Norwegens Wasser für deutsche Windmühlen
Nicht nur der Mangel an Energie - manchmal kann auch zu viel Strom zum Problem werden, weil im Netz Gleichgewicht herrschen muss. Damit kämpfen vor allem die Betreiber von Windparks, weil deren Leistung vom Wetter abhängig ist. Deshalb soll künftig ungenutzte Windenergie aus Deutschland über Seekabel nach Norwegen exportiert und bei Bedarf zurückgespeist werden.
Norwegische Stromkonzerne planen auch dafür neue Stauseen. Bestehende Anlagen werden mit leistungsfähigen Turbinen und Generatoren aufgerüstet. In Norwegen begeistern sich sogar Umweltschützer für einen solchermaßen ausgleichenden Handel mit Energie.
An diesem Morgen steht Roald Tjorteland auf der Staumauer hoch über dem dunklen Wasser der Otra und späht hinab ins Tal. Mit seinen runden Fenstern, gotischen Giebeln und steil aufragenden Mauern aus Stein und Beton wirkt das Kraftwerk Nomeland wie eine Kathedrale aus stolzen Pioniertagen.
Roald Tjorteland: "Die haben damals sehr schön gebaut, keine Kosten wurden gescheut. Die Industrialisierung Norwegens beruhte auf billigem Strom. Heute werden 98 Prozent der elektrischen Energie in den Stauwerken gewonnen. Wasser bedeutet sehr viel für uns Norweger."
Die 28 Meter hohe Betonmauer hat die Otra zu einem See gestaut, malerisch eingerahmt von Fels und Wald. Auf seiner 245 Kilometer langen Reise von der Quelle im Hochland bis zur Mündung in die Nordsee bei Kristiansand passiert der Fluss acht Stauwerke. Vor einem halben Jahrhundert waren in einem Kraftwerk wie Nomeland 15 bis 20 Kollegen beschäftigt, erzählt Tjorteland.
Heute sieht er für den Stromkonzern Agder Energi ganz allein nach dem Rechten. Der Norweger und seine Techniker-Kollegen können die Turbinen innerhalb von Minuten wie von Geisterhand starten oder anhalten. Per Fernsteuerung aus der Zentrale.
Roald Tjorteland: "Wir haben zwei Perioden im Jahr, in denen sehr viel Wasser fließt: Im Frühling, wenn der Schnee schmilzt. Und im Herbst, wenn es regnet. Das Wasser wird in großen Stauseen gespeichert, so dass wir es das ganze Jahr über nutzen können. Wenn der Strom billig ist, können wir die Turbinen in unseren Pumpspeicherkraftwerken auch umdrehen. Dann benutzen wir sie als Motor, um das Wasser auf den Berg zu pumpen. Und wenn der Strompreis anzieht, lassen wir es wieder laufen. So lässt sich gutes Geld verdienen."
Einige Kilometer flussabwärts haben die Norweger ein neues Kraftwerk gebaut. Roald Tjorteland inspiziert die Baustelle bei Hunsfos. Er schaut den Arbeitern zu, die sich im Schatten einer meterdicken Rohrleitung mit Schrauben und Bolzen plagen.
Agder Energi setzt überwiegend auf grünen Strom aus Wasser und Wind.
Norwegens zweitgrößter Produzent betreibt im Süden des Landes fast drei Dutzend Wasserkraftwerke. In den Bergen werden kleinere Stauwerke gebaut, bestehende Anlagen rüsten die Ingenieure mit neuen Zuleitungen und leistungsfähigen Turbinen auf. Und das Potenzial sei noch bei weitem nicht ausgeschöpft, versichert man am Firmensitz in Kristiansand.
Der Flachbau am Hafen ist auch die Operationszentrale von Fredrik Esseen und seiner jungen Truppe von Händlern und Analytikern. Ein Dutzend Kollegen an Computerplätzen in einem Raum mit Teppichböden, gedämpftes Licht, konzentrierte Gelassenheit. Mit der Liberalisierung der Märkte sind viele der früheren Monopolanbieter in den Stromhandel eingestiegen, um das ungewohnte Risiko durch Überkapazitäten oder Engpässe abzufedern. Agder Energi sei da keine Ausnahme, sagt Esseen. Der entspannte Abteilungsleiter, Kaffeebecher in der Hand, hat gerade ein wenig Zeit, sein Team vorzustellen.
