Nimm Dein Leben in die Hand!
Hier ist der Beweis: Das Thema „Lebenskunst“ ist an den deutschen Universitäten angekommen. Dieter Henrich, Altmeister der Philosophie aus München, stellt fest, dass die akademische Philosophie in Deutschland lange dem Szientismus verfallen war und „ihre Beziehung zum Leben, das die Menschen führen, im Dunkeln“ gelassen hat.
Das soll sich nun ändern. Acht Philosophie-Professoren aus Deutschland und der Schweiz samt ihren Mitarbeitern diskutieren hier in verschiedenen Aufsätzen über das Thema ars vivendi.
An französischen Universitäten ist das Thema „Lebenskunst“ schon rund dreißig Jahre im Gespräch: seit Michel Foucault seine Vorlesungen über die antike ars vivendi am Collège de France gehalten hat. Es gibt deutsche Philosophen, die haben in Frankreich studiert und sich redlich bemüht, das Thema „Lebenskunst“ auch an deutschen Universitäten zu etablieren. Zum Beispiel Wilhelm Schmid aus Berlin. Der hat ein Buch verfasst mit dem Titel „Philosophie der Lebenskunst“.
Dessen Verkaufserfolge war dem Suhrkamp-Verlag Grund genug, eine ganze „Bibliothek der Lebenskunst“ zu eröffnen. An den Universitäten allerdings wollte man davon zunächst nichts hören. Erst in diesem Buch hier findet sich, neun Jahre nach Erscheinen von Schmids „Philosophie der Lebenskunst“, eine echte akademische Debatte über dieses Thema.
Schmids „Philosophie der Lebenskunst“ ist eine philosophische Ermutigung für den Leser, die Gestaltung seines Lebens selbst in die Hand zu nehmen. Denn die meisten Menschen „lassen sich leben“, werden zum Spielball der Umstände. Aber das Privileg des Menschen ist die Freiheit. Er ist das einzige Lebewesen mit der Chance, in seinem Dasein Regie zu führen; er kann sein Leben formen, wie ein Künstler ein Kunstwerk gestaltet. Dazu allerdings bedarf es erstens des Nachdenkens und zweitens der Übung. Worüber man nachdenken und was man üben sollte, darüber schreibt Wilhelm Schmid seit rund zwanzig Jahren.
Das Urteil über Wilhelm Schmid fällt mehrheitlich positiv aus. Den meisten Autoren in diesem Band hat er Anregungen geliefert, sich selbst mit dem Thema ars vivendi zu beschäftigen.
Das Ergebnis sind wirklich lesenswerte Aufsätze. Da gibt es zum Beispiel einen von Martin Seel über Immanuel Kant als Philosophen der Lebenskunst. Das ist überraschend, denn Kant wird gemeinhin als Philosoph der Pflicht gehandelt. Beim Thema Lebenskunst aber geht es gerade nicht um Pflicht, sondern um die Freiheit der Gestaltung. Durch Martin Seel erfahren wir: Kant hat sich kluge Gedanken gemacht über die Frage „Was ist ’erfüllte Lebenszeit’ , was dagegen ist ’leere, sinnlos vertane Zeit’ , und wie kann ein Mensch in dieser Sache seinen eigenen Maßstab finden ?“
Interessant auch ein Aufsatz von Michael Pauen in Sachen „Willensfreiheit und Neurobiologie“. Die philosophische Annahme, dass der Mensch einen freien Willen besitzt, ist die Bedingung der Möglichkeit von Lebenskunst überhaupt. Nun gibt es Neurobiologen wie Wolf Singer, die den freien Willen des Menschen bestreiten. Michael Pauen kann plausibel erklären, dass es sich dabei um ein Missverständnis handelt. Die neuesten Erkenntnisse der Neurobiologie und die Philosophie der Freiheit lassen sich durchaus unter einen Hut bringen.
Was aber wäre eine philosophische Debatte ganz ohne Opposition. Dieter Thomä ist der Auffassung, es ist gar nicht möglich, unser Leben wie ein Kunstwerk zu gestalten, und darum könne man von „Lebenskunst“ genau genommen nicht sprechen. Denn ein Künstler (nehmen wir zum Beispiel einen Bildhauer) kann den Marmor formen, wie er möchte.
Unser Leben hingegen setzt unserem Gestaltungswillen einen Widerstand entgegen, der den des Marmors bei weitem übersteigt. Das heißt, bei allem redlichen Bemühen: Oft sind es nicht wir, die das Leben im Griff haben, sondern das Leben hat uns im Griff. Das kommt, meint Thomä, weil wir in unserem Dasein eben nicht nur den Part des Subjekts spielen dürfen. mitunter sind wir auch Objekt: Objekt der Verhältnisse, Objekt unserer Mitmenschen und schließlich Objekt unserer Selbst: Das Ich ist nicht (oder zumindest nicht immer) Herr im eigenen Haus.
Nach Dieter Thomä ist die Philosophie der Lebenskunst als eine schöne Philosophie des „Als ob“ zu betrachten: Wir tun so, als ob wir unser Leben vollends in den Griff bekommen könnten. Dass dem nicht so ist, so Thomä, spricht allerdings nicht gegen unser redliches Bemühen, im Gegenteil: Wer wie Faust „immer strebend sich bemüht“, hätte guten Grund, sich mit dem Thema Lebenskunst und dem vorliegendem Buch zu beschäftigen.
