NSA-Untersuchungsausschuss

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zeugenstand

Bundeskanzlerin Angela Merkel in bordeauxrotem Blazer vor blauer Wand mit Bundesadler.
Prominenter Auftritt im NSA-Untersuchungsausschuss: Angela Merkel muss den Abgeordneten Rede und Antwort stehen © dpa/Gregor Fischer
Falk Steiner im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.02.2017
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel findet heute die vermutlich letzte Zeugenvernehmung des NSA-Untersuchungsausschusses statt. Bei ihrer Befragung werde es besonders um die Aufsichtspflicht des Kanzleramtes gegenüber dem BND gehen, sagt Korrespondent Falk Steiner.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist heute als Zeugin vor dem NSA-Untersuchungsausschuss geladen – es ist ein prominenter Schlusspunkt in der fast dreijährigen Beweisaufnahme des Ausschusses. DieAbgeordneten rechneten mit einer langen Befragung der Kanzlerin, so Deutschlandradio-Korrespondent Falk Steiner – man habe ihr wohl geraten, an diesem Tag keine anderen Termine zu planen.
Merkel werde sich wohl vor allem zur Rolle das Kanzleramtes bei der offenbar mangelnden Überwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) äußern müssen, meint Steiner:
"Das Kanzleramt hätte eigentlich die Aufsicht gehabt. Die hätten eigentlich gucken müssen: Was treibt denn dieser BND? Und ob das passiert ist – das wird sich Frau Merkel heute mehrfach fragen lassen müssen und auch sehr intensiv."
Steiner, der die Arbeit des Untersuchungsausschusses von Beginn an verfolgt hat, zog eine positive Bilanz. Der Ausschuss habe mit seinen Ermittlungen auf der niedrigen Ebene der Sachbearbeiter begonnen, sei schließlich bei den Kanzleramtsministern angelangt und nun – quasi als großes Finale – bei Angela Merkel selbst. Auch der ursprüngliche Untersuchungsauftrag des Ausschusses sei im Verlauf der Zeit noch einmal in Richtung der Tätigkeit des BND ausgeweitet worden.

"Ohne den NSA-Untersuchungsausschuss hätte es kein neues BND-Gesetz gegeben"

Der Abschlussbericht des NSA-Untersuchungsausschusses werde im Juni vorgelegt werden, sagt Steiner. Dessen Arbeit habe aber bereits zu einer wichtigen Konsequenz geführt, sagt Steiner. So gebe es mittlerweile ein neues Gesetz für den Bundesnachrichtendienst und die Fernmeldeüberwachung im Zuge der sogenannten "strategischen Aufklärung":
"Da sind inzwischen einige Sicherheitsmechanismen eingebaut worden. Aber die sind nicht schrankenlos. Auch die wird man wohl noch einmal nachsteuern müssen in der nächsten Legislaturperiode. Man hat gesagt: Jetzt machen wir überhaupt erst einmal was – bevor wir gar nichts machen. Aber auch dafür hat es ja erst einmal diesen Untersuchungsausschuss gebraucht. Ohne den hätte man selbst das nicht erreicht."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: "Das geht gar nicht" – Sie erinnern sich. Pustekuchen. Ausspähen unter Freunden geht doch, und ging eine ganze Weile. Das haben wir gelernt aus der NSA-Affäre, aus der ja sehr fix auch eine BND-Affäre geworden ist, denn der BND hatte auch für die NSA unter bestimmten Suchbegriffen spioniert, bei Institutionen, Bürgern hierzulande und auch in anderen europäischen Staaten. Ging also alles, und das war der Skandal. Drei Jahre hat nun der NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gegraben und versucht herauszufinden, wer da für was verantwortlich war und ist. Falk Steiner aus dem Hauptstadtstudio hat ebenso lange darüber berichtet und ist jetzt in der Leitung. Schönen guten Morgen erst mal!
Falk Steiner: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Heute wird ja Angela Merkel von dem Untersuchungsausschuss vernommen, besser gesagt, sie nimmt im Zeugenstuhl Platz. Ist das eigentlich eine Premiere für die Kanzlerin?
Steiner: Bei diesem Untersuchungsausschuss auf jeden Fall. Ich weiß es ehrlich gesagt gerade nicht, ob sie nicht auch schon mal im Parteispendenskandal, in der Aufklärung dazu, nicht auch schon mal in den Zeugenstuhl musste. Das ist auch schon einige Jahre her und war vor meiner Zeit als Korrespondent für dieses Haus.
von Billerbeck: Was wird denn das für ein Tag, wenn da die Kanzlerin als Zeugin auftaucht? Kann man mit einem langen Arbeitstag des Untersuchungsausschusses und also auch für sie rechnen?
Steiner: Das kann man tatsächlich, denn 11:30 Uhr geht es erst los. In drei Jahren Untersuchungsausschuss habe ich festgestellt, dass auch dann, wenn man dachte, es wird vielleicht nicht ganz so lang, dieser Untersuchungsausschuss regelmäßig die Mitternachtsgrenze erreicht hat, dann, wenn die Stenografen des Bundestages Feierabend sich überlegen muss, ob er ausschließlich mit Tonbandaufnahme weiterarbeitet oder ob er dann doch auch abbricht. Meistens bricht man dann schon ab.
Gestern haben mir Abgeordnete, die in diesem Ausschuss sitzen, noch signalisiert, dass sie nicht vorhätten, das mit der Kanzlerin allzu schnell über die Bühne zu bringen. Sie solle sich besser keine andere Termine mehr für diesen Tag vorgenommen haben, und laut dem so weit einsehbaren Terminkalender der Kanzlerin ist das auch tatsächlich nicht der Fall.