Fredrik Esseen: "Hier sitzen die Analytiker, die sich die Prognosen anschauen. Und dort drüben die Händler, die langfristige Lieferungen zum Festpreis und spekulativere Geschäfte am Spotmarkt abwickeln. Da geht es um ein tieferes Verständnis der wichtigsten Akteure, aber auch um Strategie und Timing. Im Grunde wollen wir möglichst billig kaufen und teuer verkaufen."
Offenkundig eine Wissenschaft für sich. Eines immerhin wird klar: Elektrische Energie kennt längst keine Grenzen mehr. Mit Lichtgeschwindigkeit sausen gewaltige Strommengen im Verbundnetz quer durch Europa. Kraftwerke liefern stets so viel, wie die Verbraucher gerade benötigen.
Doch die Menge schwankt, je nach Tages- und Jahreszeit. An ihrer Energiebörse Nord Pool handeln Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland untereinander. Über Kabel sind aber auch die Niederlande und Deutschland verbunden. Was die Lage nicht übersichtlicher macht.
Fredrik Esseen: "Wir hier im Norden setzen auf die Wasserkraft. In Deutschland haben wir hingegen ein thermisches System mit Öl, Kohle und Gas. Auf deutsche Windmühlen achten wir besonders, weil die starken Einfluss auf die hochspekulativen Tagespreise haben."
Siw Skogestad bemüht sich um Überblick. Auf ihrem Schreibtisch flimmert eine Galerie von Monitoren. Darauf Tabellen, Zahlen und noch mehr Zahlen, die dem ungeübten Auge gänzlich rätselhaft anmuten. Die Analytikerin achtet auf Verbrauch und Erzeugung, Windstrom und Wasserfluten, Bestellungen von Großkunden und technische Defekte.
Siw Skogestad: "Viele Faktoren bestimmen den Preis: die Leistung dänischer Windparks, der Wasserstand in den Reservoirs, das Wetter von morgen. Wir Norweger sind in der komfortablen Lage, dass wir unsere Produktion sehr flexibel steuern können. Wenn viel Wind im System ist, dann nehmen wir ein wenig Wasser heraus."
Derzeit werden rund 15 Prozent des deutschen Strombedarfs aus Wind, Sonne und Biomasse bezogen. Bis 2020 könnte es nach einer Prognose des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) bereits fast die Hälfte sein. Vor allem die Windkraft wird in Deutschland rasant ausgebaut, durch die Nachrüstung mit leistungsfähigen Generatoren und den Vorstoß ins Meer. Doch zu viel Windstrom wird schnell zum Problem. Kommt eine Brise auf, erzeugen die Mühlen innerhalb von Minuten Hunderte von Megawatt zusätzlichen Strom. Dann müssen Kraftwerke gedrosselt werden, um die Leitungen zu entlasten.
Auf einem Spaziergang am Ufer der Otra, die hier in Kristiansand breit und träge ins Meer strömt, wirbt Edvard Lauen für eine andere Idee. Der Mittfünfziger ist Chef des norwegisch-schweizerischen Konsortiums NorGer, an dem auch der Stromkonzern Agder Energi beteiligt ist. NorGer will rund eine Milliarde Euro in ein 600 Kilometer langes Gleichstromkabel vom Flekkefjord in Südnorwegen, einmal quer durch die Nordsee bis ins niedersächsische Wilhelmshaven investieren. Profitieren würden Norweger und Deutsche gleichermaßen, versichert der Manager.
Edvard Lauen: "Windkraft ist stark vom Wetter abhängig, zugleich muss im Netz ein Gleichgewicht herrschen. Wenn in Deutschland starker Wind bläst und mehr grüner Strom produziert wird als benötigt, kann man ihn über das Kabel nach Norwegen exportieren."
