Wiederaufbau von Notre-Dame

Den Originalzustand gibt es nicht

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Historische Aufnahme des Innenraums von Notre-Dame in Paris, ca. 1850 - 1900.
Einmal so, immer so? An der Neugestaltung des Innenraums von Notre-Dame scheiden sich die Geister. © Getty Images / Sepia Times / Universal Images Group
Christian Demand im Gespräch mit Jana Münkel · 08.12.2021
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Streit um die Rekonstruktion der bei einem Brand 2019 schwer beschädigten Kathedrale von Notre-Dame: Muss in den Innenräumen alles wieder originalgetreu aufgebaut werden? Der Kunsthistoriker Christian Demand findet diese Forderung absurd.
Mobile Bänke mit integrierten Lämpchen, ein neuer Haupteingang, zeitgenössische Fenster: Einiges von den Plänen der Diözese zur Neugestaltung des Innenraums der Kathedrale Notre-Dame in Paris war bereits vor der offiziellen Vorstellung der Pläne durchgesickert.
Die Aufregung war groß – wie meistens, wenn es um die Rekonstruktion oder den Wiederaufbau eines historischen Gebäudes geht, so ja auch beim Berliner Stadtschloss oder bei der Dresdner Frauenkirche. Da stehen sich dann regelmäßig zwei Fraktionen gegenüber: Die einen wollen nur eine Wiederherstellung des Originalzustandes zulassen, die anderen wünschen sich eine Modernisierung.

Was ist das Original?

Doch was soll dieser Originalzustand eigentlich sein? Das fragt der Kunsthistoriker und Kulturphilosoph Christian Demand. Gerade bei Kathedralen sei er nur eine Fiktion, denn diese seien oft über Jahrhunderte hinweg gebaut und immer wieder umgestaltet worden.
Notre-Dame Kathedrale Paris. Dachstuhl des nördlichen Turms 2013.
Der historische Dachstuhl von Notre-Dame wurde 2019 Opfer der Flammen.© imago / Darrault / Andia
Notre-Dame etwa sei im 19. Jahrhundert von Viollet-Le-Duc „heftig umgebaut“ worden. „Auch das ist nicht original“, unterstreicht Demand. „Wir müssen sehen, dass sich das ständig verändert hat." Deswegen sie die Position, das "Original" behalten zu wollen, "vollkommen aberwitzig“.

Berliner Stadtschloss: "wie aus Speckstein"

Intuitiv sei er eigentlich gegen rekonstruktive Eingriffe eingestellt, meint Demand. Letztlich könne diese Frage aber immer nur im konkreten Fall entschieden werden.
Ein gelungenes Beispiel für eine Rekonstruktion ist für ihn etwa die der Dresdner Frauenkirche, die „großartig“ sei.  „Schon weniger lustig finde ich, dass drumherum jetzt ein barockes Dresden entsteht, das den Brandschutzbestimmungen des Jahres 2020 entspricht und deswegen andere Geschosshöhen hat.“
Geradezu „grauenvoll“ findet der Kunsthistoriker das wiederaufgebaute Berliner Stadtschloss: „Es ist wie aus dem Katalog, wie aus Speckstein geschnitten.“

Christian Demand ist Kunsthistoriker und Kulturphilosoph. Seit 2012 ist er Herausgeber der Zeitschrift „Merkur“.

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