Drei Jahre Arbeit, 300 Sitzungen im NSA-Untersuchungsausschuss

von Billerbeck: Dieser Untersuchungsausschuss hat drei Jahre lang getagt, 300 Sitzungen. Das klingt nach sehr viel Arbeit. Ist der Eindruck richtig?
Steiner: Das ist eindeutig richtig. Man muss sagen, dieser Untersuchungsausschuss hat ganz klein angefangen, er hat mit einer sehr niedrigen Ebene angefangen. Er hat wirklich mit den Sacharbeitern im Bundesnachrichtendienst, die auf niedrigster Ebene in Außenstellen wie eben Bad Aibling angefangen, hat sich von dort aus langsam hochgearbeitet über Unterabteilungsleiter, Abteilungsleiter, über verschiedenste ehemalige Kanzleramtsminister, ehemalige BND-Chefs bis hin jetzt am Montag eben dem Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche, und dann als Zweites Peter Altmaier, den heutigen Kanzleramtsminister. Und nun als großes Finale mehr oder weniger dann jetzt auch deren Chefin, nämlich die Kanzlerin Angela Merkel, also wirklich von unten nach oben in kleinteiligster Arbeit und mit sehr vielen Sitzungen und sehr langen Sitzungen, ich hatte es eben ja auch schon kurz geschildert. Da muss man sagen, das war schon ein wirklich umfangreiches Arbeiten.
von Billerbeck: Erklären Sie uns das mal für jemanden, der nicht Tag für Tag in so einem Untersuchungsausschuss sitzt: Hat so ein Untersuchungsausschuss eigentlich eine Frage, die er zu beantworten hat, oder wird dann im Lauf der Zeit aus dieser einen Frage ein ganzer Wust von Fragen?
Steiner: Gerade bei einem Untersuchungsausschuss ist das besonders schwierig. Denn der bekommt einmal bei der Einsetzung, also dann, wenn er wirklich installiert wird, einen Untersuchungsauftrag, der war in diesem Fall schon relativ umfangreich. Da ging es sowohl um die Arbeit der US-Geheimdienste als auch der britischen als auch der neuseeländischen, der kanadischen, also der sogenannten Five-Eyes-Staaten, und deren Kooperation mit Deutschland. Die Frage war ja damals, wer späht Deutschland eigentlich aus, machen das unsere Partner?
Und im zweiten Schritt: Und wie verhält sich dabei der Bundesnachrichtendienst und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz? Spionieren die dabei mit, helfen die dabei, dass so etwas stattfinden würde? Das waren die Fragen, die damals zu beantworten waren. Und dann, später, im Laufe der Zeit hat man auch noch mal diesen Untersuchungsauftrag erweitert und hat tatsächlich noch mal ein größeres Augenmerk auf den BND selber gelegt. Das allerdings erst, nachdem man bereits Erkenntnisse dazu hatte, dass auch im BND offensichtlich so einiges schief ging.

Es gab gewisse "Verschleißerscheinungen" bei den Abgeordneten

von Billerbeck: Das klingt für mich wie nach der Geschichte vom süßen Brei, der auch immer mehr wurde. Können Abgeordnete so was eigentlich leisten?
Steiner: Das ist eine ganz hervorragende Frage. Ich habe auf jeden Fall dem Alterungsprozess der Abgeordneten in diesem Untersuchungsausschuss fast sitzungswöchentlich beiwohnen können und habe dort auch ganz klar Verschleißerscheinungen feststellen müssen. Es ist wirklich eine ganz heftige Arbeit, wenn man dort den ganzen Tag lang sitzt.
Und das ist ja nicht nur dieser Untersuchungsausschusstag, denn die Abgeordneten müssen sich ja selbst vorbereiten, zu einem Teil auch wirklich tatsächlich selbst, und nicht durch die Mitarbeiter, weil manche Unterlagen wirklich nur die Abgeordneten einsehen dürfen bei diesem sensiblen Thema. Und das ist natürlich unglaublich aufwendig für die.