Norwegens Wasserkraftwerke stellen dann ihren Betrieb ein und das Land wird von Deutschland mitversorgt. Herrscht in Deutschland Windstille, werfen die Norweger ihre Wasserkraftwerke wieder an. Über das Kabel wird Energie aus Norwegen nach Deutschland geliefert. Möglich machen das so genannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen. Zu den dänischen Nachbarn und in die Niederlande sind sie bereits verlegt. Die Norweger verdienen an diesem Handel, weil sie in Zeiten der Stromknappheit ihren Partnern relativ hohe Preise machen können.
Edvard Lauen: "Wir planen das bislang leistungsfähigste und längste Kabel seiner Art. Bis zu 20 Prozent der Energie werden wir bei der Umwandlung und beim Transport im Kabel einbüßen. Das ist aber allemal besser als die Windmühlen anzuhalten. Oder Reserven in Form von Gas- oder Kohlekraftwerken zu bauen."
Bei einer Kapazität von 1400 Megawatt soll der armdicke Doppelstrang eine Strommenge transportieren, die in etwa dem Jahresverbrauch der Großstadt Hannover entspricht. Nach der Untersuchung des Meeresbodens, der Anhörung von Anwohnern und Umweltverbänden sowie der erhofften Zustimmung deutscher, norwegischer und europäischer Aufsichtsbehörden will man in zwei Jahren mit der Verlegung beginnen. 2015 soll das Kabel dann unter Hochspannung stehen.
Zwar beäugt die heimische Schwerindustrie das Projekt mit Argwohn.
Die energieintensiven Unternehmen fürchten generell steigende Strompreise. Doch Edvard Lauen sieht auch für seine Kunden in Norwegen nur Vorteile:
"Auch bei der Wasserkraft gibt es starke Variationen. In regenarmen Jahren könnten wir Norwegen bei stabilen Preisen sicher versorgen. Hinzu kommt, dass es ohne neue Kabelverbindungen kaum einen Anreiz gibt, unsere Wasserkraft weiter auszubauen. Dabei haben wir hier im Norden ein riesiges Potential. Das könnte beim Ausbau der Windenergie von entscheidender Bedeutung sein."
Auch in Norwegen war der Ausbau der Wasserkraft lange Zeit umstritten.
Als die Regierung Ende der Siebzigerjahre einen Staudamm im Alta-Fluss in der unwirtlichen Finnmark plante, erwachte der samische Widerstand. Die Urbevölkerung fürchtete um die Weidegründe ihrer Rentiere. Ole Henrik Magga war der Anführer der Rebellen. Er ließ die Baustelle besetzen und das Parlament in Oslo stürmen.
Ole Henrik Magga: "”Wie könnte ich das vergessen? Wir Saami waren damals Bürger zweiter Klasse. Uns hat niemand gefragt. Dabei haben wir eine ganz schlichte Naturphilosophie: Nimm nicht mehr als du brauchst, bring die Dinge nicht aus der Balance. Aber heute geht es vor allem doch ums Geld. Und das ist das Dilemma, vor der alle Urbevölkerungen stehen: Die alten Ansichten vom guten Leben, die verschwinden mehr und mehr.""
Bis heute kämpfen Naturschützer gegen die Betonierung der Flüsse. So zog die Mitte-Links-Regierung ihren Plan, den Fluss Vefsna in der Provinz Nordland zu stauen, erst nach heftigen Protesten zurück. Die Kritiker des Projekts fürchteten um die Lachsgründe und die umliegenden Naturschutzgebiete. Doch die Zeit der schlimmsten Sünden sei eindeutig vorbei, sagt Marius Holm, Energieexperte der Umweltorganisation Bellona. Man habe viel dazu gelernt.
Marius Holm: "Heute baut man keine gewaltigen Betondämme mehr, sondern viele kleine Anlagen, die man kaum sieht. Im Verbund mit den Windmühlen sind sie eine sehr effektive und umweltfreundliche Energiequelle. Wir begrüßen den Ausbau auch aus Sorge vor dem Klimawandel. Norwegen ist kaum besiedelt, verfügt aber über gewaltige Naturschätze. Wenn wir Aluminium mit norwegischer Wasserkraft produzieren ist die CO2-Bilanz wesentlich günstiger als andernorts. Wir setzen uns auch dafür ein, den Personen- und Güterverkehr auf grünen Strom von Sonne, Wasser und Wind umzustellen."
