NPD-Verbot

"Eine Demokratie muss nicht warten, bis sie abgeschafft wird"

03.12.2013
Der SPD-Politiker Ralf Jäger ist optimistisch, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD verbietet. Der Bundesrat will einen entsprechenden Antrag in Karlsruhe einreichen.
Nana Brink: Wahrscheinlich ist es nicht übertrieben, es das derzeit heikelste innenpolitische Unterfangen zu nennen, das Verfahren für ein Verbot der NPD. Vor gut zehn Jahren scheiterte ja der damalige Innenminister Otto Schily beim Bundesverfassungsgericht, weil die NPD von V-Leuten des Verfassungsschutzes unterwandert war. Nun also der zweite Anlauf.
Heute will der Bundesrat, also die Kammer der Länder, einen Verbotsantrag in Karlsruhe einreichen. Ralf Jäger ist SPD-Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen, Herr Jäger!
Ralf Jäger: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
Brink: Was macht Sie denn so optimistisch, dass es diesmal klappt?
Jäger: Weil wir sehr viel sorgfältiger das Ganze vorbereitet haben. Seit März letzten Jahres gibt es in den Führungsgremien der NPD keine Quellen mehr. Und wir haben darauf geachtet, dass wir nur Material zusammengetragen haben, das dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt wird, das in der Tat auch quellenfrei ist, sodass eine wesentliche Hürde, damit das Verfahren überhaupt aufgenommen werden kann, erfüllt ist.
Brink: Die NPD hat ja heute kaum mehr als 5000 Mitglieder. Bei den letzten Bundestagswahlen lag sie bei, na ja, 1,3 Prozent, ist innerlich zerstritten; nur Erfolge isoliert in einigen Landstrichen. Ausgerechnet die Schwäche der NPD kann jetzt ein Argument gegen ein Verbot sein. Warum also der ganze Aufwand?
"Die NSDAP hat mit Mitteln der Demokratie die Demokratie beseitigt"
Jäger: Versetzen Sie sich bitte mal in die Lage, Sie wohnen in Sachsen-Anhalt oder in Mecklenburg-Vorpommern, Sie sehen anders aus wie der deutsche Durchschnittsbürger, denken politisch vielleicht anders – dann werden Sie feststellen, dass diese NPD tatsächlich eine Gefahr für unsere Demokratie ist. Gerade in Ostdeutschland versucht sie, in die Mitte der Gesellschaft vorzurücken. Sie will Kindergärten betreiben, Jugendtreffs.
Ich finde, eine Demokratie muss nicht warten, bis sie abgeschafft wird. Das war der historische Fehler, der dem Nationalsozialismus den Weg geebnet hat. Ich finde, es ist wert, wenn eine Verfassung dies vorsieht, einen solchen Versuch eines Verbots zu unternehmen.
Brink: Ja, aber bei einem Prozent liegt doch nicht wirklich eine Gefährdung vor für die Verfassung?
Jäger: Ja, ich finde - 1933 ist das beste Beispiel. Die NSDAP hat mit den Mitteln der Demokratie die Demokratie beseitigt. Und das ist die historische Lehre. Deshalb haben unsere Verfassungsväter und -mütter die Verfassung so geschrieben, dass eine Partei, die verfassungswidrig ist, verboten werden kann. Und mir oder uns geht es als Länder darum, Rechtsklarheit zu bekommen.
Gehen wir gegen diese Form des Rechtsextremismus möglicherweise auch mit einem Verbot vor oder lassen wir es von vornherein als Demokratie. Eine solche Entscheidung ist in Deutschland seit 30 Jahren nicht getroffen worden. Ich finde, es ist Zeit, dass wir jetzt mal diese Verfassung, diesen Verfassungsartikel in der Tat auch mal anwenden.
Brink: Bietet so ein Verbotsverfahren den Rechtsextremen nicht dann auch eine Bühne, was ja nicht in Ihrem Interesse ist?
Jäger: Ich finde, eine noch größere Bühne wäre der mangelnde Mut einer Demokratie, verfassungsrechtliche Vorgaben nicht zu nutzen. Wir können nicht seit zwei Jahrzehnten über ein mögliches Verbot der NPD reden und dann uns aber nicht trauen. Die Häme, die damit verbunden ist schon seit 20 Jahren, dass diese Rechtsextremen sagen, seht her, der Staat ist gar nicht in der Lage, gegen uns vorzugehen, das alleine ist schon, glaube ich, Antrieb und Motivation genug, dieses Verfahren zu betreiben.
