Nooke: Menschenrechte drohen hinten runterzufallen

Günter Nooke im Gespräch mit Matthias Thiel und Ulrich Ziegler |
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, sieht eine zunehmende Abhängigkeit der USA von China. Dadurch drohe das Thema der Menschenrechte gerade bei der neuen Obama-Administration in den Hintergrund zu geraten, warnte der CDU-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: Günter Nooke, stehen Sie mit Ihrem Thema und Ihrer Aufgabe als Menschenrechtsbeauftragter eigentlich derzeit auf verlorenem Posten?

Günter Nooke: Nein, ich glaube, dass Menschenrechte ja so was wie das einzige, weltweit anerkannte Wertesystem sind, das wir haben. Gerade in Zeiten der Finanzkrise oder von Bürgerkriegen der vielleicht sogar neuen Auseinandersetzungen zwischen Staaten ist ein Leitsystem, was auf Werten beruht, unverzichtbar. Man muss es nur hören.

Deutschlandradio Kultur: Das ist ja genau die Frage. Wird das im Moment gehört oder reden wir hauptsächlich über Weltwirtschaftskrise, über Firmenpleiten, über all diese Fragen und sagen, na ja, Menschenrechte machen wir lieber in besseren Zeiten?

Günter Nooke: Ich benutze gerne, was Kofi Annan mal gesagt hat: Wenn es um die UNO geht oder die Sicherung des Weltfriedens, dann gibt es drei Säulen - Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte. Und ich glaube, dass der Tisch zwar schief stehen kann, aber wenn die Säule Menschenrechte ganz fehlt, dann geht es nicht, dann funktioniert es nicht. Und man wird natürlich auch Entwicklung brauchen, auch wirtschaftliche Zusammenarbeit. Man wird immer auch die Frage der Sicherheit, der Stabilität nicht nur unter der Überschrift der Menschenrechte diskutieren können. Aber wenn man die Menschenrechte als dritte Säule ganz weglässt, dann verliert man eigentlich das Wichtigste, was die Wertebasis darstelle. Insofern wünsche ich mir natürlich, dass jetzt nicht alles, was in den Sonntagsreden immer behauptet wurde, verloren geht. Wenn ich an den letzten Besuch von Hillary Clinton in China denke, dann könnte man natürlich auf den Gedanken kommen, dass Amerika von China inzwischen wirtschaftlich viel abhängiger ist, als dass sie mit ihrem Werteverständnis von Menschenrechten noch Einfluss auf China haben.

Deutschlandradio Kultur: Dazu kommen wir gleich, Herr Nooke. Mich würde vorher noch interessieren: Sind Sie da sozusagen das gute Gewissen einer realpolitisch handelnden Bundesregierung?

Günter Nooke: Ich könnte das ja als ein Kompliment auffassen, nur ist es manchmal so, dass mit gutem Gewissen derjenige verstanden wird, der den idealistischen Part übernimmt, und die richtige Politik machen die anderen. Das würde ich nicht sagen. Ich möchte schon auch richtige Politik machen, zwar vielleicht nicht mit materieller Gewalt, sondern mit der Stärke des Wortes und des Rechtsstaats, der guten Regierungsführung. Insofern, glaube ich, sollte man nicht Realpolitik und moralische Fundierung von Politik gegeneinander ausspielen, weil nämlich gerade Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte zusammen erst eine friedliche Entwicklung in der Welt zulassen. Erst das kann man wirklich als Realpolitik bezeichnen.

Ich bin aber bereit zu akzeptieren, dass es Situationen in der Welt geben kann, wo vielleicht Frieden herzustellen einfach wichtiger ist, dass die Waffen schweigen, dafür zu sorgen, als jetzt groß über Menschenrechte zu philosophieren und einen Riesenkatalog von allem, was wir uns hier in Europa und in Deutschland haben, vorzutragen und davon nichts zu bekommen.

Deutschlandradio Kultur: Das Gefühl, dass Sie vielleicht ein zahnloser Tiger sind, manchmal am Katzentisch sitzen und mit guten Worten was versuchen, aber letztendlich die Politik in eine ganz andere Richtung geht, haben Sie nicht?

