Nobelpreisträger mit dunklen Geheimnissen

12.06.2012
Seit Liza Marklunds Thriller "Nobels Testament" (2006) weiß man, dass die Verleihung des Nobelpreises nicht nur Segen bringt. Während die Medien den Auserwählten feiern, grummelt im Verborgenen der Neid der Konkurrenten.
In Kjell Erikssons Roman löst die Nachricht, dem 84-jährigen Mediziner Bertram von Ohler werde am 10. Dezember 2008 der Nobelpreis für Medizin verliehen, eine Lawine von Missgunst und Morddrohungen aus. Sein Nachbar Gregor Johansson, ehemaliger Dozent in von Ohlers Institut, zieht sich empört in seinen gläsernen Turm zurück. In dem Treibhaus ähnlichem Versteck züchtet der Hobbygärtner nicht nur seine mediterranen Pflanzen. Von dort aus hat er einen genialen Blick auf das Treiben in der hochherrschaftlichen Villensiedlung Uppsalas, wo auch von Ohler wohnt.

Allerdings ist das Ritual der Nobelpreisverleihung lediglich der Impuls, um eine andere Geschichte zu erzählen. Erikssons Interesse gilt dem sozialen Umfeld. Vor allem der Haushälterin Agnes Andersson, die seit 55 Jahren im Haus des Mediziners arbeitet. Ihre Lebensgeschichte sowie die ihrer Schwestern Anna und Greta, die ebenfalls Dienstmägde bei von Ohler waren, liefern Stoff für mehrere Romane.

Und dann ist da noch die Figur des Gärtners Karsten Haller, der sich allmählich ins Zentrum des Geschehens vorarbeitet und schließlich zu einer zentralen Gestalt wird. Seit von Ohlers Nominierung macht er sich im Garten des Nachbarn Lundquist zu schaffen. Niemand schöpft Verdacht, als er sich nicht nur für die Flora des Ohlerschen Anwesens interessiert.

Der 1953 geborene Schwede Kjell Eriksson ist bekannt für seine subtilen Analysen sozialer Milieus. Seine Ann Lindell-Romane zeichnen sich durch eine feinsinnige Psychologisierung der Figuren und ihrer Beziehungen aus. Und so herrscht auch in "Offenes Grab" soziale Verachtung und Ausgrenzung. Nationalistisches Gedankengut nährt sich im Schatten des Wohlstands. Hier werden die Menschen an ihrem Akzent entlarvt und denunziert. Wer aus Skåne nach Uppsala kommt, hat schon verloren.

Oder es grassiert, wie bei Johansson, Ekel und Berührungsangst vor den "Schlechtgekleideten". Von Ohler ist nicht nur ein finsterer Vertreter dieses Geistes. Er verkörpert ein Fossil, das eine Zeit repräsentiert, die nur scheinbar vergangen ist. Als junger Mann hat er sich an Agnes Schwester Anna vergangen und gemeinsam mit seinem Vater, einem angesehenen Gynäkologen, den Schwangerschaftsabbruch vorgenommen. Anna wurde danach des Hauses verwiesen und von ihrer Familie verstoßen.

Für Erikssons Kommissarin Ann Lindell ist es der letzte Fall. Von der Mordtat überrascht, tritt sie als Ermittlerin kaum in Aktion. Die obligatorischen Verbrechen geschehen fast nebenbei. Denn eigentlich kriminell sind die Zustände in diesem Uppsala, das mit der zweitältesten Universität Skandinaviens für Bildung und Fortschritt steht.

Besprochen von Carola Wiemers

Kjell Eriksson: Offenes Grab. Ein Fall für Ann Lindell
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
dtv München 2012
318 Seiten, 9,95 Euro