NS-Raubkunst

Das Leben als Hitlers Kunsthändler

Die wissenschaftliche Koordinatorin Andrea Baresel-Brand von der Taskforce Schwabinger Kunstfund.
Auch eine inzwischen aufgelöste Taskforce beschäftigte sich mit dem Schwabinger Kunstfund aus dem Erbe von Hildebrandt Gurlitt © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Meike Hoffmann im Gespräch mit Nana Brink  · 16.03.2016
Der Fall Gurlitt habe für den Umgang mit NS-Raubkunst vieles bewirkt, sagt die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann. Sie hat dem umstrittenen Kunsthändler Hildebrandt Gurlitt eine Biographie gewidmet, die jetzt erschienen ist.
"Die Provenienz-Forschung war sehr gut fortgeschritten in Deutschland", sagte die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann im Deutschlandradio Kultur. Aber der Fall Gurlitt habe bei Museumsleuten, Politikern und Provenienz-Forschern vieles neues bewegt und beschleunigt. Das Deutsche Zentrum für Kulturgut-Verluste sei gegründet worden und werde in Zukunft alle Bemühungen zentralisieren und wichtigster Ansprechpartner werden. "Insofern sehe ich der Zukunft da ganz positiv entgegen", sagte Hoffmann, Co-Autorin des neu erschienen Buches "Hitlers Kunsthändler".

Fall Gurlitt in der Zeitgeschichte verankern

Bei der Suche nach Fakten war Hoffmann zusammen mit der Journalistin Nicole Kuhn darauf gestoßen, warum der ursprüngliche Förderer der klassischen Moderne in Hitlers Dienste eintrat. "Hildebrand Gurlitt ist aufgrund seiner Abstammung auch als "Vierteljude" deklariert in eine Zwangssituation geraten und hat dann diesen Wendepunkt genommen und eben halt auch für das NS-System gearbeitet", sagte Hoffmann, die als Projektkoordinatorin der Forschungsstelle "Entartete Kunst" an der Freien Universität Berlin tätig ist.
Es sei den Autorinnen wichtig gewesen, die Figur Hildebrand Gurlitt in der Zeitgeschichte zu verankern, um sichtbar zu machen, wie es zu diesem Werdegang kommen konnte. Dabei sei erkennbar, wie bestimmte Mechanismen in der NS-Zeit funktionierten und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges alte Netzwerke wieder an Kraft gewannen, sagte Hoffmann.

Steuerfahndung gegen den Sohn

Die Geschichte des umstrittenen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895-1956) war 2011 wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt, weil sein Sohn Cornelius Gurlitt ins Visier der Steuerfahndung geriet. Die Augsburger Staatsanwaltschaft beschlagnahmte in einer umstrittenen Aktion 2011 rund 1400 Kunstwerke in seinem Haus, was die Debatte über den Umgang mit der NS-Raubkunst neu entfachte.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Der Schwabinger Kunstfund oder der Fall Gurlitt hat ja vor ein paar Jahren nicht nur die Kunstszene aufgeschreckt. Wir erinnern uns noch mal: Die Staatsanwaltschaft Augsburg beschlagnahmte vor vier Jahren sämtliche Kunstwerke, die Cornelius Gurlitt in seiner Münchener Wohnung, in seinem Haus aufbewahrt hat. Sie stammten aus dem Nachlass seines Vaters, Hildebrand Gurlitt, eines ebenso bekannten wie umstrittenen Kunsthändlers, der ja unter Hitler Karriere gemacht hat.
Und die Umstände dieses sensationellen Kunstfundes, also die Ermittlungen der Behörden, aber auch die Frage der Aufarbeitung, wie gehen wir mit einem Vermächtnis um, das dem Verdacht auf Raubkunst ausgesetzt ist – all das hat ja den Fall auch weltweit publik gemacht. Nicht nur der Sohn, auch der Vater stehen und standen ja immer wieder im Fokus. Die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann ist Hauptautorin der gerade erschienenen Biografie über Hildebrand Gurlitt, und sie war Mitglied der inzwischen aufgelösten Task Force. Die hatte im November 2013 die Bundesregierung und das Land Bayern einberufen, um den sogenannten Schwabinger Kunstfund aufzuklären. Jetzt freuen wir uns, dass sie bei uns im Studio ist. Schönen guten Morgen, Frau Hoffmann!
Meike Hoffmann: Guten Morgen!
Brink: Beschäftigen wir uns erst mal mit der Biografie, mit dem Vater, Hildebrand Gurlitt. Das ist eine unglaublich interessante Geschichte. Er brannte für die Moderne und wurde dann ja einer der bekanntesten Kunsthändler im Dritten Reich. Wie kann so was passieren?
Hoffmann: Ja, diese Frage habe ich mir auch lange gestellt. Ich muss dazu vielleicht sagen, ich habe mich zunächst einmal als Kunsthistorikerin mit dem Expressionismus, mit der Klassischen Moderne beschäftigt und habe in diesem Rahmen Hildebrand Gurlitt kennengelernt, also wirklich vom positiven Ende her. Und seit ich eben für die Forschungsstelle Entartete Kunst an der Freien Universität tätig bin, sehr ich eben auch die Weiterentwicklung von Hildebrand Gurlitt, und selbstverständlich habe ich mir oft diese Frage gestellt. Es ist ein Gemisch von mehreren Aspekten. Hildebrand Gurlitt ist aufgrund seiner Abstammung auch als "Vierteljude" deklariert in eine Zwangssituation geraten und hat dann diesen Wendepunkt genommen und eben auch für das NS-System gearbeitet.
Brink: Ist das für Sie eine befriedigende Erklärung gewesen, dass er dann ja so aufgestiegen ist eigentlich?
Hoffmann: Eine befriedigende Erklärung – man sucht ja als Wissenschaftler weniger nach befriedigenden Erklärungen, sondern nach Fakten und tatsächlich auch nach Erklärungsmotiven. Und das versuchen wir ja auch in der Biografie. Ich möchte dazu auch noch Nikola Kuhn erwähnen. Ich habe die Biografie zusammen mit ihr geschrieben auf Grundlage meiner Forschungen zu Hildebrand Gurlitt. Und das weisen wir ja anhand von vielen Fakten nach. Das war ja tatsächlich die tragende Frage oder ist die tragende Frage in der Biografie: Wie konnte es dazu kommen? Uns war eben tatsächlich wichtig, die Figur Hildebrand Gurlitt wirklich in der Zeitgeschichte zu verankern, um das sichtbar und erkennbar zu machen, wie ein Mensch, der so positiv, so fördernd für die moderne Kunst eingetreten ist, in diese Situation geraten konnte, dass er sich umdreht, eine Wendung nimmt und dem NS-Staat andient.