Der gemeine Verbraucher neigt im strengen skandinavischen Winter kaum zum sparsamen Gebrauch von allerhand Saunen, Trocknern und elektrischen Heizlüftern. Der Pro-Kopf-Verbrauch der Norweger ist einer der höchsten weltweit. Für die rund 56 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die das Fünf-Millionen-Volk derzeit noch alljährlich in die Atmosphäre bläst, sind vor allem der Verkehr und die Petroindustrie verantwortlich. Bis zum Jahr 2030 hat sich das Land verpflichtet, die Emissionen so weit zu neutralisieren, dass sie netto bei Null liegen. Doch hinter dem grünen Versprechen verbirgt sich eine bittere Wahrheit, dämpft Klimaexperte Holm die Begeisterung.
Marius Holm: "Viele Norweger spüren eine moralische Verpflichtung, den anderen voranzugehen, weil unser Wohlstand auf den Einkünften aus dem Ölexport beruht. Tatsächlich machen wir aber nur vor, wie man sich mit Petrodollars ein reines Gewissen kauft. Ein mutiger Schritt wäre es, wenn wir unsere Ölförderung drosseln. Das würde ein wirkliches Zeichen setzen, denn es ist vor allem die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die erneuerbare Energiequellen nicht lohnend macht. Wir Norweger haben noch einen weiten Weg zu gehen, bis aus großen Visionen konkretes Handeln wird."
Der Hydrotechniker Roald Tjorteland ist da schon einen Schritt weiter.
In einem früheren Leben habe er in der Nordsee nach dem schwarzen Gold gebohrt, erzählt er. Doch das sei lange vorbei. Nun fühle er sich besser. Die Kraft aus den Fluten sei für den Planeten doch die klügere Wahl.
Roald Tjorteland: "Schauen Sie mal, hier gibt es eine Menge Fische im See. Und Biber haben wir auch. Die haben ein Problem mit der Strömung. Deshalb haben wir ihnen eine Treppe gebaut, damit sie an Land kommen. Hätten wir nicht machen müssen. Aber wir wollten den Bibern was Gutes tun."
An diesem Morgen steht Roald Tjorteland auf der Staumauer hoch über dem dunklen Wasser der Otra und späht hinab ins Tal. Mit seinen runden Fenstern, gotischen Giebeln und steil aufragenden Mauern aus Stein und Beton wirkt das Kraftwerk Nomeland wie eine Kathedrale aus stolzen Pioniertagen.
Roald Tjorteland: "Die haben damals sehr schön gebaut, keine Kosten wurden gescheut. Die Industrialisierung Norwegens beruhte auf billigem Strom. Heute werden 98 Prozent der elektrischen Energie in den Stauwerken gewonnen. Wasser bedeutet sehr viel für uns Norweger."
Die 28 Meter hohe Betonmauer hat die Otra zu einem See gestaut, malerisch eingerahmt von Fels und Wald. Auf seiner 245 Kilometer langen Reise von der Quelle im Hochland bis zur Mündung in die Nordsee bei Kristiansand passiert der Fluss acht Stauwerke. Vor einem halben Jahrhundert waren in einem Kraftwerk wie Nomeland 15 bis 20 Kollegen beschäftigt, erzählt Tjorteland.
Heute sieht er für den Stromkonzern Agder Energi ganz allein nach dem Rechten. Der Norweger und seine Techniker-Kollegen können die Turbinen innerhalb von Minuten wie von Geisterhand starten oder anhalten. Per Fernsteuerung aus der Zentrale.
