Noch wählen viele Rechtsextreme Volksparteien

Moderation: Katja Schlesinger |
Das Abwandern zahlreicher Wähler zu rechtsextremen Parteien kann nach Ansicht des Parteienforschers und Politikwissenschaftlers an der Universität Freiburg Ulrich Eith nur verhindert werden, wenn die großen Volksparteien den Menschen eine Perspektive bieten. Das müsse die zentrale Strategie von CDU und SPD sein, sagte Eith im Deutschlandradio Kultur.
Katja Schlesinger: Jeder zweite Deutsche ist demokratiemüde und rechtsextreme Einstellungen sind in Ost und in West schon lange kein Randphänomen mehr. Noch wählen die meisten rechtsextrem eingestellten Deutschen überwiegend die Volksparteien - aber wie lange noch?

Der Verdruss über die Demokratie wächst. Jeder zweite Deutsche ist mit der Art und Weise, wie Demokratie in Deutschland funktioniert, nicht mehr zufrieden. Das hat eine Studie, die im Auftrag der ARD erstellt wurde, vergangene Woche ergeben. Angesichts solcher Ergebnisse durfte man sich eigentlich kaum wundern, was eine andere Studie, eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ergeben hat: Ein Viertel der Deutschen wünscht sich danach - ganz und gar undemokratisch - eine einzige, die Volksgemeinschaft vertretende Partei. Und noch etwas brachte diese Studie zu Tage: 8,6 Prozent der Deutschen haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. In Bayern gibt es genauso viele rechtsextrem eingestellte Leute wie in Mecklenburg-Vorpommern. Nur tritt das in Bayern nicht so offen zu Tage. Und warum das so ist, das erklärte vor zwei Tagen hier im "Radiofeuilleton" Oliver Decker, einer der Autoren der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung:

"Wir haben festgestellt, dass die Rechtsextremen, auch die mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, zu einem großen Teil die demokratischen Parteien wählen, und zwar die großen Volksparteien CDU und SPD. Dadurch fällt es im Westen in der Regel nicht so auf. Der Großteil der Rechtsextremen wählt nicht NPD oder DVU, je nachdem, sondern die wählen demokratische Parteien."

Nur, wie lange noch? Dazu nun am Telefon der Parteienforscher und Politikwissenschaftler Ulrich Eith von der Universität in Freiburg. Guten Morgen.

Ulrich Eith: Schönen guten Morgen, Frau Schlesinger.

Schlesinger: Herr Eith, noch haben die großen Volksparteien vor allem in Westdeutschland eine große Bindungskraft, eben auch für rechtsextrem eingestellte Deutsche. Aber angesichts dieser großen Demokratieverdrossenheit, was schätzen Sie, wie lange hält das noch an?

Eith: Also auf der einen Seite, glaube ich, ist es, sind wir noch nicht in einer Situation, in der man jetzt hier die Krise schon geradezu herbeireden muss und sie sehr stark ist. Auf der anderen Seite gibt es Anzeichen, die bedrohlich sind. Was diese Studie, die Sie erwähnt haben, über die Rechtsextremen herausgebracht hat, das ist genau das Ergebnis im Kern, was schon andere Studien seit 20 Jahren auch zeigen, dass es in Deutschland verbreitet rechtsextreme Einstellungen gibt. Und warum die großen Parteien dieses auch binden können, das hat viel damit zu tun, dass es auf der rechten Szene im Prinzip kein attraktives Personal gibt für solche Personen mit rechtsextremen Einstellungen. Wir haben keinen österreichischen Haider oder französischen Le Pen oder Schweizer Blocher oder so was in der Richtung.

Schlesinger: Trotzdem: wie ist es den westdeutschen Volksparteien so lange gelungen - oder den Volksparteien in Westdeutschland -, die Stimmen derer zu binden, die ganz undemokratische Weltbilder offensichtlich haben?

Eith: Na ja, also man muss, glaube ich, von der anderen Seite rangehen und sagen: Unter welchen Bedingungen wählen jetzt solche Leute nicht mehr die Volksparteien? Der erste Punkt ist, dass es persönlich ganz offensichtlich besonderer Einstellungen bedarf. Das sind Menschen, die haben sehr hohe Ängste, sie fühlen sich bedroht von den Anforderungen unserer Gesellschaft, sie fühlen sich bedroht im Moment insbesondere durch die ganzen Sozialreformen, durch diese ganzen Gesetze, Hartz IV ist da im Prinzip nur das Schlagwort dazu. Angst einfach, nicht anerkannt zu werden. Angst, auf der sozialen Skala abzurutschen. Das ist die eine Seite. Und rechtsextreme Parteien profitieren nur dann, wenn die etablierten Volksparteien es nicht mehr schaffen, auch diesen Menschen eine gewisse Perspektive zu geben. Und hier, in der Tat, haben wir natürlich im Moment, aktuell, eine doch kritische Situation, denn viele Wähler in den unteren Mittelschichten, die nicht so stark politisch interessiert sind, die nicht so gute Ausbildungen hinter sich haben, die sehen sich bedroht durch diese ganzen sozialen Gesetze. Und dann haben die großen Parteien SPD, CDU, die Volksparteien, ein Problem.

