Nina Nastasia: "Riderless Horse"

Von toxischer Liebe und psychischer Gewalt

06:26 Minuten
Nina Nastasia auf einen Tisch gebeugt mit verheultem Makup
"Es war brutal, also ob ich permanent kontrolliert würde": Nina Nastiasa hat eine 25-jährige, dysfunktionale Beziehung überstanden. © Theo Stanley
Von Juliane Reil · 03.08.2022
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Zwölf Jahre war die Folk-Sängerin Nina Nastasia von der Bildfläche verschwunden. Der Grund dafür ist dramatisch, doch jetzt ist sie zurück. Auf ihrem neuen Album "Riderless Horse" verarbeitet sie ihre ehemalige toxische Beziehung.
Trauer, Schuld, die Notwendigkeit zu überleben: Das sind die Themen auf ihrem neuen Album, sagt Nina Nastasia. Und der Wunsch, gesund und glücklich zu sein.

Tod und Befreiung

2010 verschwand die amerikanische Singer-Songwriterin auf einmal. Sie hörte mit der Musik auf, weil sie von ihrem Partner psychisch misshandelt wurde. 2020 verließ sie ihn. Am nächsten Tag beging er Suizid. Die Songs auf ihrem neuen Album entstanden unmittelbar danach:
"Ich liebe diesen Menschen sehr, aber als er starb, war es wie eine Befreiung. Das war überwältigend für mich. Ich war musikalisch wieder sehr produktiv. Mit meinem Partner hatte ich an vielen meiner  Platten gearbeitet. Musikalisch haben wir gut funktioniert, aber als Paar war es das komplette Gegenteil. Es war brutal, also ob ich permanent kontrolliert würde. Ich bin als Person total untergegangen, ich hatte keine eigene Meinung mehr und konnte keine Entscheidungen mehr treffen. Ich hatte kontinuierlich das Gefühl, zu versagen."
Im Interview ringt die Musikerin um Worte. Immer wieder betont sie nachdrücklich die große Liebe zu einem Menschen, der jedoch psychisch krank war und der sie drohte zu erdrücken. Diese ambivalente Gefühlswelt verarbeitet sie in schlichten, teilweise poetischen Texten.
Die heute 56-Jährige erinnert sich, wie verliebt sie und ihr Partner zu Beginn ihrer 25-Jährigen Beziehung waren. Sie singt aber auch, wie sie selbst depressiv wurde und nicht mehr aus dem Bett kam. Und sie fragt: „Ist das wirklich Liebe, was sich so schlecht anfühlt?“

Endlich bereit zum Leben

"Riderless Horse" ist ein leises, eindringliches Album. Es verzichtet auf Pathos und Effekte. Die zwölf Stücke sind uneitel und wirken direkt. Nina Nastasia singt in ihrer hohen, manchmal brüchigen Stimme. Dazu zupft sie die Akustikgitarre. Mehr nicht.
Die Aufnahme entstand in einem Gästehaus von Freunden. Auf früheren Alben war die Amerikanerin mit Band zu hören, sie entstanden im Studio Electrical Audio ihres Produzenten Steve Albini. Die beiden verbindet eine langjährige musikalische Zusammenarbeit. Und Freundschaft:
"Von Tag eins an nach dem Suizid waren Steve und seine Frau Heather für mich da. Ich habe drei Monate bei Ihnen in Chicago gewohnt. In dieser Zeit habe ich Songs geschrieben, sie ihnen vorgespielt. Ich wollte nicht ins Electrical Audio gehen, weil ich dort die meisten meiner Platten aufgenommen habe. Jetzt wäre es das erste Mal ohne meinen Partner Kennan gewesen. Das wäre zu hart gewesen. Heather schlug vor, einen Raum zu mieten und dort eine Art Field Recording zu machen."

Ein mutiger Schritt

Nina Nastasia beleuchtet verschiedene Aspekte einer dysfunktionalen Beziehung: das Leid, die Liebe, die Abhängigkeit. Aus der Sicht einer Betroffenen. Das ist ein mutiger Schritt, auch für Nastasia als Künstlerin.
Im letzten Song heißt es, dass sie leben will und dafür jetzt bereit sei. Man wünscht es ihr.

Hinweis der Redaktion: Sollten Sie Hilfe in einer schwierigen Situation benötigen, können Sie sich jederzeit an die kostenlose Hotline der Telefonseelsorge wenden: 0800/1110111. Spezielle Hilfsangebote zum Thema Suizid finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention https://www.suizidprophylaxe.de/

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