Günter Nooke: Wenn ich jetzt die Vorstellung hätte, dass ich mit drei richtigen Sätzen die ganze Welt verändere, dann hätte ich den Job nicht annehmen dürfen. Ein bisschen langen Atem habe ich schon. Ich glaube auch, dass ich mit Politikern reden kann. Ich hatte gerade in Delhi ein Gespräch mit dem Premierminister. Ich meine, da sind natürlich auch Schauspieler am Werk. Man muss mit denen natürlich nicht nur über Menschenrechte reden, sondern auch versuchen sie ein bisschen auf den Pfad zu locken, den man gerne hätte, nicht bloß als Menschenrechtsbeauftragter, sondern auch als deutsche Bundesregierung, als Geldgeber für die internationale Gemeinschaft UN und EU. Also, in diesem ganz realpolitischen Feld bewege ich mich ja auch.

Deutschlandradio Kultur: Oder die hören Ihnen zu? Oder sie sind einfach freundlich und hören Ihnen zu und sagen, schön, dann war er mal da, dann kann er auch wieder gehen?

Günter Nooke: Na ja, ich nehme ja was mit. Ich sage ja auch das eine oder andere Kritische ins Haus Auswärtiges Amt hinein, so dass wir dann unsere Politik auf solche Leute hin dann auch ausrichten. Also, der Einfluss, den ich habe, ist schon, dass auch die Diplomaten im Auswärtigen Amt und natürlich auch meinen Minister, den ich beraten soll, oder im Kanzleramt die entsprechenden Außenpolitiker meine Informationen zur Kenntnis nehmen. Was daraus geschieht, müssen Kanzlerin und Außenminister natürlich selber entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Können Sie uns mal ein praktisches Beispiel geben? Wie finden Sie Gehör beim Außenminister und bei der Kanzlerin?

Günter Nooke: Nehmen Sie zum Beispiel die Situation von Guantanamo. Ich habe sehr, sehr schnell nach meinem Amtsantritt im März 2006 gesagt: Zumindest diese schon damals von amerikanischen Gerichten als unschuldig festgestellten Uiguren, dieser Minderheit aus dem Nordwesten Chinas, sollte man aus dem Lager Guantanamo befreien und aufnehmen. Und wenn dazu keiner bereit ist, dann sollten Deutschland oder die Europäische Union dazu bereit sein. Das ist jetzt drei Jahre her, aber wir sind ja ein Stückchen weiter.

Deutschlandradio Kultur: Da liegen Sie in heftigem Streit aber mit anderen Ministern in der Regierung. Gerade der Bundesinnenminister Schäuble hat in dieser Woche noch mal seine Auffassung bekräftigt, dass wir keine Guantanomo-Häftlinge aufnehmen. Machen wir es mal ganz konkret: Welche Einflussmöglichkeiten haben Sie da?

Günter Nooke: Ich glaube, dass die Diskussion inzwischen weiter ist, dass wir ein Schreiben eines portugiesischen Außenministers haben, dass wir eine Diskussion auf EU-Ebene haben und dass es am Ende doch darauf hinauslaufen wird, dass einige Staaten in der Europäischen Union wohl bereit sein werden. Eine gemeinsame europäische Lösung war von Anfang an immer im Gespräch. Denn es geht ja bei diesem Fall der Uiguren vor allem auch darum, dass China etwas dagegen hat. Sie möchten gerne, dass sie nach China ausgeliefert werden, wo ihnen Folter oder vielleicht sogar Tod droht, weil dort im Grunde eine Gruppe pauschal unter Terrorismusverdacht gestellt hat. Das geht natürlich nie. Man kann nie sagen, eine Ethnie, alle Menschen sind dort gleichermaßen Verbrecher. Es geht immer um die Einzelfallprüfung. Und die würde in China nie fair erfolgen.

Deutschlandradio Kultur: Aber interessant ist ja schon: Wolfgang Schäuble, der Innenminister und Ihr Parteifreund, hat diese Woche noch mal gesagt, dass er es sich eigentlich nicht vorstellen kann, dass die Amerikaner mit ihren Flüchtlingen das Problem lösen sollen, aber dass nicht unbedingt Deutschland ins Boot muss. Kriegen Sie einen Gesprächstermin bei Wolfgang Schäuble? Können Sie ihn davon überzeugen?

