"Nudging" im Kanzleramt?

Mit der Trägheit der Menschen Politik machen

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn.
Hält als Vorsitzende der liberalen Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft naturgemäßig wenig vom Nudging: die Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn © Beatríz Barragán / Karen Horn
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 05.03.2015
Seit Anfang der Woche sollen drei Mitarbeiter im Bundeskanzleramt mit psychologischen "Stupsern" dafür sorgen, dass die Politik beim Volk besser ankommt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn wünscht sich stattdessen mehr Aufklärung statt Paternalismus.
"Wirksam regieren" - das hat sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben und zu diesem Zweck psychologisch geschulte Mitarbeiter eingestellt, die dafür sorgen sollen, dass politische Maßnahmen beim Volk besser ankommen. Manche befürchten, dabei gehe es um sogenanntes "Nudging": Dabei soll sanfter psychologischer Druck soll Menschen dazu bringen, das "Richtige" zu tun: Organe spenden zum Beispiel oder Energie sparen.
Die liberale Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn lehnt das Konzept des "Nudging" als paternalistisch ab: Anstatt die Menschen dazu zu bringen, das zu tun, was "wirklich" gut für sie sei, solle man sie aufklären und dann ihre eigene Entscheidung treffen lassen. Mit der Trägheit der Menschen Politik zu machen, sei "unanständig".

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Seit dieser Woche gibt es im Kanzleramt eine Projektgruppe und die heißt: „Wirksam regieren". Ein Psychologe, eine Verhaltensökonomin und eine Juristin, diese drei Leute sollen dafür sorgen, dass die Politik beim Volk besser ankommt. Oder, wie es so schön in der Stellenanzeige hieß: auf der Grundlage qualitativer Situations- und Problemanalysen und verhaltenswissenschaftlicher Evidenz arbeiten. Die wissenschaftliche Grundlage des Ganzen lieferte ein Buch, "Nudge" heißt es - "Stupsen" also auf Deutsch - und "Wie man kluge Entscheidungen anstößt", geschrieben 2008 von zwei amerikanischen Professoren.
Den einen hat Barack Obama gleich eingestellt, den anderen hat sich David Cameron als Berater geholt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn indes, die findet nicht, dass das Volk derlei psychologische Stupser braucht. Sie lehrt ökonomische Ideengeschichte an den Universitäten Berlin und Witten-Herdecke und ist zudem Vorsitzende der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft. Frau Horn, schönen guten Morgen!
Karen Horn: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Politikberater, die gibt es ja ohnehin jede Menge. Was fuchst Sie denn besonders an diesen dreien im Kanzleramt?
Horn: Die drei im Speziellen, die finde ich gar nicht so schlimm. Und ich glaube auch, dass ein ökonomischer Rat dieser Form nicht unbedingt völlig unangemessen ist.
von Billerbeck: Aber?
Horn: Aber ich habe mit dem Konzept dieses Schubsens an sich ein Problem, wenn es so weit geht, dass es ausnutzt die Tatsache, dass Menschen irrational zu handeln pflegen. Denn darum geht es. Es geht um die Erkenntnis, dass Menschen zum Beispiel eine Aversion haben gegen Verluste oder dass sie gerne ihre Entscheidung aufschieben auf später, man kennt das ja...
von Billerbeck: Macht jeder von uns ...
Aufklärung statt Paternalismus
Horn: Unangenehme Dinge ... Macht jeder von uns, und das ist meistens auch nicht wirklich zu unseren Gunsten. Und das ist die Idee des Nudging, es gibt jemanden, der sich sozusagen als Paternalist geriert und uns dazu bringt, das zu machen, was eigentlich wirklich für uns in längerfristiger Betrachtung gut ist. Nur wäre es eigentlich viel schöner, wenn wir darüber aufgeklärt würden, als dass jemand anders für uns Entscheidungen fällt, was wir zu tun haben. Das ist das Problem mit dem Nudging an sich.
von Billerbeck: Nun hat ja das Kanzleramt verkündet, dass es genau diesen Kampfbegriff – Sie haben den ja eben auch kritisiert, dieses Nudging, dieses Anstupsen auf Deutsch – gar nicht benutzen will. Eine Regierungssprecherin hat diese Woche gesagt, es gehe ja darum, die Wirksamkeit von Verwaltungshandeln zu verbessern. Das ist doch eigentlich eine gute Idee?
