Nordkreuz-Gruppe

Rechtsextreme "Feindeslisten" bleiben das Geheimnis des BKA

09:26 Minuten
SEK-Abzeichen an der Uniform eines Polizisten eines Sondereinsatzkommandos, aufgenommen in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern)
Die Nordkreuz-Liste ist Ermittlern bereits seit September 2017 bekannt. Informiert wurden die Betroffenen erst jetzt. © picture alliance / dpa / Georg Wendt
Von Alexa Hennings · 21.08.2019
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Das Bundeskriminalamt muss die sogenannten Feindeslisten von Rechtsextremisten nicht veröffentlichen. Ein von dem Aktivisten Arne Semsrott angestrengtes Verfahren wurde am Montag nach einstündiger Verhandlung am Verwaltungsgericht Wiesbaden eingestellt. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat sich im Verfahren um die "Feindeslisten" der Nordkreuz-Gruppe in Wiesbaden am Montag für nicht zuständig erklärt und wegen eines laufenden Verfahrens auf den Generalbundesanwalt (GBA) verwiesen. Das Verfahren wurde deshalb eingestellt. Aktivist Arne Semsrott will nun beim GBA in Karlsruhe anfragen, ob er dort nach dem Presserecht die Genehmigung bekommt, die Listen einzusehen. Sollte er diese nicht erhalten, will er auch den GBA verklagen.

Ihren Anfang nahm die Geschichte der "Feindeslisten" im September 2017: Nach einer Razzia war bekannt geworden, dass es in Mecklenburg-Vorpommern die sogenannte Nordkreuz-Gruppe gibt. Die Rechtsextremisten bereiteten sich auf den Zusammenbruch des Staates vor. Sie horteten allerdings nicht nur Nudeln und Zucker, sondern auch Waffen und Munition. Und sie erstellten eine "Feindesliste" politischer Gegner, sammelten Informationen über sie. Erst jetzt wurden die Betroffenen darüber informiert.


Ende Juli hatten 1200 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern recht ungewöhnliche Post in ihrem Briefkasten. Absender: Landeskriminalamt, der Direktor.
"Sehr geehrte Frau /sehr geehrter Herr,"
Hier wäre einer von 1200 Namen einzusetzen.
"Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts gegen zwei Beschuldigte aus Mecklenburg-Vorpommern wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ..."
Die Beschuldigten sind ein Rostocker Anwalt und ein Kriminaloberkommissar aus Grabow. Gemeinsam mit anderen, zumeist sind es Mitglieder des Reservistenverbands der Bundeswehr, Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern, bilden sie eine Gruppe namens "Nordkreuz". Es wurden Waffen und Munition gehortet, ein ehemaliger SEK-Beamter steht in Verdacht, Munition weitergegeben zu haben. Es sind nicht die üblichen Verdächtigen aus dem rechtsextremistischen Glatzen-Milieu. Es sind aktive − oder ehemalige − Staatsbedienstete, die sich für den Zusammenbruch des Staates rüsten.
"... wurden Materialsammlungen zu Personen und Institutionen aus Mecklenburg-Vorpommern festgestellt ... darunter auch personenbezogene Daten zu Ihrer Person."
Mathias Engling: "Als ich den Brief bekommen habe, war es schon ein bisschen erschreckend, weil ich nicht damit gerechnet habe, selbst auf der Liste zu stehen."
Mathias Engling, 32, Wirtschaftsinformatiker, ist Mitglied im Grünen-Landesvorstand von Mecklenburg-Vorpommern. Das hat gereicht, um auf der Nordkreuz-Liste zu kommen:
"Es wurde nicht gesagt, welche Art von Daten wurde gesammelt, in welchem Umfang, zu welchem Zweck. Und es wurde auch nicht gesagt, ob diese Daten in irgendwelchen Foren noch existieren oder ob sie schon gelöscht sind. Und das hinterlässt so ein mulmiges Gefühl."
Mathias Engling hätte schon gern noch ein paar Fragen gestellt, dazu wurde er in dem Brief auch herzlich eingeladen. Jedoch sei das Landeskriminalamt nicht dafür zuständig. Telefonnummer des Bundeskriminalamts anbei.
Mathias Engling: "Nachdem ich dann zweimal telefonisch hin- und hergeschaltet wurde, bin ich bei einer netten Sachbearbeiterin gelandet, die mir dann gesagt hat, ich solle doch bitte das Kontaktformular auf der Homepage des BKA ausfüllen, aber sie kann mir nicht weiterhelfen. Und das finde ich – in dem Rahmen Nordkreuz-Liste, was da so passiert ist, was man so in den Zeitungen liest, dass da Leichensäcke bestellt wurden und so weiter – schon so ein bisschen verstörend. Es hat auf jeden Fall mein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nicht verbessert."

