Nürnberg

NS-Bombastbau als Opernspielstätte

09:02 Minuten
Gesamtansicht der ehemaligen, nicht vollendeten Kongresshalle der NSDAP, im Vordergund der Dutzendteich in Nürnberg
Die Nürnberger Oper soll in die Kongresshalle, eines der größten Gebäude aus der NS-Zeit, ziehen. Kritiker zerbrechen sich auch über die Pausen mit Sekt- und Champagner-Ausschank den Kopf. © picture alliance / dpa / Timm Schamberger
Von Tobias Krone · 13.12.2021
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Was darf man mit einem Gebäude machen, das für die Nazi-Propaganda errichtet wurde? Diese Frage stellt sich aktuell bei der Kongresshalle in Nürnberg. Die Stadt möchte, dass die Oper hier einzieht – und möglicherweise noch weitere Künstler.
Nürnbergs Trutzburg thront im Süden der Stadt, dort wo die Straßenbahn eine respektvolle 90-Grad-Kurve macht, als wolle sie dem Koloss möglichst aus dem Weg gehen. Man muss mehrere hundert Meter um das Gebäude mit seinen klobigen Arkadenfenstern herumlaufen, um hineinzufinden – durch ein enges Tor. Dann aber überkommt den Besucher vollends der Überwältigungseffekt: „Irre, wahnsinnig!“, das sei Reaktion der meisten, die das erste Mal in diesen Innenhof kommen, sagt Pascal Metzger.
Der Historiker führt jedes Jahr Tausende Menschen in diesen Hof. „Man ist von der Größe der Architektur beeindruckt oder vielleicht schier erschlagen.“ Der Innenhof mit seinen hohen gedrungenen Mauern aus Klinkern – er sollte eigentlich eine Halle des Volkes werden, das sich an seinem Führer berauscht.
„Die Kongresshalle hat heute eine Höhe von knapp 40 Metern. Und sie sollte im fertigen Zustand fast um die 70 Meter hoch sein – also fast doppelt so hoch“, erklärt Metzger. „Und sie sollte auch ein geschlossenes Dach erhalten.“ Heute ist es also gar keine Halle, weil sie offen ist. „Aber das ist der Bauzustand, weiter kamen die Bauarbeiten nicht. Die wurden kriegsbedingt unterbrochen. Und dann ganz abgebrochen.“
Porträtfoto des Historikers Pascal Metzger im Innenhof der Nürnberger Kongresshalle.
Pascal Metzger führt jedes Jahr Tausende Menschen in den Innenhof der Kongresshalle.© Deutschlandradio / Tobias Krone
Das Bild, das sich bietet, ist so monumental wie desolat. Der Innenhof ist heute weitgehend im Originalzustand erhalten – und zeigt auf einen Blick, wie der Propagandawahn der Nazis scheiterte.
„Wir stehen sehr lange mit den Menschen im Innenhof. Die meisten reagieren ganz ähnlich wie Sie, wenn sie hereinkommen. Sie sind überwältigt von der Größe", sagt Metzger zum Autor dieses Beitrags. Dann komme der Wunsch, etwas über die Baugeschichte zu erfahren: „Warum sollte so ein riesengroßes Gebäude errichtet werden, was wollte man damit anstellen, warum hat man so viel Geld ausgegeben?“
Dieses Bauwerk sei gemeinsam mit anderen Bauwerken der Grund, warum so viele Menschen nach Nürnberg kämen und sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzten. „Und dieses Bauwerk ist gleichzeitig ein pädagogisches Hilfsmittel für uns, um diese Geschichte zu vermitteln“, so Historiker Pascal Metzger.

