NRW-Grüne: CDU macht sich Staat zu eigen
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag, Reiner Priggen, hat die CDU angesichts der jüngsten Skandale scharf kritisiert. Die Christdemokraten seien angetreten, um nach 39 Jahren den „roten Filz der SPD“ in Nordrhein-Westfalen abzulösen, stattdessen stelle sich nun ein „sehr erstaunliches Sittengemälde“ dar.
Deutschlandradio Kultur: Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ist wegen der CDU-Sponsoringaffäre arg in Bedrängnis geraten. Herr Priggen, warum fordern eigentlich die Grünen nicht seinen Rücktritt?
Reiner Priggen: Ja, weil im Prinzip der Vorwurf im Raum steht und belegt ist, dass die Partei ihn zu Gesprächen für 6.000 Euro Zusatzpreis angeboten hat. Er behauptet, dass er von diesen Sachen nichts gewusst hat. Und wir sind an der Stelle ein bisschen moderat und sagen, es muss auch einen Beleg dafür geben, dass er das tatsächlich so gemacht hat. Dann würden wir den Rücktritt fordern. Aber der Beleg ist bis jetzt noch nicht da. Danach wird fieberhaft gesucht. Dann müssten Konsequenzen gezogen werden.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind noch nicht so streng wie Ihr Wunschkoalitionspartner, die SPD.
Reiner Priggen: Ja gut, das ist auch eine Frage des Geschmacks. Die SPD ist im Prinzip immer sehr, sehr schnell mit Rücktritten. Und danach können Sie nix mehr machen. Dann sind Sie festgelegt. Dann können Sie den Rücktritt nur noch immer wieder fordern. Dann ist das auch leer gelaufen. Insofern meine ich, dass man auch eine gewisse abgestufte Vorgehensweise haben sollte und dass das hier durchaus sinnvoll ist.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie ja die Staatskanzlei aufgefordert, sämtliche Werbebriefe der Jahre 2004 bis 20010 und die dazugehörigen Terminbegleitungsmappen offen zu legen. Erwarten Sie denn eine Antwort noch vor der Landtagswahl?
Reiner Priggen: Nein, und man muss doch vielleicht auch sagen: Das Ganze, was jetzt hier passiert, das hat uns ja auch überrascht, ist doch ein stückweit ein Sittengemälde, was sehr, sehr erstaunlich ist. Die CDU ist angetreten nach 39 Jahren, den „roten Filz der SPD“ abzulösen. Und wir haben jetzt in kürzester Zeit hintereinander einen Generalsekretär, der seine Krankenversicherungsbeiträge nicht gezahlt hat, eine Landtagspräsidentin, die auf einen Schlag 30.000 Euro von der EAG bekommen hat und nicht gewusst hat, was sie damit anständigerweise zu machen hat. Und jetzt die Tatsache, dass der Ministerpräsident offensichtlich seit Jahren schon für Extrahonorare angeboten wird. Und das ist nicht, sag ich mal, „roter Filz aufgelöst“, das ist ein gewisses Sittengemälde, was hier anders aussieht, als viele von uns das erwartet haben.
Deutschlandradio Kultur: Glauben Sie also Ihrem Ministerpräsidenten nicht, dass er nichts davon gewusst hat, dass solche Briefe verschickt worden sind?
Reiner Priggen: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass man davon nichts gewusst hat. Ich glaube auch, ehrlich gesagt, dass diese Geisteshaltung, die dahinter steht, dass man sich den Staat zu Eigen macht und dann praktisch einen Ministerpräsident, der ja ein Verfassungsorgan ist, für Geld anbietet. Das ist ja eigentlich das, was da dran stört, dass man nicht zugibt und sagt, das ist eine Partei – und natürlich gibt es Sponsorenstellen und natürlich wird auch erwartet, dass man die auch mal beguckt. Das ist völlig in Ordnung. Aber dass man ein Verfassungsorgan für Geld mieten kann, das ist genau der entscheidende Unterschied, und dass es Leute in der Partei gibt bei der CDU, die meinen, das ist ganz normal und das gehört dazu.
Deutschlandradio Kultur: Also, halten wir mal fest: Die CDU hat sicherlich im Moment ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dann gibt es Landtagswahlen am 9. Mai und möglicherweise gibt es Mehrheiten Schwarz-Grün. Was machen Sie denn dann?
Reiner Priggen: Na ja, gut, wir haben über uns eine sehr klare, und ich finde, auch intelligente Beschlusslage. Wir würden am liebsten mit der SPD regieren und, um das ganz klar zu sagen, wir liegen nach den Umfragewerten vielleicht zweieinhalb, drei Prozent hinter Schwarz-Gelb – Rot-Grün. Das heißt, es ist nicht außerhalb Schlagweite. Es ist nicht unrealistisch zu sagen, das ist unser Ziel. Wenn wir zehn Prozent dahinter lägen, würden alle sagen, was wollt ihr denn überhaupt.
Deutschlandradio Kultur: Aber eine klare Koalitionsaussage mit der SPD wollen Sie doch nicht geben.
Reiner Priggen: Na, das haben wir aber gemacht. Wir haben gesagt, wir wollen am liebsten mit der SPD eine Koalition bilden. Das ist für mich eine klare Koalitionsaussage. Wenn die Mehrheiten dazu reichen, werden die Gespräche geführt.
Deutschlandradio Kultur: Nun sagt die SPD aber, „wer Grün wählt, wird sich schwarz ärgern“. Was sagen Sie denn da drauf?
Reiner Priggen: Ich sag mal, das ist doch jetzt das ganz Normale. Da muss man doch in aller Ruhe mit umgehen. Wir sind vor einer Wahl. Jeder markiert seine Position. Und dass die SPD an der Stelle natürlich auch einen gewissen Wettbewerb um Wechselwähler aufnimmt, ist klar. Wir haben auch mit der SPD-Spitze geredet. Die Erfahrungen nach Hessen sind doch: Wenn alle alles verriegeln, dann bleibt nachher Roland Koch dran. Deswegen weiß ich, dass auch die SPD durchaus offen ist für eine große Koalition, wenn hier die Wahlergebnisse so sind. Wir kennen sie ja nun alle noch nicht. Deswegen muss man ganz, ganz nüchtern damit umgehen. Wir haben eine klare Priorität nach vorne. Wir sagen auch klar, was nicht geht. Und wenn dann die Mehrheiten so sind und man damit umgehen muss, dann kann es auch sein, dass es schwarz-grüne Gespräche gibt. Das will ich auch überhaupt nicht ausschließen. Das halte ich aber auch, ehrlich gesagt, für vernünftig dann.
Deutschlandradio Kultur: Aber konkret: In der Koalitionsaussage sagen Sie, Ihr Wunschpartner ist die SPD. Aber am 2. Mai machen Sie noch mal einen kleinen Landesparteitag. Da wollen Sie erst genau sagen, mit wem Sie es sich sonst auch noch vorstellen können. Warum so spät?
Reiner Priggen: Nein, nein, nein. Wir haben auf dem Parteitag jetzt gesagt, wir machen auf keinen Fall Jamaika, nicht weil wir Angst davor hätten, sondern weil das in der Sache nicht geht. Wir können nicht mit CDU und FDP, die wir ablösen wollen, zusammen in eine Regierung. Und wir haben auch klar gesagt, wir machen auf keinen Fall eine Tolerierung. Das heißt, die Rosinenpickerei der Linken, bei einzelnen Abstimmungen mitzumachen und bei anderen nicht, sind für ein Land mit 18 Mio. Menschen nicht machbar. Die beiden Sachen gehen nicht.
Dann haben wir eine Zielsetzung. Das ist, Rot-Grün noch mal zu machen. Vor unserem Erfahrungshintergrund und davor, dass bei der SPD sich auch was bewegt hat, ist das eine Herausforderung. Und dann gibt es Sachen, die wir nicht ausschließen, weil ich nicht weiß, wie das Wahlergebnis ist. Und diese Aussage werden wir auch nicht noch mal eine Woche vorher anders machen oder anders präzisieren. Ich glaube, die ist so klar genug. Wenn mir jemand sagt, wie das Wahlergebnis genau ist, kann ich Ihnen mehr sagen. Aber so, wie es jetzt aussieht, klare Priorität: Wenn es reicht mit der SPD, mit der SPD. Bestimmte Sachen werden ausgeschlossen. Und den Rest können wir uns auch wirklich erst genau angucken, wenn wir das Ergebnis haben.
Deutschlandradio Kultur: Nun wird aber Schwarz-Grün allenthalben gelobt, nicht nur Ihr Integrationsminister Laschet spricht inzwischen davon, dass das eine konstruktive Alternative wäre zu einer CDU-FDP-Landesregierung. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister und CDU-Politiker Ole von Beust wirbt leidenschaftlich für Schwarz-Grün. Müssen Sie jetzt nicht das Projekt endlich ausprobieren?
