NRW-Minister: Selbstverpflichtungen zur Integration sollen überprüft werden

Im Gespräch mit Christine Heuer und Ulrich Ziegler |
Der Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), hat die Bildung eines Gremiums gefordert, das die Einhaltung der Selbstverpflichtungen des Integrationsgipfels überprüft. Dieses Gremium müsse unabhängig und politikfern sein und die Entwicklung der Selbstverpflichtungen von 2008 an dauerhaft beobachten, sagte Laschet im Deutschlandradio Kultur.
Deutschlandradio Kultur: Herr Laschet, Sie sind der einzige Integrationsminister in Deutschland. Aber zum Integrationsgipfel sind Sie erst gar nicht eingeladen worden und sonst auch niemand aus NRW. Hat Angela Merkel, die ja Ihre Parteifreundin ist, Sie vergessen?

Armin Laschet: Nein, ach, die Länder wechseln. Beim letzten Jahr war ich dabei. Da waren nur Ministerpräsidenten, jetzt nimmt sogar ein Integrationsminister teil. Wir haben für die Länder die Position der deutschen Länder koordiniert, die ja in den Integrationsplan eingeflossen ist. Aber diesmal waren andere Länder auch interessiert, mal beim Gipfel zu sein. Insofern war NRW nicht dabei. Wir sind weiter bereit, auch in Integrationspolitik zu arbeiten.

Deutschlandradio Kultur: Aber mit Sicherheit haben sie mit Interesse zugehört, was da beschlossen wurde. Es gibt viele Selbstverpflichtungen. Ich glaube, 406 an der Zahl. Im Jahr 2008 soll das Ganze überprüft werden. Kann man mit so vielen Selbstverpflichtungen tatsächlich in Sachen Integration die Welt verbessern?

Armin Laschet: Also, mit Selbstverpflichtungen kann man zunächst mal etwas erreichen, was man 40 Jahre lang nicht erreicht hat, dass man nämlich Integrationspolitik konkret macht, dass man sagt, was soll denn jetzt passieren, dass man es erreicht, dass nicht nur Bund, Länder und Gemeinden, sondern auch viele Verbände, gesellschaftliche Gruppen, die Migranten selbst, der Sport, die Wirtschaft konkrete Zusagen machen.

Deutschlandradio Kultur: Ist das denn konkret, "Selbstverpflichtung", oder bedeutet das, wir wollen es mal probieren?

Armin Laschet: Selbstverpflichtung heißt ja, es ist ein Satz ausgesprochen und der ist konkret und da sagt man etwas zu. Wie man das überprüft, ist die entscheidende Frage, die jetzt nach dem Gipfel beginnen muss. Wir brauchen ein unabhängiges Gremium, das auf Dauer prüft: Ist denn das, was da zugesagt worden ist, eingehalten worden?

Da habe ich es immer schon bedauert, dass Otto Schily 2004 den Zuwanderungsrat aufgelöst hat. Das war so ein Gremium, politikfern, das der Politik aller Ebenen Ratschläge geben sollte. So was fehlt uns heute und ich würde mir wünschen, dass wir ein solches Gremium wieder bekommen. Da kann man nämlich messen, sind die Selbstverpflichtungen auch wirklich eingehalten.

Deutschlandradio Kultur: Hat Angela Merkel Ihnen das denn schon zugesagt, dass sie den Zuwanderungsrat wieder einsetzen möchte?

Armin Laschet: Bisher noch nicht. Wir haben es ihr vorgeschlagen. Wenn ich gestern ihre Pressekonferenz gehört habe, hat sie gesagt, es soll 2008 überprüft werden. Und ich glaube, die Möglichkeit besteht, dass man das mit einem solchen Gremium macht. Aber darüber wird man noch diskutieren müssen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Laschet, nun ist Überprüfen dessen, was da zugesagt ist und ob es auch wirklich erreicht wird, das eine. Das andere wäre aber die Frage: Was passiert denn, wenn die Selbstverpflichtungen nicht eingehalten werden?

