NRW will West-Anschluss

Von Frederike Schulz und Christine Heuer · 26.02.2008
Die Idee klingt seltsam, doch die CDU in Nordrhein-Westfalen ist begeistert: 2010 läuft der Benelux-Vertrag aus, daher wird er jetzt neu verhandelt - und NRW will mitmachen. Schließlich handelt es sich bei der Region um den stärksten Wirtschaftsmotor in der ganzen EU.
Zwar funktioniert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Nordrhein-Westfalen und seinen europäischen Nachbarn schon jetzt recht gut. Aber das Bessere ist auch in diesem Fall des Guten Feind.

In der Fertigungshalle der Firma Pooch stapeln sich die Bleche: silberne Metallplatten in unterschiedlichen Größen, wenige Millimeter dick. Eine nach der anderen tragen zwei Mitarbeiter sie durch die Halle zu einem großen Tisch. Dort werden sie aneinandergenietet und dann zu Kästen zusammengefügt: Gehäuse für Klima- und Belüftungsanlagen, die der Handwerksbetrieb in Willich bei Krefeld für Industriekunden herstellt. Die Klimaanlagen verkaufen sich gut, längst nicht nur auf dem deutschen Markt. Rund zehn Prozent des Umsatzes macht Geschäftsführer Jörg Pooch mit dem Verkauf ins benachbarte Holland, und das schon seit mehr als 15 Jahren.

"Da war noch keine Grenze offen, da ging es noch schön übers Verzollen. Dann hat sich so langsam ein Geschäft auf Gegenseitigkeit entwickelt. Das war eigentlich ein Zufall. Ich war in Stuttgart auf einer Messe und hab dort einen holländischen Partner gefunden, mit dem ich bis heute zusammenarbeite und der unsere Produkte vertreibt."

Für Jörg Pooch kam die Entstehung des Europäischen Binnenmarktes genau zum richtigen Zeitpunkt: Kaum hatte er seine ersten Kontakte nach Holland geknüpft, fielen 1992 die Zollschranken, zehn Jahre später kam mit dem Euro die gemeinsame Währung.

"Die Rechnungsstellung ist einfacher. Sie mussten früher die Rechnung in Gulden ausstellen. Sie mussten immer umrechnen, in Kursen usw. und das ist alles weggefallen."

Seit der Einführung des Euro ist Jörg Pooch wunschlos glücklich mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Er merkt überhaupt keinen Unterschied mehr zum Handel mit deutschen Kunden, zumal alle seine holländischen Geschäftspartner perfekt deutsch sprechen und er deshalb noch nicht mal die Fremdsprache lernen musste. Dabei hätte er das durchaus gekonnt, und zwar gratis. Die Handwerkskammer Düsseldorf bietet Betrieben in der Grenzregion bereits seit mehreren Jahren Holländischkurse und interkulturelle Beratung an, finanziert aus Mitteln der Landesregierung. Georg Cramer ist bei der Kammer für den Außenhandel zuständig:

"Wenn jemand sagt: Ich würde gern Kunden finden im niederländischen Markt, dann würden wir gerne einen Berater auftun, der sich dort auskennt und Kundenkontakte vermittelt."

Aus Sicht der Handwerkskammern sind Nordrhein-Westfalen und die Beneluxstaaten in den Grenzregionen längst zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zusammengewachsen, zum größten in der gesamten EU. Die Zusammenarbeit mit den niederländischen Kammern funktioniert reibungslos, es gibt Austauschprogramme für Auszubildende – Georg Cramer wüsste nicht, was es noch zu verbessern gäbe. Und so war er ein wenig verwundert, als er von der Idee hörte, die grenzüberschreitende Kooperation offiziell festzuschreiben und kurzerhand dem Benelux-Vertrag beizutreten.

Der läuft 2010 aus und wird derzeit neu verhandelt. Warum also nicht gleich dranhängen? Unter der Überschrift "Partnerschaft Benelux-NRW vertiefen" hatte die nordrhein-westfälische CDU vor rund einem Jahr ihre sogenannte "Düsseldorfer Erklärung" verabschiedet - darin ist von "einer um Nordrhein-Westfalen erweiterten Benelux-Union" die Rede.

"Es wäre gut, dass wir vier – also Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Nordrhein-Westfalen – miteinander ernsthafte Gespräche darüber führen, ob wir nicht gemeinsam zu einem Vertrag kommen, der eine um Nordrhein-Westfalen erweiterte Benelux-Situation schafft."

