Nobelvorlesung von Louise Glück

Von Du zu Du

07:45 Minuten
Ein gezeichnetes Porträt von Louise Glück.
Gedichte, die erst dann vollendet sind, wenn die Lesenden ihre eigene Gefühlswelt, ihr Erleben und ihre Wahrnehmungen hinzugeben: die Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück. © Nobel Media / Niklas Elmehed
Ulrike Draesner im Gespräch mit Vladimir Balzer · 07.12.2020
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Die Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück betont in ihrer Nobelvorlesung die Intimität ihrer Gedichte. Ihre Übersetzerin Ulrike Draesner spricht von einer "sehr wahrhaftigen" Rede. Man könne spüren, dass der Preis die Autorin auch etwas koste.
Die Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück sieht in der diesjährigen Preisvergabe eine Ehrung zurückhaltender literarischer Stimmen. Mit der Auszeichnung für ihr Werk sei die "intime, private Stimme" geehrt worden, "die durch öffentliche Äußerungen manchmal verstärkt oder erweitert, aber niemals ersetzt werden kann", schreibt die Dichterin in ihrer Nobelvorlesung.
Für Glück sei von Anfang an das intime Sprechen - das "von Du zu Du" - das Entscheidende gewesen, sagt ihre Übersetzerin Ulrike Draesner. In ihrer Nobelvorlesung spreche Glück über den Kern ihrer Texte. Glück führe Dialoge mit der einzelnen Leserin und dem einzelnen Leser. Es seien Gedichte, die erst dann vollendet seien, wenn die Lesenden ihre eigene Gefühlswelt, ihr Erleben und ihre Wahrnehmungen hinzugäben.
Draesner spricht von einer "sehr wahrhaftigen" Rede. Man spüre, dass die US-Amerikanerin eine "scheue Autorin" sei, die das Licht der Öffentlichkeit schnell als zu stark empfinde. Glück stelle mit ihrer Vorlesung auch die Fragwürdigkeit von Auszeichnungen zur Diskussion, sagt Draesner. Man könne sehen, dass der Preis sie auch etwas koste - und das sei keine Attitüde.

Einsame menschliche Stimmen

Glück selbst schreibt in der Nobelvorlesung, sie habe sich immer zu einsamen menschlichen Stimmen in der Lyrik hingezogen gefühlt. Als Beispiele nennt sie William Blakes "The Little Black Boy" und "I'm nobody! Who are you?" von Emily Dickinson.
Die Dichter, zu denen sie im fortschreitenden Alter zurückgekehrt sei, "waren die Dichter, in deren Arbeit ich als gewählter Zuhörer eine entscheidende Rolle spielte. Intim, verführerisch, oft verstohlen oder heimlich. Keine Stadiondichter. Keine Dichter, die zu sich selbst sprechen."
Glück soll am kommenden Donnerstag, den 10. November, offiziell mit dem Preis geehrt werden. Anders als üblich werden die Preisträger wegen der Corona-Pandemie nicht in Stockholm sein, sondern die Nobelurkunden und -medaillen in ihrer Heimat erhalten. Zusätzlich gibt es eine Online-Zeremonie.
(ahe)

Die Lyrikerin Ulrike Almut Sandig sieht in Louise Glücks Dankesrede für den Literaturnobelpreis auch einen "ordentlichen Seitenhieb" auf die Schwedische Akademie in Stockholm. Denn Glück schreibe, sie habe bereits als fünf- oder sechsjähriges Kind Preise für das beste Gedicht der Welt verliehen – im Finale waren bei ihr William Blake und Steven Foster. Das ganze Gespräch mit Ulrike Almut Sandig:

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