Reiner Priggen: Wir waren früher für die CDU der parlamentarische Arm der Rote Armee Fraktion. Da gab es Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Das ist ein stückweit normaler geworden, weil die CDU sich auch entwickelt hat. Also, der Wechsel von Dregger, dem Rechtsaußen, zu Ole von Beust ist ja schon auch ein Kulturwechsel innerhalb der CDU. Und deswegen ist es richtig, dass es auch einen normaleren Umgang zwischen Grünen und Christdemokraten gibt. Und Sie haben Armin Laschet angesprochen. Der kommt, wie ich, aus Aachen. Wir haben eine schwarz-grüne Koalition jetzt bei uns in Stadt- und Städteregion. Und die läuft vernünftig. Und das ist auch gut so. Aber ich habe null Illusion. Wir kriegen doch von niemandem was geschenkt. Wissen Sie, ich war 10 Jahre im Koalitionsausschuss mit SPD-Grüne, mit Johannes Rau, mit Clement, mit Peer Steinbrück. Dass das jetzt so ein Himmel auf Erden gewesen wäre und dass wir von den Kollegen was geschenkt bekommen haben, da kann ich mich nicht dran erinnern. Insofern ist das für mich eine ganz nüchterne Frage: Klare Prioritätensetzung, aber die Option, auch mit den anderen Kollegen zu reden und das zu probieren. Und noch mal: kein Projekt mehr, kein Projekt! Die Verklärung und die Überhöhung zu einem Projekt, da stürzt man nachher mit ab. Insofern ganz nüchternes Rangehen.
Deutschlandradio Kultur: Aber bleiben wir noch mal bei dieser Sponsoringaffäre und dem Problem mit Jürgen Rüttgers. Wenn er die Sache nicht eindeutig aus dem Feld räumen kann, dann können Sie doch eigentlich nicht mit der CDU zusammenarbeiten.
Reiner Priggen: Also, das muss ich ganz ehrlich sagen, das sehe ich nicht. Ich kann Ihnen versichern: Wenn wir in einer Koalition sind, wird es so was, wie, dass eine Landtagspräsidentin 30.000 Euro nimmt und keine Konsequenzen zieht, nicht geben. Da werden wir schon aufpassen. Aber wenn dem Ministerpräsident nicht nachgewiesen wird, dass er selber davon gewusst hat – da müssen Sie auch Belege finden – dann ist das nicht die Frage. Ich meine, die Alternative ist: Wir können nicht den Ministerpräsidenten der anderen großen Parteien bestimmen. Wir können auch nicht der SPD vorschreiben, wen sie aufstellt.
Deutschlandradio Kultur: Also geht es um die Inhalte. Und wenn man die Inhalte auf landespolitischer Ebene sich mal anschaut, beispielsweise Schulpolitik, dann werden Sie auch da mit der CDU erhebliche Probleme haben, könnten viel eher eigentlich mit der Linken oder mit der SPD gemeinsame Sache machen.
Reiner Priggen: Ja gut, mit der Linken ist das Problem, dass die hier bis jetzt erkennbar nicht in der Realität angekommen ist. Das ist sowieso das Grundphänomen in NRW. Wir haben bei zwei Parteien, deren – sage ich mal – extremste Landesverbände hier in Düsseldorf zu finden sind: Das ist auch die FDP als markradikale Partei. Die sind hier anders als in Baden-Württemberg. Und da sind die Linken, die in Nordrhein-Westfalen noch in der Gründungsphase und – vorsichtig gesagt – ein sehr, sehr wirrer Haufen sind. Wir haben ja alle möglichen kommunalen Koalitionen. Wir hatten gerade erst Kommunalwahl. Da ist nirgendwo eine mit den Linken dabei. Und wenn man mit den Kollegen redet, sagen die einem auch selber, wir können noch nicht in eine Regierung. Sie können aber nicht eine Minderheitenregierung machen. Das ist in Hessen schief gegangen. Das würde ich kategorisch ablehnen. Deswegen reduziert sich einfach die Zahl der Optionen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben es schon angesprochen. Auf Landesebene war das kein Zuckerschlecken, zum Beispiel mit Clement oder mit Steinbrück. Auf kommunaler Ebene machen Sie inzwischen sehr viele schwarz-grüne Koalitionen. Was klappt denn da wirklich nicht mehr mit den Sozialdemokraten?
Reiner Priggen: Na ja, auf kommunaler Ebene, wir haben es gerade noch mal erhoben, 30 rot-grüne Koalitionen, 27 schwarz-grüne. Also, jeweils auch mit der FDP, mal mit den Roten, mal mit den Schwarzen. Das gibt es in allen Facetten. Und das ist auch richtig so, weil die in den Kommunen immer entscheiden müssen, mit wem sie reden und machen können. Und dann muss man das im Einzelfall sehen. Und die Rückmeldungen sind, dass auch die schwarz-grünen Koalitionen vernünftig, zuverlässig laufen, dass da der Umgang miteinander völlig korrekt ist. Dann kann ich allen in den jeweiligen Kommunen da nur viel Erfolg wünschen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie haben den Wunschpartner, die SPD. Auf kommunaler Ebene machen Sie es auch mit der CDU, fast fifty-fifty im Vergleich mit der SPD. Und wo stehen dann die Grünen Inhalte? Wo kann man dieses Alleinstellungsmerkmal der Grünen dann festmachen, wenn Sie sowohl auf der einen, wie auf der anderen Seite gut zusammenarbeiten, wie Sie sagen?
Reiner Priggen: Na, das Alleinstellungsmerkmal der Grünen ist aus meiner Sicht eine klare inhaltliche Linie. Nehmen wir mal die Schulpolitik als Beispiel. Da haben Sie völlig Recht. Wir hätten in der Schulpolitik mehr Gemeinsamkeiten mit den Sozialdemokraten. In der Schulpolitik ist es der Ministerpräsident konkret, der eine gewisse Lebenslüge mit sich rumschleppt, indem er an diesem dreigliedrigen Schulsystem festhält. Wir können aber die Hauptschule nicht retten. Die Eltern wollen sie nicht mehr. Das ist gar keine politische Frage. Wir haben in Dortmund 200 Anmeldungen für 16 Hauptschulen. Da können Sie keine Schulen mehr mit betreiben. Und insofern muss die CDU an der Stelle die Position räumen. Wir haben da auch von vielen Kommunalpolitikern der CDU Zustimmung, weil die genau sagen, wir haben im ländlichen Raum nachher überhaupt keine Schule mehr.
Das ist relativ klar, dass die CDU diese Position nicht halten kann, zumal, wenn Sie sich mal angucken: In Baden-Württemberg, die Position der Handwerkskammer Baden-Württemberg. Mit der könnten wir sofort eine Koalition machen, weil die sehr, sehr vernünftig ist in den Schulfragen. Das ist aber hier in Nordrhein-Westfalen nicht durchzusetzen.
Deutschlandradio Kultur: Aber dann gibt's auch eine ganze Menge Übereinstimmung mit den Linken, wenn ich zum Beispiel an die bessere Ausstattung der Schulen denke, aber eben auch an die Abschaffung der Studiengebühren. Die Linken können Sie aber trotzdem nicht überzeugen?
Reiner Priggen: Nein, die Linke tritt in Nordrhein-Westfalen mit dem Thema „RWE und E.ON verstaatlichen“ an. Ich lasse jetzt mal so Albernheiten weg, wie „Recht auf Rausch“ und so was. Das kann man ja als pittoresk bezeichnen, damit muss man sich nicht ernsthaft mit auseinandersetzen. Aber wenn ich an der Stelle eine energiepolitische Linie ziehe, wo ich sage, „RWE verstaatlichen“, heißt das, 30 Mrd. Euro aufnehmen. Dann gehören uns die Braunkohlekraftwerke. Und dann sollen die kurzfristig stillgelegt werden. Das ist außerhalb jeder Realität. Wir wissen, wie der Haushalt aussieht. Und wenn die Kollegen davon dann auch noch Abstand nehmen, dann bleibt trotzdem für mich die Grundfrage: Es geht nur, wenn sie in die Regierung gehen. Das ist der entscheidende Punkt. Sie müssen das Arbeits- und Sozialministerium übernehmen. Sie müssen auch Kompromisse machen können. Und wenn sie dazu bereit sind, dann reden wir. Ich will das klar sagen. Wir grenzen die nicht aus. Dieser merkwürdige Kurs der SPD, die die eine Woche ausgrenzt und eine Woche wieder sagt, ist möglich, das ist albern. Sondern es gibt Gespräche. Die finde ich auch richtig. Da muss ich auch gar kein Geheimnis drum machen. Aber letztendlich gibt es nur entweder eine Koalition oder gar nichts, keine Tolerierung, wo wir dann montags, dienstags eine Abstimmung haben über Studiengebühren, die die Kollegen mittragen. Und wenn es dann um den Haushalt geht, dann stehen wir alleine da. Das kann man nicht machen.
Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise gab es ja einen Sonderparteitag der Linken in der vergangenen Woche, wo eigentlich auf diesen realpolitischen Kurs stärker zugegangen wurde. Die Linke hat ein Investitionsprogramm vorgelegt. Sie sagen auch, wie sie es finanzieren wollen. Das scheint doch eine Richtung zu sein, mit der Sie eigentlich ganz gut leben müssten?
Reiner Priggen: Na ja, aber wenn Sie sich die Finanzierung angucken, das sind alles Bundessteuern. Da können Sie nichts im Land von machen. Und das heißt dann nur, das müssen die Kollegen auch klar sagen, dass sie – bis wir die Bundessteuern umgesetzt haben – auf diese Punkte auch verzichten. Und nach allem, was ich weiß, ist die Frage der Regierungsbeteiligung da immer noch hoch kritisch. Aber ich hab ja gar kein Problem damit. Wir haben noch zwei Monate Wahlkampf. Wir können die Auseinandersetzung gerne konstruktiv führen. Und wenn nachher bei den Kollegen die Erkenntnis da ist, dass sie bereit sind, in die Regierung zu gehen und mit Ministern, Ministerinnen Verantwortung zu übernehmen, ist die Gesprächsgrundlage eine andere.
Deutschlandradio Kultur: Herr Priggen, Sie haben es kurz angesprochen, die Finanzierung von gewissen Projekten in Nordrhein-Westfalen, was mit den Linken möglicherweise nicht machbar ist, weil es eben Bundesmittel sein müssen. Sie selbst aber fordern auch, oder Ihre Partei, 200.000 neue Jobs im Umwelt- und Sozialbereich. Das können Sie doch auch nicht machen, wenn die kommunalen Kassen leer sind.
Reiner Priggen: Na, wir finanzieren es ja nicht über die kommunalen Kassen. Bei den 200.000 sind alleine 100.000 im Energiebereich aus der Gebäudesanierung. Wenn ich mal ganz klar sagen kann: Das Idiotischste, was doch gemacht worden ist, war in Berlin die Hotel-Mehrwertsteuererleichterung, eine Milliarde Euro. Und gleichzeitig sind die Mittel für Gebäudesanierung um 1,1 Milliarden gekürzt worden. Und Sie werden es erleben in den nächsten Monaten. Bei uns wird das Bauhandwerk wirklich in die Knie gehen, weil die Konjunkturprogramme des Bundes in Richtung Gebäudesanierung für zwei Jahre angelegt sind. Die werden alle auslaufen. Und da die Neubautätigkeit eh rückläufig ist und die Kommunen kein Geld mehr haben, die Bautätigkeit da runter gefahren wird, werden im Bauhandwerk, im Baunebenhandwerken, wirklich Arbeitsplätze verloren gehen. Deswegen ist das eine unserer Grundüberzeugungen.
Und wenn ich Prioritäten nennen kann: Im Energiebereich ist die Gebäudesanierung an allererster Stelle. Und das werden wir machen müssen. Da brauchen wir Additive Mittel, das weiß ich auch, aber die werden wir aufwenden müssen. Wir sind ja immer noch in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Die ist ja nicht zu Ende, nur weil die da in Berlin immer Kabale und Liebe aufführen. Und wir werden genau in den Bereichen arbeiten müssen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Priggen, Sie sagen, Sie wollen diese Landtagswahl auch zu einer Abstimmung über die Atomkraft machen. Setzen Sie da nicht so ein bisschen aufs falsche Pferd – vor dem Hintergrund, dass gerade eine Sozialstaatsdebatte tobt, wir über Verteilungsgerechtigkeit tagtäglich diskutieren und Sie ziehen das Thema Atomkraft ganz weit noch vorne?
Reiner Priggen: Nein, es ist ein Punkt. Es ist völlig klar. Wir reden über die Sozialstaatsdebatte. Und die Wahl am 9. Mai ist schon eine entscheidende Wahl, ob es eine Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb weiter gibt oder ob sich das an der Stelle verändert. Die Kopfpauschale wird nicht mehr durchsetzbar sein, wenn Schwarz-Gelb hier keine Bundesratsmehrheit mehr hat.
Und die Atomfrage ist nur deswegen interessant, weil ja die Laufzeitverlängerungen im Raum stehen. Und die sind im Bundesrat zustimmungspflichtig. Wenn Schwarz-Gelb hier nicht mehr an der Regierung ist, gibt es im Bundesrat keine Mehrheit mehr für eine Laufzeitverlängerung.
Und dann gibt es noch eine spezielle nordrhein-westfälische Note: Unsere Landesregierung ist dabei, den nächsten Forschungsreaktor in Nordrhein-Westfalen vorzubereiten. Sie hat dafür das Planungsrecht geändert. Und der Minister Pinkwart von der FDP hat ein Forschungsprogramm aufgelegt mit 100 Mio. Euro, unter anderem für nukleare Prozesswärme. Insofern haben wir auch ein Landesinteresse an der Atomfrage, das hier zu beenden. Natürlich spielen bei uns Kohlekraftwerke und andere Fragen eine größere Rolle, aber die Atomfrage ist schon eine wichtige. Es gibt doch viele Menschen, die da drauf achten.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie glauben nicht, dass es ein neues Wahldebakel gibt – so, wie 1990 bei der Bundestagswahl, als die Grünen über das Wetter redeten und alle sprachen über die deutsche Einheit?
Reiner Priggen: Wir werden auch über die Sozialstaatsdebatte reden, über die Kopfpauschale, aber ich glaube, dass es wichtig ist, den Menschen zu sagen, dass mit dieser Wahl unter anderem auch die Frage Laufzeitverlängerung und neue Atomabenteuer in NRW entschieden wird. Wir setzen nicht nur auf ein Thema, dafür sind wir auch als Partei zu breit aufgestellt, aber ich finde das einen wichtigen Aspekt.
Deutschlandradio Kultur: Irgendwie spielen Sie dann auf zwei Spielfeldern. Das eine sind landespolitische Themen. Das andere sind Fragen, die die Bundespolitik betreffen. Ist denn die Wahl in Nordrhein-Westfalen vor allen Dingen auch eine Testwahl für Schwarz-Gelb im Bund?
Reiner Priggen: Natürlich. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen, das merken wir doch alle, ist die einzige Landtagswahl in 2010. Deswegen gibt es ein großes Medieninteresse. Und es ist so, dass es die Wahl ist, die auch ein stückweit bewertet, wie ist die Regierung in Berlin gestartet. Und da muss man doch ganz nüchtern sagen: Ich habe den Start von Rot-Grün 98 erlebt und da haben wir die Hände überm Kopf zusammengeschlagen. Aber dass diese Wunschkoalition, diese Traumkoalition der bürgerlichen Mehrheit, dass die einen derartigen Start hinlegt, einen solchen Dilettantismus, auch in der Sache, das hat niemand erwartet.
Und dass natürlich die Chance richtigerweise am 9. Mai auch ist, die FDP für das Ganze unsägliche Spiel, was sie da veranstalten, auch in der Sozialdebatte, dieses Losgehen auf Leute, die Hartz IV beziehen, und die dann zu Sündenböcken stempeln, dass das auch ein Aspekt ist und dass bei der Frage Kopfpauschale auch darüber abgestimmt wird. Und das muss allen klar sein, natürlich sind da Pläne in der Schublade, die zurückgestellt werden bis zum 9. Mai. Und wenn hier am 9. Mai Schwarz-Gelb bestätigt wird, dann werden wir einige Monate erleben bis zu den Baden-Württemberger Wahlen, bei denen die machen, was sie wollen. Deswegen ist das eine Facette neben landespolitischen Themen. Und ich kann die ja nicht ausblenden.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn Sie dann möglicherweise doch Schwarz-Grün machen könnten, dann wäre das der Hebel, um den Anfang vom Ende dieser schwarz-gelben Koalition im Bund einzuläuten.
Reiner Priggen: Na gut, 2013 ist eine Berliner Baustelle, ist noch hin. Das ist auch nicht mein Arbeitsfeld. Ich bin nun Landespolitiker. Aber wenn es hier eine andere Mehrheit gibt, egal, Große Koalition oder Schwarz-Grün, eine andere wie Schwarz-Gelb, dann wird sicherlich die Atomfrage anders entschieden und dann wird es die Kopfpauschale von Herrn Rösler so nicht geben, dass eine Sekretärin das Gleiche zahlt, wie ein Chefarzt. Insofern ist natürlich das eine starke bundespolitische Komponente.