Schlesinger: Jetzt könnte man natürlich auch noch mal andersherum fragen: Warum, wenn Leute mit rechtsextremem Weltbild bislang die Volksparteien, die großen, gewählt haben, warum hat das diese Leute nicht demokratischer werden lassen?

Eith: Ja, das ist ganz offensichtlich eine Frage, die den Politologen ein Stück weit von seinem Fachgebiet wegbringt. Diese Studien zeigen immer wieder, dass bestimmte Einstellungen wie etwa der Glaube an Autorität oder an Hierarchien oder so was, dass so was mit Persönlichkeitsmerkmalen zu tun hat, die auch mit Erziehungsfragen zu tun haben, die mit frühkindlicher Sozialisation zu tun haben. Und dann sind diese Einstellungen natürlich sehr fest und nur sehr, sehr schwer, wenn überhaupt, veränderbar.

Schlesinger: In Westdeutschland sind es ja Union und SPD, die rechtes Wählerpotenzial binden. Im Osten wird zum einen offen die NPD gewählt, zum anderen ist immer wieder zu hören, dass die PDS sozusagen als Volkspartei des Ostens ebenfalls rechte Wähler an sich bindet. Sehen Sie das auch so?

Eith: Wahrscheinlich, was die PDS betrifft, weniger rechte Wähler als vielmehr autoritäre Wähler. Was passiert denn bei diesen autoritären und auch Personen, die auch durch Bedrohungsängste jetzt noch umgehen müssen mit Bedrohungsängsten? Folgendes passiert: Sie suchen für diese Bedrohung Sündenböcke. Und diese Sündenböcke, die kann man nun in verschiedene Richtungen finden. Man kann entweder eine Ideologie haben, eine linke Ideologie haben, die dann früher einmal gesagt hat: Die Kapitalisten sind an allem schuld, dass es den Arbeitern schlecht geht. Oder, auf der anderen Seite hat man dann Sündenböcke, dass man im Prinzip in der Hierarchie von Menschen, die plötzlich angenommen wird, eben die unter einem Stehenden nimmt. Das sind irgendwann in früheren Zeiten, im Nationalsozialismus Deutsche mehr wert gewesen als andere oder unsere Kultur ist besser oder unsere Religion ist besser als die von jemand anders. Also es werden Sündenböcke gesucht und nicht umsonst ist ja die Ausländerfeindlichkeit die Einstiegsdroge in genau solche Verhaltensweisen, wo zwischen den Menschen unterschieden wird. Also: Es werden Sündenböcke gesucht, und die werden verantwortlich gemacht dafür. Das kann in linken und in rechten extremen Parteien passieren.

Schlesinger: Sie hören Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Demokratieverdrossenheit und zunehmender Rechtsextremismus - Wie lange wählen rechtsextreme Deutsche noch die Volksparteien? Das ist das Thema, über das ich mit dem Politologen Ulrich Eith rede. Herr Eith, Sie sagten zu Beginn des Gesprächs, die Volksparteien sind noch in keiner eklatanten Krise, aber es wird langsam schon ein bisschen kritisch. Also wie müssen sich die Volksparteien verhalten, um die Demokratieverdrossenheit nicht noch größer werden zu lassen? Welche Strategie schlagen Sie vor?

Eith: Ja, in der Tat, wir sind an einem kritischen Punkt, was dieses betrifft, und es gibt Handlungsmöglichkeiten. Der erste, zentrale, wichtige Punkt ist die Auseinandersetzung, die wichtige Auseinandersetzung verläuft nicht zwischen linkem Lager und rechtem Lager in der Bundesrepublik. Die viel brisantere Auseinandersetzung, der Riss durch unsere Gesellschaft verläuft zwischen den unteren und mittleren sozialen Schichten und den oberen und gehobenen sozialen Schichten, und zwar …

Schlesinger: Ach, das Thema der Unterschicht wieder?

