältnisse."
Bayerische Verhältnisse in Sachsen-Anhalt, mit Arbeitslosenzahlen im einstelligen Bereich. Doch Michael Müller, der in Bad Schmiedeberg ein Obst- und Gemüsegeschäft betreibt, mag sich über die glänzenden Zahlen nicht so recht freuen.
"In meinen Augen wird jetzt eine Konjunktur vorgespielt. Wenn ich in so einem Bereich, wo diese Arbeitslosenquote herrscht, mein Einzelhandelsgeschäft hätte oder mein Obst- und Gemüsegeschäft hätte, dann wäre da was los, dann wäre da Kaufkraft da, dann würde der Umsatz sich um 30 oder 40 Prozent erhöhen, dann hätten wir das Problem nicht, dann könnte ich diese Leute, die ich hier verloren habe, auch fest einstellen. Das ist aber nicht so. Das ist irgendwie bloß eine Verschiebung und eine Augenwischerei."
Seit es die Bürgerarbeit gibt, hat Obsthändler Müller ein Problem. Vier Festangestellte arbeiten in seinem Laden. Doch das ist manchmal nicht genug.
"Man braucht Aushilfskräfte, um den Betrieb am Laufen zu halten, und da ist es so, dass durch die Bürgerarbeit eben es nicht möglich ist in Bad Schmiedeberg Aushilfskräfte zu rekrutieren."
Keine Arbeitskräfte in Bad Schmiedeberg: Was Obsthändler Müller vor neue Schwierigkeiten stellt, wird von vielen anderen als Fortschritt wahrgenommen. Denn seit es die Bürgerarbeit gibt, habe sich die Stimmung in der Stadt geändert, erzählt Pfarrer Christoph Krause.
"Bisher war es durchaus so, wenn ich in eine Familie gekommen bin zu einem Besuch, war innerhalb kürzester Zeit die Rede darauf: Ja, die hat nun auch ihre Arbeit verloren – das war so der eine Teil der Berichterstattung, der andere ging: Ja, meine Kinder, die arbeiten jetzt in Süddeutschland oder in Westdeutschland, die sehe ich wenn’s hoch kommt noch am Wochenende oder die kommen schon gar nicht mehr nach Hause. Jetzt lerne ich auf einmal den dritten Gesprächsgang kennen, der heißt: Und haben sie denn schon mitgekriegt, meine Schwägerin die hat jetzt auch so eine Stelle als Bürgerarbeiterin. Also da kommt jetzt auf einmal etwas Positives rüber."
Denn es geht nicht nur um die Arbeit. Es geht eben auch um die Menschen, die erst durch die Bürgerarbeit wieder Zugang zum gesellschaftlichen Leben in der Stadt gefunden haben.
Auch Peter Heimann kann das verstehen. Doch der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau glaubt nicht an die Zukunft der Bürgerarbeit, selbst wenn sie heute für einen gesellschaftlichen Ausgleich sorgt.
"Das ist sicher kurzfristig und kurzatmig richtig, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Land eine Arbeitslosigkeit, die dann zwar versteckt ist, dass das sozusagen nach Belieben zu finanzieren ist."
Trotzdem lehnt IHK-Geschäftsführer Heimann das Konzept nicht komplett ab. Auch er weiß um die Einsparmöglichkeiten für den Staat, wenn der Druck auf Arbeitslose erhöht wird. Doch Heimann bleibt skeptisch.
"Es gibt Elemente, die sind richtig. Aber die Zielrichtung lautet ja nicht, die Menschen in reguläre Arbeit zu bringen, sondern die Zielrichtung lautet: Es gibt gar keine Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt und wir übernehmen sie in die Fürsorge des Staates."
Vom Staat geschaffene Bürgerarbeit – für den studierten Volkswirt Heimann ist das eine Bankrotterklärung der Arbeitsmarktpolitik. Das ewige Mantra der fehlenden Arbeitsplätze für Geringqualifizierte will er nicht gelten lassen. Auch seine These ist einfach: Wenn die Löhne sinken, entstünden auch neue Jobs.
Obsthändler Michael Müller hat schon eine konkrete Idee, wie statt Bürgerarbeit neue Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden könnten. Er wünscht sich ein Kombilohnmodell.
"Ich sage mal so, wenn sie die Hälfte, was die Bürgerarbeit kostet oder ein Drittel an uns, an den Unternehmer weiterführen, dann haben wir richtige Arbeitsplätze, produktive, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, die im Endeffekt bestimmt jedem was bringen."
Nun muss die Politik entscheiden, ob Bürgerarbeit einen festen Platz in der deutschen Arbeitsmarktpolitik erhält - oder ob das Konzept wieder in der Schublade verschwindet. Nach Bad Schmiedeberg wird das vierstufige Konzept der Bürgerarbeit seit wenigen Wochen auch in Barleben in der Nähe von Magdeburg erfolgreich getestet, erzählt Rainer Bomba von der Arbeitsagentur.
"Wir haben jetzt die Stufe vier gezündet und haben in Barleben ähnlich gute Ergebnisse wie in Bad Schmiedeberg erzielt, wobei wir teilweise bei der Integration in den ersten Arbeitsmarkt doch wesentlich besser liegen. Da zeigt sich, was wir erhofft haben: Dass durch die Lage im Speckgürtel von Magdeburg die Integration in den ersten Arbeitsmarkt deutlicher forciert werden kann."
Deshalb ist Bomba auch nicht bange, wenn er an die Zukunft des Projekts denkt.
"Wir hatten an unseren Modellstandorten Besuch aus allen Parlamenten, aus allen Ebenen, wir haben ein sehr interessantes Gespräch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales geführt. Und es ist so, dass Bürgerarbeit eine Chance erhält, eine Chance, auch bundesweit eingeführt zu werden, wenn die Zahlen weiterhin so gut sind. Wir stehen dann dafür, dass wir die Zahlen liefern, die Qualität liefern, die Politik setzt die Voraussetzungen dafür, dass Bürgerarbeit dann auch in größeren Flächenregionen und in allen Bundesländern umgesetzt werden kann."
Bürgerarbeit für alle – und der Traum von der staatlich geförderten Vollbeschäftigung wäre perfekt. Noch immer kann sich Bad Schmiedeberg vor Politikerbesuchen und Anfragen von Journalisten kaum retten. Und Heinz Stegert ist nach all den Interviews schon zu einer lokalen Berühmtheit geworden. Trotzdem ist der Mann mit dem ernsten Gesicht ein bisschen enttäuscht. Denn gewünscht hat er sich eigentlich etwas anderes.
"Der Gedanke erstmal war so gewesen: Wo die ersten Mediengestalter hier antraten, dass man gesagt hat: Hier kommt bestimmt was bei raus, wo man selbst auf diesem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle findet. Aber leider ist das nicht so, man hat bis jetzt keine positive Resonanz gefunden, dass man tatsächlich mal hier irgendwo eine Stelle bekommen könnte. Aber was soll man machen. Man kann dies nicht an den Haaren herbeiziehen, also muss man abwarten, vielleicht kommt noch irgendwas, dass jemand sagt: Mensch, ich brauch den Mann."