Und was 2013 in Berlin passiert, muss man doch ganz nüchtern sein, hängt doch auch viel davon ab, ob Oskar Lafontaines Truppe sich neu aufstellt, ob da die, die vernünftiger sind aus dem ostdeutschen Raum, sich anders aufstellen oder ob die weiter nur die Opposition machen und darauf bestehen, dass alle sich erst mal für Hartz IV entschuldigen, bevor es weitergehen kann. Das ist nicht unsere Entscheidung hier.
Deutschlandradio Kultur: Neben den inhaltlichen Fragen interessiert mich jetzt an dieser Stelle doch noch eine Frage nach Ihrem Gefühl. Im Moment sind die Grünen im Aufwind, 15 Prozent im Bund! In Nordrhein-Westfalen bei 11, 12 Prozent. Und Sie sprachen Berlin als Hauptstadt auch schon an. Da könnte es sein, dass sogar eine grüne Kandidatin als Regierende Bürgermeisterin kandidiert. Was ist das eigentlich für Sie für ein Gefühl, im Moment so im Aufwind zu sein?
Reiner Priggen: Also, ich bin ganz nüchtern und ganz vorsichtig. Ich weiß, dass wir beim letzten Mal innerhalb der letzten zwei Monate von den Umfragen her 3,5 Prozent abgegeben haben. Insofern ist das alles noch nicht gelaufen. Es ist noch lange hin. Wenn die Wahl übermorgen wäre, wäre das was anderes, aber in zwei Monaten kann viel passieren. Und bei den ganzen, sage ich mal, Skandalnummern, die zurzeit gelaufen sind, ist das überhaupt noch nicht absehbar für mich. Und dass die Grünen insgesamt einen Rückhalt haben, dass wir auch in Nordrhein-Westfalen in den letzten drei Wahlen jedenfalls deutlich über 10 Prozent lagen, ist einfach schön, hat aber auch damit zu tun, dass es, glaube ich, inhaltlich – wenn ich mir vor allen Dingen mal die FDP angucke – bei uns doch eine klare inhaltliche Linie gibt und auch klare inhaltliche Themen und dass das ein stückweit auch immer noch Leute anspricht.
Deutschlandradio Kultur: Die inhaltliche Linie, die sich aber für Grün insgesamt immer weiter in die Mitte bewegt?
Reiner Priggen: Es gibt immer wieder den Vorwurf, „ihr seid bürgerlicher geworden“. Aber jetzt sage ich auch mal: Ich bin 27 Jahre dabei, wir sind jetzt auch vielfach Leute um die 50, die in Verantwortung sind. Da, wo sie beruflich tätig sind, da sind meine grünen Kollegen Schulleiter, Ärzte, Unternehmen und, und, und. Und dann ist man natürlich ruhiger und gelassener, als wie man es vor 25, 30 Jahren war als Berufsanfänger mit den im Prinzip gleichen Zielen und Ideen. Man ist versierter. Man ist erfahrener. Das merken wir. Und wenn wir bei uns in Aachen, in Köln in den Innenstädten 30, 50 Prozent Stadtteile haben, wo man praktisch eine Mehrheitsmeinung vertritt, dann ist das auch ein stückweit eine andere Verantwortung. Und das ist so. Wir haben sogar ländliche Regionen, das katholische Münsterland, Telgte, da haben die Grünen jetzt 34 Prozent geholt. Da haben wir, glaube ich, fünf Innenstadtbezirke geholt – in so einer typischen, eigentlich schwarzen münsterländischen Kommune. Da ist was passiert. Das ist sehr erfreulich. Aber seien Sie ganz sicher: Wir sind nicht übermütig, sondern das ist auch nur der Erfolg von harter Arbeit. Und genauso wird's weitergehen.
Deutschlandradio Kultur: Aber ein bisschen konservativer sind Sie ja schon geworden, wenn man sich mal anschaut, dass Sie im Saarland mit der CDU regieren, dass Sie es in Hamburg machen und möglicherweise auch in Nordrhein-Westfalen. Da gibt's doch diesen Widerspruch nach wie vor. Sie wollen gerne mit dem Wunschpartner zusammenarbeiten. Und in der Realität sagen Sie da, na ja, wenn der Wunschpartner nicht mit uns gehen kann, weil er zu schwach ist, dann nehmen wir halt einfach die anderen. Das ist doch erklärungsbedürftig.
Reiner Priggen: Aber, ganz ehrlich: Wenn ich mit Sozialdemokraten diskutiere und die sagen dann, „ihr wollt doch wohl nicht mit der CDU!“, dann muss ich doch nur fragen: Und ihr? Wenn wir Mehrheiten haben, bei denen Konstellationen, die man möchte, nicht gehen, Herr Rüttgers möchte gerne mit der FDP weitermachen, das nehmen wir auch nüchtern zur Kenntnis, dann muss ich mich doch nicht ran schleimen. Wir wollen mit der SPD, wenn es geht, die Regierung ablösen. So, jetzt wird gewählt. Und wenn das eine und andere dann nicht geht, müssen die, die Verantwortung übernehmen wollen, gucken, was noch möglich ist. Wir werden Verhandlungen führen. Wenn es geht mit der SPD, ist es gut. Wir werden sie inhaltlich führen – und das wird hart. Wissen Sie, ich mache Energiepolitik, ich hab doch keine Illusionen, dass die Diskussion über den Steinkohlesockel, über Kohlekraftwerke, da kriegen wir von der SPD nichts geschenkt, da kriegen wir von der CDU nichts geschenkt, da müssen wir uns jeden Meter erarbeiten.
Deutschlandradio Kultur: Dann bleiben wir noch mal bei dieser Farbenlehre. Wenn wir sagen, Rot-Rot-Grün würde in Nordrhein-Westfalen für eine Mehrheit reichen, und die Linken sagen, ja, wir machen einen Koalitionsvertrag und wir sind inhaltlich bei euch und machen nicht an jedem einzelnen Punkt das Fass wieder auf, dann ist diese Ausschließeritis, von der Frau Kraft nichts hält, für Sie auch kein Thema?
Reiner Priggen: Nein, wir würden die Gespräche führen. Aber Sie müssten mal die kommunale Realität in Nordrhein-Westfalen angucken. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich meine das nicht hämisch und böse gegenüber den Kollegen von der Linken. Die sind neu. Aber wenn ich mir das angucke, die haben bei uns in Aachen vier Prozent, die haben in 30 Kreisverbänden Schiedsgerichtsverfahren untereinander laufen. Das ist eine Gruppe, die sich erst noch sortiert, die sehr, sehr zerstritten ist. Da sind vernünftige Gewerkschafter dabei, aber da sind auch eine Menge Leute dabei, mit denen können Sie auch in Kommunen nicht arbeiten. Und wir haben das, wenn ich wirklich über das große Land hier gucke und alle Kommunen durchgehe, es gibt keine Koalitionen mit denen. Das heißt, da gibt es keinen Unterbau, der in der Lage ist, Verantwortung, nicht mal mehr in einer Stadt, zu übernehmen. Wenn sich das ändert bei den Kollegen, wissen Sie, ich schließe das nicht aus, für niemals, ich würde es auch im Bund nicht ausschließen. Es ist eine Frage, wie sich Parteien entwickeln und wie sie sich aufstellen. In Nordrhein-Westfalen ist es nur so, ganz nüchtern betrachtet: Ich glaube nicht, dass die es können. Ich glaube auch nicht, dass sie es wirklich wollen. Die merken nur im Moment gerade, wenn sie nicht bereit sind, in die Verantwortung zu gehen, gibt's auch Leute, die sagen, dann doch lieber SPD. Dann ist die Stimme da verschenkt. Und vor genau die Frage muss man die auch stellen.
Deutschlandradio Kultur: Und zum Schluss, Herr Priggen, Hand aufs Herz: Wie sieht's denn tatsächlich aus, wenn es mit den beiden Großen inhaltlich nicht geht? Dann gehen Sie auch in die Opposition und würden im Zweifelsfall eine Große Koalition in Düsseldorf hinnehmen?
Reiner Priggen: Wenn es nicht geht, weil man sich in den Inhalten nicht verständigt, dann kann man eine Koalition nicht machen. Wir sind da, ehrlich gesagt, etwas gelassener. Wir mussten beim ersten Mal Rot-Grün beweisen, dass es geht. Wir müssen jetzt nix mehr beweisen. Wir können es inhaltlich machen, aber wir werden nicht zum Nulltarif zu bekommen sein. Und wenn es dann inhaltlich wirklich nicht geht, dann müssen die anderen beiden das zusammen machen. Ich glaube sowieso, dass es im Hintergrund sehr stark schon darauf hinausläuft. Und damit ist für andere Regionen nichts vertan. Berlin wird in Berlin entschieden. Da wird das 2013 gemacht. Wir machen unsere Arbeit hier in Nordrhein-Westfalen. Und da sind die Dinge zum Glück ja noch ein bisschen im Fluss.
