Novizen über ihren Weg zum Priesteramt

"Eine innere Wärme, die mein Leben verändert hat"

07:28 Minuten
Junger Priester mit geschlossenen Augen, in den Händen einen Rosenkranz.
Ein Novize, vertieft im Gebet: Thomas Kaiser und Dominik Żyła berichten, sie hätten Gottes Gegenwart gespürt. Das habe sie auf den Weg zum Priesterberuf gebracht. © imago / Panthermedia
Von Josefine Janert · 19.07.2020
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Was bewegt einen jungen Mann heute dazu, Priester zu werden? Obwohl die Kirchen an Gefolgschaft verlieren, entscheiden sich weiter Menschen dafür, ihr Leben voll und ganz Gott zu widmen. Zwei frisch geweihte katholische Priester erzählen ihre Geschichte.
Vor etwa 60 Jahren gab es noch mehr als 500 katholische Neupriester pro Jahr in Deutschland, heute sind es nur noch gut 50. Die Kirchen werden immer leerer und die Pfarrhäuser ebenso. Dennoch fühlen sich immer noch einige Menschen zum Priesteramt berufen.

Gottes Gegenwart gespürt

"Ich hab lange überlegt", sagt der frisch geweihte Priester Thomas Kaiser. "Hatte im Kirchenmusik-Studium eine Freundin und wollte aber immer Mönch werden. Durch die starke Erfahrung, dass Gott da ist, dass ich seine Gegenwart für kurze Augenblicke in meinem Leben spüren konnte."
Kaiser bereitet sich darauf vor, in der Sankt-Nikolaus-Gemeinde in Berlin-Reinickendorf die Sonntagsmesse zu feiern. Er ist bärtig und schlank, ein zurückhaltender Mann von 39 Jahren. "Natürlich bin ich aufgeregt, ein bisschen Lampenfieber", sagt Kaiser. "Der Ablauf der Messe, das Messbuch, dass ich die richtigen Seiten finde, dass ich die richtigen Worte finde, dass ich eine klare und starke Stimme habe, dass ich nicht so ängstlich bin, ja, diese Angst oder Aufgeregtheit gibt es immer noch."

Entscheidung in der Lebensmitte

Thomas Kaiser ist einer von fünf Männern, die im Juni im Erzbistum Berlin zu Priestern geweiht wurden. Früher entschieden sich viele Männer gleich nach der Schule für diesen Weg. Heute tun sie das erst in ihren Dreißigern oder Vierzigern – so wie Kaiser, der aus Torgelow in Vorpommern stammt.
Thomas Kaiser, mit Vollbart und Brille, in schwarzer Robe, steht vor einer Wand aus roten Ziegeln
Es geht um etwas jenseits dieser Welt: Thomas Kaiser© Deutschlandradio / Josefine Janert
Seine Mutter ist evangelisch, aber zu DDR-Zeiten sei sie wegen ihrer Tätigkeit in einem Kindergarten dazu gezwungen worden, ihren Glauben zu verleugnen, erzählt er. Es muss 1988 gewesen sein, als Thomas Kaiser ein seltsames Erlebnis hatte. Während eines Regenschauers führte sein Schulgartenlehrer die Klasse ins Trockene.
"Und er hat einfach aus einer Kinderbibel vorgelesen. Das war im Nachhinein, wenn ich mich erinnere, unvorstellbar, dass ein DDR-Lehrer mitten im Unterricht aus der Bibel vorliest, an einer Schule, wo wir nachmittags in die Biografie von Lenin und Karl Marx eingeführt wurden. Und diese Geschichten, die er vorgelesen hat, die sind immer noch tief in meinem Gedächtnis."

Schlüsselerlebnis im Männerorden

Als junger Mann findet Thomas Kaiser Anschluss an den Gospelchor der evangelischen Gemeinde. Mit zwanzig Jahren lässt er sich evangelisch taufen – und fährt nach Frankreich, um den ökumenischen Männerorden von Taizé kennen zu lernen.
"Da hatte ich diesen Moment der Gotteserfahrung, wo ich für einen ganz kurzen Augenblick eine Liebe oder eine innere Wärme gespürt habe, die mein Leben verändert hat. Ich bin als anderer Mensch wieder zurückgekehrt. Mit der Gewissheit, dass es irgendwas ist, was jenseits dieser Welt ist, was ich mit meinem Verstand nicht begreifen kann. Als ich aus Taizé zurückkam, habe ich in meiner evangelischen Gemeinde in Torgelow irgendetwas vermisst. Irgendwas hat gefehlt, irgendwas war anders."
Wie gegenwärtig ist Gott? Wie begegnen wir ihm? Diese Frage bewegt Thomas Kaiser. Als Kirchenmusik-Student in Greifswald lernt er die katholische Gemeinde kennen und meinte, dort die richtige Antwort zu finden. 2007 tritt er zum Katholizismus über und beschließt, Priester zu werden. Er studiert Theologie in Bamberg und Erfurt.