Armin Laschet: Da gibt es keinen Sanktionsmechanismus. Da wird man eine öffentliche Debatte darüber haben. Dann wird man sagen, mein Gott, ihr macht solch riesige Gipfel und es kommt nichts dabei rum. Also, das wird dann eine öffentliche Diskussion geben. Aber ich gehe erst mal davon aus, dass jeder, der da vertreten war, jeder, der ja mitgearbeitet hat an diesem nationalen Integrationsplan, dass der auch ernsthaft etwas dafür tun will, dass das ein Erfolg wird.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem würde mich von Ihrer Seite aus interessieren als Integrationsminister: Nennen Sie mal drei, vier Punkte, wo Sie sagen, die sind wirklich notwendig, die müssen wir bis 2008 abgearbeitet haben, damit es überhaupt nach vorne geht, auch wenn nicht alle 406 Selbstverpflichtungen abgearbeitet sind – aber vier oder fünf, die müssten es schon sein.

Armin Laschet: Eins geht ganz schnell. Das ist das, was der Bund zugesichert hat. Das ist ja eher der kleinere Teil, weil die Zuständigkeit ja meist bei Kommunen und Ländern liegt. Aber dass die Integrationskurse und Sprachkurse in den Stunden aufgestockt werden, dass die Bezahlung pro Stunde für die, die sie ausrichten, besser wird, das wird sehr schnell wirken. Das Geld ist auch schon im Bundeshaushalt bereitgestellt. Das ist eine finanzielle Frage gewesen.

Entscheidender sind die strukturellen Veränderungen, die es geben muss, beispielsweise die Frage: Wie erreicht man, dass Kinder, wenn sie in die Schule kommen, schon die Sprache sprechen? Das ist der Anfang. Integration gelingt durch Bildung. Wer eine Bildungschance hat, hat auch nachher eine Karrierechance, hat eine Berufschance, hat für sich eine eigene Perspektive, kann seine eigene Familie ernähren. Alles das ist abhängig von Bildungserfolgen.

Deshalb haben die Länder zugesagt, dass sie verpflichtende Sprachstandsfeststellungen einführen. Wir in NRW haben das schon im Schulgesetz verankert. Mit vier Jahren werden die Kinder auf Sprachkompetenz individuell getestet, auch die, die nicht im Kindergarten sind. Die müssen dann zum Test hinkommen. Und sie werden dann zwei Jahre lang gefördert. Die anderen 15 Länder haben zugesagt, dass sie das auch machen wollen. Und das ist etwas, was man auch schon 2008/ 2009 nachprüfen kann.

Deutschlandradio Kultur: Wäre es denn nicht besser gewesen, Herr Laschet, diese drei Punkte, die Sie jetzt angesprochen haben, in einen Aktionsplan zu schreiben und darüber den Integrationsgipfel beschließen zulassen? Da hätte man doch was in der Hand gehabt.

Armin Laschet: Ja. Ich meine, der Integrationsgipfel hat darüber beschlossen, denn er hat über alle 200 Seiten einen Beschluss gefasst. Ich hätte mir gewünscht, und das haben wir auch vorgeschlagen, dass man aus den Arbeitsgruppenergebnissen, die es ja gab, die sich in zehn Berichten niedergeschlagen haben, die Kernpunkte herausgegriffen hätte, um auch jedem einmal die 406 Dinge zu zeigen. Denn sie sich müssen jetzt die 406 Dinge als aufmerksamer Leser aus 200 Seiten heraussuchen. Und in diesen Arbeitsgruppen steht auch manches, was banal ist. Also, dass die Pop-Werkstatt Mannheim den Pop-Dance ausdehnt, ist zwar sehr bedeutsam, aber wird nun nicht die Integrationspolitik in ganz Deutschland bewegen.