Reiner Priggen: Ja, weil im Prinzip der Vorwurf im Raum steht und belegt ist, dass die Partei ihn zu Gesprächen für 6.000 Euro Zusatzpreis angeboten hat. Er behauptet, dass er von diesen Sachen nichts gewusst hat. Und wir sind an der Stelle ein bisschen moderat und sagen, es muss auch einen Beleg dafür geben, dass er das tatsächlich so gemacht hat. Dann würden wir den Rücktritt fordern. Aber der Beleg ist bis jetzt noch nicht da. Danach wird fieberhaft gesucht. Dann müssten Konsequenzen gezogen werden.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind noch nicht so streng wie Ihr Wunschkoalitionspartner, die SPD.
Reiner Priggen: Ja gut, das ist auch eine Frage des Geschmacks. Die SPD ist im Prinzip immer sehr, sehr schnell mit Rücktritten. Und danach können Sie nix mehr machen. Dann sind Sie festgelegt. Dann können Sie den Rücktritt nur noch immer wieder fordern. Dann ist das auch leer gelaufen. Insofern meine ich, dass man auch eine gewisse abgestufte Vorgehensweise haben sollte und dass das hier durchaus sinnvoll ist.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt haben Sie ja die Staatskanzlei aufgefordert, sämtliche Werbebriefe der Jahre 2004 bis 20010 und die dazugehörigen Terminbegleitungsmappen offen zu legen. Erwarten Sie denn eine Antwort noch vor der Landtagswahl?
Reiner Priggen: Nein, und man muss doch vielleicht auch sagen: Das Ganze, was jetzt hier passiert, das hat uns ja auch überrascht, ist doch ein stückweit ein Sittengemälde, was sehr, sehr erstaunlich ist. Die CDU ist angetreten nach 39 Jahren, den „roten Filz der SPD“ abzulösen. Und wir haben jetzt in kürzester Zeit hintereinander einen Generalsekretär, der seine Krankenversicherungsbeiträge nicht gezahlt hat, eine Landtagspräsidentin, die auf einen Schlag 30.000 Euro von der EAG bekommen hat und nicht gewusst hat, was sie damit anständigerweise zu machen hat. Und jetzt die Tatsache, dass der Ministerpräsident offensichtlich seit Jahren schon für Extrahonorare angeboten wird. Und das ist nicht, sag ich mal, „roter Filz aufgelöst“, das ist ein gewisses Sittengemälde, was hier anders aussieht, als viele von uns das erwartet haben.
Deutschlandradio Kultur: Glauben Sie also Ihrem Ministerpräsidenten nicht, dass er nichts davon gewusst hat, dass solche Briefe verschickt worden sind?
Reiner Priggen: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass man davon nichts gewusst hat. Ich glaube auch, ehrlich gesagt, dass diese Geisteshaltung, die dahinter steht, dass man sich den Staat zu Eigen macht und dann praktisch einen Ministerpräsident, der ja ein Verfassungsorgan ist, für Geld anbietet. Das ist ja eigentlich das, was da dran stört, dass man nicht zugibt und sagt, das ist eine Partei – und natürlich gibt es Sponsorenstellen und natürlich wird auch erwartet, dass man die auch mal beguckt. Das ist völlig in Ordnung. Aber dass man ein Verfassungsorgan für Geld mieten kann, das ist genau der entscheidende Unterschied, und dass es Leute in der Partei gibt bei der CDU, die meinen, das ist ganz normal und das gehört dazu.
Deutschlandradio Kultur: Also, halten wir mal fest: Die CDU hat sicherlich im Moment ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dann gibt es Landtagswahlen am 9. Mai und möglicherweise gibt es Mehrheiten Schwarz-Grün. Was machen Sie denn dann?
Reiner Priggen: Na ja, gut, wir haben über uns eine sehr klare, und ich finde, auch intelligente Beschlusslage. Wir würden am liebsten mit der SPD regieren und, um das ganz klar zu sagen, wir liegen nach den Umfragewerten vielleicht zweieinhalb, drei Prozent hinter Schwarz-Gelb – Rot-Grün. Das heißt, es ist nicht außerhalb Schlagweite. Es ist nicht unrealistisch zu sagen, das ist unser Ziel. Wenn wir zehn Prozent dahinter lägen, würden alle sagen, was wollt ihr denn überhaupt.
Deutschlandradio Kultur: Aber eine klare Koalitionsaussage mit der SPD wollen Sie doch nicht geben.
Reiner Priggen: Na, das haben wir aber gemacht. Wir haben gesagt, wir wollen am liebsten mit der SPD eine Koalition bilden. Das ist für mich eine klare Koalitionsaussage. Wenn die Mehrheiten dazu reichen, werden die Gespräche geführt.
Deutschlandradio Kultur: Nun sagt die SPD aber, „wer Grün wählt, wird sich schwarz ärgern“. Was sagen Sie denn da drauf?
Reiner Priggen: Ich sag mal, das ist doch jetzt das ganz Normale. Da muss man doch in aller Ruhe mit umgehen. Wir sind vor einer Wahl. Jeder markiert seine Position. Und dass die SPD an der Stelle natürlich auch einen gewissen Wettbewerb um Wechselwähler aufnimmt, ist klar. Wir haben auch mit der SPD-Spitze geredet. Die Erfahrungen nach Hessen sind doch: Wenn alle alles verriegeln, dann bleibt nachher Roland Koch dran. Deswegen weiß ich, dass auch die SPD durchaus offen ist für eine große Koalition, wenn hier die Wahlergebnisse so sind. Wir kennen sie ja nun alle noch nicht. Deswegen muss man ganz, ganz nüchtern damit umgehen. Wir haben eine klare Priorität nach vorne. Wir sagen auch klar, was nicht geht. Und wenn dann die Mehrheiten so sind und man damit umgehen muss, dann kann es auch sein, dass es schwarz-grüne Gespräche gibt. Das will ich auch überhaupt nicht ausschließen. Das halte ich aber auch, ehrlich gesagt, für vernünftig dann.
Deutschlandradio Kultur: Aber konkret: In der Koalitionsaussage sagen Sie, Ihr Wunschpartner ist die SPD. Aber am 2. Mai machen Sie noch mal einen kleinen Landesparteitag. Da wollen Sie erst genau sagen, mit wem Sie es sich sonst auch noch vorstellen können. Warum so spät?
Reiner Priggen: Nein, nein, nein. Wir haben auf dem Parteitag jetzt gesagt, wir machen auf keinen Fall Jamaika, nicht weil wir Angst davor hätten, sondern weil das in der Sache nicht geht. Wir können nicht mit CDU und FDP, die wir ablösen wollen, zusammen in eine Regierung. Und wir haben auch klar gesagt, wir machen auf keinen Fall eine Tolerierung. Das heißt, die Rosinenpickerei der Linken, bei einzelnen Abstimmungen mitzumachen und bei anderen nicht, sind für ein Land mit 18 Mio. Menschen nicht machbar. Die beiden Sachen gehen nicht.
Dann haben wir eine Zielsetzung. Das ist, Rot-Grün noch mal zu machen. Vor unserem Erfahrungshintergrund und davor, dass bei der SPD sich auch was bewegt hat, ist das eine Herausforderung. Und dann gibt es Sachen, die wir nicht ausschließen, weil ich nicht weiß, wie das Wahlergebnis ist. Und diese Aussage werden wir auch nicht noch mal eine Woche vorher anders machen oder anders präzisieren. Ich glaube, die ist so klar genug. Wenn mir jemand sagt, wie das Wahlergebnis genau ist, kann ich Ihnen mehr sagen. Aber so, wie es jetzt aussieht, klare Priorität: Wenn es reicht mit der SPD, mit der SPD. Bestimmte Sachen werden ausgeschlossen. Und den Rest können wir uns auch wirklich erst genau angucken, wenn wir das Ergebnis haben.
Deutschlandradio Kultur: Nun wird aber Schwarz-Grün allenthalben gelobt, nicht nur Ihr Integrationsminister Laschet spricht inzwischen davon, dass das eine konstruktive Alternative wäre zu einer CDU-FDP-Landesregierung. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister und CDU-Politiker Ole von Beust wirbt leidenschaftlich für Schwarz-Grün. Müssen Sie jetzt nicht das Projekt endlich ausprobieren?