Günter Nooke: Also, den Gesprächstermin, mein Antrittsbesuch, habe ich gemacht. Ich kriege auch einen Gesprächstermin, aber es wird natürlich von einem Innenminister zwangsläufig anders gesehen. Ich hatte ja gesagt, es gibt diese Säule Sicherheit ja auch, für die der Innenminister Verantwortung trägt. Da verstehe ich natürlich, dass er alles vermeiden will, und ich bin der gleichen Auffassung, wir würden hier potenzielle Terroristen nach Deutschland holen. Das darf nicht der Fall sein. Deshalb habe ich auch erst mal von einer Gruppe geredet, wo ich ziemlich sicher bin, dass diese Menschen hier wirklich aus ganz anderen Gründen damals, aus wirtschaftlichen Gründen aus China geflüchtet sind und dann in einem Talibanlager ankamen und am Anfang dieses Kampfs gegen den Terror 2001 für 5.000 Dollar von Amerika gekauft wurden. Es sind ja wirklich Schicksale, die dahinter stehen. Die Lage dieser Uiguren ist eigentlich ziemlich klar. Wolfgang Schäuble hat natürlich als Innenminister völlig recht, genauso wie die Kanzlerin oder andere, die das sagen. Es geht natürlich darum, dass erst mal Amerika selbst verantwortlich ist.

Und man kann dann nur sagen, wenn ihr was von uns wollt, dann sind wir auch bereit, hier etwas für euch zu machen. Letztlich wird es, wie alles Geschäft im internationalen Bereich, diplomatisch auszuhandeln sein, was man dafür bekommt. Das klingt nicht schön, aber so ist die politische Realität. An der kann ich als Menschenrechtsbeauftragter auch nicht vorbeikommen. Aber wenn ich mich in die Lage dieser Menschen versetze, die völlig unschuldig seit sieben Jahren in diesem nun wirklich nicht menschenrechtsfreundlichen Lager im Gefängnis sitzen, dann kann ich nur sagen, das muss gelöst werden.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie werden in dieser Frage auch einem parteiinternen Streit nicht aus dem Wege gehen?

Günter Nooke: Nein, das ist ja bekannt, dass ich da seit drei Jahren eine andere Position habe. Wir werden mal sehen, wie es ausgeht. Ich glaube, dass Herr Schäuble natürlich auch noch einen anderen Punkt, nicht bloß die Verantwortung der Amerikaner, sondern auch seine begrenzte Einflussmöglichkeit auf die Länderminister im Blick hat. Die Bundesrepublik Deutschland als föderaler Bundesstaat verfügt über kein Territorium. Wenn jemand aufgenommen werden soll, muss ein Innenminister im Grunde unterschreiben.

Deutschlandradio Kultur: Aber konkret: Was kommt hinten bei raus? Gibt’s noch eine Lösung während dieser Legislaturperiode oder werden wir das Thema weiterdrehen und weiterdrehen und Bundestagswahlen haben und dann wieder neu anfangen?

Günter Nooke: Ich glaube, es gibt noch eine Lösung. Ich habe allerdings mit etwas Sorge zur Kenntnis genommen, dass das Pentagon ja jetzt auch für den neuen Präsidenten Obama noch mal eine Studie gemacht hat, die im Grunde das Gleiche sagt, was man Herrn Bush auch schon immer gesagt hat, dass eben die Auflösung von Guantanamo und die rechtlichen Fragen viel, viel komplizierter sind, weil es eben keine wirklich verlässlichen rechtlichen Rahmenbedingungen gibt, wie man mit Menschen, die im Kampf gegen den Terror irgendwo gefasst werden - ob das nun die USA sind oder ein anderer Staat -, umgeht. Selbst der Außenminister hat ja zu Kurnaz gesagt, er war uns suspekt, den wollten wir nicht haben, wenn Sie sich an die Worte von Frank-Walter Steinmeier erinnern. Was heißt denn, wenn einer sagt, "der war uns suspekt, den wollten wir nicht haben"? Mit diesem Argument hat der alte Präsident Bush dieses Lager eingerichtet. Die waren ihm alle suspekt, die wollte er nicht in Amerika haben. Aber das ist aus der Perspektive eines Menschenrechtlers nicht akzeptabel. Nur wenn jemand suspekt ist, kann man ihn nicht jahrelang festhalten. Entscheiden ist doch, dass er ein rechtsstaatliches Verfahren bekommt. Und wenn er kein rechtsstaatliches Verfahren bekommen kann, dann muss man ihn entweder freilassen oder man muss zugeben, dass man hier jedenfalls neue rechtliche Grundlagen braucht. Die haben wir noch nicht. Deshalb wird das Thema auch mit der Auflösung von Guantanamo bleiben.