Eith: Unterschicht und untere Mittelschicht, beides findet sich aber in der CDU und in der SPD gleichermaßen. Und es sind genau diese untere Mittelschichten, die sehr stark bedroht sind von den sozialen Reformprozessen. Und wenn die Parteien, die großen Volksparteien es nicht schaffen, einerseits notwendige Reformen zu machen, andererseits die aber so zu gestalten, dass die Menschen sich nicht noch stärker bedroht dadurch fühlen - bedroht einfach, das, was sie sich erarbeitet haben, zu verlieren -, wenn dieses nicht geschafft wird, dann wächst in diesen Gruppen der Verdruss und die Offenheit sich umzugucken auf dem politischen Markt und dann vielleicht doch rechtsextreme Parteien zu wählen.

Schlesinger: Nun wurde ja in der Vergangenheit mehrfach versucht, auch am rechten Rand zu fischen. Ich erinnere an so Aktionen wie "Kinder statt Inder", Aktionen gegen doppelte Staatsbürgerschaft. Das waren CDU-Kampagnen im Länderwahlkampf. Ist das eigentlich gefährlich, wenn die Volksparteien am rechten Rand fischen?

Eith: Das ist natürlich gefährlich, weil genau diese Muster, die solche Leute kennzeichnen am rechten Rand, nämlich dass ich Sündenböcke suche, dass ich noch Schwächere suche, die ich verantwortlich mache für die Ängste und Schwierigkeiten, die ich habe, dass solche Muster ja dadurch ein Stück weit verstärkt werden. Wichtig ist, dass es etwa auch auf der sozialpolitischen Ebene bei allen Reformen, die notwendig sind, aber dennoch Ausgestaltung gibt, dass man im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, der Wohnungsbaupolitik, der Bildungspolitik im Prinzip auf Anstrengungen setzt und den Menschen hier Perspektiven gibt. Und ihnen deutlich macht, dass diese Sorgen, die da sind, die Nöte, die da sind, ernst genommen werden. Das ist der ganz zentrale Punkt der Gegenstrategie und nicht jetzt, indem die Volksparteien sich jetzt besonders autoritär oder konservativ oder schon rechts gebärden.

Schlesinger: Sie hatten ja eben schon den Namen von Jörg Haider fallen lassen. In Bayern, so ergab diese Friedrich-Ebert-Stiftung-Studie denken genauso viele Leute rechtsextrem wie in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist jetzt eine spekulative Frage, aber was, wenn wir in Bayern eben eine FPÖ zusätzlich hätten - eine "FPD" dann - mit einem Jörg Haider? Hätte die CSU dann überhaupt die absolute Mehrheit bei Landtagswahlen holen können, wie sie es getan hat in der Vergangenheit?

Eith: Das ist sehr spekulativ, aber ich sage mal, nach allem Bisherigen würde ich sagen: Ja. Denn auch ein rechtsextremer Populist hat nur dann Chancen, wenn die Volksparteien, die bisher diese Menschen gebunden haben, im Prinzip diese Aufgabe nicht mehr vernünftig erfüllen. Schauen wir nach Österreich, da haben wir über lange Zeit die Große Koalition immer wieder gehabt der beiden großen Volksparteien. Die haben sich gegenseitig abgenutzt und nur erst das hat Herrn Haider dann die Chance gegeben, überhaupt hier Frustrierte einsammeln zu können, Frustrierte von den großen Volksparteien.

Schlesinger: Aber warum haben Sie dann zu Beginn gesagt, dass wir von Glück reden können, dass Deutschland eben kein Haider hat oder einen Pim Fortuyn oder welchen Populisten auch immer, den es in Europa gegeben hat?

Eith: Weil ich kein Einerseits/Andererseits alleine zeichnen kann, ich sagen kann, die großen Volksparteien sind noch da, aber der Unmut wächst ja. Alle Studien - Sie haben die Studie erwähnt, die letzte Woche veröffentlicht worden ist - zeigen, dass der Verdruss momentan, der aktuelle Verdruss groß ist. Aber in dem Moment, wo noch keine Persönlichkeit, populistische Persönlichkeit da ist, die das auf sich ziehen kann, die davon profitieren kann, ist es immer noch eine Chance für die großen Parteien. So. Dieser Verdruss ist auch noch nicht endgültig. Die Parteien - wir sind einfach in einer Situation - Großbritannien hat es schon vor 15 Jahren gehabt -, wo wir ganz massiv diese sozialen Reformen diskutieren. Und hier gibt es Unmut, hier gibt es Verdruss. Der muss ernst genommen werden, der muss bearbeitet werden. Sonst besteht die Gefahr einer längerfristigen Abkopplung. Und wenn dann noch ein Populist dazukommt, der das munter nutzen kann für sich, dann haben wir auch mit solchen Parteien dauerhaft ein Problem.

Schlesinger: Noch ist die Demokratiekrise in Deutschland nicht da. Das war Ulrich Eith, er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Vielen Dank für das Gespräch.

Eith: Danke Ihnen.