… sagt CDU-Fraktionschef Helmut Stahl auch heute noch mit Nachdruck. Und sorgt damit für Verwirrung. Denn die Landesregierung hat niemals von einem förmlichen Beitritt NRWs zum Benelux-Vertrag gesprochen; offiziell ist dieser Beitritt auch nicht Ziel der CDU-Fraktion im Landtag. Was stimmt nun also?

Ist Helmut Stahl in seinem Enthusiasmus für die Sache übers Ziel hinausgeschossen? Oder hegt man in Düsseldorf doch so etwas wie Sezessionspläne? Will NRW im Ernst einen völkerrechtlichen Vertrag mit Belgien, den Niederlanden und Luxemburg schließen?

"Nein, das kann es auch gar nicht, denn der Benelux-Vertrag ist ein Vertrag zwischen drei selbständigen Staaten, die eigene Völkerrechtssubjekte sind, nämlich Belgien, Niederlande, Luxemburg - insofern wäre das die Bundesrepublik Deutschland, die bekanntlich dort nicht beitreten will."

… stellt Andreas Krautscheid klar. Der neue nordrhein-westfälische Europaminister spricht statt von einem Beitritt lieber von vertiefter Zusammenarbeit oder von einer privilegierten Partnerschaft. – Ein Begriff, den der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker ausdrücklich zu schwach findet für die von ihm befürwortete engere Anbindung Nordrhein-Westfalens an die Beneluxstaaten, ein Begriff, dem Andreas Krautscheid aber trotzdem etwas abgewinnen kann.

"Was der Begriff gut beschreibt, ist eben, dass es keine Mitgliedschaft ist, dass es aber eben auch nicht nur irgendein Nachbar ist, sondern, dass es darum geht, auf bestimmten Themengebieten Dinge unterhalb der Mitgliedschaftsschwelle zu machen, die deutlich über das hinausgehen, was man bisher macht."

Benelux, das ist die Erfolgsgeschichte von drei kleinen Ländern in Europa, die schon vor fast fünfzig Jahren entschieden, dass bestimmte Dinge besser grenzüberschreitend geregelt werden. Erste Kooperationen hatte es bereits vor dem 2. Weltkrieg gegeben, 1948 folgte eine Zollunion, 1960 setzten Belgien, Luxemburg und die Niederlande den Vertrag über die gemeinsame Wirtschaftsunion in Kraft.
Damit wurden zwischen diesen Ländern alle bisherigen Hindernisse für Arbeit und Handel über die Grenzen hinweg aus dem Weg geräumt - Jahre, bevor dies im europäischen Rahmen gelang.

Was in der Benelux-Wirtschaftsunion umgesetzt wurde, war und ist attraktiv über die Grenzen hinweg: Heute gibt es Kooperationen mit Departments in Nordfrankreich und punktuelle Zusammenarbeit auch mit deutschen Euregio-Partnern wie dem Saarland oder der Gegend um Aachen. An einen formellen Beitritt Nordrhein-Westfalens zum Benelux-Vertrag denkt auch in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg niemand. Doch die Kooperation mit dem Nachbarn Nordrhein-Westfalen könnte für die Benelux-Länder durchaus noch weiter gehen, sagt der Generalsekretär der Organisation, der Niederländer Jan van Laarhoven :

"Es hat 18 Millionen Einwohner, das ist etwas mehr als die Niederlande. Und manche Probleme sind per Definition grenzüberschreitend. Es ist nicht sehr vernünftig zu denken, daß man die Kriminalität bekämpfen kann nur in Limburg und dabei Nordrhein-Westfalen nicht braucht. Oder man kann in NRW nicht Steuerkriminalität bekämpfe, ohne dabei Mitarbeit zu haben von Belgien und den Niederlanden. Es gibt viele Sachen, wo wir zusammen arbeiten können mit Nordrhein-Westfalen."

Schon heute gibt es gemeinsame und abgestimmte Kontrollen, um die Sicherheit grenzüberschreitend zu verbessern: Im Schwerlastverkehr ebenso wie auf einschlägigen Drogentrassen zwischen Amsterdam und Paris, dort in Zusammenarbeit mit den Franzosen. Besonders stolz ist Benelux-Generalsekretär van Laarhoven auf ein ganz neues Abkommen mit Modellcharakter: Es erleichtert die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz im Dreiländereck bei Aachen:

"Und da gibt’s drei dicke Bücher, die gemacht worden sind von den Justizautoritäten dort, weil wir Abkommen haben über Wie man verfolgt, wie man verhaftet, über die Grenze hinein. Denn es ist ein bisschen traurig, wenn ein deutscher Polizist einen holländischen Kriminellen fasst, ihn dem Maastrichter Justizbeamten übergibt und der sagt: Den müssen wir jetzt leider gehen lassen, denn du hast die Verhaftung auf die falsche Art und Weise gemacht. Um das besser zu machen, haben wir da Abkommen gemacht. Es ist nicht nur Schengen, es gibt andere Sachen, die wir da gemacht haben."