Deutschlandradio Kultur: Günter Nooke ist Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, heute in Tacheles von Deutschlandradio Kultur. Herr Nooke, die amerikanische Außenministerin Clinton hat bei ihrem jüngsten Besuch in China die Menschenrechte nicht angesprochen. Sie haben es schon erwähnt. Scharf wird sie dafür von Amnesty unter anderem kritisiert. Sie haben sich dieser Kritik angeschlossen. Denn Frau Clinton sagt, die Menschenrechte in China, Tibet oder Taiwan sollen die Diskussion über Wirtschaftskrise, Klimawandel und Sicherheitsfragen nicht beeinträchtigen. Spielen Menschenrechtsfragen in Zeiten, wie diesen, also doch eine untergeordnete Rolle?

Günter Nooke: Die neue amerikanische Administration unter Präsident Obama hat offensichtlich nicht nur mit Guantanamo, sondern auch mit den Menschenrechten ein paar mehr Probleme, als sich manche gerade in Deutschland gedacht haben. Ich finde das bedenklich und ich finde, dass natürlich da auch ein Stück Abhängigkeit Amerikas von China vielleicht zum Ausdruck kommt, nämlich dass man China nicht nur international braucht, als eines der permanenten Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York, sondern dass man natürlich auch inzwischen, was die Finanzen in Amerika angeht, auf die entsprechenden Käufe der Papiere aus Amerika in China angewiesen ist. Das zeigt, dass die Menschenrechte offensichtlich hier doch etwas drohen hinten runter zu fallen, nicht bloß durch den Krieg im Irak Menschenrechte verletzt werden bei der alten Bush-Administration, sondern auch durch neue Abhängigkeiten eine angeblich doch eher linke oder demokratische Regierung in Washington nicht die Chance hat, das Wertesystem so offen zu vertreten, wie es eigentlich notwendig wäre.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt aber konkret, wir brauchen eine substantielle Diskussion auch mit China. Wie würden Sie vorgehen - in Abgrenzung möglicherweise auch zu dem, was wir im Moment aus den USA erleben?

Günter Nooke: Deutschland und Europa wären gut beraten, vielleicht ist es für Deutschland sogar noch einfacher als für die Europäische Union, wenn wir ganz klar einfach sagen: Menschenrechtspolitik ist die deutsche Interessenpolitik, wenn man einfach sagt, wenn die Insel von Freiheit, Wohlstand, Rechtstaatlichkeit, guter Regierungsführung größer wird, dann hat die Exportwirtschaft am meisten davon. Dann sind die Rahmenbedingungen auch für uns am sichersten. Das mag kurzfristig anders aussehen, mittel- und langfristig halte ich das für absolut richtig.

Wenn man das vertreten würde, hieße das einfach, dass man allen gegenüber, ob den Vereinigten Staaten, Russland, China, aber auch den Kleinen natürlich - Simbabwe oder Myanmar oder Nordkorea, die schlimmsten, die wir zur Zeit vielleicht haben -, ganz klar sagt, womit man nicht einverstanden ist und dass man auch nicht bereit ist, dafür Zugeständnisse zu machen oder sich von diesen Diktatoren an der Nase herumführen lässt. Und China, finde ich, muss man jetzt gerade, wenn man im Vorfeld der Märzzahl, also des 50. Jahrestages der Vertreibung des Dalai Lama und des Aufstandes in Tibet 1959, darüber nachdenkt, schon sagen muss, dass das, was in China passiert, gerade auch mit den Uiguren und den Tibetern, diesen beiden großen Minderheiten, absolut inakzeptabel ist.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen eben, das würde uns auch helfen, wenn man das vertreten würde - also auch der deutschen Wirtschaft -, wenn wir die Menschenrechte in ausreichender Form im Ausland vertreten würden. Tut das die Kanzlerin? Ist sie, wenn sie in China oder solchen Gebieten unterwegs ist, auf Ihrer Seite?