Horn: Ich sehe schon sehr viel, a priori habe ich auch nicht wirklich was dagegen. Es kommt darauf an, um was es im Einzelnen wirklich geht. Mir ist vor nicht allzu langer Zeit ein Video über den Bildschirm geflattert, Sie haben das vielleicht auch einmal gesehen, und das ist dieses Video, wo Barack Obama den Hampelmann gibt, ein sehr lustiger kleiner Film, in dem Obama dafür wirbt, dass die Menschen in Amerika sich krankenversichern sollen. Es ist ein sehr witzig gemachtes Video, in dem den Menschen diese Frist vom 15. Februar eingetrichtert wurde, bis zu dem sie sich registrieren lassen sollen, um sich zu versichern, und das ist alles. Da ist für mich überhaupt kein Zwang drin, es ist ein netter kleiner Werbetrick, um Menschen zu sagen: da gibt es eine Frist, wenn ihr das machen wollt, dann meldet euch jetzt noch an, mehr ist das nicht.
"Unanständig", die Trägheit der Menschen auszunutzen
Es ist was anderes, wenn man von vornherein sozusagen jeden ab Geburt in eine Versicherungspflicht hineinbringt, die für ihn mit Kosten verbunden sind. Also, das ist genau der Unterschied: Werbe ich ein bisschen und das macht man mit den weichen Formen des Nudgings, da habe ich überhaupt kein Problem mit, da kann der Mensch ja immer noch sagen: Obama kann so lange hampeln, wie er will, das ist sehr lustig, aber ich will mich trotzdem nicht versichern.
In der anderen Variante hat man diese Entscheidung mir sehr viel schwerer gemacht, ich bin erst mal drinnen in einem System und weil ich eben sehr träge bin und Entscheidungen gerne aufschiebe, bleibe ich wahrscheinlich auch drin, weil es halt viel zu mühsam ist, und dann wird sozusagen mit meiner Trägheit Politik gemacht. Und das ist das Unanständige.
von Billerbeck: Da kommt jetzt schwer die Liberale durch, die nicht zwangsbeglückt werden möchte, das war zu hören.
Horn: Durchaus!
von Billerbeck: Ja. Aber ich könnte auch noch ein anderes gutes Beispiel anführen, wo dieses Anstupsen auch gute Erfahrungen gebracht hat in den USA, Dänemark und Großbritannien. Und zum Beispiel diese Anstups-Unit, also diese "Nudge Unit" von David Cameron, die hat es geschafft, die Briten von einer Organspende zu überzeugen. Das ist doch wirklich ein überzeugendes Argument, solche Motivmöglichkeiten, solche Anstupsereien, ja, in Kraft zu setzen und damit Politik zu machen?
Horn: Ja, Sie bringen gerade ein Beispiel auf, das, glaube ich, besonders klar vor Augen führt auch, was die Grenzen einer solchen ... ja, eines solchen Tools, eines solchen Instruments in der Politik ist. Der Wunsch ist, die Knappheit von Organspendenden zu überwinden, und was damit gemacht wird, mit dieser Nudging-Politik, ist, dass es sozusagen eine Grundeinstellung gibt, die anders gewählt wird als früher. Bisher ist es auch bei uns in Deutschland so, dass jeder Mensch erst mal die volle Verfügbarkeit über seinen eigenen Körper besitzt, also, es darf niemand anders mir etwas von meinem Körper wegnehmen, es sei denn natürlich bei einer Operation, wo ich vorher eingewilligt habe, aber erst mal gehört mein Körper mir. Und die Ersteinstellung wird eben insofern dann anders gewählt, als der Körper nach meinem Ableben nicht mehr mir gehört, wenn man sagt, es gibt eine Organspendepflicht. Und das ist einfach ein Eingriff in wirklich die elementarsten Freiheits- und Persönlichkeitsrechte, das geht sehr weit.