Fast zwei Jahre wurden Betroffene nicht informiert

Auch Hikmat Al Sabtys Name steht auf der Liste von Nordkreuz. Al Sabty, 61, ist Agrarwissenschaftler und Dolmetscher. Der gebürtige Iraker lebt seit 1989 in Deutschland. Er wohnt in Rostock, engagiert sich bei Initiativen wie "Bunt statt braun" und saß für die Linke bis 2016 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern − der erste Migrant, der es bis dorthin geschafft hat. Ihn beschäftigt besonders der Fakt, nicht schon früher informiert worden zu sein.
Bereits seit September 2017 ist den Ermittlern die Nordkreuz-Liste bekannt. Sie wurde vom Bundeskriminalamt ans Landeskriminalamt übergeben − die Presse berichtete darüber. Sie berichtete auch über Festnahmen von SEK-Mitgliedern und Ermittlungen gegen Bundeswehr-Reservisten. Schon damals tauchten die Begriffe "Feindes-" oder "Todesliste" auf. Doch fast zwei Jahre lang hielten es die Behörden nicht für nötig, die Betroffenen zu informieren.
Hikmat Al Sabty: "Das ist auch wirklich so ein Schock. Diese ganzen Jahre von 2017 bis 2019 wusste man nicht, dass man in Gefahr ist. Man könnte uns informieren, zum Beispiel, dass man aufpassen soll und in seiner Umgebung gucken soll. Wir hatten keinen Schutz, wir waren nicht informiert. Das ist irgendwie schädlich − und schäbig auch."
Im Brief an die Betroffenen heißt es beschwichtigend:
"Dabei haben sich jedoch bisher grundsätzlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen einer konkreten Gefährdung unterliegen."
Porträt von Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU)
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU)© dpa / picture alliance / Bodo Marks
Auch der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern möchte nicht von Gefährdung sprechen. Eine Interview-Anfrage von Deutschlandfunk Kultur lehnte er mit dem Verweis auf laufende Ermittlungen beim Generalbundesanwalt ab.
Keine konkrete Gefährdung? Hikmat Al Sabty weiß nicht, ob er das glauben soll. Er und weitere 28 Betroffene, meist aus der Region um Rostock, wurden im Juni 2019 vom BKA als Zeugen vernommen. Dort wurde er zur erhöhten Wachsamkeit aufgefordert und es wurde ihm geraten, Familie, Kollegen, Freunde und Bekannte zu informieren:
"Wieso hält das BKA die jetzt nicht für gefährlich, und am Ende der Vernehmung wurde mir gesagt, ich soll mal vorsichtig sein? Das ist ein gewisser Widerspruch an sich. Es gibt welche, die sind bekannt, die jetzt im Fadenkreuz der Ermittler sind. Aber noch gefährlicher sind die, die noch unbekannt sind. Wie kann man sich schützen? Das kann man sich fragen, ich finde überhaupt keine Lösung für mich. In diesem Moment ist der Mensch schutzlos, machtlos. Man fühlt sich irgendwie vernachlässigt."

Verharmlost der Minister die Liste?

