Niveauloser Abgang

Von Uwe Friedrich |
Offenbar wollte Renato Palumbo nicht bloß als der glücklose Kurzzeit-Generalmusikdirektor in Erinnerung bleiben, der an der Deutschen Oper Berlin so spektakulär den "Freischütz" versenkt hat. Mit "Aida" wollte er wohl beweisen, dass er das italienische Repertoire besser beherrscht. Doch auch das gelang ihm nur mit starken Einschränkungen. Immer wieder klapperte es im Orchester, waren die Streicher in den Akkorden nicht zusammen, konnte sich der Dirigent nicht recht entscheiden, ob er die Sänger oder das Orchester dirigieren wollte.
Carlo Ventre sang den ägyptischen Feldherrn Radamès ohne nennenswertes Stilgefühl und ohne jegliches Piano. Annalisa Raspiglioni als Aida hat hingegen keine tragfähige Höhe und von nuancenreichem Gesang kann auch bei ihr keine Rede sein. An einem Haus, das stolz darauf ist, diese Rollen einst mit Julia Varady und Jessye Norman, mit Luciano Pavarotti und Jess Thomas besetzt zu haben, und dass die Premieren von Claudio Abbado oder dem jungen Daniel Barenboim dirigiert wurden, ist dieses musikalische Niveau kaum entschuldbar. Palumbos Kalkül, sich mit einer zumindest musikalisch grandiosen "Aida" zu verabschieden, ist jedenfalls nicht aufgegangen.

Hinzu kommt der unselige Einfall des Regisseurs Christopher Alden, die Handlung aus dem alten Ägypten in eine evangelikale Sekte im amerikanischen Bible Belt zu verlegen. Hier gibt es keinen Krieg zwischen Äthiopiern und Ägyptern, es streiten lediglich zwei Strömungen derselben Sekte um den richtigen Weg zu Gott.

Amonasro ist unterlegen und bekennt sich zu seinen Sünden. Am Ende des ersten Akts kommt es zu einer Massentaufe im Brunnen der Gemeinschaft. Cheerleader sind mit von der Partie, ein Apfelkuchenwettessen findet statt. Leider passt diese Verlegung überhaupt nicht mit der Dramaturgie der Oper zusammen. Nicht nur, dass die ägyptischen Götter und äthiopischen Sklaven im Text stören und deshalb in den Übertiteln auch gar nicht erst vorkommen. Vor allem vernachlässigt Alden all das, was die Figuren bei Verdi so interessant macht. Die zeichnen sich nämlich vor allem dadurch aus, dass sie rein macchiavellistisch agieren. Ihnen geht es nur um Macht und nie um Religion. Sie werden im politischen Machtgefüge zerrieben und nicht, weil sie an irgendetwas Transzendentes glauben.

Weil es Alden aber nur um die Religion geht, muss er das Werk kräftig verbiegen. Es gibt keinen sozialen Gegensatz mehr zwischen der Prinzessin Amneris und der Sklavin Aida. Es gibt auch keine unterschiedlichen gesellschaftlichen Strömungen, sondern nur noch das Kollektiv der Gläubigen. So erfahren wir aber bloß, was wir ohnehin schon wussten, nämlich dass auch christliche Sekten irgendwie unangenehm sein können. Mit Betonung auf irgendwie, denn so genau möchte Alden da gar nicht hinschauen - und deshalb kann er es uns auch nicht genau zeigen.

Vom Publikum wurde er dafür heftig abgestraft. Kurze Buhs für das Regieteam, der Applaus reichte gerade für drei Vorhänge.