"Nomadentum auf Zeit"

Wolfgang Büscher im Gespräch mit Gabi Wuttke · 06.03.2013
Anlässlich der Eröffnung der Internationalen Tourismusbörse ITB in Berlin spricht der Autor Wolfgang Büscher über seine Reisen. Dabei gehe es ihm darum, sich treiben zu lassen und sich auf das bereiste Land einzulassen.
Gabi Wuttke: Die Welt ist groß, es gibt viel zu entdecken, aber wer der Internationalen Tourismusbörse in Berlin in den nächsten Tagen einen Besuch abstattet, für den ist das Reisen meist der Weg. Das Ziel nach 15 Stunden in Thrombosestrümpfen: Sonne, Strand und Entspannung.

Wolfgang Büscher reist anders - zu Fuß von Berlin nach Moskau, durch Deutschland und die vereinigten Staaten. "Hartland" heißt sein aktueller Reisebericht. Einen schönen guten Morgen!

Wolfgang Büscher: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Welchen Unterschied machen Sie zwischen Urlaub und Reisen?

Büscher: Urlaub ist einfach Strand oder Bergwandern oder so was mit der Familie. Aber diese Reisen, bei denen dann am Ende ein Buch rauskommt, das ist halt was völlig anderes. Erstens, ich bin allein, zweitens, es dauert sehr lange, in der Regel ungefähr drei Monate, und es wird im Grunde genommen erst dann richtig gut, wenn der Alltag von mir abgefallen ist, also wenn die Poren der Wahrnehmung wirklich offen sind, und am schwierigsten sind immer die ersten 14 Tage, also wenn man im Grunde genommen im Kopf dauernd den ganzen Mist durchgeht, den man von zu Hause mitschleppt, und davon noch so beherrscht ist, dass man wie mit verschlossenen Augen und verschlossenen Ohren durch die Gegend läuft.

Wuttke: Die offenen Poren, das ist das, was Sie an diesen Reisen, die Sie unternehmen, auch ganz besonders reizt?

Büscher: Ja, es ist sozusagen Nomadentum auf Zeit, es ist sich in gewisser Weise treiben lassen, es ist sich tatsächlich auch auf so ein Land, durch das man läuft, einlassen, sich dem auch überlassen.

Wuttke: Glauben Sie denn eigentlich an die alte These, dass der Mensch noch heute im Grunde seines Herzens ein Nomade ist?

Büscher: Ach, ich weiß nicht, der Mensch ist doch sehr sesshaft geworden. Das ist vorbei, glaube ich.

Wuttke: Das heißt, er reißt im Urlaub auch nicht noch mal aus?

Büscher: Meistens nicht. Es gibt ja auch ganz viele Leute, die wollen das auch nicht, was ich in gewisser Weise auch verstehen kann. Wenn man ein halbes Jahr durchgearbeitet hat oder ein Dreivierteljahr, dann ist man vielleicht nicht so drauf, dass man jetzt wahnsinnige Abenteuer erleben möchte mit lauter Schwierigkeiten, die zu überwinden sind, sondern dann möchte man sich belohnen für dieses Dreivierteljahr schuften.

Wuttke: Aber trotzdem ist das doch eigentlich schade, dass Sommerfrische und Müßiggang aus unserer Sprache und also offensichtlich auch aus unseren Köpfen verschwunden sind. Wir könnten sie doch mehr denn je gebrauchen.

Büscher: Ja, aber es gibt ja auch Urlaub und Urlaub. Ich kann das rein konsumistisch angehen und meinen Kadaver irgendwo hinschleppen, wo er dann behandelt wird, wo Essen kommt, wo Trinken kommt, wo Massage kommt, oder ich kann es ein bisschen aktiver machen, und da reden wir drei Jahre später noch von.

Wuttke: Lange weg zu sein ist das, was Sie inzwischen auch wirklich für sich brauchen, nachdem Sie das vor vielen Jahren das erste Mal gemacht haben?

