Nostalgische Obsession

Rezensiert von Peter Urban-Halle · 15.02.2006
Patrick Modiano wird eine "nostalgische Obsession" für das Vergangene nachgesagt, aber die Franzosen lieben ihren Landsmann genau deshalb: wegen seiner leicht melancholischen Geschichten. In "Unfall in der Nacht" versucht ein junger Mann in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Paris eine Frau wieder zu finden und trifft dabei auf seinen Vater.
Mit jedem Buch schreibt Patrick Modiano an seinem großen Romanprojekt weiter, er will immer nur das Gewesene erforschen, eine gewisse Vergangenheitsbesessenheit, manche sagen sogar "nostalgische Obsession", ist tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Einem Ondit zufolge soll er zu Hause einen Haufen profaner Erinnerungsstücke horten: alte Zeitungen, Telefonbücher, Stadtpläne, alles nicht mehr aktuell. Für ihn schon, sein Hauptthema ist nämlich die Suche: die Suche nach einer verlorenen Identität oder einer verschwundenen Person. Weit gehen seine Erzähler in die Vorzeit zurück, um sie wiederzufinden - und sie damit im Grunde zum erstenmal kennenzulernen.

Ausgangspunkt seines neuen Romans ist ein nächtlicher Unfall, bei dem der etwa 20-jährige Ich-Erzähler von einem "wassergrünen Fiat" angefahren wird, er und die wunderschöne Fahrerin, die - wie er später erfährt - Jacqueline heißt, kommen zusammen ins Krankenhaus, aus dem Jacqueline dann verschwindet, und nun macht sich der junge Mann also auf die Suche, durch die Pariser Straßen, Cafés und Schenken, wir sind in den 60er Jahren, diese scheinbar endlose Reise, die zu einer Reise in die eigene Kindheit und die noch nicht lange zurückliegende Jugend wird, ist wie eine labyrinthische Gondelfahrt.

Dann kommt sogar noch eine zweite Person hinzu, nach welcher der junge Mann fahndet, und eigentlich ist diese Suche noch viel geheimnisvoller, denn es handelt sich um seinen eigenen Vater, der im Grunde keine sehr wichtige Rolle spielt am Anfang, trotzdem wird er immer wieder erwähnt, das alles reizt den Leser beinah mehr als die Verfolgung der jungen Dame.

Patrick Modiano, 1945 bei Paris geboren, in Frankreich schon ein zeitgenössischer Klassiker mit großer Gemeinde, die Franzosen lieben diese leicht melancholischen, ein wenig koketten, nie ganz zu entschlüsselnden Geschichten. Modiano schreibt fast impressionistisch, er gestaltet Szenen und Stimmungen. Die große französische Tradition sieht anders aus, breit episch und analytisch, Modiano scheint sich eher auf einen Ausländer zu berufen, den großen dänischen Melancholiker (und in gewisser Weise auch Nostalgiker) Herman Bang.


Patrick Modiano: Unfall in der Nacht
Roman. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl.
143 Seiten, € 15,90.