Dem Staat geht es um möglichst viele Organspenden
Und wie ich schon vorhin sagte, dann spielt man oder man macht Politik mit der Tatsache, dass mir selbst vielleicht das Thema Organspende so unangenehm ist und ich so ungern überhaupt darüber nachdenke und damit konfrontiert werde, dass ich dann aus diesem System, wo ich erst mal dazu verpflichtet bin da mitzumachen, nicht austrete.
von Billerbeck: Da könnte man aber dagegenhalten, dass auch so etwas ja dazu führt, dass man sich mit bestimmten Fragen, die einem eben unangenehm sind, wie Sie es ja auch selbst gesagt haben, eben verdammt noch mal beschäftigen muss. Man mag ja jeden Zwang ablehnen, aber man muss sich dann eben damit auseinandersetzen. Und das führt ja auch... Dafür sorgen ja auch solche Anstupser. Ich könnte noch ein anderes Beispiel nennen ...
Horn: Können wir bei dem gerade mal bleiben?
von Billerbeck: Können wir machen, aber ...
Horn: Ja, es wäre vielleicht ganz gut, jetzt erst mal das zu Ende zu sprechen. Sich mit solchen unangenehmen Entscheidungen und Themen überhaupt zu befassen, genau das ist richtig. Also, das finde ich wirklich, das ist der entscheidende Punkt. Bloß, wenn ich von Geburt an in einem System drin bin, wo erst mal davon ausgegangen wird, dass ich mich zur Verfügung stelle, dann werde ich ... wird die Hürde für mich, da wieder rauszugehen und zu sagen, nein, das möchte ich aber nicht, viel größer. Und diese Politik setzt voraus, dass mir die Hürde zu groß ist. Sonst würde sie ja nicht funktionieren. Das Ziel der Politik ist möglichst viele Organspenden, und deswegen hofft der Staat, dass ich nicht sage: Ach nee, das ist mir doch nicht so recht. Wenn der Staat wirklich akzeptieren würde, dass ich eine Entscheidungsfreiheit haben will, dann muss er zum Beispiel so was einführen wie eine jährliche Zustimmungspflicht.
Leichtes Nudging durch regelmäßige Bürgerbefragungen
Also, ich muss einmal im Jahr irgendwo ankreuzen: ich will das wirklich. Und das ist genau der Unterschied. Wenn man ein leichtes Nudging machen will, dann führt man so etwas ein, wie dass man die Bürger regelmäßig befragt: Wollt ihr nicht vielleicht doch Organspenden oder andere Dinge? Das ist etwas, wo erst mal nicht über mich verfügt wird, aber an mich herangetragen wird, dass es Themen gibt, über die ich nachdenken soll und muss. Und das funktioniert in der Tat auch. Da gibt es andere Beispiele, die gezeigt haben, also, wenn man mir ein Instrument in die Wohnung hängt, an dem ich sehen kann, wie mein Energieverbrauch sich entwickelt, dann achte ich vielleicht tatsächlich darauf, nicht in Spitzenzeiten besonders viel zu benutzen. Aber wenn ich das nicht sehe, ...
von Billerbeck: Na ja.
Horn: ... dann kann ich es auch gar nicht vermeiden. Diese kleinen Stupser finde ich vollkommen legitim und sinnvoll.
von Billerbeck: Da sind wir wahrscheinlich unterschiedlicher Meinung, ich hätte mir so ein Instrument wahrscheinlich nicht in die Wohnung gehängt! Karen Horn war das also mit ihrer Kritik an den drei psychologischen Anstupsern, die jetzt vom Kanzleramt aus den Bürgern die Politik besser verkaufen sollen. Danke Ihnen für das Gespräch!
Horn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.