Notwendigkeit der Kunst
Hat sich der Blick der Europäer auf die Afrikaner seit Frantz Fanons Essay "Schwarze Haut, weiße Masken" aus dem Jahr 1952 verändert? Überprüfen lässt sich das beim Tanz-Festival "Border Border Express" im Berliner Theater "Hebbel am Ufer".
Ob das Schleudern der Arme, Wippen des Oberkörpers oder die Sprünge tief aus der Mitte des Körpers – es ist die Wucht, die beeindruckt, wenn die vier Tänzer der Compagnie Baninga aufeinander treffen. Wut, Zartgefühl und Körperbeherrschung vereinen sie in ihrem Tanz, in dem afrikanische und europäische Elemente von Bewegung und Choreographie aufeinander treffen.
Rollende Schultern und geschüttelte Torsi kombinieren sich mit heftigen Flugbewegungen und hohen Sprüngen. Leise Zuckungen treffen auf Revolutionsgesten wie gereckte Fäuste. Die Eröffnungsproduktion des ‚Border Border Express’-Festivals stammt von dem jungen kongolesischen Choreographen Delavallet Bidiefono und vermittelt das Lebensgefühl der Jugendlichen, die im Bürgerkriegs-Kongo aufgewachsen sind, sich aber trotz aller negativen Erfahrungen nicht unterkriegen lassen.
"Das Stück erzählt unsere eigene Geschichte; den Beginn des zeitgenössischen Tanzes, wie schwierig es war, die Notwendigkeit zu erkennen und anzufangen auf diese Weise zu tanzen. Es handelt von unseren Problemen, dass man am Anfang vom Morgen bis zum Abend arbeiten musste, um etwas zu verdienen und sich etwas zu essen kaufen zu können. Aber auch davon, wie wir mit einigen Freunden zusammen gesessen und beschlossen haben, etwas auf die Beine zu stellen, was den Leuten Hoffnung geben könnte. Wir leben in einem Land, in dem es keine Bibliotheken, kein Kino, kein Theater gibt – in so einem Land müssen wir den Menschen Hoffnungen bringen, ganz besonders den jungen Menschen."
Delavallet Bidiefono nennt sein Stück ‚Empreintes/On posera Les Mots après’, also: ‚Abdrücke/Worte kommen später’ und tatsächlich spürt man in der offensiven Vehemenz, der Unnachgiebigkeit des Tanzes und der hervorragenden Tänzer (übrigens alles Autodidakten!) nicht nur Willen und Lust, sondern eine wirkliche Notwendigkeit der Kunst.
Choreographisch zeigt sich hier aber noch etwas anderes, nämlich dass afrikanischer und europäischer Tanz mehr gemeinsam haben, als man denkt: zum Beispiel die ständige Repetition und leichte Variation einer Bewegungseinheit, die sich hier durch die expressive, extrem energetische Choreographie zieht – das ist genauso Element traditioneller afrikanischer Tänze wie Stilmittel im zeitgenössischen Tanz Europas. Aus europäischer Sicht ist die Produktion also auf frappierende Weise ‚zeitgenössisch’ – eine Kategorie, die dem Choreographen, der ausschließlich vom französischen Kulturinstitut und im Ausland gefördert wird, in seinem eigenen Land allerdings eher Probleme bereitet.
"Verantwortliche der Regierung haben mir gesagt: ‚Was du machst, Delavallet, ist nicht für uns, für uns Kongoleser; was du machst, ist Tanz für die Weißen, also geh nach Europa und tanze für die Weißen!’ Was Politiker im Kongo von Tänzern erwarten, ist natürlich traditioneller Tanz. Zum Beispiel, wenn der Präsident des Landes auf dem Flughafen in Brazzaville ankommt, stehen dort Tänzer zu seinem Empfang und tanzen auf traditionelle Weise in traditionellen Kostümen für ihn – für nicht einmal zwei Euro pro Person. Das ist das, was sie von den Tänzern des Landes wollen. Im Kongo zeitgenössischen Tanz zu praktizieren, ist ein doppelter Kampf: einmal muss man darum kämpfen, genug Geld zu verdienen, um zu überleben und die Familie zu ernähren mit dieser Art von Arbeit. Und darüber hinaus muss man sich gegen die Regierung zur Wehr setzen."
