Norbert Walter: "Risikoappetit" ist verloren gegangen

Moderation: Birgit Kolkmann |
Nach Einschätzung des Chefvolkswirts der Deutschen Bank, Norbert Walter, wird sich die Bankenkrise negativ auf die Konjunkturentwicklung auswirken. Es sei schwieriger geworden, für risikoreiche Investitionen Kredite zu erhalten, sagte der Ökonom.
Birgit Kolkmann: Mit Milliarden gegen die internationale Finanzkrise. Es waren die Notoperationen der Notenbanken, die im vergangenen Jahr den Zusammenbruch nicht nur der deutschen IKB und Sachsen LB verhinderten, sondern auch anderer Großbanken wie Citigroup und Merrill Lynch. Hunderte Milliarden Euro wurden mobilisiert. Eins konnten die Notenbanker aber nicht verhindern: Das Vertrauen der Kundschaft in die Kreditinstitute ist erschüttert, immer höher das Risiko der Häuslebauer, deren Kredite von den Banken an Investoren weiterverkauft werden, die dann die Kundschaft in die Zange nehmen. Aber lauern noch weitere Gefahren, auch für die globale Konjunktur? Zum Interview in Deutschlandradio Kultur begrüße ich den Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Schönen guten Morgen, Norbert Walter!

Norbert Walter: Ja, guten Morgen!

Kolkmann: Der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank sind besorgt über den Konjunkturverlauf für dieses Jahr. Wie skeptisch sind Sie, was die langen Schatten der Finanzkrise angeht?

Walter: Die langen Schatten der Finanzkrise haben sich in den Bankbilanzen richtig intensiv ausgewirkt und bei einigen Anlegern, die solche Titel gekauft haben, natürlich auch. Insgesamt ist der Risikoappetit verlorengegangen. Und das bedeutet, alle diejenigen, die Kredit brauchen, die ganz besonders viel Kredit brauchen, die sind jetzt in einer weniger günstigen Lage, als sie noch vor einem Dreivierteljahr waren. Das bedeutet, dass risikoreiche Investitionen jetzt viel schwerer möglich sind. Das ist schade, denn Strukturwandel wird ja dringend gebraucht. Aber es gibt natürlich auch andere, die davon nicht unmittelbar betroffen sind. Diejenigen, die gute Gewinne machen als Unternehmen, die in erfolgreichen Märkten gewirtschaftet haben, die können ihre eigenen Mittel investieren, und sie können eigentlich relativ unbeeindruckt von dem, was da bei einigen Finanzhäusern geschehen ist, ihre unternehmerische Zukunft planen und gestalten.

Kolkmann: Also die Banken sind extrem vorsichtig geworden, auf der anderen Seite sind die Kunden misstrauischer geworden. Wie kann die Vertrauensgrundlage wiederhergestellt werden?

Walter: Da gibt es eine Reihe von Vokabeln, die immer gebetsmühlenhafter vorgetragen werden, eine heißt Transparenz. Ich glaube am Ende, dass Transparenz nicht sehr viel hilft, denn um Transparenz herzustellen, müssen alle Beteiligten die Information, die gegeben wird, dann hinterher auch zu sich nehmen, und sie müssen gut genug ausgebildet sein, um sie zu verstehen. Ich glaube, das wäre eine Überforderung von vielen Bankkunden. Mit anderen Worten: Ich glaube, dass das Vertrauen eher indirekt wieder entstehen muss, dadurch, dass bestimmte Geschäfte wieder gut gehen, dass man wieder Erfolge hat, dass man wieder nach vorne blickt, dass man erkennt, wo Produkte zu kompliziert waren, um sie irgendjemandem zu erklären. Einfachheit wird also eine Parole sein, die in Zukunft wieder eine große Rolle spielt. Und das bedeutet faktisch: Wir brauchen wohl Zeit. Es muss Gras wachsen über dieses Problem. Das Problem muss ausgestanden werden in den Finanzhäusern. Und danach muss die Zeit die Wunden heilen.

Kolkmann: Wenn Gras über etwas wächst, dann wird auch etwas zugedeckt, vielleicht nicht unbedingt gelöst. Muss denn die Politik helfen, um zum Beispiel den Verbraucher zu schützen vor einem riskanten Verkauf seiner Kredite an Investoren, das er beispielsweise ein Vetorecht bekommt?