Abschlussbericht wird im Juni vorliegen

von Billerbeck: Nun die Frage, hat sich das gelohnt? Was kommt denn dabei raus, wenn so ein Untersuchungsausschuss ja jetzt langsam auf die Zielgerade seiner Arbeit kommt?
Steiner: Ja, er ist mitten auf der Zielgeraden. Der Abschlussbericht wird im Juni erscheinen, und dann ist auch klar, was für Schlussfolgerungen eigentlich die Abgeordneten aus dieser langen Zeit und ihren vielen Befragungen ziehen. Klar ist auf jeden Fall heute schon, der Bundesnachrichtendienst hat auf mehreren Ebenen ein Problem gehabt. Einmal wirklich in der Kooperation mit der NSA. Da muss man sagen, hat der Bundesnachrichtendienst häufig gar nicht genau gewusst, was er tut, wen er warum ausspioniert für die NSA.
von Billerbeck: Und er hat auch nicht gefragt.
Steiner: Ja, der Bundesnachrichtendienst hat das nicht nachgefragt, weil das unter Geheimdiensten nicht üblich ist, nachzufragen. Da spielen diese sogenannten Selektoren eine große Rolle, also die Zielbeschreibungen, könnte man sagen, also beispielsweise Handynummern, E-Mailadressen und Ähnliches. Da bekommt man eigentlich eine Liste mit mehreren Millionen Einträgen, und da steht dann vorn etwas dran wie zum Beispiel eine E-Mailadresse. Und hinten steht dann dran, aus welchem Grund die denn eigentlich in die Systeme kommen soll. Das kann zum Beispiel so was sein wie Antiterrorismuskampf. Aber ob das jetzt stimmt, das lässt sich eigentlich überhaupt nicht überprüfen für eben den BND, gerade nicht bei solch umfangreichen Listen.
Das Zweite natürlich, wenn ich das auch noch ganz kurz ergänzen darf, ist natürlich dann, was der Untersuchungsausschuss dann auch herausgearbeitet hat im Zuge dessen, das kam dann dabei heraus, das war, dass der Bundesnachrichtendienst selber sich halt eben auch überhaupt nicht an dieses Motto "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" gehalten hat. Er hat schlicht und einfach relativ viele Ziele gesteuert, wie das so schön heißt in der Nachrichtendienstsprache, in Europa.
Beispielsweise EU-Institutionen: Da ist zum Beispiel der Fall bekannt eines deutschen Diplomaten, der für die EU in der Türkei stationiert war. Der ist bekannt geworden. Dann gibt es Vorwürfe, dass das gesamte französische Parlament zum Beispiel auf der Zielliste stand, das Außenministerium in Frankreich, dass das Außenministerium der USA, speziell die Außenministerin, damals Hillary Clinton, dass die mit auf dieser Liste stand, das ist schon tatsächlich harter Tobak, wenn man wirklich diese Messlatte anlegt, "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht".
Da muss man sagen, das Kanzleramt hätte eigentlich die Aufsicht gehabt. Die hätten eigentlich gucken müssen, was treibt denn dieser BND. Und ob das passiert ist, das wird sich Frau Merkel heute mehrfach fragen müssen und auch sicherlich sehr intensiv fragen müssen.

Neues Gesetz für den Bundesnachrichtendienst

von Billerbeck: Hätte, könnte, sollte – welche Konsequenzen wird das haben?
Steiner: Eine Konsequenz gibt es bereits. Es gibt ein neues Gesetz für den Bundesnachrichtendienst, in dem einiges drin steht für eben speziell diese Fernmeldeüberwachung, wie das so schön heißt, für die strategische Aufklärung. Da sind inzwischen einige, würde ich sagen, Sicherheitsmechanismen eingebaut worden, aber die sind nicht schrankenlos, auch da wird man wohl noch mal nachsteuern müssen in der nächsten Legislaturperiode. Man hat gesagt, jetzt machen wir lieber erst mal überhaupt etwas, bevor wir gar nichts machen. Aber auch dafür hat es ja erst mal diesen Untersuchungsausschuss gebraucht. Ohne den hätte man selbst das nicht erreicht.
von Billerbeck: Das Fazit unseres Kollegen Falk Steiner aus dem Hauptstadtstudio nach drei Jahren NSA-Untersuchungsausschuss und vor der heutigen Anhörung der Kanzlerin dortselbst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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