NSU-Urteil gegen Zschäpe rechtskräftig

Eine Wunde, die nicht heilen will

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Blumen an einer Gedenkstelle
Gedenken an Halit Yozgat im April 2021 in Kassel: Insbesondere zu seiner Ermordung bleiben Fragen offen, sagt Mehmet Daimagüler. © imago/Hartenfelser
Mehmet Daimagüler im Gespräch mit Axel Rahmlow · 19.08.2021
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Das Urteil gegen Beate Zschäpe ist rechtskräftig. Die NSU-Terroristin muss damit lebenslang in Haft. Abschließen können die Hinterbliebenen dennoch nicht, sagt Anwalt Mehmet Daimagüler: Zu vieles blieb ungeklärt.
Der Bundesgerichtshof hat es bestätigt: Das Urteil gegen Beate Zschäpe im NSU-Prozess ist rechtskräftig. Eine Revision wird es nicht geben. Die Rechtsterroristin muss damit lebenslang in Haft.
Dennoch: "Das Verfahren ist gescheitert", sagt Mehmet Daimagüler. Der Rechtsanwalt zählte zum juristischen Beistand der Nebenkläger. Seiner Ansicht nach sind die Zusammenhänge rund um den NSU nicht vollständig aufgeklärt worden.
Dies zeige sich vor allem am Beispiel von Andreas Temme. Der ehemalige Verfassungsschutzbeamte hatte sich am Tatort aufgehalten, als Halit Yozgat ermordet wurde.
Vor Gericht habe Temme "von der ersten bis zu letzten Sekunde erkennbar" gelogen, behauptet Daimagüler. "Wenn man dann sieht, dass das Gericht sagt, dass es seinen Ausführungen glaubt, und der ganze Saal dann lacht - ein bitteres Lachen, weil es einfach absurd war, jeder konnte erkennen, dass der Mann lügt -, dann muss man sagen: Da sollte nicht aufgeklärt werden, wenn es in Richtung Staat ging."

"Auf den Staat setze ich nicht mehr"

Nun sei die Zivilgesellschaft gefordert, offene Fragen zu klären, sagt Daimagüler. Er erinnert an den rechtsterroristischen Anschlag aufs Münchner Oktoberfest im Jahr 1980: Erst beharrliches Nachhaken von Medien, Hinterbliebenen und Opfern führte dazu, dass der rechtsextreme Kontext der Tat aufgearbeitet und kenntlich gemacht wurde.
"Ich setze daher darauf, dass die Zivilgesellschaft sagt: Wir können nicht mit dieser Wunde, die nicht heilen will, leben. Auf den Staat, auf die Strafbehörden, auf die Bundesanwaltschaft – darauf setze ich nicht mehr und auch niemand, der sich mit der Materie befasst. Und das ist bitter", stellt der Rechtsanwalt fest.

Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik: Verdrängte Vergangenheit? [AUDIO] Der NSU hat Vorläufer: Hepp-Kexel-Gruppe, Aktion Widerstand, Ekkehard Weil, "Bombenhirn" Naumann. Doch kaum jemand kennt diese Namen. Seit den 60er-Jahren gibt es rechtsextremen Terror in Deutschland. Ein Feature von Philipp Schnee aus dem Jahr 2017.

Der Angeklagte Ekkehard Weil im Gericht mit zum "W" gespreizten Fingern, ein Symbol der rechtsradikalen "Aktion Widerstand". Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen begann am 18. Oktober 1983 in Wien ein Verfahren gegen neun Rechtsradikale, darunter auch gegen den aus der Bundesrepublik Deutschland geflüchteten Ekkehard Weil. Ihnen werden Neonazitum und Sprengstoffanschläge zur Last gelegt. 
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Daimagüler berichtet von einer tiefen Desillusionierung: "Die Bundeskanzlerin versprach: Wir tun alles, um aufzuklären, wir werden alles tun, um Helfershelfer zu finden. Ich habe ihr vertraut. Aber während Frau Merkel ihre Rede hielt, wurden landauf, landab Akten geschreddert."

Eine rechtsterroristische Welle

Daimagüler sieht einen tief verankerten, institutionellen Rassismus am Werk. Viel geändert habe sich seit der Selbstenttarnung des NSU nicht, sagt der Rechtsanwalt unter Verweis auf die Welle rechtsterroristischer Gewaltverbrechen der letzten Jahre, namentlich die Morde von Hanau, den Anschlag auf das Münchner Olympia-Einkaufszentrum, den Anschlag von Halle und den Mord an Walter Lübcke.
"Ich frage mich, was eigentlich noch passieren muss, bevor wir verstehen, dass wir ein echtes Problem haben."
(thg)
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