Roald Tjorteland: "Wir haben zwei Perioden im Jahr, in denen sehr viel Wasser fließt: Im Frühling, wenn der Schnee schmilzt. Und im Herbst, wenn es regnet. Das Wasser wird in großen Stauseen gespeichert, so dass wir es das ganze Jahr über nutzen können. Wenn der Strom billig ist, können wir die Turbinen in unseren Pumpspeicherkraftwerken auch umdrehen. Dann benutzen wir sie als Motor, um das Wasser auf den Berg zu pumpen. Und wenn der Strompreis anzieht, lassen wir es wieder laufen. So lässt sich gutes Geld verdienen."
Einige Kilometer flussabwärts haben die Norweger ein neues Kraftwerk gebaut. Roald Tjorteland inspiziert die Baustelle bei Hunsfos. Er schaut den Arbeitern zu, die sich im Schatten einer meterdicken Rohrleitung mit Schrauben und Bolzen plagen.
Agder Energi setzt überwiegend auf grünen Strom aus Wasser und Wind.
Norwegens zweitgrößter Produzent betreibt im Süden des Landes fast drei Dutzend Wasserkraftwerke. In den Bergen werden kleinere Stauwerke gebaut, bestehende Anlagen rüsten die Ingenieure mit neuen Zuleitungen und leistungsfähigen Turbinen auf. Und das Potenzial sei noch bei weitem nicht ausgeschöpft, versichert man am Firmensitz in Kristiansand.
Der Flachbau am Hafen ist auch die Operationszentrale von Fredrik Esseen und seiner jungen Truppe von Händlern und Analytikern. Ein Dutzend Kollegen an Computerplätzen in einem Raum mit Teppichböden, gedämpftes Licht, konzentrierte Gelassenheit. Mit der Liberalisierung der Märkte sind viele der früheren Monopolanbieter in den Stromhandel eingestiegen, um das ungewohnte Risiko durch Überkapazitäten oder Engpässe abzufedern. Agder Energi sei da keine Ausnahme, sagt Esseen. Der entspannte Abteilungsleiter, Kaffeebecher in der Hand, hat gerade ein wenig Zeit, sein Team vorzustellen.
Fredrik Esseen: "Hier sitzen die Analytiker, die sich die Prognosen anschauen. Und dort drüben die Händler, die langfristige Lieferungen zum Festpreis und spekulativere Geschäfte am Spotmarkt abwickeln. Da geht es um ein tieferes Verständnis der wichtigsten Akteure, aber auch um Strategie und Timing. Im Grunde wollen wir möglichst billig kaufen und teuer verkaufen."
Offenkundig eine Wissenschaft für sich. Eines immerhin wird klar: Elektrische Energie kennt längst keine Grenzen mehr. Mit Lichtgeschwindigkeit sausen gewaltige Strommengen im Verbundnetz quer durch Europa. Kraftwerke liefern stets so viel, wie die Verbraucher gerade benötigen.
Doch die Menge schwankt, je nach Tages- und Jahreszeit. An ihrer Energiebörse Nord Pool handeln Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland untereinander. Über Kabel sind aber auch die Niederlande und Deutschland verbunden. Was die Lage nicht übersichtlicher macht.
Fredrik Esseen: "Wir hier im Norden setzen auf die Wasserkraft. In Deutschland haben wir hingegen ein thermisches System mit Öl, Kohle und Gas. Auf deutsche Windmühlen achten wir besonders, weil die starken Einfluss auf die hochspekulativen Tagespreise haben."
Siw Skogestad bemüht sich um Überblick. Auf ihrem Schreibtisch flimmert eine Galerie von Monitoren. Darauf Tabellen, Zahlen und noch mehr Zahlen, die dem ungeübten Auge gänzlich rätselhaft anmuten. Die Analytikerin achtet auf Verbrauch und Erzeugung, Windstrom und Wasserfluten, Bestellungen von Großkunden und technische Defekte.
Siw Skogestad: "Viele Faktoren bestimmen den Preis: die Leistung dänischer Windparks, der Wasserstand in den Reservoirs, das Wetter von morgen. Wir Norweger sind in der komfortablen Lage, dass wir unsere Produktion sehr flexibel steuern können. Wenn viel Wind im System ist, dann nehmen wir ein wenig Wasser heraus."