Und es stehen Dinge drin, die wir ganz sicher nicht machen werden. Es wird unter anderem angeregt, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Wir machen die Hauptschulen besser. Wir machen Ganztagshauptschulen. Das ist ein wirklicher Integrationsbeitrag. Insofern war das unsere Kritik, die konkreten Dinge ablesbar zu machen und die anderen in einem anderen Teil vielleicht ebenfalls mit zu veröffentlichen. Aber man hat sich für einen anderen Weg entschieden. Und jetzt kommt es darauf an, einfach zu prüfen, was passiert mit den 406 Sachen?

Deutschlandradio Kultur: Ich will noch mal auf den Gipfel zurückkommen. Es waren viele gesellschaftliche Gruppen, die in der Vorbereitung dabei waren, die mitgewirkt haben. Es waren drei türkische Verbände, die nicht teilgenommen haben, weil sie gesagt haben, das gerade beschlossene Zuwanderungsgesetz empfinden sie als diskriminierend. Es gibt manche Stimmen, die sagen, das können sie verstehen. Sie auch?

Armin Laschet: Verstehen kann ich die Sorge. Ich kann vor allem die Sorge verstehen, dass man denkt, Familienzusammenführung soll in Zukunft ausgeschlossen werden, das ist ein Zuwanderungsverhinderungsgesetz. Nur so ist es nicht formuliert und das ist auch nicht die Absicht des Gesetzgebers. Die Absicht ist, dass der, der zuwandert, insbesondere die Frauen, die zuwandern, so viele Worte der deutschen Sprache können, Grundkenntnisse haben, dass sie sich auch hier bewegen können, dass sie zu einem Amt gehen können, wenn sie in eine Notlage geraten, und, und, und.

Deutschlandradio Kultur: Das gilt aber nicht für alle.

Armin Laschet: Es gilt aber für fast alle. Es gilt nicht nur für Türken, es gilt für die Philippini, die ein deutscher Mann heiratet. Es gilt für fast alle Länder dieser Erde, mit vier, fünf Ausnahmen. Diese vier, fünf Ausnahmeländer sind die Länder, bei denen wir um Hochqualifizierte werben. Das ist ja alles gar nicht mehr so interessant nach Deutschland zu kommen. Insofern werben wir bei manchen, dass sie herkommen. Und bei denen, wo wir werben, dass sie kommen, nehmen wir auch in Kauf, dass die Frau nicht gleich in den Deutschkurs geht. Und das ist keine Ungleichbehandlung.

Es geht ja jetzt um eine reine Familienzusammenführung und um die Menschen, die da zureisen. Ich finde, da stärkt man auch diese Frauen, die da kommen, wenn sie ein paar Worte Deutsch sprechen und notfalls, falls sie Gewalterfahrungen haben, falls sie anderes haben, auch mal eine Hotline anrufen können. Das ist heute nicht gegeben.

Ich bin ja auch Frauenminister hier im Lande. Ich höre die Berichte aus den Frauenhäusern. Dann findet man dort in der Tat Frauen, die schon Mühe haben, nur ein paar Worte überhaupt zu sprechen, um ein solches Haus aufzusuchen. Und die wollen wir stärken und das ist alles.

Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Laschet, wenn Sie sagen, Sie haben Verständnis für die Sorge, die dieses Gesetz bei Migranten auslöst, dann müsste doch eigentlich die logische Schlussfolgerung sein, dass Sie dafür wären, das Gesetz noch mal zu überarbeiten, etwas daran zu verändern. Wollen Sie das?

Armin Laschet: Nicht unbedingt. Nein, das will ich nicht. Weil, wenn ich jemanden verstehe in seiner Sorge, kann ich trotzdem sagen, ich teile deine Position nicht und ich erkläre dir jetzt mal, wie das Gesetz eigentlich gedacht ist. Ich glaube, das ist das Wichtige, was man viel mehr machen muss, erklären, Vorbehalte abbauen, das, was vielleicht herausgelesen wird aus einem Gesetzestext dann in der Praxis erklären. Und das steht uns eigentlich noch bevor.

Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise gab es in der vergangenen Woche auch eine OECD-Studie im Zusammenhang mit dem Standort Deutschland. Dort ist nachzulesen, dass Zuwanderer am deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Das ist ja schon mal ein Hammer, wenn eine OECD-Studie darstellt, dass das in Deutschland mit Zuwandern nicht so läuft, wie vielleicht in anderen europäischen Ländern. Macht Ihnen das Sorge?

Armin Laschet: Ja, es gibt natürlich immer noch Formen von Diskriminierung. Also, sie können mit dem besten Bildungsabschluss leichter einen Ausbildungsplatz finden, wenn Sie Schmitz heißen und nicht Öztürk.

Deutschlandradio Kultur: Was machen wir dagegen?

Armin Laschet: Ja, das ist eine schwierige Frage. Da muss man zu einer Klimaänderung kommen. Da hilft auch im Zweifel kein Antidiskriminierungsgesetz, weil man gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird laut Lebenslauf. Und das erfordert ein öffentliches Bewusstsein, dass die, die qualifiziert sind, eine Bereicherung sind, dass ein Unternehmen, das einstellt, stärker ist, wenn es – man nennt es Diversity – vielfältig aufgestellt ist.

Wenn sie Männer und Frauen haben, Junge und Alte in einem Unternehmen, Zuwanderer und Deutsche, dann sind sie besser und haben einen anderen Blick auf die Dinge. Da können Sie nur Überzeugungsarbeit leisten. Erzwingen können Sie es nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie selbst haben einmal gesagt, Herr Laschet, "wir müssen für Deutschland als Einwanderungsland werben". Vorschlag: Wäre es nicht eine ganz gute Werbung, die doppelte Staatszugehörigkeit zuzulassen?

Armin Laschet: Also, wir wollen werben für Einbürgerung. Wir wollen eine Einbürgerungskampagne auch machen, damit sich mehr entscheiden, sich einbürgern zu lassen. Aber bei der doppelten Staatsbürgerschaft ist das eine schwierige Frage. Ich bin nicht letztlich überzeugt, dass die doppelte Staatsangehörigkeit der Integration hilft. Denn eines zum Beispiel, was heute immer noch vorkommt, wird dann noch verstärkt vorkommen, dass man nämlich beispielsweise einen Türken, der eingebürgert ist, immer noch als Deutschtürken bezeichnet.

Wieso eigentlich? Der ist deutscher Staatsbürger – Punkt, Ende, genau wie einer, der hier geboren ist und Deutscher ist. Wenn die jetzt eine doppelte Staatsangehörigkeit haben, wird das dieses Gefühl natürlich immer verstärken. Er ist immer Deutschtürke. Er hat beide Pässe. Er hat eigentlich nix Richtiges. Ich würde eher unsere Gesellschaft dran gewöhnen, dass jemand Ja sagt zum deutschen Staat, sich einbürgern lässt und wir dann auch akzeptieren, dass er ganz Deutscher ist. Es gibt Pro und Kontra, ich weiß das, aber es hat mich letztlich bisher nicht überzeugt.

Deutschlandradio Kultur: Mal ehrlich, Herr Laschet: Haben Sie nicht nur Angst, dass Ihre eigene Partei, die CDU, da nicht mitmacht?

Armin Laschet: Nein. Also, ich habe so viele Dinge gesagt und am Ende hat die CDU mitgemacht. Dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, war vor zwei Jahren fast noch ein Vergehen, wenn man das öffentlich formulierte. Heute sagt es die Bundeskanzlerin. Dass wir eine Gesellschaft vieler Kulturen sind, lateinisch heißt das "multi", durfte man auch nicht sagen.

Der Innenminister sagt heute, "der Islam ist Teil der deutschen Gesellschaft". Also sind wir dann eine Gesellschaft vieler Kulturen, wenn der Islam auch deutsch ist und Teil der Gesellschaft ist. Ich glaube, da hat sich viel verändert. Insofern habe ich da keine Angst irgendwas zu sagen. Nur ich bin nicht von der Integrationswirkung der doppelten Staatsangehörigkeit überzeugt.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir mal auf ihre konkrete Arbeit zu sprechen. Sie sind seit zwei Jahren Integrationsminister im größten Bundesland, in NRW. Was ist denn in den letzten zwei Jahren in Sachen Integration hier im Bundesland geschehen? Anders gefragt: Haben Migrationswillige in NRW heute bessere Chancen als anderswo?