Alte Netzwerke lebten weiter

Brink: Das interessiert uns natürlich besonders, weil uns natürlich auch der Sohn interessiert, und deshalb interessiert uns der Sohn, weil man ja diesen Kunstfund gemacht hat und dann ja zum Anlass genommen hat, auch natürlich wie Sie sich mit dieser Figur auseinanderzusetzen. Sie haben gesagt, Sie haben ja keine wirklich befriedigende Antwort gefunden, aber es ging ja nach dem Krieg weiter. Er ist ja eigentlich, kann man sagen, "davongekommen", sage ich jetzt mal in Anführungszeichen, also Hildebrand Gurlitt.
Hoffmann: Das stimmt. Keine befriedigenden Antworten – es ist so, dass wir Antworten gefunden haben. Wir können diese Situation auch durchaus nachvollziehen und eben auch sehen, wie diese Mechanismen funktioniert haben, dass tatsächlich Personen wie Hildebrand Gurlitt, die vorher im kulturpolitischen Leben eine wichtige Rolle gespielt haben, in diese Mechanismen hineingeraten sind. Befriedigend ist es insofern nicht, dass man ansehen muss, dass so etwas tatsächlich funktioniert hat, und zwar durch die Zeit des Dritten Reiches hindurch, und dann aber eben auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch weiter funktioniert haben, in dem alte Netzwerke wieder zu Kraft erstarkt sind und man sich in diesen Netzwerken auch weiter bewegen konnte.
Brink: Sie schreiben das ja in Ihrem Buch, die Alliierten nennen ihn den "Chief Dealer". Sie haben ja seine Sammlung beschlagnahmt, aber sie ihm wieder zurückgegeben. Das ist ein Phänomen, finde ich.
Hoffmann: Ja. Man muss tatsächlich so ein bisschen differenzieren. Die Sammlung von Hildebrand Gurlitt wurde von den Amerikanern beschlagnahmt und dann in den Collecting Point nach Wiesbaden gebracht. In dem Collecting Point in Wiesbaden lagerten hauptsächlich Werke aus deutschen Museen, das heißt, die sind durch Kriegsauslagerungen dann dorthin verlagert worden, und die Alliierten, die im Collecting Point in Wiesbaden gearbeitet haben, waren nicht hauptsächlich mit Restitutionsfragen beschäftigt. Das waren die, die in München verortet waren. Das heißt also, die hatten dort nicht so sehr viel Erfahrung mit den Restitutionsfragen, haben aber selbstverständlich auch diese Dinge beantwortet, aber Hildebrand Gurlitt konnte für die Werke, die er dort mit nach Aschbach genommen hat, wo er ja aus Dresden hin geflüchtet ist, aus dem zerstörten Dresden und er konnte tatsächlich dann die Herkunft dieser Werke für die Alliierten plausibel erklären, und so hat er sie zurückbekommen.

