Nirgendwo wird kühn gereizt

Von Wolf-Dieter Peter |
Der bisherige Gesamteindruck: zuviel Nettigkeit und nirgendwo wird etwas gewagt. Kritiker Wolf-Dieter Peter hat sich die zweite Hälfte des "Ring des Nibelungen" auf dem Grünen Hügel angesehen. Trankred Dorst zeige dabei zu wenig Regisseursengagement. Christian Thielemann werde dafür über Gebühr für die musikalischen Schönheiten gefeiert.
"Aus dem Wald fort, in die Welt zieh’n" - mitunter wollte man als Bayreuther "Ring"-Besucher es dem jungen Siegfried gleichtun: Tankred Dorst gibt sich in der "Werkstatt Bayreuth" laut eigener Aussage damit zufrieden, dass "die Geschichte verfolgbar ist und sich die Besucher selbst ihre Gedanken machen" – reichlich wenig Regisseursengagement.

Umso erfreulicher, dass die heutige Sängergeneration da selbst nicht ruht: im 1.Aufzug "Siegfried" zeigte sich nämlich amüsant, wie der Zwerg Mime von Gerhard Siegel und der Jung-Siegfried von Stephen Gould ihr Wechselspiel glänzend vertieft hatten. Doch am beeindruckendsten blieb der völlig aus dem sonstigen Inszenierungsstil herausfallende Abschied von Urmutter Erda und Wanderer-Wotan.

Mit leerer Bühne und magischem Blaulicht sowie den zu großer Expression findenden Mihoko Fujimura und Albert Dohmen waren wir einfach bei Wieland Wagners singulärem "Ring"-Stil der 60er Jahre. Hier fand auch Dirigent Christian Thielemann zu mehr Eindringlichkeit.

In der "Götterdämmerung" war endlich der Kapitalfehler des ersten Jahres - dass Siegfried den Betrug an Gunther und Brünnhilde gar nicht begeht und dann dennoch deswegen umgebracht wird – eliminiert. Doch "verschlimmbesserte" Dorst das Weltbrand-Finale durch ein banales Liebespärchen parallel zum so genannten "Erlösungsmotiv". Prompt wurde Dirigent Christian Thielemann über Gebühr für musikalische Schönheiten gefeiert – gewiss spielte das Orchester differenzierter und klangsinnlicher als unter anderen Dirigenten. Doch Thielemanns schöne Einzelheiten ergaben keine Interpretation. Dass die Szene keine Herausforderung darstellte, minderte auch Thielemanns musikdramatische Möglichkeiten.

Niemand schien an extremen Werk-Inhalten interessiert - wie Liebesfluch, gewalttätigem Raub, Mord und Totschlag, rigorosen Weltherrschaftsplänen und rein strategischem, also inhumanem Machterhalt oder eiskalten New-Economy-Strategien samt ökologischem Ruin einer Welt. Das wären aber "Ring"-Themen im 21.Jahrhundert. Ein "Ring" ohne diese 150 Jahre alt-junge Kritik Wagners an den Strukturen unserer Welt gelingt nicht. Bayreuther Gesamteindruck: ein mal inkonsequent, mal banal bebilderter "Ring", der nichts und nirgendwo fordert oder gar kühn reizt. Für so viel "Nettigkeit" gab es einerseits viel Beifall für die musikalische Seite, aber auch einen dem Ganzen angemessenen Buh-Sturm für das Produktionsteam.