Günter Nooke: Ich muss das nicht immer explizit betonen, aber dass ich sehr, sehr gerne Menschenrechtsbeauftragter unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel bin, die sich ganz klar für Menschenrechte einsetzt und - ob nun zu Guantanamo oder zu Simbabwe oder auch zu China und Russland - immer klare Worte gefunden hat, das ist für mich schon ganz entscheidend.

Gerade angesichts des letzten Besuchs von Exkanzler Gerhard Schröder im Iran, wo ich mich schon gewundert habe, dass da auch insbesondere von der Linken so wenig Kritik kam, dass er mit dem Holocaust-Leugner Ahmadinejad dort mehr oder weniger ein freundliches Gespräch geführt hat. Während wir auf der anderen Seite mir der Katholischen Kirche und den Pius-Brüdern eine Debatte hatten, wo man eben das andere, das Leugnen des Holocaust, sehr, sehr nach vorne gestellt hat, ist man doch scheinbar auf der Linken mit dem Altkanzler Schröder sehr, sehr nachsichtig. Da muss ich schon sagen, da bin ich mit Angela Merkel wirklich sehr, sehr zufrieden. Und ich wünschte mir natürlich zuerst, dass das auch weitergehen kann.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind aber dem Auswärtigen Amt angegliedert. Wie ist das mit Herrn Steinmeier, dessen Politik in Sachen Tibet beispielsweise etwas anders ist als das, was die Kanzlerin gemacht hat? Geht das trotzdem zusammen?

Günter Nooke: Herr Steinmeier setzt sicher andere Prioritäten. Das hat verschiedene Gründe. Das will ich hier nicht kommentieren. Ich kann ihn nur beraten, dass er auch das Thema Menschenrechte als eine dieser wesentlichen Säulen erst nehmen sollte, weil natürlich sonst auch die Glaubwürdigkeit der gesamten deutschen Politik leidet, wenn Kanzleramt und Außenministerium hier mit zwei verschiedenen Stimmen sprechen. Insofern kann ich nur sagen, dass einige Sachen mich sicher auch bei Frank-Walter Steinmeier irritiert haben. Aber generell würde ich nicht unterstellen, dass das Thema Menschenrechte für ihn keine Bedeutung hat. Es wird nur an ein paar Stellen nach hinten gestellt. Manchmal braucht es ein bisschen mehr Mut vielleicht, um es wieder auf die richtige Stelle nach vorne zu schieben.

Deutschlandradio Kultur: Herr Nooke, im Zusammenhang mit China haben Sie noch eine These veröffentlicht. Sie sagten: "In Zeiten dieser Weltwirtschaftskrise würde der Druck auf Peking stärker werden, um Menschenrechte stärker Geltung zu verschaffen."

Man könnte auch umgekehrt im Moment sagen: Wenn es Millionen von Wanderarbeitern gibt, Leute, die rechtlos durch China wandern, um irgendwie ihre Existenz zu sicher, dann werden die eher politische Repressionen erfahren. Wie kommen Sie darauf, dass die Menschenrechte in Zeiten der Krise in China, für Chinesen besser werden?

Günter Nooke: Na ja, da sind natürlich die Dissidenten, die jetzt auch wieder inhaftiert wurden und Hausarrest hatten, als Hillary Clinton in China war. Und da sind ein paar Demonstrationen, aber das hat relativ geringen Einfluss gegen das, was soziale Unruhen in einem Staat mit 1,3 Mrd. Menschen und 120 Millionen Wanderarbeitern zum Beispiel auslösen können, wenn nämlich das, was die Chinesen selber zum Überleben brauchen, sozial nicht mehr geliefert werden kann. Und die Wanderarbeiter sind diejenigen, die viel Geld in die Provinzen geschickt haben von der Ostküste oder von den Städten, wo sie ihr Geld verdienen konnten - unter Bedingungen, die völlig inakzeptabel sind, aber sie haben schon in gewissem Sinne auch zu dieser sozialen Stabilität beigetragen. Wenn davon jetzt schon 20 Millionen arbeitslos sind und vielleicht noch viele mehr arbeitslos werden, dann sind das natürlich soziale Unruhen, auf die China reagieren muss. Das heißt auch, dass man sich hier natürlich bei den sozialen Menschenrechten, die wir bei allem ja nicht ganz vergessen dürfen, auch mehr Mühe geben muss.