Armin Laschet: Ich will jetzt nicht überheblich sein, aber wir haben einen 20-Punkte-Plan im Jahre 2006 vor dem ersten Gipfel der Kanzlerin beschlossen und haben jetzt mal Bilanz gezogen, haben dann mal alles addiert, was denn da in diesem einen Jahr passiert ist. Und das ist nicht wenig. Es ist das, was wir selbst beeinflussen konnten, das ist das mit der Sprache, was ich eben erwähnt habe.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben diese Sprachtests gemacht?

Armin Laschet: Im Schulgesetz ist drin: verpflichtender Sprachtest. Jedes Kind ist erreicht worden, 180.000 Kinder, auch die, die nicht im Kindergarten sind. Dann ist festgestellt worden: Wer hat Sprachförderbedarf? Und ab 1. August, wenn das neue Kindergartenjahr beginnt, setzt die Förderung ein. Und für jedes dieser Kinder, das dann gefördert wird, gibt es eine eigene Summe. Das heißt für den gesamten Landeshaushalt, von früher sieben Millionen jetzt auf 28 Millionen, eine Vervierfachung der Mittel und ein Mechanismus, wie man jedes Kind erreicht. Das ist eine Sache.
Wir haben gesagt, wir brauchen mehr Ganztagsangebote. Denn Ganztag ist für viele Kinder, gerade aus Zuwanderungsfamilien, die Chance Bildungserfahrung zu haben. Wir hatten bei uns anfangs so gut wie überhaupt keine Ganztagshauptschule, weil Ganztag immer nur Gesamtschule war. Wir haben heute über 130 in zwei Jahren geschaffen. Es gab früher Migrationsfachdienste, die eine sehr spezifische Arbeit gemacht haben. Wir haben heute überall Integrationsagenturen.

Deutschlandradio Kultur: Was ist da der Unterschied?

Armin Laschet: Da wird alle Integrationsarbeit vor Ort vernetzt in dieser Agentur. Also, das ist nicht nur ein Träger, der jetzt ein Projekt macht, sondern alle stimmen sich ab und jeder weiß auch, wo finde ich die Hilfe in sozialen Fragen und in anderen Fragen. Und das – vielleicht zum nächsten Punkt noch überleitend – müssen wir mit den Kommunen machen.

Und wir haben Minigipfel, würde ich das mal nennen, also örtliche Integrationskonferenzen, fast in allen Städten NRW’s jetzt gehabt, wo nicht die Kanzlerin, sondern der Oberbürgermeister einlädt und die gleichen Leute am Tisch hat – Wirtschaft, Zuwanderer, Amtschefs seiner Behörde – und wo man überlegt, was heißt das eigentlich für unsere Stadt. Auch das ist, glaube ich, auch nach dem Gipfel jetzt in Berlin, wichtig, dass ganz Deutschland so was Ähnliches macht. Denn in jeder Stadt sind die Verhältnisse anders.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben sich auch vorgenommen, junge ausländische Schulabgänger mehr in den öffentlichen Dienst zu holen. Wie weit sind Sie denn in NRW mit diesem Plan fortgeschritten?

Armin Laschet: Wir haben uns zweierlei vorgenommen, erstens den Übergang aus der Schule in Ausbildungsplätze zu verbessern. Da hat der Kollege Laumann ein Werkstattjahr eingeführt, was allen denen, die den Ausbildungsplatz nicht direkt hatten, die Möglichkeit gibt, überhaupt eine Beschäftigung zu haben und dann einen Anschluss zu finden – auch da mit dem Schwerpunkt für Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte.