Sicherheit und wirtschaftliche Zusammenarbeit - zwei Kooperationsfelder in einer vertieften Zusammenarbeit von NRW und Benelux. Aber es gibt noch viel mehr, was die Bürger auf beiden Seiten der Grenze gleichermaßen angeht.

"Erziehung ist da wichtig, und was wir jetzt studieren, ist die Frage, ob man die Anerkennung von Fachdiplomen oder Fachkenntnisse jenseits der Grenzen, ob man die vereinfachen kann. Jetzt gibt’s noch viele Probleme von Leuten, von Deutschen, die in Benelux arbeiten wollen, dass die Diplome nicht anerkannt werden, obwohl man gar nicht weiß, was hinter dem Diplom steckt. Das sind Beispiele, und da gibt es mehrere."

Chefarzt Edgar Joost steht am Bett von Andreas Blanksma und erklärt seinem Patienten den weiteren Verlauf der Behandlung. Andreas Blanksma liegt schon seit sechs Monaten im Universitätsklinikum Aachen. Der 41-jährige Niederländer ist an Krebs erkrankt. Er wohnt in Heerlen, zehn Kilometer hinter der Grenze. Dort gibt es zwar auch ein Krankenhaus, doch das hat keine eigene onkologische Klinik. Nicht nur deshalb fühle er sich in Aachen besser aufgehoben, sagt Andreas Blanksma.

"Ich finde es hier einfach besser. Wenn die Blut abnehmen, dann wird auch alles untersucht. Das wird in Holland weniger gemacht, weil das darf nicht mehr alles abgerechnet werden, nur noch in bestimmten Fällen."

Versichert ist Andreas Blanksma in seiner Heimat, doch seine Krankenkasse übernimmt wie selbstverständlich die Behandlungskosten in Deutschland, die europäischen Abkommen im Gesundheitswesen machen es möglich. Und so lassen sich viele Niederländer in Aachen behandeln. Knapp 2.500 waren es im vergangenen Jahr. Auch unter den Ärzten gibt es zahlreiche Grenzgänger, Chefarzt Edgar Joost ist einer von ihnen. Der gebürtige Belgier trifft sich regelmäßig mit Kollegen der Universitätsklinik Maastricht, mit denen er gemeinsam über Krebstherapien forscht.

"Mit Holland gibt es da konkrete Projekte, wo es nicht nur um den Austausch von Informationen, sondern auch von Material geht. Das sind Kollegen von der Universität Maastricht, die an Projekten arbeiten, die den unseren ähneln, die sich jedoch nicht als Konkurrenz verstehen, sondern komplementär sind."

Bereits seit mehreren Jahren arbeiten verschiedene Fachbereiche der beiden Universitätskliniken zusammen. Das funktioniert so gut, dass die Geschäftsführer beider Häuser jetzt über eine Fusion nachdenken. Henning Saß, der Ärztliche Direktor in Aachen, hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um die rechtlichen Fragen einer noch engeren Kooperation zu klären. Trotz zahlreicher europäischer Initiativen und Abkommen, gibt es nämlich noch viele bürokratische Hindernisse.

"Das ist im Moment immer noch eine Einzelfall-Lösung. Wir verhandeln mit unserem Partner drüben, wir verhandeln mit den Versicherungen. Wir verhandeln mit dem Regierungspräsidium in Köln, die manche administrativen Fragen wie eine Berufserlaubnis geben müssen, wir verhandeln mit der Landesärztekammer, mit der Weiterbildungskommission. Wir haben ein ganzes Bündel von fünf bis zehn Instanzen, mit denen wir uns verständigen müssen, fast hätte ich gesagt, herum schlagen müssen."

Von der Idee der Landesregierung, die Partnerschaft zwischen Nordrhein-Westfalen und den Benelux-Ländern zu vertiefen, ist Henning Saß deshalb begeistert. Dann wäre er den bürokratischen Ärger los, da ist sich der Ärztliche Direktor ziemlich sicher.

Und nicht nur im Gesundheitswesen ließe sich die Zusammenarbeit durch ein offizielles Abkommen noch deutlich verbessern, meint NRW-Europaminister Krautscheid – auch unterhalb eines formellen Beitritts zur Benelux-Union. Er denkt zum Beispiel an eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gerichten und der Polizei, an Kooperation im Katastrophen-, Hochwasser- und Umweltschutz, an eine gemeinsame Tierseuchenbekämpfung, Verkehrs- und Raumplanung, oder an die gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen.