Derzeit werden rund 15 Prozent des deutschen Strombedarfs aus Wind, Sonne und Biomasse bezogen. Bis 2020 könnte es nach einer Prognose des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) bereits fast die Hälfte sein. Vor allem die Windkraft wird in Deutschland rasant ausgebaut, durch die Nachrüstung mit leistungsfähigen Generatoren und den Vorstoß ins Meer. Doch zu viel Windstrom wird schnell zum Problem. Kommt eine Brise auf, erzeugen die Mühlen innerhalb von Minuten Hunderte von Megawatt zusätzlichen Strom. Dann müssen Kraftwerke gedrosselt werden, um die Leitungen zu entlasten.
Auf einem Spaziergang am Ufer der Otra, die hier in Kristiansand breit und träge ins Meer strömt, wirbt Edvard Lauen für eine andere Idee. Der Mittfünfziger ist Chef des norwegisch-schweizerischen Konsortiums NorGer, an dem auch der Stromkonzern Agder Energi beteiligt ist. NorGer will rund eine Milliarde Euro in ein 600 Kilometer langes Gleichstromkabel vom Flekkefjord in Südnorwegen, einmal quer durch die Nordsee bis ins niedersächsische Wilhelmshaven investieren. Profitieren würden Norweger und Deutsche gleichermaßen, versichert der Manager.
Edvard Lauen: "Windkraft ist stark vom Wetter abhängig, zugleich muss im Netz ein Gleichgewicht herrschen. Wenn in Deutschland starker Wind bläst und mehr grüner Strom produziert wird als benötigt, kann man ihn über das Kabel nach Norwegen exportieren."
Norwegens Wasserkraftwerke stellen dann ihren Betrieb ein und das Land wird von Deutschland mitversorgt. Herrscht in Deutschland Windstille, werfen die Norweger ihre Wasserkraftwerke wieder an. Über das Kabel wird Energie aus Norwegen nach Deutschland geliefert. Möglich machen das so genannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen. Zu den dänischen Nachbarn und in die Niederlande sind sie bereits verlegt. Die Norweger verdienen an diesem Handel, weil sie in Zeiten der Stromknappheit ihren Partnern relativ hohe Preise machen können.
Edvard Lauen: "Wir planen das bislang leistungsfähigste und längste Kabel seiner Art. Bis zu 20 Prozent der Energie werden wir bei der Umwandlung und beim Transport im Kabel einbüßen. Das ist aber allemal besser als die Windmühlen anzuhalten. Oder Reserven in Form von Gas- oder Kohlekraftwerken zu bauen."
Bei einer Kapazität von 1400 Megawatt soll der armdicke Doppelstrang eine Strommenge transportieren, die in etwa dem Jahresverbrauch der Großstadt Hannover entspricht. Nach der Untersuchung des Meeresbodens, der Anhörung von Anwohnern und Umweltverbänden sowie der erhofften Zustimmung deutscher, norwegischer und europäischer Aufsichtsbehörden will man in zwei Jahren mit der Verlegung beginnen. 2015 soll das Kabel dann unter Hochspannung stehen.
Zwar beäugt die heimische Schwerindustrie das Projekt mit Argwohn.
Die energieintensiven Unternehmen fürchten generell steigende Strompreise. Doch Edvard Lauen sieht auch für seine Kunden in Norwegen nur Vorteile:
"Auch bei der Wasserkraft gibt es starke Variationen. In regenarmen Jahren könnten wir Norwegen bei stabilen Preisen sicher versorgen. Hinzu kommt, dass es ohne neue Kabelverbindungen kaum einen Anreiz gibt, unsere Wasserkraft weiter auszubauen. Dabei haben wir hier im Norden ein riesiges Potential. Das könnte beim Ausbau der Windenergie von entscheidender Bedeutung sein."
Auch in Norwegen war der Ausbau der Wasserkraft lange Zeit umstritten.