Rezensiert von Susanne Mack
Wolfgang Kersting und Claus Langbehn (Hrsg.): Kritik der Lebenskunst
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 381 Seiten, 14 Euro
An französischen Universitäten ist das Thema „Lebenskunst“ schon rund dreißig Jahre im Gespräch: seit Michel Foucault seine Vorlesungen über die antike ars vivendi am Collège de France gehalten hat. Es gibt deutsche Philosophen, die haben in Frankreich studiert und sich redlich bemüht, das Thema „Lebenskunst“ auch an deutschen Universitäten zu etablieren. Zum Beispiel Wilhelm Schmid aus Berlin. Der hat ein Buch verfasst mit dem Titel „Philosophie der Lebenskunst“.
Dessen Verkaufserfolge war dem Suhrkamp-Verlag Grund genug, eine ganze „Bibliothek der Lebenskunst“ zu eröffnen. An den Universitäten allerdings wollte man davon zunächst nichts hören. Erst in diesem Buch hier findet sich, neun Jahre nach Erscheinen von Schmids „Philosophie der Lebenskunst“, eine echte akademische Debatte über dieses Thema.
Schmids „Philosophie der Lebenskunst“ ist eine philosophische Ermutigung für den Leser, die Gestaltung seines Lebens selbst in die Hand zu nehmen. Denn die meisten Menschen „lassen sich leben“, werden zum Spielball der Umstände. Aber das Privileg des Menschen ist die Freiheit. Er ist das einzige Lebewesen mit der Chance, in seinem Dasein Regie zu führen; er kann sein Leben formen, wie ein Künstler ein Kunstwerk gestaltet. Dazu allerdings bedarf es erstens des Nachdenkens und zweitens der Übung. Worüber man nachdenken und was man üben sollte, darüber schreibt Wilhelm Schmid seit rund zwanzig Jahren.
Das Urteil über Wilhelm Schmid fällt mehrheitlich positiv aus. Den meisten Autoren in diesem Band hat er Anregungen geliefert, sich selbst mit dem Thema ars vivendi zu beschäftigen.
Das Ergebnis sind wirklich lesenswerte Aufsätze. Da gibt es zum Beispiel einen von Martin Seel über Immanuel Kant als Philosophen der Lebenskunst. Das ist überraschend, denn Kant wird gemeinhin als Philosoph der Pflicht gehandelt. Beim Thema Lebenskunst aber geht es gerade nicht um Pflicht, sondern um die Freiheit der Gestaltung. Durch Martin Seel erfahren wir: Kant hat sich kluge Gedanken gemacht über die Frage „Was ist ’erfüllte Lebenszeit’ , was dagegen ist ’leere, sinnlos vertane Zeit’ , und wie kann ein Mensch in dieser Sache seinen eigenen Maßstab finden ?“
Interessant auch ein Aufsatz von Michael Pauen in Sachen „Willensfreiheit und Neurobiologie“. Die philosophische Annahme, dass der Mensch einen freien Willen besitzt, ist die Bedingung der Möglichkeit von Lebenskunst überhaupt. Nun gibt es Neurobiologen wie Wolf Singer, die den freien Willen des Menschen bestreiten. Michael Pauen kann plausibel erklären, dass es sich dabei um ein Missverständnis handelt. Die neuesten Erkenntnisse der Neurobiologie und die Philosophie der Freiheit lassen sich durchaus unter einen Hut bringen.
Was aber wäre eine philosophische Debatte ganz ohne Opposition. Dieter Thomä ist der Auffassung, es ist gar nicht möglich, unser Leben wie ein Kunstwerk zu gestalten, und darum könne man von „Lebenskunst“ genau genommen nicht sprechen. Denn ein Künstler (nehmen wir zum Beispiel einen Bildhauer) kann den Marmor formen, wie er möchte.
Unser Leben hingegen setzt unserem Gestaltungswillen einen Widerstand entgegen, der den des Marmors bei weitem übersteigt. Das heißt, bei allem redlichen Bemühen: Oft sind es nicht wir, die das Leben im Griff haben, sondern das Leben hat uns im Griff. Das kommt, meint Thomä, weil wir in unserem Dasein eben nicht nur den Part des Subjekts spielen dürfen. mitunter sind wir auch Objekt: Objekt der Verhältnisse, Objekt unserer Mitmenschen und schließlich Objekt unserer Selbst: Das Ich ist nicht (oder zumindest nicht immer) Herr im eigenen Haus.
Nach Dieter Thomä ist die Philosophie der Lebenskunst als eine schöne Philosophie des „Als ob“ zu betrachten: Wir tun so, als ob wir unser Leben vollends in den Griff bekommen könnten. Dass dem nicht so ist, so Thomä, spricht allerdings nicht gegen unser redliches Bemühen, im Gegenteil: Wer wie Faust „immer strebend sich bemüht“, hätte guten Grund, sich mit dem Thema Lebenskunst und dem vorliegendem Buch zu beschäftigen.
Rezensiert von Susanne Mack
Wolfgang Kersting und Claus Langbehn (Hrsg.): Kritik der Lebenskunst
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 381 Seiten, 14 Euro