Über diese problematischen Lebens- und Arbeitsbedingungen für Tänzer und Choreographen in Kongo-Brazzaville hätte sicher auch das engagierte Publikum des kleinen Border-Border-Express-Festivals gerne etwas erfahren – doch die Vermittlung von Hintergründen und Kontexten fehlte gänzlich. Schade, denn eigentlich hätte man über all die Arbeiten, die man im zwar schmalen, aber gut kuratierten Programm zu sehen bekam, angeregt diskutieren können.
Zum Beispiel über die Produktion des kenianischen Choreographen Opiyo Okach (Okasch), der in seinem Solo ‚Border Border Express’ zur Musik von Alejandro Olarte auf derart elegante, stille Weise improvisierte, dass man aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Über den Hintergrund des Stücks, das sich auf den kleinen Grenz- und Warenverkehr zwischen Kenia und Uganda bezieht – hätte man gerne mehr gewusst.
Ebenso wie über die südafrikanische Performerin Nelisiwe Xabas, die zwei Soli zeigte – und sich dabei an der so genannten Hottentotten-Venus’ orientierte, die im frühen 19. Jahrhundert von einem englischen Schiffsarzt nach London gebracht und dort als Kuriositäten-Objekt zur Schau gestellt wurde.
Xabas provoziert den ungläubig-amüsierten Blick des Europäers auf die ausgeprägten Geschlechtsmerkmale der Afrikanerin ein weiteres Mal: dank eines raffinierten weißen Stoffgebildes kreiert sie sich aufgequollene Brüste und einen riesigen Hintern aus Luft, verschwindet als aufreizender Schattenriss hinter einer Stoffbahn und zeigt in ihrem Illusionstheater mit aufragenden nackten Beinen oder geschwenkten Hüften die schwarze Frau als ewiges Sex- und Erniedrigungsobjekt. Ganz zum Schluss, als sie im zweiten Solo nach all den traurigen Reiz- und Verführungsgesten als aggressive Putzfrau einen letzten verächtlichen Blick ins Publikum wirft, spürt man ihre wütende Kraft.
Und das ist es vielleicht, was als Eindruck unter anderem von der Erstausgabe dieses kleinen Festival bleiben wird: dass es neben der Grandezza bekannter afrikanischer Tänzer und Choreographen wie Salia Sanou aus Burkina Faso und Opiyo Okach aus Kenia eine junge Generation gibt, die voller Selbstbewusstsein offensiv nach eigenen Formen sucht, sich gleichermaßen bei afrikanischen wie europäischen oder anglo-amerikanischen Traditionen bedient, technisch alles mühelos zusammenbringt und ihren Tanz radikal in den Dienst des eigenen Lebens stellt.
Weitere Informationen im Internet:
Tanz-Festival "Border Border Express" im HAU
Rollende Schultern und geschüttelte Torsi kombinieren sich mit heftigen Flugbewegungen und hohen Sprüngen. Leise Zuckungen treffen auf Revolutionsgesten wie gereckte Fäuste. Die Eröffnungsproduktion des ‚Border Border Express’-Festivals stammt von dem jungen kongolesischen Choreographen Delavallet Bidiefono und vermittelt das Lebensgefühl der Jugendlichen, die im Bürgerkriegs-Kongo aufgewachsen sind, sich aber trotz aller negativen Erfahrungen nicht unterkriegen lassen.
"Das Stück erzählt unsere eigene Geschichte; den Beginn des zeitgenössischen Tanzes, wie schwierig es war, die Notwendigkeit zu erkennen und anzufangen auf diese Weise zu tanzen. Es handelt von unseren Problemen, dass man am Anfang vom Morgen bis zum Abend arbeiten musste, um etwas zu verdienen und sich etwas zu essen kaufen zu können. Aber auch davon, wie wir mit einigen Freunden zusammen gesessen und beschlossen haben, etwas auf die Beine zu stellen, was den Leuten Hoffnung geben könnte. Wir leben in einem Land, in dem es keine Bibliotheken, kein Kino, kein Theater gibt – in so einem Land müssen wir den Menschen Hoffnungen bringen, ganz besonders den jungen Menschen."
Delavallet Bidiefono nennt sein Stück ‚Empreintes/On posera Les Mots après’, also: ‚Abdrücke/Worte kommen später’ und tatsächlich spürt man in der offensiven Vehemenz, der Unnachgiebigkeit des Tanzes und der hervorragenden Tänzer (übrigens alles Autodidakten!) nicht nur Willen und Lust, sondern eine wirkliche Notwendigkeit der Kunst.
