Nora Bossong: "Schutzzone"

Diplomatie zwischen Whisky, Pool und Zynismus

05:52 Minuten
"Schutzzone" von Nora Bossong
Welche Interessen vertreten die UN-Diplomaten? Eine der Fragen, der Nora Bossong in ihrem Roman nachgeht. © Suhrkamp Verlag
Von Rainer Moritz · 14.09.2019
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Burundi, New York, Genf – die Diplomatin Mira führt ein Leben fernab von Einheimischen, aber dicht dran an den Machtzentren. In "Schutzzone" hinterfragt Nora Bossong, was die UN bei den weltweiten Konflikten überhaupt leisten kann.
Es ist noch nicht lange her, als sich Robert Menasse in seinem – mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten – Roman "Die Hauptstadt" nach Brüssel aufmachte, um das Innenleben der EU-Machtzentrale auszuleuchten. Nun scheint Nora Bossong, die sich schon in der Vergangenheit als Autorin mit Blick für große politische Zusammenhänge profilierte, einen ähnlichen Weg zu beschreiten. Ihr Roman "Schutzzone" setzt im Frühjahr 2017 am Sitz der Vereinten Nationen in Genf an. Mira, eine Frau Anfang 30, arbeitet dort als Diplomatin im Palais des Nations und ist damit befasst, mit ihren Kolleginnen und Kollegen Lösungen für den Zypernkonflikt zu erarbeiten.
Strukturiert wird der Roman durch mehrere Handlungsstränge und wechselnde Schauplätze. Vor ihrer Zeit im sterilen Genf arbeitete Mira in New York und im ostafrikanischen Burundi und blickt so trotz ihrer jungen Jahre bereits auf eine nicht geringe UN-Erfahrung zurück. Was sie bewegt, ist das häufige Unvermögen der UN-Diplomaten, Konflikte zu befrieden oder Unrecht der Vergangenheit aufzuarbeiten und zu sanktionieren. Permanent werden Meetings abgehalten, Berichte geschrieben, mit unbefriedigendem Ergebnis: "Wir scheiterten nicht. Nicht in den Berichten. Niemals ganz."

Weltpolitische Geschehen mit privaten Verwerfungen

Miras Privatleben ist kaum existent; sie zählt zu den "Expats", die an ihren Einsatzorten ein Pool- und Whisky-Leben fernab der Einheimischen führen, leicht dem Zynismus erliegen und zugleich versuchen müssen, die Machtstrukturen vor Ort zu begreifen. Auf den Genfer Hotelfluren trifft Mira auf einen Kollegen, den sie aus der Kindheit kennt: den acht Jahre älteren Milan, in dessen Bonner Elternhaus sie 1994 unterschlüpfte, als sich ihre Eltern trennten. Die Erinnerungen an diese Zeit bilden einen der großen Erzählblöcke des Romans. Gut 20 Jahre später kommen sich Mira und Milan nun ohne viel Aufhebens in Genfer Hotelbetten näher – ungeachtet dessen, dass er verheiratet ist und einen Sohn hat.
Nora Bossong geht kein geringes Risiko ein, indem sie auf diese Weise weltpolitisches Geschehen und private Verwerfungen miteinander verschränkt. Der Spagat gelingt ihr vorzüglich, besser als in ihrem letzten Roman "36,9°", der sich auf Leben und Werk des Philosophen Antonio Gramsci bezog. Zum zentralen Demonstrationsobjekt der UN-Bemühungen wird Miras Aufarbeitung dessen, was sie 2012 in Burundi erlebte.

Wann darf Gnade walten?

Was, so sinniert sie, vermögen "Wahrheitskommissionen" zu leisten, wenn es darum geht, einen viele Jahre zurückliegenden Genozid aufzuklären und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen? Wann darf Gnade walten, wie weit sollten die Einmischungen der selbsternannten Ersten Welt gehen, was taugt der Blick von außen, welchen aktuellen Regierungsvertretern ist zu vertrauen, welche Interessen vertreten die UN-Diplomaten und ihre Hintermänner?
Fragen über Fragen, die Nora Bossongs "Schutzzone" natürlich eher stellt denn beantwortet und erzählerisch einzubetten versucht. Dass der Roman, der zum Glück nichts von einem Thesenroman hat, der Komplexität des Themas gerecht wird, hat viel mit seiner Sprache zu tun. Wie die Autorin punktlose Satzgirlanden anfertigt und die Atmosphäre ganz unterschiedlicher Orte und Regionen einfängt, das ist ein wesentliches Charakteristikum dieses kunstvollen, klugen Romans.

Nora Bossong: "Schutzzone"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
335 Seiten, 24,00 Euro

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