Deutschlandradio Kultur: Wie steht es denn um den Menschenrechtsdialog mit Russland? Verbesserungen sind nicht zu spüren, wenn Journalisten und Bürgerrechtler um ihr Leben fürchten müssen.

Günter Nooke: Nein, in Russland hat sich sicher in den letzten fünf, acht Jahren die Lage nicht verbessert. Man könnte auch sagen, in einigen Bereichen, wenn man Nichtregierungsorganisationen nimmt, wenn man die Opposition nimmt, das Partei- und Wahlrecht, dann hat sich die Lage dort sogar sehr verschlechtert. Das ist ein alarmierender Befund. Da bin ich schon sehr betroffen. Ich will positiv sagen, dass zumindest die Nichtverurteilung in diesem Scheinprozess zum Mord von Anna Politowskaja, die Redakteurin der Nowaja Gazetta, ein positives Zeichen ist, jetzt noch mal zu zeigen, dass der Rechtsstaat vielleicht doch nicht nur den Mörder, sondern auch die Auftraggeber im Hintergrund deutlich machen kann. Aber natürlich ist das auch eine Frage, wie viel Mut einzelne Menschen in Russland haben. Man darf nicht vergessen, dass Menschenrechtspolitik nicht wie bei uns etwas ist, wo ich mit Ihnen im Radio schön darüber reden kann, sondern dass Menschenrechtsaktivisten wirklich bedroht sind, an Leib und Leben gefährdet.

Deutschlandradio Kultur: Wie lässt sich denn dieser Menschenrechtsdialog, den Sie sich sicherlich als gelernter Bürgerrechtler der DDR wünschen, weitertreiben? Haben Sie noch Ansprechpartner im Land oder müssen Sie versuchen auch mit der Regierung, mit Medwedjew, mit Putin immer wieder ins Gespräch zu kommen?

Günter Nooke: Nein, ich habe ich mich gefreut, dass der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Föderation vor Kurzem wiedergewählt wurde. Wladimir Lukin ist einer der Mitbegründer dieses Jablogo-Block, der durchaus unabhängig ist, sicher nicht die russische Regierungspolitik beeinflussen kann, aber der genauso wie Kowaljow vor ihm oder andere Menschenrechtsbeauftragte in Russland sich doch um die Lage bemüht, auch kritische Worte zum Beispiel zu dem Politkowskaja-Prozess oder zum Rechtsstaat in Russland immer wieder findet.

Also, ich glaube, wir müssen uns einfach gut vernetzen. Memorial ist eine der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen, mehrfach auch beim Friedensnobelpreis auf der Liste gewesen. Es gibt schon eine lebendige Zivilgesellschaft in Russland. Das Problem, glaube ich, ist, dass man in der russischen Bevölkerung das Vertrauen in Veränderung und in Politik ein Stück verloren hat und dass - auch wenn die Opposition heute demonstriert - nur noch Hunderte kommen und nicht Tausende oder Zehntausende, was eigentlich nötig wäre, was natürlich auch damit zu tun hat, dass man offensichtlich auch andere Probleme hat, um einfach zu überleben, oder eben sagt, das, was dort in Moskau passiert, tangiert uns wahrscheinlich sowieso nur gering. Aber auch die sozialen Fragen werden in Russland natürlich in Zeiten der Krise wieder stärker thematisiert werden.

Wenn der Ölpreis nicht so hoch ist, hat mir mal jemand gesagt, geht’s vielleicht sogar den Menschenrechten wieder besser. Denn wenn der Ölpreis hoch ist, ist das immer gefährlich, weil den Staatschefs in den arabischen Staaten oder in Russland oder in Venezuela, die menschenrechtlich alle bedenklich sind, dann besonders viel Macht gegeben wird. Insofern muss man auch mal sehen, ob die Krise vielleicht an der Stelle was Positives bewirkt.