Wut und Trauer über Missbrauch in der Kirche

Dass die katholische Kirche jetzt in der Kritik steht, damit habe er sich immer wieder auseinandergesetzt, sagt Kaiser.
Er kenne sogar persönlich Menschen, die von Geistlichen missbraucht wurden: "Und das macht mich ehrlich wütend oder traurig, dass nicht nur Familienmitglieder Täter sind, sondern auch in der Kirche die Priester. Diese Gespräche nehmen mich sehr mit. Und ich spüre selbst in mir die Ohnmacht, die da ist."
Trotzdem glaubt Thomas Kaiser, in der katholischen Kirche den richtigen Platz für sich gefunden zu haben. Er lebt allein in einer Wohnung im Norden Berlins. Auch als Priester führt er ein modernes Leben, verabredet sich mit Freunden zum Joggen, geht gern radeln und auch mal in ein Konzert der Heavy-Metal-Band Iron Maiden. Ab und an trifft er sich mit Dominik Żyła, der im Juni ebenfalls zum Priester geweiht wurde.

Kirche als Ort der deutsch-polnischen Aussöhnung

Żyła ist im Berliner Süden tätig. Zu seiner Herz-Jesu-Gemeinde gehören Menschen aus Polen, Italien, Portugal und mehreren afrikanischen Ländern. Diese Vielfalt trägt dazu bei, dass er sich willkommen fühlt, trotz der schwierigen Geschichte, die sein Heimatland Polen mit Deutschland hat.
Dominik Żyła steht lächelnd in schwarzer Robe vor einer Mauer aus roten Ziegeln.
Im liberalen Leben hat etwas gefehlt: Dominik Żyła© Deutschlandradio / Josefine Janert
"Ich komme zurecht mit Deutschen", sagt Żyła. "Ich habe da keine Vorurteile, weil – das sind Sachen, die sind nicht jetzt passiert, sondern das ist Vergangenheit. Aber es fehlt ein bisschen Kenntnis der polnischen Geschichte in Deutschland. Was im Zweiten Weltkrieg in Polen passiert ist, davon weiß man in Deutschland weiß wenig."

"Alkohol, Drogen und Sex haben mich von Gott getrennt"

Schon mit neun Jahren hatte Dominik Żyła darüber nachgedacht, Priester zu werden. Doch damals erschien ihm das abwegig. "Ich habe gesagt: Nein, das ist zu schwierig. Das ist verrückt. Das versteht keiner, ja? Deswegen wollte ich mein eigenes Leben schaffen, alles organisieren: Familie, ein Haus, eine Arbeit", berichtet er.
"Ja, ich habe das alles nicht erreicht. Dank sei Gott dem Herrn!", fährt Żyła fort. "In Alkohol, Drogen, Sexualität bin ich eingetreten. Und das Ganze hat mich von Gott getrennt. Aber Gott war treu zu dieser Berufung. Und heute kann ich sagen, dass genau das, was ich nicht machen wollte, mich heute zufrieden macht."
Im Jahr 2007 gibt Dominik Żyła seinen Job im Hafen seiner Heimatstadt Swinemünde auf. Er beginnt den langen Weg zur Priesterweihe. Rückhalt gibt ihm eine Bewegung innerhalb der katholischen Kirche, die sich Neokatechumenaler Weg nennt. Die Mitglieder wollen ihre Glaubenserfahrungen mit anderen teilen und sie so für die Kirche gewinnen. Auch jetzt, nach der Weihe, trifft sich Żyła weiter mit Gleichgesinnten.

Inneres Glück durch Halt im Glauben

"Katechumenat, das war in der Urkirche eine Zeit der Vorbereitung für die Taufe", erklärt Żyła, "zu wissen, warum ich getauft werde, auch, was ich verlassen muss, um getauft zu werden, um ein neues Leben zu starten."
In einem Jahr wird Dominik Żyła seine Zehlendorfer Gemeinde planmäßig verlassen. Der Erzbischof versetzt ihn vermutlich in einen Ort außerhalb Berlins, wo die Menschen noch weniger mit der Kirche zu tun haben wollen.
Angst habe er davor nicht, sagt Żyła: "Ich war neun, als ich angefangen habe, mich von Gott zu trennen, und mit 24 bin ich dann zurück zur Kirche. Ich habe das alles ausprobiert und gesehen, ganz liberal gelebt. Ich habe gesehen: Das bringt kein Glück, das bringt nichts. Das bringt eine Leere, eine innere Leere, die zu einer Traurigkeit führt, zum Nichts führt. Und im Gegenteil, Gott gibt diese Erfüllung, ja, dieses Glück, dieses innere Glück."
Thomas Kaiser und Dominik Żyła – zwei Männer mit ungewöhnlichem Lebenslauf treffen auf eine Kirche im Umbruch.
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