NSU-Prozess

Plädoyer für den Plädoyer-Mitschnitt

Der Bundesanwalt Herbert Diemer (l-r), Oberstaatsanwältin Anette Greger und Bundesanwalt Jochen Weingarten stehen am 25.07.2017 im Gerichtssaal in München (Bayern) an ihrem Platz. Vor dem Oberlandesgericht wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) fortgesetzt.
Bundesanwalt Herbert Diemer, Oberstaatsanwältin Anette Greger und Bundesanwalt Jochen Weingarten beim NSU-Prozess in München. © dpa / Peter Kneffel
Udo Vetter im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 25.07.2017
In deutschen Gerichtssälen gilt das gesprochene Wort: Mitgeschnitten wird grundsätzlich nicht. Mit Beginn der Plädoyers beim NSU-Prozess ist die Debatte um Sinn und Unsinn dieser Regelung wieder entflammt. Rechtsexperte Udo Vetter hält das Mitschnittverbot für veraltet.
Im NSU-Prozess hat die Bundesanwaltschaft heute mit der Verlesung ihres Plädoyers begonnen. Rund 22 Stunden und mehrere Prozesstermine sind dafür eingeplant. Mitgeschnitten und mitgeschrieben wird jedoch nicht: In deutschen Gerichten gilt das Mündlichkeitsprinzip.

Das Mündlichkeitsprinzip ist veraltet

Ein Fehler, meint der Rechtsexperte Udo Vetter im Deutschlandfunk Kultur: Die Regelung stamme aus dem 19. Jahrhundert, die Zeiten haben sich seitdem geändert - und allem voran die Technik:
"Das Verbot von Tonaufzeichnungen stammt aus einer Zeit, als es noch keine Tonaufnahmen gab."
Befürworter des Mitschnittverbots machen Persönlichkeitsrechte stark. Vetter hält dies gerade in diesem Fall für "absurd": Die Plädoyers werden von Bundesanwälten verlesen, die müssten wie Polizisten "auch mal ihren Kopf raushalten". Dies gehöre zu ihrem Dienst.

Mehr Transparenz

Anmerkungen, dass Prozessaufnahmen zu einem größeren Show-Charakter der Verhandlung führen könnten, lässt Vetter zwar in Ansätzen gelten. Merkt aber auch an:
"Die Justiz spricht ihre Urteile im Namen des Volkes. Und Transparenz und Offenheit und Details aus diesem Prozess, die würden da nicht schaden."

Keine einzige dokumentierte Zeugenaussage

Insbesondere den Dokumentationscharakter hebt Vetter hervor. Als Verteidiger habe er immer wieder die Erfahrung gemacht, dass oft darum gestritten werde, was im Saal gesagt werde.
"Weil es zum Beispiel von Zeugenaussagen keinen einzigen schriftlich oder tonbandmäßig dokumentierten Satz gibt. Das passiert ihnen als Verteidiger immer wieder, dass sie am Ende ein Urteil lesen, wo Zeugenaussagen wiedergegeben werden, wo sie sagen, Moment, war ich im falschen Prozess?"
Vetter plädiert daher für den Mitschnitt jedes Strafprozesses - und sogar für die Vernehmungen bei der Polizei. Dies sei seiner Ansicht nach "überfällig".
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