Eine Leere des Gedenkens

In der Nachkriegszeit nutzte das Versandhaus Quelle die Räume als Lager, heute Nürnberger Vereine und Parteien: Die SPD etwa verwahrt hier ihre Plakatständer, sonst steht das Gebäude weitgehend leer, inklusive des Innenhofs. Man könnte sagen, hier herrscht eine Leere des Gedenkens.
Doch das soll nicht so bleiben. Denn in wenigen Jahren soll hier die Oper einziehen. Das stattliche Opernhaus von 1905 am Richard-Wagner-Platz muss saniert werden, spätestens in drei Jahren.
„Für uns ausschlaggebend, auch als CSU-Fraktion, war vor allem die finanzielle Betrachtungsweise, weil wir feststellen, dass die Ausweichspielstätte in oder an der Kongresshalle alle Möglichkeiten bietet“, sagt Andreas Krieglstein, Chef der stärksten Fraktion im Nürnberger Stadtrat.
Er ist stolz, als er vor der versammelten Presse die Einigung präsentiert: Seine CSU hat es geschafft, die Grünen und die zunächst zögerliche SPD mit dem finanziellen Argument zu überzeugen, dass für die acht bis zehn Jahre Sanierungszeit die NS-Kongresshalle das geeignetste Ausweichquartier ist. „Wir sind Eigentümerin der Immobilie als Stadt Nürnberg. Wir müssen also auch keine Miete zahlen, wir haben eine hohe Flexibilität, was die Nutzung während dieser Bauzeit am Richard-Wagner-Platz betrifft.“
Der Innenhof der Nürnberger Kongresshalle: Man sieht Wände aus rotem Backstein mit Fensternischen und einen Teil des NS-Dokumentationszentrums.
Der Innenhof der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände.© picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Dass die Sozialdemokraten lange zögerten, hängt auch mit Vorbehalten zusammen, diesen historischen Unort für Opernspektakel zu nutzen – und dafür möglicherweise Fenster in die Wände zum Innenhof zu schlagen. Und möglicherweise auch ein provisorisches Schauspielhaus in den Innenhof zu stellen.
Das kritisiert auch Historiker Pascal Metzger: „Bisher war es so in Nürnberg – oder zumindest in den letzten Jahrzehnten war es Konsens –, dass die historischen Bauwerke auf dem Reichsparteitagsgelände erhalten bleiben sollen, dass sie als Denkmal geschützt sind.“ Jetzt finde vermutlich ein Paradigmenwechsel statt: „Dass eine Transformation der historischen Gebäude möglich ist, dass man eine Neunutzung dafür findet, die dann auch im Vordergrund steht."

Mit lebendiger Vielfalt gegen totalitären Geist

Die Kulturbürgermeisterin Julia Lehner von der CSU kennt diese Kritik und hält dagegen: Man müsse Mut haben, diesen Ort mit dem heutigen Kulturbegriff gewissermaßen zu überschreiben. „Ein Ort des Diskurses, ein Ort der Vielfalt – und in diesem Sinne: Nichts ist bedrohlicher für ein totalitäres System.“ Denn ein solches System sei auf Ausschluss und auf Abgrenzung gepolt. „Und die Vielfalt ist einfach die lebendige Art der Demokratisierung dieses Ortes.“
Auch die Bevölkerung scheint mehrheitlich auf ihrer Seite zu sein. Die Menschen, die man zufällig im Park neben der Kongresshalle fragt, scheinen ihren Standpunkt in der Debatte gefestigt zu haben: „Ja, mit der Geschichte muss man richtig umgehen“, sagt etwa ein Mann. „Und wahrscheinlich ist das schon richtig, dass man damit was tut.“ Ein anderer: „Es wäre natürlich besser, wenn das hier besser genutzt würde – auch mit diesem Hintergrund, den es leider Gottes hat. Wieso sollte man es dann nicht mit Leben füllen, was jeden bereichert?“
Würde eine Oper im Nazi-Bau die Nazizeit verharmlosen? Dieser Rentner auf seiner Walking-Strecke schüttelt den Kopf. „Das wird nicht verharmlost. Wieso denn? Schauen Sie mal, in München gibts so viele ehemalige Bauten, die alle genutzt werden. Oder in Berlin, da sind Ministerien drin, in ehemaligen Gebäuden, wo Leute standrechtlich erschossen worden sind, im Bendler-Bau und so weiter. Was soll das?“