Als die Regierung Ende der Siebzigerjahre einen Staudamm im Alta-Fluss in der unwirtlichen Finnmark plante, erwachte der samische Widerstand. Die Urbevölkerung fürchtete um die Weidegründe ihrer Rentiere. Ole Henrik Magga war der Anführer der Rebellen. Er ließ die Baustelle besetzen und das Parlament in Oslo stürmen.
Ole Henrik Magga: "”Wie könnte ich das vergessen? Wir Saami waren damals Bürger zweiter Klasse. Uns hat niemand gefragt. Dabei haben wir eine ganz schlichte Naturphilosophie: Nimm nicht mehr als du brauchst, bring die Dinge nicht aus der Balance. Aber heute geht es vor allem doch ums Geld. Und das ist das Dilemma, vor der alle Urbevölkerungen stehen: Die alten Ansichten vom guten Leben, die verschwinden mehr und mehr.""
Bis heute kämpfen Naturschützer gegen die Betonierung der Flüsse. So zog die Mitte-Links-Regierung ihren Plan, den Fluss Vefsna in der Provinz Nordland zu stauen, erst nach heftigen Protesten zurück. Die Kritiker des Projekts fürchteten um die Lachsgründe und die umliegenden Naturschutzgebiete. Doch die Zeit der schlimmsten Sünden sei eindeutig vorbei, sagt Marius Holm, Energieexperte der Umweltorganisation Bellona. Man habe viel dazu gelernt.
Marius Holm: "Heute baut man keine gewaltigen Betondämme mehr, sondern viele kleine Anlagen, die man kaum sieht. Im Verbund mit den Windmühlen sind sie eine sehr effektive und umweltfreundliche Energiequelle. Wir begrüßen den Ausbau auch aus Sorge vor dem Klimawandel. Norwegen ist kaum besiedelt, verfügt aber über gewaltige Naturschätze. Wenn wir Aluminium mit norwegischer Wasserkraft produzieren ist die CO2-Bilanz wesentlich günstiger als andernorts. Wir setzen uns auch dafür ein, den Personen- und Güterverkehr auf grünen Strom von Sonne, Wasser und Wind umzustellen."
Der gemeine Verbraucher neigt im strengen skandinavischen Winter kaum zum sparsamen Gebrauch von allerhand Saunen, Trocknern und elektrischen Heizlüftern. Der Pro-Kopf-Verbrauch der Norweger ist einer der höchsten weltweit. Für die rund 56 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die das Fünf-Millionen-Volk derzeit noch alljährlich in die Atmosphäre bläst, sind vor allem der Verkehr und die Petroindustrie verantwortlich. Bis zum Jahr 2030 hat sich das Land verpflichtet, die Emissionen so weit zu neutralisieren, dass sie netto bei Null liegen. Doch hinter dem grünen Versprechen verbirgt sich eine bittere Wahrheit, dämpft Klimaexperte Holm die Begeisterung.
Marius Holm: "Viele Norweger spüren eine moralische Verpflichtung, den anderen voranzugehen, weil unser Wohlstand auf den Einkünften aus dem Ölexport beruht. Tatsächlich machen wir aber nur vor, wie man sich mit Petrodollars ein reines Gewissen kauft. Ein mutiger Schritt wäre es, wenn wir unsere Ölförderung drosseln. Das würde ein wirkliches Zeichen setzen, denn es ist vor allem die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die erneuerbare Energiequellen nicht lohnend macht. Wir Norweger haben noch einen weiten Weg zu gehen, bis aus großen Visionen konkretes Handeln wird."
Der Hydrotechniker Roald Tjorteland ist da schon einen Schritt weiter.
In einem früheren Leben habe er in der Nordsee nach dem schwarzen Gold gebohrt, erzählt er. Doch das sei lange vorbei. Nun fühle er sich besser. Die Kraft aus den Fluten sei für den Planeten doch die klügere Wahl.
Roald Tjorteland: "Schauen Sie mal, hier gibt es eine Menge Fische im See. Und Biber haben wir auch. Die haben ein Problem mit der Strömung. Deshalb haben wir ihnen eine Treppe gebaut, damit sie an Land kommen. Hätten wir nicht machen müssen. Aber wir wollten den Bibern was Gutes tun."