Und wir haben als zweites uns vorgenommen, ich sage mal davor, wir haben in NRW ja die Sonderregelung, dass Sie in NRW zum Beispiel bei der Polizei, Polizist sein können, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu haben. Wir haben türkische Staatsbürger, die Polizisten sind. Das ist eine Riesenchance, die auch in Konflikte natürlich mit einer ganz anderen interkulturellen Kompetenz auftreten. Das haben wir ausgedehnt. Weil es zunächst natürlich auch eine Frage ist, wer ist überhaupt da, den man einstellen kann, haben wir gesagt, wir wollen bei Abiturienten eine Werbekampagne machen, dass sie auch den Lehrerberuf ergreifen, weil gerade Lehrer das ganz besonders brauchen. Die wird in der zweiten Hälfte des Jahres starten.

Deutschlandradio Kultur: Es ist interessant, dass es von Seiten der Mehrheitsgesellschaft, wenn man sie so beschreiben möchte, ein breites Zugehen auf diese Migrationskinder, auf diese Familien gibt. Sie haben die Beispiele genannt. Wie erleben Sie das eigentlich umgekehrt nach zwei Jahren Arbeit? Gibt es von der anderen Seite – wenn man das in Anführungszeichen mal beschreiben möchte – auch diese Bereitschaft, diese Neugier mitzumachen, sich integrieren zu lassen?

Armin Laschet: Da ist es immer wichtig, über welche Gruppe man spricht. Wenn Sie Eltern mit Kinder haben, ist das relativ einfach. Denn Eltern haben immer den Grundwunsch, dass es ihren Kindern mal besser geht. Die Angebote, die wir da gemacht haben, sind sehr positiv aufgegriffen worden, sind gelobt worden, sind nebenbei auch in den türkischen Medien sehr positiv bewertet worden. Darüber gibt es kaum Dissens.

Die Frage ist: Wie erreichen Sie die, die perspektivlos sind, die vielleicht keinen Arbeitsplatz haben, die sich dann zurückziehen? Das ist die viel anspruchsvollere Aufgabe. Und die dritte ist die fast allerschwierigste: Es gibt auch Integrationsverweigerer. Das ist eine Minderheit, aber es gibt auch solche, die sagen, mich interessiert das alles nicht. Ich will mich in diese Gesellschaft nicht integrieren, weil ich sie für verfallen halte oder verwestlicht halte oder wertelos halte. Ich finde, da muss man auch klare Anforderungen formulieren.

Deutschlandradio Kultur: Machen wir es konkret. Was sagen Sie Muslimen, die zum Beispiel sagen, ihre Töchter dürfen nicht zum Sexualkunde- oder Schwimmunterricht in deutschen Schulen?

Armin Laschet: Nein, das wird nicht akzeptiert. Es gibt Schulpflicht in Deutschland und die wird durchgesetzt.

Deutschlandradio Kultur: Und wenn sie es nicht tun?

Armin Laschet: Na dann werden sie vorgeführt, wie das so ist, wenn man der Schulpflicht nicht nachkommt. Da gibt es ja die letzte eskalierende Maßnahme dann. Es ist übrigens nicht nur eine muslimische Frage, sondern wir haben auch christliche Fundamentalisten in einigen Teilen des Landes, wo man das ebenfalls durchgesetzt hat. Schulpflicht gilt für jedes Kind. Da kann man sich nicht einzelne Fächer aussuchen.

Deutschlandradio Kultur: Umgekehrt gefragt: Sind eigentlich wirklich die meisten Deutschen in dieser deutschen Mehrheitsgesellschaft bereit, Zuwanderer ernstlich aufzunehmen?

Armin Laschet: Ich glaube, ja. Ich glaube, die Politik hat unterschätzt, wie viel Erkenntnis eigentlich bei den Menschen schon da ist. Also, ich habe das beim Bleiberecht gesehen. Jahrelang ist da parteipolitisch drüber gestritten worden, da haben wir auch sicher manches als Union falsch gemacht oder zu spät richtig erkannt.