"Wenn sie mit Deutschland dort ein Abkommen schließen wollen, die drei Länder, dann reden sie mit der Kultusministerkonferenz, und dann müssen sie 16 Länder mit im Boot haben. Das dauert, und vielleicht ist ja den Ländern, diesen dreien, aber auch uns, Nordrhein-Westfalen, schon dadurch geholfen, wenn wir das unter uns erstmal hinkriegen."

Solche Überlegungen basieren auf der Gewissheit, einer europäischen Region anzugehören, in der Grenzen eher nebenbei wahrgenommen werden. Niederländer, Belgier, Luxemburger und Deutsche im Westen der Republik eint eine Tradition nachbarschaftlichen Austauschs. Die Staatsgrenzen sind mit Schengen und im Zuge der europäischen Integration zu Schemen verblasst. Zum Nutzen der 50 Millionen Bürger im Wirtschaftsraum Benelux-NRW, möchten die Düsseldorfer nun auch das noch überwinden, was Andreas Krautscheid "Papiergrenze" nennt. Beispielsweise bei der Kontrolle von LKW-Ladungen im Aachener Dreiländer-Eck:

"Oft ist es so, dass in jedem einzelnen Land jeweils wieder ein Prüfverfahren gemacht wird, um zu sagen: So, was ist das für ein LKW, was hat der geladen, wie muss da die Sicherheitsvorkehrung sein, wer guckt sich den an? Es gibt Unternehmen, die müssen in allen Ländern jeweils das gleiche Verfahren durchlaufen. Meine Güte, warum akzeptiert man denn nicht gegenseitig, wenn man sagt, wir haben die gleichen Standards: Einer prüft das, das wird durch eine Industrie- und Handelskammer festgestellt, und die anderen Länder akzeptieren das?"

Die Landesregierung möchte erreichen, dass nicht mehr nur die Grenzregionen eng zusammenarbeiten, sondern ganz Nordrhein-Westfalen und die Benelux-Staaten möglichst weitgehend miteinander kooperieren. Dafür aber muss Düsseldorf zunächst in Vertragsverhandlungen einsteigen. Und zwar nicht nur mit den drei Nachbarländern, sondern auch mit der Bundesregierung, die in Deutschland nun einmal für die Außenpolitik zuständig ist. NRW-Europaminister Krautscheid :

"Und dann werden wir genau die Frage prüfen müssen, nämlich: Was können wir als Land machen, was können wir auf keinen Fall machen? Oder aber: Was können wir mit Zustimmung von Berlin ausnahmsweise machen?"
Eine interessante Frage. Denn:

"Die außenpolitische Handlungsfähigkeit liegt bei der Bundesebene","

… sagt Günter Gloser, der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt und kann sich dabei auf das Grundgesetz berufen. Dort heißt es in Artikel 32 Absatz 1:

""Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes."

Also:

"Völkerrechtliche Verträge bleiben zunächst einmal auch im Außenverhältnis Aufgabe der Bundesregierung."

Sind die Verhandlungen mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung erst einmal abgeschlossen, und das kann bis zu zwei Jahren dauern, dann müssen die drei Außenminister der Benelux-Staaten das Ergebnis absegnen. Die halten sich derzeit noch bedeckt, scheinen der Anfrage aus Düsseldorf aber eher wohlwollend gegenüber zu stehen, zumal sich in Berlin kein Protest rührt.

Der Handwerksmeister Jörg Pooch aus Willich an der niederländischen Grenze blickt dem Verlauf der Gespräche gelassen entgegen. Denn aus seiner Sicht läuft die Zusammenarbeit mit seinen niederländischen Partnern bereits jetzt reibungslos. "Aber, wenn die meinen… schaden kann’s ja nicht", sagt er achselzuckend und geht zu seinem Wagen. In einer halben Stunde muss er bei seinem Vertriebspartner in Holland sein, um die nächsten Aufträge zu besprechen.


SaarLorLux funktioniert
Von Tonia Koch

SaarLorLux - 160.000 Menschen bewegen sich tagtäglich im Dreiländereck zwischen dem Saarland, Luxemburg und Lothringen über die Grenzen, um bei den Nachbarn zu arbeiten. Statistisch nicht exakt erfasst, bewegen sich wiederum tausende über die Grenzen, um bei den Nachbarn einzukaufen oder kulturelle Angebote zu nutzen. Es hat Jahre gedauert, die Verkehrsangebote an die Gewohnheiten der Grenzbevölkerung anzupassen. Inzwischen sind Fortschritte unübersehbar. Aber Probleme bleiben und diese können nur unter Beteiligung der jeweiligen Hauptstädte gelöst werden.