Reiner Priggen: Wir waren früher für die CDU der parlamentarische Arm der Rote Armee Fraktion. Da gab es Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Das ist ein stückweit normaler geworden, weil die CDU sich auch entwickelt hat. Also, der Wechsel von Dregger, dem Rechtsaußen, zu Ole von Beust ist ja schon auch ein Kulturwechsel innerhalb der CDU. Und deswegen ist es richtig, dass es auch einen normaleren Umgang zwischen Grünen und Christdemokraten gibt. Und Sie haben Armin Laschet angesprochen. Der kommt, wie ich, aus Aachen. Wir haben eine schwarz-grüne Koalition jetzt bei uns in Stadt- und Städteregion. Und die läuft vernünftig. Und das ist auch gut so. Aber ich habe null Illusion. Wir kriegen doch von niemandem was geschenkt. Wissen Sie, ich war 10 Jahre im Koalitionsausschuss mit SPD-Grüne, mit Johannes Rau, mit Clement, mit Peer Steinbrück. Dass das jetzt so ein Himmel auf Erden gewesen wäre und dass wir von den Kollegen was geschenkt bekommen haben, da kann ich mich nicht dran erinnern. Insofern ist das für mich eine ganz nüchterne Frage: Klare Prioritätensetzung, aber die Option, auch mit den anderen Kollegen zu reden und das zu probieren. Und noch mal: kein Projekt mehr, kein Projekt! Die Verklärung und die Überhöhung zu einem Projekt, da stürzt man nachher mit ab. Insofern ganz nüchternes Rangehen.
Deutschlandradio Kultur: Aber bleiben wir noch mal bei dieser Sponsoringaffäre und dem Problem mit Jürgen Rüttgers. Wenn er die Sache nicht eindeutig aus dem Feld räumen kann, dann können Sie doch eigentlich nicht mit der CDU zusammenarbeiten.
Reiner Priggen: Also, das muss ich ganz ehrlich sagen, das sehe ich nicht. Ich kann Ihnen versichern: Wenn wir in einer Koalition sind, wird es so was, wie, dass eine Landtagspräsidentin 30.000 Euro nimmt und keine Konsequenzen zieht, nicht geben. Da werden wir schon aufpassen. Aber wenn dem Ministerpräsident nicht nachgewiesen wird, dass er selber davon gewusst hat – da müssen Sie auch Belege finden – dann ist das nicht die Frage. Ich meine, die Alternative ist: Wir können nicht den Ministerpräsidenten der anderen großen Parteien bestimmen. Wir können auch nicht der SPD vorschreiben, wen sie aufstellt.
Deutschlandradio Kultur: Also geht es um die Inhalte. Und wenn man die Inhalte auf landespolitischer Ebene sich mal anschaut, beispielsweise Schulpolitik, dann werden Sie auch da mit der CDU erhebliche Probleme haben, könnten viel eher eigentlich mit der Linken oder mit der SPD gemeinsame Sache machen.
Reiner Priggen: Ja gut, mit der Linken ist das Problem, dass die hier bis jetzt erkennbar nicht in der Realität angekommen ist. Das ist sowieso das Grundphänomen in NRW. Wir haben bei zwei Parteien, deren – sage ich mal – extremste Landesverbände hier in Düsseldorf zu finden sind: Das ist auch die FDP als markradikale Partei. Die sind hier anders als in Baden-Württemberg. Und da sind die Linken, die in Nordrhein-Westfalen noch in der Gründungsphase und – vorsichtig gesagt – ein sehr, sehr wirrer Haufen sind. Wir haben ja alle möglichen kommunalen Koalitionen. Wir hatten gerade erst Kommunalwahl. Da ist nirgendwo eine mit den Linken dabei. Und wenn man mit den Kollegen redet, sagen die einem auch selber, wir können noch nicht in eine Regierung. Sie können aber nicht eine Minderheitenregierung machen. Das ist in Hessen schief gegangen. Das würde ich kategorisch ablehnen. Deswegen reduziert sich einfach die Zahl der Optionen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben es schon angesprochen. Auf Landesebene war das kein Zuckerschlecken, zum Beispiel mit Clement oder mit Steinbrück. Auf kommunaler Ebene machen Sie inzwischen sehr viele schwarz-grüne Koalitionen. Was klappt denn da wirklich nicht mehr mit den Sozialdemokraten?
Reiner Priggen: Na ja, auf kommunaler Ebene, wir haben es gerade noch mal erhoben, 30 rot-grüne Koalitionen, 27 schwarz-grüne. Also, jeweils auch mit der FDP, mal mit den Roten, mal mit den Schwarzen. Das gibt es in allen Facetten. Und das ist auch richtig so, weil die in den Kommunen immer entscheiden müssen, mit wem sie reden und machen können. Und dann muss man das im Einzelfall sehen. Und die Rückmeldungen sind, dass auch die schwarz-grünen Koalitionen vernünftig, zuverlässig laufen, dass da der Umgang miteinander völlig korrekt ist. Dann kann ich allen in den jeweiligen Kommunen da nur viel Erfolg wünschen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie haben den Wunschpartner, die SPD. Auf kommunaler Ebene machen Sie es auch mit der CDU, fast fifty-fifty im Vergleich mit der SPD. Und wo stehen dann die Grünen Inhalte? Wo kann man dieses Alleinstellungsmerkmal der Grünen dann festmachen, wenn Sie sowohl auf der einen, wie auf der anderen Seite gut zusammenarbeiten, wie Sie sagen?
Reiner Priggen: Na, das Alleinstellungsmerkmal der Grünen ist aus meiner Sicht eine klare inhaltliche Linie. Nehmen wir mal die Schulpolitik als Beispiel. Da haben Sie völlig Recht. Wir hätten in der Schulpolitik mehr Gemeinsamkeiten mit den Sozialdemokraten. In der Schulpolitik ist es der Ministerpräsident konkret, der eine gewisse Lebenslüge mit sich rumschleppt, indem er an diesem dreigliedrigen Schulsystem festhält. Wir können aber die Hauptschule nicht retten. Die Eltern wollen sie nicht mehr. Das ist gar keine politische Frage. Wir haben in Dortmund 200 Anmeldungen für 16 Hauptschulen. Da können Sie keine Schulen mehr mit betreiben. Und insofern muss die CDU an der Stelle die Position räumen. Wir haben da auch von vielen Kommunalpolitikern der CDU Zustimmung, weil die genau sagen, wir haben im ländlichen Raum nachher überhaupt keine Schule mehr.
Das ist relativ klar, dass die CDU diese Position nicht halten kann, zumal, wenn Sie sich mal angucken: In Baden-Württemberg, die Position der Handwerkskammer Baden-Württemberg. Mit der könnten wir sofort eine Koalition machen, weil die sehr, sehr vernünftig ist in den Schulfragen. Das ist aber hier in Nordrhein-Westfalen nicht durchzusetzen.
Deutschlandradio Kultur: Aber dann gibt's auch eine ganze Menge Übereinstimmung mit den Linken, wenn ich zum Beispiel an die bessere Ausstattung der Schulen denke, aber eben auch an die Abschaffung der Studiengebühren. Die Linken können Sie aber trotzdem nicht überzeugen?
Reiner Priggen: Nein, die Linke tritt in Nordrhein-Westfalen mit dem Thema „RWE und E.ON verstaatlichen“ an. Ich lasse jetzt mal so Albernheiten weg, wie „Recht auf Rausch“ und so was. Das kann man ja als pittoresk bezeichnen, damit muss man sich nicht ernsthaft mit auseinandersetzen. Aber wenn ich an der Stelle eine energiepolitische Linie ziehe, wo ich sage, „RWE verstaatlichen“, heißt das, 30 Mrd. Euro aufnehmen. Dann gehören uns die Braunkohlekraftwerke. Und dann sollen die kurzfristig stillgelegt werden. Das ist außerhalb jeder Realität. Wir wissen, wie der Haushalt aussieht. Und wenn die Kollegen davon dann auch noch Abstand nehmen, dann bleibt trotzdem für mich die Grundfrage: Es geht nur, wenn sie in die Regierung gehen. Das ist der entscheidende Punkt. Sie müssen das Arbeits- und Sozialministerium übernehmen. Sie müssen auch Kompromisse machen können. Und wenn sie dazu bereit sind, dann reden wir. Ich will das klar sagen. Wir grenzen die nicht aus. Dieser merkwürdige Kurs der SPD, die die eine Woche ausgrenzt und eine Woche wieder sagt, ist möglich, das ist albern. Sondern es gibt Gespräche. Die finde ich auch richtig. Da muss ich auch gar kein Geheimnis drum machen. Aber letztendlich gibt es nur entweder eine Koalition oder gar nichts, keine Tolerierung, wo wir dann montags, dienstags eine Abstimmung haben über Studiengebühren, die die Kollegen mittragen. Und wenn es dann um den Haushalt geht, dann stehen wir alleine da. Das kann man nicht machen.
Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise gab es ja einen Sonderparteitag der Linken in der vergangenen Woche, wo eigentlich auf diesen realpolitischen Kurs stärker zugegangen wurde. Die Linke hat ein Investitionsprogramm vorgelegt. Sie sagen auch, wie sie es finanzieren wollen. Das scheint doch eine Richtung zu sein, mit der Sie eigentlich ganz gut leben müssten?
Reiner Priggen: Na ja, aber wenn Sie sich die Finanzierung angucken, das sind alles Bundessteuern. Da können Sie nichts im Land von machen. Und das heißt dann nur, das müssen die Kollegen auch klar sagen, dass sie – bis wir die Bundessteuern umgesetzt haben – auf diese Punkte auch verzichten. Und nach allem, was ich weiß, ist die Frage der Regierungsbeteiligung da immer noch hoch kritisch. Aber ich hab ja gar kein Problem damit. Wir haben noch zwei Monate Wahlkampf. Wir können die Auseinandersetzung gerne konstruktiv führen. Und wenn nachher bei den Kollegen die Erkenntnis da ist, dass sie bereit sind, in die Regierung zu gehen und mit Ministern, Ministerinnen Verantwortung zu übernehmen, ist die Gesprächsgrundlage eine andere.
Deutschlandradio Kultur: Herr Priggen, Sie haben es kurz angesprochen, die Finanzierung von gewissen Projekten in Nordrhein-Westfalen, was mit den Linken möglicherweise nicht machbar ist, weil es eben Bundesmittel sein müssen. Sie selbst aber fordern auch, oder Ihre Partei, 200.000 neue Jobs im Umwelt- und Sozialbereich. Das können Sie doch auch nicht machen, wenn die kommunalen Kassen leer sind.
Reiner Priggen: Na, wir finanzieren es ja nicht über die kommunalen Kassen. Bei den 200.000 sind alleine 100.000 im Energiebereich aus der Gebäudesanierung. Wenn ich mal ganz klar sagen kann: Das Idiotischste, was doch gemacht worden ist, war in Berlin die Hotel-Mehrwertsteuererleichterung, eine Milliarde Euro. Und gleichzeitig sind die Mittel für Gebäudesanierung um 1,1 Milliarden gekürzt worden. Und Sie werden es erleben in den nächsten Monaten. Bei uns wird das Bauhandwerk wirklich in die Knie gehen, weil die Konjunkturprogramme des Bundes in Richtung Gebäudesanierung für zwei Jahre angelegt sind. Die werden alle auslaufen. Und da die Neubautätigkeit eh rückläufig ist und die Kommunen kein Geld mehr haben, die Bautätigkeit da runter gefahren wird, werden im Bauhandwerk, im Baunebenhandwerken, wirklich Arbeitsplätze verloren gehen. Deswegen ist das eine unserer Grundüberzeugungen.
Und wenn ich Prioritäten nennen kann: Im Energiebereich ist die Gebäudesanierung an allererster Stelle. Und das werden wir machen müssen. Da brauchen wir Additive Mittel, das weiß ich auch, aber die werden wir aufwenden müssen. Wir sind ja immer noch in der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Die ist ja nicht zu Ende, nur weil die da in Berlin immer Kabale und Liebe aufführen. Und wir werden genau in den Bereichen arbeiten müssen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Priggen, Sie sagen, Sie wollen diese Landtagswahl auch zu einer Abstimmung über die Atomkraft machen. Setzen Sie da nicht so ein bisschen aufs falsche Pferd – vor dem Hintergrund, dass gerade eine Sozialstaatsdebatte tobt, wir über Verteilungsgerechtigkeit tagtäglich diskutieren und Sie ziehen das Thema Atomkraft ganz weit noch vorne?
Reiner Priggen: Nein, es ist ein Punkt. Es ist völlig klar. Wir reden über die Sozialstaatsdebatte. Und die Wahl am 9. Mai ist schon eine entscheidende Wahl, ob es eine Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb weiter gibt oder ob sich das an der Stelle verändert. Die Kopfpauschale wird nicht mehr durchsetzbar sein, wenn Schwarz-Gelb hier keine Bundesratsmehrheit mehr hat.
Und die Atomfrage ist nur deswegen interessant, weil ja die Laufzeitverlängerungen im Raum stehen. Und die sind im Bundesrat zustimmungspflichtig. Wenn Schwarz-Gelb hier nicht mehr an der Regierung ist, gibt es im Bundesrat keine Mehrheit mehr für eine Laufzeitverlängerung.
Und dann gibt es noch eine spezielle nordrhein-westfälische Note: Unsere Landesregierung ist dabei, den nächsten Forschungsreaktor in Nordrhein-Westfalen vorzubereiten. Sie hat dafür das Planungsrecht geändert. Und der Minister Pinkwart von der FDP hat ein Forschungsprogramm aufgelegt mit 100 Mio. Euro, unter anderem für nukleare Prozesswärme. Insofern haben wir auch ein Landesinteresse an der Atomfrage, das hier zu beenden. Natürlich spielen bei uns Kohlekraftwerke und andere Fragen eine größere Rolle, aber die Atomfrage ist schon eine wichtige. Es gibt doch viele Menschen, die da drauf achten.
Deutschlandradio Kultur: Also, Sie glauben nicht, dass es ein neues Wahldebakel gibt – so, wie 1990 bei der Bundestagswahl, als die Grünen über das Wetter redeten und alle sprachen über die deutsche Einheit?
Reiner Priggen: Wir werden auch über die Sozialstaatsdebatte reden, über die Kopfpauschale, aber ich glaube, dass es wichtig ist, den Menschen zu sagen, dass mit dieser Wahl unter anderem auch die Frage Laufzeitverlängerung und neue Atomabenteuer in NRW entschieden wird. Wir setzen nicht nur auf ein Thema, dafür sind wir auch als Partei zu breit aufgestellt, aber ich finde das einen wichtigen Aspekt.
Deutschlandradio Kultur: Irgendwie spielen Sie dann auf zwei Spielfeldern. Das eine sind landespolitische Themen. Das andere sind Fragen, die die Bundespolitik betreffen. Ist denn die Wahl in Nordrhein-Westfalen vor allen Dingen auch eine Testwahl für Schwarz-Gelb im Bund?
Reiner Priggen: Natürlich. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen, das merken wir doch alle, ist die einzige Landtagswahl in 2010. Deswegen gibt es ein großes Medieninteresse. Und es ist so, dass es die Wahl ist, die auch ein stückweit bewertet, wie ist die Regierung in Berlin gestartet. Und da muss man doch ganz nüchtern sagen: Ich habe den Start von Rot-Grün 98 erlebt und da haben wir die Hände überm Kopf zusammengeschlagen. Aber dass diese Wunschkoalition, diese Traumkoalition der bürgerlichen Mehrheit, dass die einen derartigen Start hinlegt, einen solchen Dilettantismus, auch in der Sache, das hat niemand erwartet.
Und dass natürlich die Chance richtigerweise am 9. Mai auch ist, die FDP für das Ganze unsägliche Spiel, was sie da veranstalten, auch in der Sozialdebatte, dieses Losgehen auf Leute, die Hartz IV beziehen, und die dann zu Sündenböcken stempeln, dass das auch ein Aspekt ist und dass bei der Frage Kopfpauschale auch darüber abgestimmt wird. Und das muss allen klar sein, natürlich sind da Pläne in der Schublade, die zurückgestellt werden bis zum 9. Mai. Und wenn hier am 9. Mai Schwarz-Gelb bestätigt wird, dann werden wir einige Monate erleben bis zu den Baden-Württemberger Wahlen, bei denen die machen, was sie wollen. Deswegen ist das eine Facette neben landespolitischen Themen. Und ich kann die ja nicht ausblenden.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn Sie dann möglicherweise doch Schwarz-Grün machen könnten, dann wäre das der Hebel, um den Anfang vom Ende dieser schwarz-gelben Koalition im Bund einzuläuten.
Reiner Priggen: Na gut, 2013 ist eine Berliner Baustelle, ist noch hin. Das ist auch nicht mein Arbeitsfeld. Ich bin nun Landespolitiker. Aber wenn es hier eine andere Mehrheit gibt, egal, Große Koalition oder Schwarz-Grün, eine andere wie Schwarz-Gelb, dann wird sicherlich die Atomfrage anders entschieden und dann wird es die Kopfpauschale von Herrn Rösler so nicht geben, dass eine Sekretärin das Gleiche zahlt, wie ein Chefarzt. Insofern ist natürlich das eine starke bundespolitische Komponente.
