Not im Nachkriegsdeutschland

Von Wolf Sören Treusch |
Deutschland im Sommer 1945: die "Stunde Null". Der Krieg ist aus, das Land besetzt, geteilt und in jeder Hinsicht ruiniert: moralisch, politisch, wirtschaftlich. Die Städte liegen in Trümmern, die Fabriken sind kaputt, die Einkaufsläden sind leer: mit den Lebensmittelkarten kann man nicht einmal die nötigsten Dinge kaufen. Die Deutschen hungern - ein Zustand, den sie aus sechs Jahren Kriegserfahrung gar nicht kennen.
"Die Bäume waren so grün und der Himmel so blau wie niemals wieder, als der Krieg zu Ende ging. "

Schreibt die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms.

"Der Apfelbaum blühte, und die Milchkannen klapperten, und in der Küche wurde Essen gekocht. Dieser Fraß. Alle waren mager. Alle hatten Hungeraugen, und wo es nach Essen roch, war die Mitte der Welt. "

Deutschland 1945 - in manchen Regionen betragen die Lebensmittelrationen weniger als 1000 Kalorien am Tag. In Leipzig stirbt jedes sechste neugeborene Kind im ersten Lebensjahr wegen Unterversorgung.

Liesl Karstadt und Karl Valentin: "Was sagst du zu der jetzigen Lage? - Ja, nette Lage, bald werden wir uns ganz hinlagern, weil wir vor Hunger nicht mehr stehen können, dann haben wir die richtige Lage. Dann braucht nur mehr der Herr Bezirksarzt kommen und den Hungertod feststellen, dann sind wir Friedhofreif. "

Die Angst vorm Verhungern kannten die Deutschen nicht. Während des Krieges hatte es immer genug zu Essen gegeben, wenn auch rationiert und über Lebensmittelkarten zugeteilt. Adolf Hitler ließ ganz Europa ausrauben, um sein Volk versorgen zu können. Aus den eroberten Teilen der Sowjetunion holte die Wehrmacht zwischen 1941 und 1943 mehr als sieben Millionen Tonnen Nahrungsmittel heraus. Dazu mehrere 100.000 Tonnen Getreide, die die Soldaten für sich persönlich erbeuteten. Der Historiker Götz Aly:

Götz Aly: "Solche Dinge wie Görings Schlepperlass vom Oktober 1940, der ausdrücklich sagt: ‚jeder deutsche Soldat, der auf Heimaturlaub fährt’ … , durfte, soviel er tragen und schleppen konnte, unter Zuhilfenahme von Trageriemen und Gurten mit nach Hause tragen. Das war deutlich mehr als ein Zentner bei einem erwachsenen Mann, und dazu ermunterte die Führung. Und das hat funktioniert. "

Hitlers Volksstaat verabreichte seinen Bewohnern noch mehr materielle Wohltaten: Krankenversicherung für Rentner, Kindergeld, Kilometerpauschale.

Götz Aly: "Die Sozialleistungen für die Familien im Krieg haben sich verdreifacht. Während des Krieges, das muss man sich vorstellen. 80 Prozent der Deutschen haben im Zweiten Weltkrieg keine Kriegssteuern bezahlt. Während der englische Arbeiter, der Fabrikprolet hatte nichts, keinen Pfennig zu konsumieren, das wurde alles weggesteuert für die Kriegsführung dort. "

Am Ende des Krieges ging es den Deutschen dank der Ausplünderung der eroberten Länder materiell vergleichsweise gut. Doch mit der Kapitulation brach das System zusammen. Die Reichsmark galt nichts mehr. Mit einem Schlag zeigte sich: Deutschland war nicht nur zerstört, sondern auch wirtschaftlich bankrott. Das Geld war nichts mehr wert. Ob Wohnraum, Kohlen, Lebensmittel, Schuhe oder Kleidung: das meiste gab es nur auf Bezugsschein, den Rest im Tauschhandel mit Zigaretten.

Der Verlust der agrarischen Ostgebiete, der ständig wachsende Flüchtlingsstrom, fehlende Arbeitskräfte und zerstörte Industrieanlagen: Deutschland konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft ernähren, es war auf Lebensmittellieferungen der Siegermächte angewiesen. Die Kapitulation bedeutete für viele Deutsche nicht nur den Zusammenbruch alter Großmachtträume, sondern auch eine neue Erfahrung von Hunger und Not.