Aber dass ein Kind, das 18 Jahre, 17 Jahre, 16 Jahre ist, oft die Klassenbeste ist, aus der Klasse herausgeholt wird und abgeschoben wird in ein Land, dessen Sprache es nicht spricht, hat vor Ort immer schon Solidarität ausgelöst – in Kirchengemeinden, bei uns im Sauerland in der Eifel, also egal, wo das passierte, haben die Menschen sich solidarisiert. Und als die Politik es beschlossen hat, gab es gar keinen großen Sturm.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem gibt es ja dieses Phänomen, beispielsweise in Schulen, Eltern, die multikulti-offen sind in ihrem Grundverständnis, dann geht es darum, in welche Schule geht unser Kind? Und die Eltern entscheiden sich dafür, dass es nicht in Schulen geht, wo 50 Prozent Migrantenanteil in der Schule ist. Können Sie das nachvollziehen?

Armin Laschet: Das ist wahr, dass es das gibt. Man kann jetzt sagen, das liegt an den Migranten. Die würden aber gleichermaßen, wenn sie glauben würden, mein Kind hat da nicht die optimale Bildungserfahrung, weil die auf die schlechteren Schüler Rücksicht nehmen müssen, das auch machen, wenn das deutsche Schüler wären. Es sind nun meistens Kinder aus Zuwandererfamilien, aber das haben wir auch bei den Sprachtests festgestellt.

Es gibt auch viele deutsche Kinder, die nicht mehr Deutsch sprechen, wie man es sprechen müsste, um in der Schule bestehen zu können. Und wenn da der Anteil besonders hoch wäre, dann würden die gleichen Eltern sagen, ich gehe lieber in ein anderes Stadtviertel, wo mein Kind vielleicht besser aufgehoben wird.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben selbst drei Kinder. Herr Laschet, wie halten Sie es denn mit denen?

Armin Laschet: Ja, das ist eine schwierige Frage. Ich habe nirgendwo eine Schule ausgesucht, um eine zu finden, wo bewusst keine Zuwandererkinder sind. Aber es gab ja bisher feste Schulbezirksgrenzen, so dass die Grundschule eigentlich feststand, klar war, welche das ist. Und das war die, die bei uns um die Ecke war. Und bei uns um die Ecke waren nun in der Tat etwas weniger Zuwandererkinder als in anderen Teilen der Stadt.

Und danach sind sie auf die Schule gegangen, auf der ich auch mal war, auf ein bischöfliches Gymnasium. Und sind natürlich auch überschaubar wenige Zuwandererkinder. Ich finde auch nicht, dass man jetzt bewusst sagen muss, ich schicke sie jetzt bewusst in einen Problembereich, damit sie auch Probleme kennenlernen. Aber ich finde schon, dass in der Grundschule diese Mischung auch noch stärker da sein muss und wir eher darauf hinwirken müssen, dass mehr Zuwanderer aufs Gymnasium gehen.

Deutschlandradio Kultur: Aber dass es Brüche in der Gesellschaft gibt, das kann man auch beispielsweise in der Diskussion um den Moscheenbau in Köln erleben. Aus welchen Gründen auch immer, es gibt die einen, die die gerne haben wollen, die anderen sind dagegen. Wie löst man diesen Konflikt?

Armin Laschet: So einfach ist das in Köln übrigens nicht. Der Kölner Stadtanzeiger hat ja eine Umfrage gemacht. Die höchste Zustimmung ist im Stadtteil Ehrenfeld. Da liegt sie bei 49 Prozent. Und in anderen Kölner Stadtteilen, die weiter weg sind, ist die Ablehnung größer. Also, man kann nicht sagen, da, wo die Moschee entstehen soll, sind die Menschen dagegen, aber es gibt Sorgen.

Als Katholik kann mir das nicht recht sein, dass das Bistum Essen hundert Kirchen verkauft, weil keiner mehr kommt, und Moscheen gebaut werden. Das kann einen nicht beruhigen. Und das ist nicht die Schuld der Muslime, sondern das ist die Schuld der Christen, die ihre Gotteshäuser nicht mehr so besuchen, wie das vor 20, 30 Jahren der Fall war. Und man muss jemandem zugestehen, wenn er gläubig ist, dass er ein Gotteshaus baut. Das muss nicht in Hinterhöfen sein.