Deutschlandradio Kultur: Tacheles von Deutschlandradio Kultur, heute mit Günter Nooke, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung.
Weltweit nimmt die Zahl der Bürgerkriegsflüchtlinge nicht ab. Immer mehr reine Wirtschaftsflüchtlinge kommen hinzu. Gerade mit denen wollen wir aber eigentlich nichts zu tun haben, so ist zumindest der Eindruck, wenn wir uns zum Beispiel mal die Flüchtlingslage auf der italienischen Insel Lampedusa angucken. Hier ist der deutsche Menschenrechtsbeauftragte doch aber eigentlich auch gefordert.

Günter Nooke: Ja, ich glaube, dass das in der Tat das Problem ist, wo die Europäische Union im Stärksten herausgefordert ist, ihr eigenes Verständnis von Menschenrechten, also, wenn Sie so wollen, die Europäische Menschenrechtskonvention, wirklich ernst zu nehmen. Ich glaube, dass an den Außengrenzen der Europäischen Union das größte Menschenrechtsproblem überhaupt existiert, wenn Menschen im Mittelmeer, in der Ägäis und anderswo quasi von griechischen Fischerbooten aus gesehen werden, aber - da man nicht weiß, wohin mit den Leuten und weil sie keiner haben will in der Europäischen Union - es für einen Fischer leichter ist zu sagen, ich fahre lieber wieder nach Griechenland zurück und rette den nicht, weil ich hinterher viel mehr Probleme habe, wenn ich den in meinem Boot habe. Das kann nicht der Zustand sein, dass wir Menschen, einfache Menschen in solch eine Lage bringen, dass der Eindruck entsteht, lasst die lieber ertrinken, als dass wir sie auf das Territorium der Europäischen Union bringen und sie dann natürlich gerecht verteilen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wie lange müssen da noch Menschen ersaufen, bis die EU endlich handelt?

Günter Nooke: Ich rede darüber. Ich glaube, dass das wirklich wichtig ist. Ich verstehe auch europäische Regierungen, dass sie nicht den Eindruck erwecken wollen, man muss nur ins Meer gehen, dann werden alle gerettet. Dieser Sogeffekt, den alle befürchten, dass also dann aus Afrika noch viel, viel mehr Menschen nach Europa wollen, ist sicher ein Problem. Deshalb rede ich auch über unsere Entwicklungszusammenarbeit und über die Stabilisierung von Staaten in Afrika und dass wir dort möglichst auch interessante Jobs für junge Menschen aus Afrika in Afrika schaffen, dass nicht der Eindruck entsteht, man kann nur nach Europa kommen, wenn man überhaupt überleben will oder vielleicht sogar noch einen vernünftigen Beruf erlernen will. Aber dass das Problem an der Grenze dort entsteht, muss von allen europäischen Staaten gelöst werden. Wir können nicht zulassen, dass dort Menschen ertrinken, wenn die Möglichkeit besteht sie zu retten. Aber wir müssen auch alles dafür tun, dass die afrikanischen Staatschefs ihre Verantwortung selbst übernehmen.

Was in Simbabwe passiert, was Mugabe da mit seiner Feier und 8.000 Hummern und 8.000 Jonny Walkerflaschen Whiskey, die er bestellt hat, gerade abzieht, und dass da alle afrikanischen Staatschefs dazu schweigen, das ist für diesen afrikanischen Kontinent so blamabel und so frustrierend und letztlich ein Skandal an sich. Ich kann das wirklich nicht mehr anders formulieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber gerade mal Simbabwe, wäre da nicht die internationale Staatengemeinschaft gefordert gewesen zu sagen: Bevor Menschen kein Trinkwasser mehr haben, muss die internationale Staatengemeinschaft reingehen. Sie muss da ein Exempel statuieren und zeigen, dass es so nicht weitergeht.

Günter Nooke: Ja, "reingehen" ist immer ganz schnell gesagt und rauskommen ist ganz schwer. Die meisten reden dann darüber, dass man wieder rausgehen sollte, obwohl man natürlich jetzt auch aus Afghanistan zum Beispiel nicht wieder rausgehen kann. Und das wäre in Darfur und Simbabwe vielleicht ähnlich.