"Das Sammeln von Informationen über politische Gegner ist im Bereich der politisch motivierten Kriminalität eine weit verbreitete Praxis."
… lässt Innenminister Caffier in einer seiner wenigen Pressemitteilungen zu dieser Sache verbreiten.
Das erregt Widerspruch bei Eva-Maria Kröger, 37, Politologin und Linken-Abgeordnete im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern − und ebenfalls Betroffene der Nordkreuz-Liste.
"Nein, das ist eben nichts Normales! Und das ist genau das, was mich so wütend sein lässt. Dass es immer und immer wieder passiert, dass so etwas verharmlost wird. Wenn solche Gruppierungen, rechtsextreme Gruppierungen, über ihre vermeintlichen Feinde Materialien ansammeln, Informationen sammeln und sich auch fortlaufend weiter informieren, was die politisch machen, wo und wie sie aktiv sind. Und das passiert immer wieder."
In einer Pressemitteilung zitiert Innenmister Lorenz Caffier den Satz, den auch die Betroffenen per BKA-Post zugestellt bekamen:
"Der derzeit in der medialen und öffentlichen Diskussion verbreitete Begriff der 'Feindes-, oder gar Todeslisten' ist konsequent zurückzuweisen."
Mathias Engling: "Nun kann sich der Innenminister nicht darüber beklagen, dass dieser Begriff entstanden ist. Denn er ist hauptsächlich darum entstanden, weil er nicht aufgeklärt hat! Und jetzt dem politischen Gegner zuzuwerfen, er ist schuld, dass dieser Begriff 'Todesliste' entsteht und der nicht wahr ist, finde ich jetzt ein bisschen hanebüchen. Als Innenminister ist er in der Verpflichtung, und der ist er nicht nachgekommen."
Seine Politik, die auf der Nordkreuz-Liste genannten Personen nicht zu informieren, gab der Innenminister nur auf, weil der öffentliche Druck zu groß war und Betroffene wie Hikmat Al Sabty und Eva-Maria Kröger nach ihren Zeugen-Vernehmungen beim BKA an die Öffentlichkeit gegangen waren.
Lorenz Caffier: "Aufgrund der aktuellen Berichterstattung und einiger unzutreffender Bewertungen, die teilweise aus dem politischen Raum immer wieder verbreitet werden, nehme ich als Innenminister eine größere Verunsicherung wahr."
Deshalb verschickte das Ministerium dann die Briefe an über eintausend Betroffene.
Eva-Maria Kröger: "Es ist gut, dass die Briefe da sind. Aber dann diese lapidare, fast schon beleidigende begleitende Kommunikation durch den Minister nach dem Motto: Jetzt beruhigt euch mal alle und es ist alles nicht so schlimm − das sehen wir eben deutlich anders."

Löschkalk und Leichensäcke

Es gab immer Häppchen, die an die Öffentlichkeit drangen − durchaus nicht harmlose Häppchen, wie Eva-Maria Kröger findet:
"Und dann gibt es den Zusammenhang, dass sich diese Prepper-Gruppe, diese Nordkreuz-Leute sich in anderen Chats darüber unterhalten haben, dass, wenn dieser Tag X kommt und aus ihrer Sicht das System geschwächt oder zusammengestürzt ist, das man dann diese Leute zusammen treibt und dass diese Leute dann weg müssen und beseitigt werden müssen. Und wenn Menschen so etwas schreiben und sich bewaffnen und Löschkalk und Leichensäcke bestellen wollen und es finden sich Materialien über so viele Politikerinnen und Politiker und zivilgesellschaftliche Akteure, dann muss man das doch in einen Zusammenhang stellen! Und das dann immer wieder zu verharmlosen, dafür habe ich kein Verständnis. Und auch wenn es ein sehr großer Vergleich ist, dessen bin ich mir bewusst: Aber da stellt man sich schon die Frage, ob eigentlich die Politik aus dem NSU-Skandal nichts gelernt hat."
Die Betroffenen fordern eine Anlaufstelle, an die sie sich wenden können mit ihren Fragen und Ängsten. Mathias Engling, der Grünen-Politiker, kann jeden verstehen, der sich aus der politischen Arbeit oder bürgerschaftlichen Engagement zurückzieht, weil sein Name auf der Nordkreuz-Liste steht. Er selbst wird es nicht tun:
"Ich habe mich schon mit meiner Freundin gestritten, sie hat gesagt: Bist du verrückt, jetzt auch noch eine Pressemitteilung rauszugeben und das öffentlich anzusprechen? Und ich sage: Das muss halt sein, damit die Leute mitbekommen, was passiert. Dass es eben auch am rechten Rand Menschen gibt, die unsere Demokratie untergraben und ganz klar auch angreifen wollen. Und da muss man drauf reagieren und das ernst nehmen. Und es als das benennen, was es ist: Rechtsextremismus."
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