Nordkorea und die Macht der Anderen

Von Gesine Palmer · 22.04.2013
Sind Nordkorea und der Westen wie ein Teenager im Streit mit den Eltern? Nein, findet Gesine Palmer, aber der Westen könne am meisten erreichen, wenn er Nordkorea überlegt in seine Schranken verweist und mit Geschick zu Reformen veranlasst.
Als Hillary Clinton vor zwei Jahren sagte, die Nordkoreaner verhielten sich wie ein trotziger Teenager, der ständig die Eltern provoziert, um wahrgenommen zu werden, sprach das vielen aus der Seele und wurde oft zitiert.

Aber ist das wirklich ein so gutes Bild? Nehmen wir es ernst, stehen wir als ziemlich miserable Eltern da: Wenn unser Kind seine wachsenden Kräfte ausprobiert, entziehen wir ihm erst einmal das Essen. Wenn es sich dann in seinem Zimmer einschließt und sich mit Ballerspielen abreagiert, verschärfen wir unsere Sanktionen.

Eine typische Machtkampfsituation, in der ein Starker und ein Schwacher als Ergebnis nur totale Unterwerfung des einen unter die Regeln des anderen kennen. Der vorab Stärkere hat die überlegene Einsicht und wird deswegen gewinnen. Natürlich.

Lage ist Ergebnis westlicher Sanktionspolitik
Der gegenwärtige politische Konflikt hat freilich mit einer Kinderstube nicht viel zu tun. Es gibt nicht das Kind Nordkorea. Es gibt einen Staat, in dem die Menschen am Gängelband von Hunger, Desinformation und gegenseitiger Kontrolle leben und nur die Wahl haben zwischen "offenem Vollzug" und geschlossenen Umerziehungslagern.

Umso trostloser, feststellen zu müssen, dass ihre Lage auch das Ergebnis westlicher Sanktionspolitik ist. Sie hungern, wir aber fragen, was ihr junger Diktator und hinter ihm die Armee und die Partei militärisch vorhaben.

Dabei führt unsere Fixierung auf die Atomwaffen des Landes offenkundig auch uns in eine Sackgasse. Experteneinschätzungen zufolge wird Kim zwei Dinge sicher nicht tun: Er wird keinen Krieg beginnen. Und er wird von seinem Atomprogramm nicht ablassen.

Wollte man ihn dazu zwingen, müsste man nach der bisherigen Logik die Sanktionen verschärfen oder sogar den nächsten "präventiven" Angriffskrieg führen – in beiden Fällen riskierte die Welt, mit einem weiteren zerstörten oder "gescheiterten" Staat leben zu müssen.

Gibt es Alternativen? Die offiziellen Atommächte USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China stehen den inoffiziellen Indien, Pakistan, Israel, Iran und Nordkorea teils duldend, teils unversöhnlich gegenüber. Und den Nicht-Atommächten bleibt die Furcht, das schlechte Beispiel könnte unter den machthungrigen Eliten von Schwellenländern Schule machen.

"Wandel durch Annäherung"
Die Bereitschaft zu wirksamer Selbstverteidigung dürfen wir deswegen um keinen Preis aufgeben. Aber vielleicht gibt es heute doch Möglichkeiten, mit totalitären Regimes so umzugehen, dass nicht das ganze betroffene Land in den Abgrund gerissen wird.

Dazu müssten wir freilich unsere Fragen anders stellen. Die Frage "was können wir tun, um der Bevölkerung in dem verarmten Land zu Prosperität und Selbstbestimmung zu helfen?" würde auch in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse ganz nach vorn rücken.

"Wandel durch Annäherung" hieß die deutsche Formel im Kalten Krieg. Heute wissen wir, dass sich in jedem derartigen Konflikt beide beteiligten Parteien zwangsläufig wandeln. Der Machtkampf mit totalitären Regimes treibt oft auch die ursprünglich freiheitlichere Seite immer mehr in die Selbstreduktion auf Machtgebaren. In diese Falle sollten wir nicht gehen. Wir sind doch verteidigungsbereit und gut gerüstet. Wir können uns doch leisten zu sagen:

Wir wollen unsere Kinder heranwachsen sehen
Wir würden die wirtschaftliche Zusammenarbeit gern wieder aufnehmen. Unsere Bedingung lautet, dass an von uns mitbetriebenen Produktionsstätten menschenrechtliche Standards eingehalten werden und dass die Erträge einer Verbesserung der Lebensverhältnisse im Lande zu Gute kommen.

Damit hätten wir das Bild von Hillary Clinton tatsächlich fruchtbar gemacht: Unsere Kinder wollen wir heranwachsen sehen zu Menschen, die selbständig werden und irgendwann mit ihrer größer werdenden Kraft verantwortungsvoll umgehen.

Nein, der Staat Nordkorea ist kein "Kind" des Westens. Aber für sich wie für die koreanische Bevölkerung kann der Westen am meisten erreichen, wenn er sich um die darbende Bevölkerung kümmert, das Regime in seine Schranken weist oder mit Geschick zu Reformen veranlasst.

Dr. Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin.
Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik".
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