In Lissabon beim Gipfel war Mugabe da. Frau Merkel hat ihn kritisiert - am Tisch. Und ich finde, das war nötig. Ich habe da auch im Kanzleramt gesagt, ich finde das wichtig. Wenn der englische oder britische Premierminister nicht hinfährt und Frau Merkel und die anderen fahren hin und Mugabe kommt, dann muss man ihm auch ins Gesicht sagen, dass das so nicht geht, wie er sich da verhält.

Deutschlandradio Kultur: Und Sie glauben dann, Mugabe sagt dann, "oh ja, die hat recht, jetzt machen wir das"?

Günter Nooke: Nein, aber das Entscheidende ist, dass Sarkozy beim Rausgehen gesagt hat: "So geht man nicht mit Leuten um." Dass man sich nicht mal einig ist in der Europäischen Union, das finde ich den Skandal. Sarkozy hat sich das nicht getraut zu wiederholen, aber eine erste Meldung war so, dass er das beim Rausgehen zu seinen Beratern und einigen Journalisten gesagt hat. Und ich finde, hier muss sich die Europäische Union erst mal einig werden. Und ich freue mich, dass die deutsche Staatschefin und Kanzlerin da an der obersten Spitze steht. Und dann muss man gucken, was man machen kann. Wir müssen in Simbabwe natürlich die umliegenden Nachbarstaaten in Afrika zwingen, dass sie sich da stärker drum kümmern. Da sterben Leute. Was dort abläuft ist die größte Cholera-Epidemie, die wir im Grunde in der Neuzeit hatten. So geht das nicht. Also, es wird auf der Tagesordnung bleiben, ganz sicher. Wir werden auch im Menschenrechtsrat Anfang März das Thema Simbabwe wieder ansprechen.

Deutschlandradio Kultur: Also, wir können all diese Themen ansprechen. Wir können auch konkret handeln. Nehmen wir mal das Beispiel Kindersoldaten. Es gibt schätzungsweise 250.000 an der Zahl, viele in Afrika. Wir haben in Deutschland selbst rund 500 Kindersoldaten. Es gibt die Forderung, dass man sagt, die müssten mit anerkanntem Asylgrund hier bleiben. Den haben sie aber im Moment noch nicht.

Günter Nooke: Man muss da sicher, wenn man Asyl gewährt, immer den Einzelfall prüfen, auch bei Kindersoldaten, auch wer vielleicht noch an Familien in ihren Heimatländern da ist. Wir haben auch viele Folteropfer, viele Kriegsopfer. Ob es immer die beste Lösung ist, wenn alle hier bleiben, das kann ich jetzt nicht genau sagen. Aber natürlich ist es wichtig, dass auch Menschen, die hier in Deutschland sind und die nicht in ihre Länder zurück können, hier Asyl gewährt wird. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man diesen Kindern Sicherheit gibt für ihr weiteres Leben. Und dazu gehört auch, dass man ihnen ganz klar sagt, sie können in Deutschland bleiben, oder dass man vielleicht Verwandte oder Angehörige in ihren Heimatländern findet, die sich dann wieder um sie kümmern können.

Deutschlandradio Kultur: Herr Nooke, jetzt haben wir über viele Themen gesprochen, die uns wirklich Sorgen machen in Sachen Menschenrechten - Kindersoldaten etc. Es gibt aber auch gute Nachrichten an der Menschenrechtsfront. Im vergangenen Jahr haben Albanien, die Cook-Inseln und Usbekistan die Todesstrafe vollständig abgeschafft. Könnte eigentlich Amerika diesem Vorbild auch folgen?

Günter Nooke: Natürlich könnte es. Jedes Land kann diesem Vorbild folgen. Es sollte auch gefolgt werden. Deutschland und die Europäische Union setzen sich dafür ein, die Todesstrafe gänzlich abzuschaffen. Wir haben auch in den Vereinten Nationen ein Moratorium erst mal erreicht, eine Mehrheit dafür, dass man sagt: Die Todesstrafe ist nicht in Ordnung. Der Gedanke, der ja immer dahinter steht, ist, sie hätte eine besonders abschreckende Wirkung. Dass da, wo Todesstrafe noch existiert, weniger Verbrechen stattfinden, hat bisher noch keine Statistik wirklich gezeigt.

Deutschlandradio Kultur: Herr Nooke, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.

Günter Nooke: Ich danke auch.