Und was 2013 in Berlin passiert, muss man doch ganz nüchtern sein, hängt doch auch viel davon ab, ob Oskar Lafontaines Truppe sich neu aufstellt, ob da die, die vernünftiger sind aus dem ostdeutschen Raum, sich anders aufstellen oder ob die weiter nur die Opposition machen und darauf bestehen, dass alle sich erst mal für Hartz IV entschuldigen, bevor es weitergehen kann. Das ist nicht unsere Entscheidung hier.
Deutschlandradio Kultur: Neben den inhaltlichen Fragen interessiert mich jetzt an dieser Stelle doch noch eine Frage nach Ihrem Gefühl. Im Moment sind die Grünen im Aufwind, 15 Prozent im Bund! In Nordrhein-Westfalen bei 11, 12 Prozent. Und Sie sprachen Berlin als Hauptstadt auch schon an. Da könnte es sein, dass sogar eine grüne Kandidatin als Regierende Bürgermeisterin kandidiert. Was ist das eigentlich für Sie für ein Gefühl, im Moment so im Aufwind zu sein?
Reiner Priggen: Also, ich bin ganz nüchtern und ganz vorsichtig. Ich weiß, dass wir beim letzten Mal innerhalb der letzten zwei Monate von den Umfragen her 3,5 Prozent abgegeben haben. Insofern ist das alles noch nicht gelaufen. Es ist noch lange hin. Wenn die Wahl übermorgen wäre, wäre das was anderes, aber in zwei Monaten kann viel passieren. Und bei den ganzen, sage ich mal, Skandalnummern, die zurzeit gelaufen sind, ist das überhaupt noch nicht absehbar für mich. Und dass die Grünen insgesamt einen Rückhalt haben, dass wir auch in Nordrhein-Westfalen in den letzten drei Wahlen jedenfalls deutlich über 10 Prozent lagen, ist einfach schön, hat aber auch damit zu tun, dass es, glaube ich, inhaltlich – wenn ich mir vor allen Dingen mal die FDP angucke – bei uns doch eine klare inhaltliche Linie gibt und auch klare inhaltliche Themen und dass das ein stückweit auch immer noch Leute anspricht.
Deutschlandradio Kultur: Die inhaltliche Linie, die sich aber für Grün insgesamt immer weiter in die Mitte bewegt?
Reiner Priggen: Es gibt immer wieder den Vorwurf, „ihr seid bürgerlicher geworden“. Aber jetzt sage ich auch mal: Ich bin 27 Jahre dabei, wir sind jetzt auch vielfach Leute um die 50, die in Verantwortung sind. Da, wo sie beruflich tätig sind, da sind meine grünen Kollegen Schulleiter, Ärzte, Unternehmen und, und, und. Und dann ist man natürlich ruhiger und gelassener, als wie man es vor 25, 30 Jahren war als Berufsanfänger mit den im Prinzip gleichen Zielen und Ideen. Man ist versierter. Man ist erfahrener. Das merken wir. Und wenn wir bei uns in Aachen, in Köln in den Innenstädten 30, 50 Prozent Stadtteile haben, wo man praktisch eine Mehrheitsmeinung vertritt, dann ist das auch ein stückweit eine andere Verantwortung. Und das ist so. Wir haben sogar ländliche Regionen, das katholische Münsterland, Telgte, da haben die Grünen jetzt 34 Prozent geholt. Da haben wir, glaube ich, fünf Innenstadtbezirke geholt – in so einer typischen, eigentlich schwarzen münsterländischen Kommune. Da ist was passiert. Das ist sehr erfreulich. Aber seien Sie ganz sicher: Wir sind nicht übermütig, sondern das ist auch nur der Erfolg von harter Arbeit. Und genauso wird's weitergehen.
Deutschlandradio Kultur: Aber ein bisschen konservativer sind Sie ja schon geworden, wenn man sich mal anschaut, dass Sie im Saarland mit der CDU regieren, dass Sie es in Hamburg machen und möglicherweise auch in Nordrhein-Westfalen. Da gibt's doch diesen Widerspruch nach wie vor. Sie wollen gerne mit dem Wunschpartner zusammenarbeiten. Und in der Realität sagen Sie da, na ja, wenn der Wunschpartner nicht mit uns gehen kann, weil er zu schwach ist, dann nehmen wir halt einfach die anderen. Das ist doch erklärungsbedürftig.
Reiner Priggen: Aber, ganz ehrlich: Wenn ich mit Sozialdemokraten diskutiere und die sagen dann, „ihr wollt doch wohl nicht mit der CDU!“, dann muss ich doch nur fragen: Und ihr? Wenn wir Mehrheiten haben, bei denen Konstellationen, die man möchte, nicht gehen, Herr Rüttgers möchte gerne mit der FDP weitermachen, das nehmen wir auch nüchtern zur Kenntnis, dann muss ich mich doch nicht ran schleimen. Wir wollen mit der SPD, wenn es geht, die Regierung ablösen. So, jetzt wird gewählt. Und wenn das eine und andere dann nicht geht, müssen die, die Verantwortung übernehmen wollen, gucken, was noch möglich ist. Wir werden Verhandlungen führen. Wenn es geht mit der SPD, ist es gut. Wir werden sie inhaltlich führen – und das wird hart. Wissen Sie, ich mache Energiepolitik, ich hab doch keine Illusionen, dass die Diskussion über den Steinkohlesockel, über Kohlekraftwerke, da kriegen wir von der SPD nichts geschenkt, da kriegen wir von der CDU nichts geschenkt, da müssen wir uns jeden Meter erarbeiten.
Deutschlandradio Kultur: Dann bleiben wir noch mal bei dieser Farbenlehre. Wenn wir sagen, Rot-Rot-Grün würde in Nordrhein-Westfalen für eine Mehrheit reichen, und die Linken sagen, ja, wir machen einen Koalitionsvertrag und wir sind inhaltlich bei euch und machen nicht an jedem einzelnen Punkt das Fass wieder auf, dann ist diese Ausschließeritis, von der Frau Kraft nichts hält, für Sie auch kein Thema?
Reiner Priggen: Nein, wir würden die Gespräche führen. Aber Sie müssten mal die kommunale Realität in Nordrhein-Westfalen angucken. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich meine das nicht hämisch und böse gegenüber den Kollegen von der Linken. Die sind neu. Aber wenn ich mir das angucke, die haben bei uns in Aachen vier Prozent, die haben in 30 Kreisverbänden Schiedsgerichtsverfahren untereinander laufen. Das ist eine Gruppe, die sich erst noch sortiert, die sehr, sehr zerstritten ist. Da sind vernünftige Gewerkschafter dabei, aber da sind auch eine Menge Leute dabei, mit denen können Sie auch in Kommunen nicht arbeiten. Und wir haben das, wenn ich wirklich über das große Land hier gucke und alle Kommunen durchgehe, es gibt keine Koalitionen mit denen. Das heißt, da gibt es keinen Unterbau, der in der Lage ist, Verantwortung, nicht mal mehr in einer Stadt, zu übernehmen. Wenn sich das ändert bei den Kollegen, wissen Sie, ich schließe das nicht aus, für niemals, ich würde es auch im Bund nicht ausschließen. Es ist eine Frage, wie sich Parteien entwickeln und wie sie sich aufstellen. In Nordrhein-Westfalen ist es nur so, ganz nüchtern betrachtet: Ich glaube nicht, dass die es können. Ich glaube auch nicht, dass sie es wirklich wollen. Die merken nur im Moment gerade, wenn sie nicht bereit sind, in die Verantwortung zu gehen, gibt's auch Leute, die sagen, dann doch lieber SPD. Dann ist die Stimme da verschenkt. Und vor genau die Frage muss man die auch stellen.
Deutschlandradio Kultur: Und zum Schluss, Herr Priggen, Hand aufs Herz: Wie sieht's denn tatsächlich aus, wenn es mit den beiden Großen inhaltlich nicht geht? Dann gehen Sie auch in die Opposition und würden im Zweifelsfall eine Große Koalition in Düsseldorf hinnehmen?
Reiner Priggen: Wenn es nicht geht, weil man sich in den Inhalten nicht verständigt, dann kann man eine Koalition nicht machen. Wir sind da, ehrlich gesagt, etwas gelassener. Wir mussten beim ersten Mal Rot-Grün beweisen, dass es geht. Wir müssen jetzt nix mehr beweisen. Wir können es inhaltlich machen, aber wir werden nicht zum Nulltarif zu bekommen sein. Und wenn es dann inhaltlich wirklich nicht geht, dann müssen die anderen beiden das zusammen machen. Ich glaube sowieso, dass es im Hintergrund sehr stark schon darauf hinausläuft. Und damit ist für andere Regionen nichts vertan. Berlin wird in Berlin entschieden. Da wird das 2013 gemacht. Wir machen unsere Arbeit hier in Nordrhein-Westfalen. Und da sind die Dinge zum Glück ja noch ein bisschen im Fluss.