Büscher: Ja, ich glaube schon, das schlummert immer mal so ein, zwei Jahre, aber dann rüttelt es wieder am Gitter und will raus.

Wuttke: Haben Sie zwischendrin auch mal gedacht, ich breche jetzt ab, ich nehme den nächsten Flieger, gehe zum nächsten Bahnhof, ein Bus kann es auch sein, und dann ab wieder nach Hause?

Büscher: Ja, solche Momente gab es, die gab es vor allen Dingen immer am Anfang. Also, als ich hier in Berlin los bin damals, zum Beispiel nach Moskau – die ersten Tage geht es ja durch völlig vertraute Landschaft, und wie gesagt, die Poren sind noch zu, die Gedanken bei sonst was, und dann habe ich ständig zu Hause angerufen und habe gesagt: Ey, ich breche das ab, ey, was soll ich denn hier, was laufe ich denn hier rum, was soll ich denn da mitbringen, was soll ich denn da – um Gottes willen – erzählen von, hier ist nichts zu erzählen.

Autos fahren – [macht Autogeräusche] –, Autos, und ich da drin und so. Das gibt sich dann, wenn die Umgebung fremder wird, wenn die Augen auf einmal aufgehen, wenn die Ohren auf einmal aufgehen und wenn man merkt, Moment mal, das kennst du ja nicht, das ist ja was anderes, guck mal hin, was ist denn hier. Es gab auch eine Situation mal tief in Weißrussland, Matsch, Regen, Vorherbst schon, kalt, Regen, Regen, Regen, Matsch – alles rettet sich sozusagen in die nächste Wodkabude und die Mädels mit den Stöckelschuhen stöckeln durch den Matsch und sehen zuckersüß aus, und ich weiß genau, sehe es an anderen Gestalten, wie die in 15 Jahren aussehen.

Und es hat dann doch gezehrt irgendwie an mir, und in dem Moment, als ich motivationsmäßig ziemlich runter war, rollte tatsächlich ein Zug – Berlin-Moskau stand auf dem Zug – rollte in den Bahnhof ein, ich stand an einem Bahnhof, und dann habe ich den Atem angehalten, hält der jetzt, hält der jetzt, und wenn der hält, was machst du denn dann, steigst du ein. Und ich war, glaube ich, sehr versucht, einzusteigen. Und dann fuhr er durch. Er fuhr ganz langsam in den Bahnhof ein, und ich dachte, der hält, der hält, jeden Moment hält der, und dann fuhr er durch, und ich war gerettet.

Wuttke: Haben Sie das in dem Augenblick auch schon so empfunden, dass sie gerettet worden sind?

Büscher: Na, geht so, erst mal blieb ich halt in meinem Morast stehen und musste sehen, wie es weitergeht.

Wuttke: Wenn Sie von Ihren Reisen zurückkommen, den großen, buchen Sie dann eigentlich gleich einen Urlaub?

Büscher: Nein, dann will ich unbedingt zu Hause sein.

Wuttke: Und welche Pläne haben Sie, wieder allein auf Schusters Rappen unterwegs zu sein?

Büscher: Ja, da gibt es so ein paar Ideen, aber das ist noch unausgegoren. Manchmal denke ich, ich möchte mal was ganz leichtes machen, was ganz sommerlich-leichtes. Irgendwie nach Süden – also nichts Schweres, nicht mit furchtbar viel Geschichte auf dem Buckel und so, und mit tragischen, dramatischen, historischen Ballast auf dem Rücken.

Wuttke: Und dann? Dann entscheiden Sie sich doch wieder fürs Schwere?

Büscher: Dann kommen natürlich doch wieder die heftigeren Stoffe.

Wuttke: Und Sie sagen sich, ich muss das dann annehmen, so wie den vorbeifahrenden Zug.

Büscher: Genau!

Wuttke: Vielen Dank, Wolfgang Büscher am Eröffnungstag der ITB, zuletzt ist vom reisenden Buchautor erschienen "Heartland – zu Fuß durch Amerika". Dankeschön!

Büscher: Sehr gerne, tschüss!

Wuttke: Tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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