Walter: Ich würde sagen, wir sollten vor allem Optionen für alle zulassen. Wenn ein Kunde sagt, wenn ich ein Geschäft abschließe, dann möchte ich das Geschäft mit dem, mit dem ich es abgeschlossen habe, auch endgültig abschließen und nicht hinterher in eine neue Konstellation geraten. Das ist ein legitimes Interesse eines Vertragspartners. Es ist aber ebenso legitim für jemanden, der ein Geschäft abschließt, der aus bestimmten Risiken, die damit verbunden sind, heraus möchte, dass er die Option hat, aus diesen Risiken herauszukommen. Und um beiden Wünschen gerecht zu werden, sollte es Optionen geben. Und das wird dann wohl so sein, dass derjenige, der einen Vertrag abschließt, der dann exklusiv mit ihm ist, dass der natürlich einen höheren Preis zu zahlen hat. Wer bereit ist, den höheren Preis zu zahlen, der kann die Exklusivität in der Beziehung im Vertrag natürlich auch reklamieren und sollte sie auch reklamieren.

Kolkmann: Das würde bedeuten, dass ein günstiger Kredit mit mehr Risiken behaftet wäre. Auch allerdings mit Möglichkeiten für die Bank, eine höhere Rendite herauszuwirtschaften. War das etwas, was die Banken in den letzten Jahren zu sehr ins Visier genommen haben, haben sie ihr eigentliches Geschäft, nämlich Geld für die Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, ein bisschen außer Acht gelassen?

Walter: Das wird von vielen im Markt so gesehen, und das mag in einigen Fällen auch so zutreffen. Aber es ist sehr typisch, dass beispielsweise in Europa jene Länder ganz besonders viele von diesen Subprime-Krediten in ihr Portfolio genommen haben, die zu Hause trotz großer Bemühungen Kreditgeschäfte nicht mehr haben machen können, weil an ihren Märkten solche Geschäfte nicht mehr nachgefragt waren. Es ist ja nun in Deutschland gerade so gewesen, dass zwar Institute aus dem öffentlichen Sektor sich diesen Geschäften in ganz besonderer Weise zugewandt haben. Das ist ja ein Hinweis wohl darauf, dass deren normale Geschäfte nicht so gut gegangen sind, um für diese öffentlich-rechtlichen Banken genügend Geschäftsmöglichkeiten in ihren typischen, ihren angestammten Feldern bereitzustellen. Und bevor man dann wild über bestimmte öffentlich-rechtliche Institute herfällt, was manche gerne tun, sollte man formulieren und sagen, in Deutschland, in Frankreich sind normale Kreditgeschäfte im Verlaufe der letzten Jahre deshalb immer weniger häufig vorgekommen, weil viele dieser Unternehmen so viel Geld am Markt verdient haben, dass sie die Banken und den Kapitalmarkt nicht brauchten, um ihre Investitionen zu finanzieren. Es war also Mangel an Geschäftsmöglichkeiten für deutsche, für französische Geschäftsbanken, die diese Institute veranlasst haben, bestimmte Wertpapiere, die in den USA kreiert wurden, zu kaufen.

Kolkmann: Ihr Chef Josef Ackermann sagt ja, es braucht eine enge Kooperation von Banken, Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und Regierungen. Ist das sehr kompliziert?

Walter: Das ist etwas, was unbedingt erforderlich ist. Es ist völlig klar, dass Marktteilnehmer die Ordnung eines Marktes für sich selbst nicht schaffen. Das ist etwas, was offenkundig durch den Staat oder durch internationale Institutionen zu gestalten und zu schaffen ist. Und es ist auch klar, dass überall auf der Welt, wo man ein Finanzsystem reiferen Grades hat, es ein zweistufiges System gibt, mit privaten Banken und einer staatlichen Zentralbank, die ihrerseits die Qualität des Geldes, die Preisstabilität als wichtigstes Merkmal dabei, sichert. Darauf haben staatliche Institutionen, in diesem Fall Aufsichtsbehörden, zu achten.

Kolkmann: Und die auch die globalen Auswirkungen im Blick hat?

Walter: Das ist etwas, was wir unglücklicherweise noch immer nicht in ausreichendem Maße haben. Die Marktteilnehmer sind immer öfter global orientiert und global aufgestellt, und die Aufsichtsbehörden sind vor lauter Dominanz des Nationalen noch immer in der Regel eher national aufgestellt. In Europa gibt es glücklicherweise eine Entwickler-Debatte, dass wir das auf europäischer Ebene tun. Und es sei der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof ausdrücklich Dank gesagt, aber die Aufsichtsbehörden sind prinzipiell noch immer national. Und nur ihre freiwillige internationale Zusammenarbeit sorgt dafür, dass Aufsichtsbehörden und Regulierungsbehörden die angemessene Struktur haben. Das ist noch etwas, was sicherlich noch besser entwickelt werden muss.