Choreographisch zeigt sich hier aber noch etwas anderes, nämlich dass afrikanischer und europäischer Tanz mehr gemeinsam haben, als man denkt: zum Beispiel die ständige Repetition und leichte Variation einer Bewegungseinheit, die sich hier durch die expressive, extrem energetische Choreographie zieht – das ist genauso Element traditioneller afrikanischer Tänze wie Stilmittel im zeitgenössischen Tanz Europas. Aus europäischer Sicht ist die Produktion also auf frappierende Weise ‚zeitgenössisch’ – eine Kategorie, die dem Choreographen, der ausschließlich vom französischen Kulturinstitut und im Ausland gefördert wird, in seinem eigenen Land allerdings eher Probleme bereitet.
"Verantwortliche der Regierung haben mir gesagt: ‚Was du machst, Delavallet, ist nicht für uns, für uns Kongoleser; was du machst, ist Tanz für die Weißen, also geh nach Europa und tanze für die Weißen!’ Was Politiker im Kongo von Tänzern erwarten, ist natürlich traditioneller Tanz. Zum Beispiel, wenn der Präsident des Landes auf dem Flughafen in Brazzaville ankommt, stehen dort Tänzer zu seinem Empfang und tanzen auf traditionelle Weise in traditionellen Kostümen für ihn – für nicht einmal zwei Euro pro Person. Das ist das, was sie von den Tänzern des Landes wollen. Im Kongo zeitgenössischen Tanz zu praktizieren, ist ein doppelter Kampf: einmal muss man darum kämpfen, genug Geld zu verdienen, um zu überleben und die Familie zu ernähren mit dieser Art von Arbeit. Und darüber hinaus muss man sich gegen die Regierung zur Wehr setzen."
Über diese problematischen Lebens- und Arbeitsbedingungen für Tänzer und Choreographen in Kongo-Brazzaville hätte sicher auch das engagierte Publikum des kleinen Border-Border-Express-Festivals gerne etwas erfahren – doch die Vermittlung von Hintergründen und Kontexten fehlte gänzlich. Schade, denn eigentlich hätte man über all die Arbeiten, die man im zwar schmalen, aber gut kuratierten Programm zu sehen bekam, angeregt diskutieren können.
Zum Beispiel über die Produktion des kenianischen Choreographen Opiyo Okach (Okasch), der in seinem Solo ‚Border Border Express’ zur Musik von Alejandro Olarte auf derart elegante, stille Weise improvisierte, dass man aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Über den Hintergrund des Stücks, das sich auf den kleinen Grenz- und Warenverkehr zwischen Kenia und Uganda bezieht – hätte man gerne mehr gewusst.
Ebenso wie über die südafrikanische Performerin Nelisiwe Xabas, die zwei Soli zeigte – und sich dabei an der so genannten Hottentotten-Venus’ orientierte, die im frühen 19. Jahrhundert von einem englischen Schiffsarzt nach London gebracht und dort als Kuriositäten-Objekt zur Schau gestellt wurde.
Xabas provoziert den ungläubig-amüsierten Blick des Europäers auf die ausgeprägten Geschlechtsmerkmale der Afrikanerin ein weiteres Mal: dank eines raffinierten weißen Stoffgebildes kreiert sie sich aufgequollene Brüste und einen riesigen Hintern aus Luft, verschwindet als aufreizender Schattenriss hinter einer Stoffbahn und zeigt in ihrem Illusionstheater mit aufragenden nackten Beinen oder geschwenkten Hüften die schwarze Frau als ewiges Sex- und Erniedrigungsobjekt. Ganz zum Schluss, als sie im zweiten Solo nach all den traurigen Reiz- und Verführungsgesten als aggressive Putzfrau einen letzten verächtlichen Blick ins Publikum wirft, spürt man ihre wütende Kraft.
Und das ist es vielleicht, was als Eindruck unter anderem von der Erstausgabe dieses kleinen Festival bleiben wird: dass es neben der Grandezza bekannter afrikanischer Tänzer und Choreographen wie Salia Sanou aus Burkina Faso und Opiyo Okach aus Kenia eine junge Generation gibt, die voller Selbstbewusstsein offensiv nach eigenen Formen sucht, sich gleichermaßen bei afrikanischen wie europäischen oder anglo-amerikanischen Traditionen bedient, technisch alles mühelos zusammenbringt und ihren Tanz radikal in den Dienst des eigenen Lebens stellt.
Weitere Informationen im Internet:
Tanz-Festival "Border Border Express" im HAU