Geheimnisblase der Familie

Brink: Aber er wusste ja ganz genau, was er wie gedealt hat oder was er wie gekauft hat. Und er hat ja auch die Nachfragen, wie Sie ja auch schreiben, jüdischer Privatsammler konsequent abgeblockt. Hat er nie versucht, dieses Unrecht wiedergutzumachen? War ihm das nicht bewusst?
Hoffmann: Er hat tatsächlich weiter für die Institutionen gearbeitet. Er hat auch eng mit den Alliierten zusammengearbeitet, hat auch geholfen, Provenienzen aufzuklären, aber es wird sehr sichtbar auch eben in unserer Biografie, dass er sich selbst diese Frage nicht gestellt hat, dass er selbst von sich aus keine Initiative ergriffen hat, zum Beispiel auch die Werke, die er in seiner Sammlung behalten hat, die er auch zusammentragen konnte aus unterschiedlichen Lagern nach Ende des Zweiten Weltkrieges, dass er nicht selbst die Initiative ergriffen hat, jetzt treibe ich auch Provenienzforschung für all diese Werke, versuche mich zu erinnern, versuche, diese Herkunft zu klären und auch hier wieder zurückzuführen. Er hat sich eigentlich nur bereit erklärt, für die Collecting Points, für die Restitutionsbestrebungen der Alliierten mitzuarbeiten. Auch für die deutschen Museen. So weit ging eben seine Mitarbeit, weil das eigentlich auch seine Ansprechpartner waren. Für sich selbst, privat, hat er diese Verantwortung nicht übernommen, sich in ein Schweigegelübde, in eine Geheimnisblase verhüllt, und da drin war auch die Familie mit eingefangen.
Brink: Da wollte ich jetzt gerade einhaken, weil Sie sagen Provenienzforschung, also die Forschung nach der Herkunft von Bildern. Das hat uns ja auch dann bei seinem Sohn, Cornelius Gurlitt, beschäftigt, in dessen Haus man ja das Vermächtnis des Vaters dann gefunden hat nach Jahrzehnten. Sie sprechen von einem Familiengeheimnis – man kann ja fast sagen, eine Lüge als Familientradition. Warum sind die Kunsthistoriker nicht früher diesem Geheimnis, dieser Lüge auf die Spur gekommen?
Hoffmann: Das ist nicht ganz richtig so, weil es ist ja tatsächlich der Fall, dass Hildebrand Gurlitt viele Werke aus der Sammlung auch mit ausgestellt hat. Er war nach Ende des Zweiten Weltkriegs Leiter des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, also wieder in einer sehr wichtigen zentralen Position in der Kunstszene. Und er hat in den Ausstellungen, die er dort organisiert hat, hat er auch Werke aus seiner eigenen Sammlung einbezogen. Er hat mit diesen Werken gearbeitet. Insofern ist wichtig zu wissen, dass er nicht eine Einzelperson war, ein Einzelmensch, der diese Ansicht vertreten hat, sondern er hat sich natürlich in einer Mentalität bewegt, die nach dem Krieg allgemein üblich war.
Und auch die Museumsdirektoren in Deutschland haben weiterhin mit ihm zusammengearbeitet und ihm ja zurückgespiegelt, dass er richtig agiert und handelt. Aber seine Sammlung war an sich nicht geheim. Man hätte also durchaus viel früher darauf aufmerksam werden können, und wenn diese Frage der Restitution damals auch anders behandelt worden wäre, hätte das auch schon früher aufgeklärt werden müssen. Ich beschäftige mich ja schon lange mit Hildebrand Gurlitt, und wir waren lange auf der Suche nach weiteren Unterlagen in den Museen, oder in den Museumsarchiven gibt es durchaus vieles über Hildebrand Gurlitt zu finden. Aber die Sammlung war uns selbstverständlich nicht bekannt, obwohl Cornelius Gurlitt auch mit den Werken gehandelt hat, sie zu Auktionshäusern gegeben hat. Aber da arbeiten auch Wissenschaftler und Auktionshäuser nicht zusammen.

Viel bewirkt und beschleunigt

Brink: Eine letzte Frage noch zum Schwabinger Kunstfund. Mit dem hatten Sie als Mitglied der Task Force unmittelbar an verantwortlicher Stelle ja zu tun. Dieser Fund hat ja im Umgang mit der von Nationalsozialisten verfolgter Kunst vieles in Frage gestellt. Da geht es ja auch um den Vorwurf der unrechtmäßigen Beschlagnahmung der Bilder durch das Land Bayern damals, Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Cornelius Gurlitt. Ein langsames, zögerliches Aufarbeiten – würde das heute wieder so passieren?
Hoffmann: Nein, der Fall Gurlitt hat wirklich viel bewirkt, er hat viele Dinge beschleunigt, auch in den Köpfen von Museumsleuten, von Politikern, von Provenienzforschern. Die Provenienzforschung war sehr gut fortgeschritten in Deutschland, aber wie gesagt, der Fall Gurlitt hat vieles beschleunigt und insofern auch vieles positiv bewegt. Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste ist etabliert, gegründet und wird jetzt in Zukunft all diese Bemühungen zentralisieren, auch Ansprechpartner für Fragen sein. Insofern sehe ich der Zukunft da auch ganz positiv entgegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Meike Hoffmann, Nicola Kuhn: Hitlers Kunsthändler. Hildebrandt Gurlitt 1895-1956
C.H. Beck-Verlag, 24.95 Euro.

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