NSU-Geschichtswerkstatt in Zwickau

Das braune Terror-Trio von nebenan

In diesem Haus wohnte die Zwickauer Terrorzelle. Durch eine Explosion wurde es weitgehend zerstört.
In diesem Haus wohnte die Zwickauer Terrorzelle. Durch eine Explosion wurde es weitgehend zerstört. © imago/Eibner
Von Bastian Brandau · 06.06.2018
Jahrelang wohnten die Mitglieder des NSU in Zwickau. Die Stadt hat sich bislang wenig damit auseinandergesetzt. Nun geht eine Geschichtswerkstatt der Frage nach, warum die drei Rechtsterroristen so lange unbehelligt in der Stadt leben konnten.
"Ich würde ja vorschlagen, bevor wir das ganze detaillierter machen, wenn wir für die Ausstellung heute arbeiten wollen, dass wir so pro Ausstellungsidee das mal ausarbeiten."
Ein Kellerraum in der Pestalozzi-Schule in Zwickau. Zehn Menschen sind an diesem Nachmittag zur Geschichtswerkstatt gekommen. Seit einem gemeinsamen Besuch des NSU-Prozesses in München im Januar gibt es regelmäßige Treffen, dazwischen arbeiten Kleingruppen weitgehend selbstständig. Nun will man der Öffentlichkeit erste Ergebnisse präsentieren. Das muss organisiert werden – vom Ausstellungsort bis zur Frage, wer die Texte schreibt.
Etwa die für die Ausstellung geplanten Porträts derjenigen, die die NSU-Mitglieder ermordet haben: von Enver Şimşek, Halit Yozgat, Theodoros Boulgarides und den anderen.
Die Schülerinnen Laura und Milena werden die Porträts anfertigen. Dass die Verbrechen des NSU jahrelang von ihrer Heimatstadt Zwickau ausgingen, habe sie erst Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 realisiert, sagt die heute 17-jährige Laura. Jahre, nachdem Beate Zschäpe versuchte, das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße in die Luft zu sprengen.
"Und ich bin da oft dran vorbei, als das auch noch da stand. Und unten war eine Drogerie drin, und da war ich auch oft drin. Und da war ja auch noch eine Gaststätte daneben. Also man, mit sowas hat man natürlich nicht gerechnet. Und ich war halt selber auch noch elf oder so."

Ehemaliger Nachbar beschreibt Zschäpe als "nette Frau"

Was davor, was zwischen 2000 und 2011 hier passierte, ist für Laura Geschichte. Eine Geschichte, die sie erst noch wiederentdecken muss. Die Zeit des NSU in Zwickau werde in der Stadt relativ wenig thematisiert, sagt Laura. Das sieht auch Milena so, die 14 ist und noch nicht geboren war, als der NSU nach Zwickau umzog. Bei der Arbeit in der Geschichtswerkstatt gehe ihr es darum, …
"… den Leuten etwas näher zu bringen, dass das wirklich hier abgelaufen ist. Dass es offensichtlicher gemacht wird. Weil viele denke, wir kehren das einfach unter den Teppich. So, es ist passiert, wird schon nicht wieder passieren."
Die Gruppe hat zunächst den Besuch beim Prozess in München ausgewertet. Vor allem im Internet recherchieren sie über die Verbindungen des NSU-Kerntrios zu Zwickau. Über die drei Wohnungen, in denen sie hier gelebt haben, ihre Kontaktleute, deren Umfeld.

Über elf Jahre wohnten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Zwickau, Beate Zschäpe verschaffte ihnen nach außen eine bürgerliche Tarnung. Anschaulich macht dies ein Interview mit einem ehemaligen Nachbarn. Als Kind lebte er im selben Haus wie Beate Zschäpe und hat nun zum ersten Mal über seine Erinnerungen gesprochen. Geführt hat das Interview Jörg Banitz, Schulsozialarbeiter an der Pestalozzi-Schule:
"Die also die Hausfrau, die gute Seele der Hausgemeinschaft mitverkörpert hat, die ansprechbar war, die immer nett war, die den Kindern Bonbons gegeben hat. Die mit im Garten gegrillt hat, man hat sich getroffen. Also klare Aussage: Wir haben keinen schlechten Eindruck, war eine nette Frau."
Dass der NSU auch in Zwickau so lange unerkannt leben konnten, war nur mit einem Netzwerk von Unterstützern möglich. Und viele dieser Leute seien natürlich immer noch da, sagt Geschichtswerkstatt-Mitarbeiter Jörg Banitz.
In der Zwickauer Frühlingsstraße 26 stand das Haus, in dem Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos wohnten. Das Haus wurde abgerissen, heute erinnert nichts mehr daran.
In der Zwickauer Frühlingsstraße 26 stand das Haus, in dem Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos wohnten. Das Haus wurde abgerissen, heute erinnert nichts mehr daran.© imago/Christian Schroedter

Eine Stadt mit einem rechten Netzwerk

"Uns geht es nicht um irgendein gutes oder schlechtes Image einer Stadt. Es geht uns um die Stadt. Wir sind ein Teil davon, das ist unsere Stadt, uns ist es nicht egal, wenn rechte Netzwerke oder menschenverachtende Ideologien, Menschenfeindlichkeit produzieren, auch in verschiedenen Foren, Gruppen in der Öffentlichkeit immer wieder deutlich werden aus diesen Netzwerken. Es ist uns eben nicht egal. Wir möchten es gern thematisieren."
Etwa die Verbindungen der stadtbekannten Neonazis Andre E. und Ralf Marschner. Während E. im Münchener Prozess angeklagt ist, lebt der ehemalige V-Mann Marschner heute als freier Mann in der Schweiz. Auch an den brutalen Überfall des NSU auf eine Zwickauer Sparkasse will die Geschichtswerkstatt erneut erinnern.
Eines Tages soll dann, so die Hoffnung, ein Bildungs- und Informationszentrum zum NSU entstehen. Möglicherweise an Stelle des abgerissenen Hauses in der Frühlingsstraße. Ein weiter Weg, bis dahin werde die Geschichtswerkstatt Schritt für Schritt arbeiten, sagt Danilo Starosta. Er hat die Sitzung am Flipchart strukturiert. Als Mitarbeiter des Kulturbüros Sachsen bringt er in Zwickau seine Erfahrung aus der Chemnitzer Geschichtswerkstatt zum NSU mit, die schon seit mehreren Jahren besteht.
"Das ist dann das Erfolgskonzept von der Werkstatt: am Thema bleiben. Wenn wir sagen, wir suchen uns einen einzigen Ausschnitt, weil wenn wir versuchen wollen, umfänglich soziologisch oder historisch was zu erklären, dann verliert es den Reiz der Sache. Das macht uns ja als Werkstatt auch stark gegenüber den formalen Beschäftigungen mit dem NSU."
Die Erkenntnisse von Prozess und den Untersuchungsausschüssen sind für viele Hinterbliebene enttäuschend. Die Geschichtswerkstatt will auch ihnen Informationen liefern. Und auch für den Tag der Urteilsverkündung sind Aktionen geplant.
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