Ein Parkplatz für beschlagnahmte Autos

Auch Rachel Salamander, die jüdische Intellektuelle aus dem nahe gelegenen München, befand jüngst in der Süddeutschen Zeitung: „Dieser Ort ist alles andere als heilig. Bitte nicht diesem Ort eine weihevolle Würde zumessen.“
Einen ehemaligen Ort der Nazi-Propaganda allerdings mit Kultur zu bespielen – ganz einfach ist das nicht. Der Architekturtheoretiker Stephan Trüby aus Stuttgart beschäftigt sich mit der Geschichte von rechten Orten wie dem Reichsparteitagsgelände – ebenfalls in Nürnberg. Er weist daraufhin, dass es schon weit fragwürdigere Nutzungen dieses Gebäudes gegeben habe: Zum Beispiel parkte hier die Nürnberger Polizei eine Zeitlang beschlagnahmte Autos – darunter auch Fahrzeuge der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann.
Stephan Trüby gehört den Stimmen an, die sagen: In einer Zeit, in der die letzten NS-Zeitzeugen sterben, bedarf es kreativer Formen, die Erinnerung aktuell zu halten. „Ich hätte jetzt weniger Sorge, dass hier kein Kunstraum geschaffen werden könnte, ich hätte eher Angst vor den Pausen. Ich hätte Angst vor den Sektempfängen und den Champagnerbars, die aber natürlich auch zu einem Opernerlebnis irgendwie gehören.“

Kunst soll die Erinnerung wach halten

Trüby sieht nun die Kunst in der Pflicht, das Bewusstsein für die Geschichte des Ortes zu erhalten. Und damit dafür zu sorgen, dass überhaupt über die dunkle Seite der deutschen Geschichte gesprochen wird. „Eine Entscheidung, hier eine Interimsoper hineinzubringen, bringt, glaube ich, sehr viel Diskurs in eine Bürgerschaft, in ein Opernpublikum, das sehr heterogen ist – aber wo es eben auch eine manchmal vielleicht konservativ zu nennende Erwartung an ein schönes, entspannendes Opernerlebnis gibt. Das kann es in einem solchen Raum wohl nicht mehr geben.“
Es wird also auf die Nürnbergerinnen und Nürnberger ankommen. Marian Wild ist Nürnberger. Der promovierte Kunstkritiker und Opernfan glaubt, Nürnberg sei reif dafür, kulturell dem Nazigeist etwas entgegenzusetzen. „Natürlich kann man da Wagner spielen. Die Frage ist doch, wie man es spielt. Und wie man es inszeniert. Und ob man versteht, warum das da eine Frage ist, dass man es inszenieren muss – auf eine gewisse Art.“
Porträtfoto von Marian Wild, Kunstkritiker und Opernfan aus Nürnberg, lehnt an einem Treppenaufgang mit ornamentgeschmücktem Geländer.
Nürnberg sei reif dafür, dem Nazigeist kulturell etwas entgegenzusetzen, ist der Kunstkritiker und Opernfan Marian Wild überzeugt. © Giulia Iannicelli
Nürnbergs Kunstszene habe viel Potenzial. Schon in den vergangenen Jahren, als Nürnberg sich um den Titel der Kulturhauptstadt 2025 bewarb, stand die Idee im Raum, die Räume der NS-Kongresshalle für Kunst, für Ateliers und Probenräume zu öffnen. Und die Stadtpolitik möchte dieses Szenario für die Zeit nach dem Operninterim nicht ausschließen.
Wie man das in der Szene sieht? „Ich glaube, es ist eine Herausforderung. Ich rede in der freien Szene sowohl mit Leuten, die sagen: ‚Wann gehts endlich los, wann können wir da rein?‘ Und dann gibt es Leute, die sagen: ‚Ich würde depressiv werden, wenn ich jeden Tag in dieses Gebäude muss.‘“
Marian Wild und viele andere sind der Meinung: Man müsste das einfach jetzt mal ausprobieren.

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