Brink: Das sehen aber anscheinend nicht alle so. Bei den Koalitionsverhandlungen hat sich ja die SPD dafür ausgesprochen, dass sich eine schwarz-rote Bundesregierung dem Antrag der Länder anschließt.
Vor einem Jahr sagten Sie, Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag müssen mit einer Stimme sprechen. Allein die jetzige Bundesregierung ist ja mehr als skeptisch, und ich zitiere mal den amtierenden Innenminister: "Die sollen mal schön allein verlieren." Wo also ist denn jetzt die gemeinsame Stimme?
Jäger: Derselbe Innenminister hat aber auch vor einem Jahr gesagt, die Chancen sind größer als die Risiken. Ich hätte mich darüber gefreut, wenn die beiden weiteren Verfassungsorgane, die einen solchen Antrag stellen können, mitgemacht hätten. Ohne Zweifel wäre es auch besser gewesen.
Ich finde, es ist für die Demokratie nicht unbedingt eine Visitenkarte, wenn die drei Organe sich da nicht einig sind. Aber ich war an dem Teil der Koalitionsverhandlungen selbst beteiligt. Wir sind auch sehr schnell übereingekommen.
Der jetzt späte Beitritt in das Verfahren hätte es weiter hinausgezögert. Noch einmal selbst Sachverständige zu bestellen, selbst noch mal einen Antrag zu formulieren, das alles hätte das Ganze verzögert, deshalb kamen wir sehr schnell zu der Auffassung, wir machen es jetzt als Bundesrat, und hoffentlich erfolgreich.
"Dann haben wir Klarheit"
Brink: Man muss ja auch immer noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Blick haben, der ja sehr strikte Regeln hat, auch noch ein Wörtchen mitzureden hat und Parteien eigentlich nur bei dringender Notwendigkeit verbietet.
Jäger: Ja, das Referenzurteil, was da immer herangezogen wird, bezieht sich allerdings nicht auf eine Partei, sondern auf einen Verein. Gleichwohl, ich teile natürlich Ihre Auffassung, der Europäische Gerichtshof wird sich auch mit dieser Frage beschäftigen. Aber ich glaube, dass das bundesdeutsche Verfassungsgericht souverän und selbstbewusst genug ist, auf Grundlage unserer eigenen deutschen Verfassung hier ein Urteil zu fällen.
Brink: Was passiert denn, wenn der Verbotsantrag in Karlsruhe scheitert?
Jäger: Dann haben wir Klarheit. Dann wissen wir, dass wir Rechtsextremismus ausschließlich ohne die Mittel des Verbots bekämpfen müssen, was übrigens – das eine ersetzt nicht das andere …
Brink: Ich wollte gerade sagen, das können Sie doch jetzt auch schon tun.
Jäger: Das tun wir auch. Das tun wir auch, wie ich finde, in außerordentlich guter Weise. Aber leider - dass wir jedes Jahr Wahlkampfkostenerstattung an die NPD überweisen als Rechtsstaat und somit der Schuster sind, der immer die Springerstiefel besohlt - allein dieser Umstand ist so ärgerlich, dass wir versuchen sollten, dieses Verbotsverfahren voranzutreiben.
Brink: Aber was - gut, das haben Sie getan. Aber was passiert denn wirklich, wenn er scheitert?
Jäger: Das ist kein Desaster aus meiner Sicht. Dann haben wir Rechtsklarheit. Dann wissen wir, dass der Artikel 21, der unsere Verfassung, nicht anwendbar oder höchst schwierig anwendbar ist und auf das Mittel des Verbotes nicht zurückgegriffen werden kann. Das wäre, ich glaube, zwar nicht gut, aber kein Rückschlag.
Brink: Ralf Jäger, SPD-Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Schönen Dank, Herr Jäger, für das Gespräch!
Jäger: Ich hab' zu danken! Schönen Tag noch!
Brink: Und heute reicht der Bundesrat einen Verbotsantrag für die NPD beim Verfassungsgericht ein.
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