Politik redet gerne von Visionen. Menschen denken eher daran, was ihnen nutzt. Einkaufen in Frankreich zählt für deutsche Grenzbewohner dazu.

"Französische Produkte, die in Deutschland viel teurer sind als hier. Na, was man so sieht, Senf, Baguettes ...”"

Die Liste ließe sich beliebig ergänzen, Fisch, Käse und natürlich Wasser in Plastikflachen, denn die Flaschen sind anders als in Deutschland nicht mit Pfand belegt. Um die Konsumgewohnheiten ihrer Einwohner muss sich die Politik nicht mehr kümmern, sagt Walter Delarber beim Regionalverband Saarbrücken zuständig für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

""Es gibt eine grenzüberschreitende Konsumgewohnheit, für die muss ich nicht mehr werben, aber wofür ich sorgen muss, ist für Begegnung untereinander für gemeinsame Erlebnisse, für einen Besuch beim Nachbarn."

Walter Delarber ist die gute Seele des Vereins Saar-Moselle Avenir. Dem Verein gehören neben der Großstadt Saarbrücken weitere 50 Gemeinden aus dem deutsch- französischen Umland an. Seit zehn Jahren sorgt er für Bewegung in der Region. Der Verein hat einen Museumspass auf den Weg gebracht, dem beiderseits der Grenze inzwischen 100 Museen angehören. Wer den Pass besitzt, profitiert von ermäßigten Preisen. Das Radwegenetz ist grenzüberschreitend ausgebaut, weder Karten noch Beschilderung machen an den Grenzen halt.

Eine Straßenbahn verkehrt zwischen dem französischen Saargemünd und Saarbrücken. Pendler, Schüler, Ausflügler nutzen das schnelle Verkehrsmittel.

"Nach Saarbrücken auf die Handelsschule, deutsch-französisches Gymnasium, auf die erweiterte Realschule Kleinblittersdorf."

Durchgehende Regionalzüge bedienen auch die Strecken Saarbrücken - Straßburg oder Saarbrücken Metz. Zeitraubende Aufenthalte, weil das Zugmaterial gewechselt werden muss oder die Lokführer ausgetauscht werden, gehören der Vergangenheit an. Die deutsche Bahn und die französische Bahngesellschaft SNCF haben inzwischen auch einen einheitlichen Regionaltarif geschaffen. Es werden Wochen und Monatskarten ausgegeben, die auf beiden Seiten der Grenze Gültigkeit haben. Und weil Bahnfahrten in Frankreich traditionell etwas preisgünstiger sind als in Deutschland, können die Kunden davon profitieren. Das einheitliche Tarifsystem wurde an die niedrigeren französischen Preise angeglichen.

All diese Bemühungen sind der Tatsache geschuldet, dass inzwischen 160.000 Menschen tagtäglich zwischen Deutschland, Frankreich Luxemburg und Südbelgien hin und her pendeln, um an ihre Arbeitsplätze zu gelangen. Probleme am Arbeitsmarkt, die mit nationaler Gesetzgebung einher gehen, können die Regionen allerdings allein nicht lösen. Arsene Schmitt.

"Beispiel Pflegeversicherung. Wir bezahlen Beiträge wie ein Deutscher in Deutschland und wenn man einen Pflegefall hat, bekommt man nur dann Leistungen, wenn man ausschließlich in Deutschland gearbeitet hat."

Ansonsten so Arsene Schmitt kümmere sich die französische Kasse um den Patienten. Leistungen und Ansprüche seien jedoch nicht vergleichbar. Schmitt steht seit Jahren an der Spitze eines Vereins, der sich um die Grenzgänger kümmert. Die Regelung bei der Pflegeversicherung, so sagt der Vorkämpfer für die Rechte der Frontalier, habe mit der Realität nichts zu tun. Franzosen, die ausschließlich in Deutschland gearbeitet hätten oder Deutsche, die ihr gesamtes Arbeitsleben zum Beispiel in Luxemburg verbracht hätten, diese Berufsbiographien fänden sich nur selten an der Grenze. Ansprüche - wie bei der Pflege, die in anderen Mitgliedsländern erworben worden seien, dürften daher nicht verfallen. An dieser Stelle aber ist die Europäische Union gefordert, die Region – und mag sie über die Grenzen hinweg noch so gut funktionieren - ist damit überfordert.