In Aachen ist die Moschee in einer umgebauten Tankstelle. Wenn dann die Muslime dort sagen, wir sammeln und bauen ein schöneres Gotteshaus, finde ich, wenn sie das in Offenheit mit der Nachbarschaft machen, muss man sie dabei unterstützen.

Deutschlandradio Kultur: Gab es denn diese Offenheit in der Nachbarschaft in Köln nun gerade, wo DITIB, die türkische Vereinigung, sich ja etwas bedeckt gehalten hat, was die Kommunikation angeht?

Armin Laschet: Ich habe das nicht von Anfang an verfolgt. DITIB sagt, sie haben das von Anfang an erklärt. Irgendwann ist der Streit dann hoch gekocht. In Duisburg hat es die DITIB richtig gemacht. In Duisburg entsteht die größte Moschee Europas, aber in völligem Einklang mit der Nachbarschaft, mit der katholischen Pfarrgemeinde, die interreligiöse Veranstaltungen dort machen. Auch DITIB muss vielleicht da noch professioneller werden. Ich glaube nicht, dass das böser Wille ist, sondern dass man auch einfach lernen muss, wie vermittelt man eigentlich ein so großes Bauprojekt.

Und das ist auch in Köln nicht der Punkt zu spät. Ich halte es sogar für hilfreich, dass da offen und kontrovers diskutiert wird. Denn wenn nur die Rechtsradikalen ihren Protest formulieren würden, wäre das falsch. Auch in einer demokratischen Partei wie die CDU kann der Oberbürgermeister dafür und die Ortsunion dagegen sein und demnächst entscheidet ein Kreisparteitag, wie es denn weitergeht, das halte ich eigentlich in einem demokratischen Staat für richtig.

Deutschlandradio Kultur: Wenn man Sie reden hört, hat man das Gefühl, dass ein sehr weltoffener Christdemokrat argumentiert. Die Union, das haben Sie selbst gesagt, hat sich in den letzten zwei, drei Jahren, was diese Fragen Einwanderungspolitik, Migration angeht, sehr schnell verändert. Es gibt aber noch ein paar Konservative in der Union, wie Jörg Schönbohm, Günther Beckstein oder Günther Oettinger. Gehören die so langsam zu einer Minderheit in der Union?

Armin Laschet: Nein, natürlich braucht die Union auch Konservative. Die Union hatte ja immer Christlich-Soziale, hat einen liberalen Flügel und einen konservativen Flügel. Nur man muss gucken, bei welcher Frage. Und da stimmen die klassischen Fronten nicht mehr. Innenminister Beckstein schiebt weniger ab als fast jedes andere Bundesland. Der spricht nur manchmal anders und das klingt anders, aber in der Substanz kann man mit Günther Beckstein sehr gut über Integrationspolitik sprechen.

In Niedersachsen haben sie den Kollegen Schünemann. Der ist für drastische Senkung der Grenzen bei der Zuwanderung. Bei anderen Fragen ist er wieder etwas härter. Also, es lässt sich nicht mehr an einer Frage festmachen und ich glaube, das ist der Gewinn.

Deutschlandradio Kultur: Worüber man mit Günther Beckstein aber nicht reden kann, ist zum Beispiel das kommunale Ausländerwahlrecht, das jetzt nach dem Gipfel wieder in die Diskussion geraten ist. Herr Laschet, sind Sie dafür das einzuführen?

Armin Laschet: Da haben Sie nun einen Punkt, wo Sie auch mit mir schlecht drüber reden können. Das steht zwar im Koalitionsvertrag der Großen Koalition, aber ich halte prinzipiell die Trennung der Wahlrechte – dass das eine halb so wichtig ist und man das da halt zulassen kann – für falsch. Meine Antwort wäre eher: Partizipation ermöglichen durch Einbürgerung.

Deutschlandradio Kultur: Herr Laschet, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.