Nike Wagner

"Beethoven ist nicht ungefährlich"

08:34 Minuten
Nike Wagner steht in einer großen Halle an einem Treppengeländer. Sie trägt das helle Haar halblang, eine dunkle Jacke und ein heller Oberteil.
Hat sich für Neugier und Aufgeschlossenheit eingesetzt: Intendantin Nike Wagner hört nach dem Beethovenfest 2021 auf. © Barbara Frommann
Moderation: Carsten Beyer · 19.08.2021
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Wenn beim Beethovenfest in Bonn die 9. Sinfonie gespielt wird, beginnt die letzte Ausgabe unter Nike Wagner. Die Intendantin blickt zufrieden auf sieben Jahre am Rhein zurück und ist stolz, dass sie dem Publikum auch so einiges zugemutet hat.
Am Freitag Abend startet das Beethovenfest 2021 – mit der 9. Sinfonie. Das Festival ist eine nachgeholte Geburtstagsparty, da die Ausgabe 2020 - im Jahr des 250. Geburtstages von Ludwig van Beethoven - aufgrund der Coronapandemie fast komplett ausfiel.
Nur ein einziges Konzert im Kölner Dom fand statt, und das ohne Zuhörer. Zugleich ist es die Abschiedsausgabe für Intendantin Nike Wagner, die angekündigt hatte, ihren Vertrag nicht zu verlängern.

Zum Jubiläum dann doch der Zyklus

Im Mittelpunkt stehen dieses Mal die neun Sinfonien von Ludwig van Beethoven, die von fünf europäischen Spitzenorchestern gespielt werden, und dann noch einmal in ihrer Klavieradaption von Franz Liszt erklingen.
Es sei eigentlich nicht ihre Art, alle Sinfonien ins Programm zu nehmen, sagt die Intendantin Nike Wagner. "Mein Ruf in Bonn war nicht immer der glücklichste, denn sie haben nie den gesamten Zyklus bekommen." Sie setze beim Programmmachen eher auf Kontext: "Aber ich dachte: 2020, Jubiläum, dann ist man doch verpflichtet, alle Sinfonien zu spielen."
Sinfonien-Zyklus und Klaviertranskriptionen seien nun vereint in einem Festival. Liszt sei einer der größten Beethovenianer gewesen: "Er sagte: 'Meine Transkriptionen verhalten sich wie Stahlstiche zu einem Ölgemälde.' Ich finde, das trifft die Sache sehr schön."

Glücksfall Wiener Philharmoniker

Einerseits seien wegen der Verschiebung des Zyklus vom Jubiläumsjahr auf das Folgejahr viele Künstler, vor allem viele prominente, nicht mehr verfügbar gewesen, berichtet Wagner von den Mühen der Planung.
Andererseits habe sich auch manch glücklicher Zufall ergeben: So habe sie etwa jahrelang bei den Wiener Philharmonikern angefragt, ob diese nicht mal wieder zum Beethovenfest kommen könnten. Natürlich habe das Orchester nie Zeit gehabt.
"Aber 2021 waren sie plötzlich frei", sagt Wagner. "Das ist sozusagen ein Corona-Geschenk im Unglück." Insgesamt sei es gelungen, das Programm fast komplett beizubehalten.

Blick zurück mit Wehmut und Stolz

Für Wagner ist es das letzte Beethoven-Fest als Intendantin, schon 2019 hatte sie angekündigt, dass sie keine weitere Amtszeit mehr will: "Wehmut stellt sich immer ein, ich habe sehr gerne hier gelebt", sagt sie. "Die Leute sind außerordentlich menschenfreundlich hier im Rheinland und aufgeschlossen."
Und ihre Bilanz? "Ich habe sehr gekämpft, muss ich sagen, um dem Publikum Neugier beizubringen und Aufgeschlossenheit. Denn mein Beethoven war ja ein Beethoven aus dem Geist der Gegenwart verstanden."
Da habe sie manchem Hörer viel zugemutet, sagt Wagner: "Wir haben viele Uraufführungen, wir haben sehr viele Stückentwicklungen, wir haben Beethoven- Überschreibungen gehabt, wir haben sehr die authentische Aufführungspraxis gepflegt im Vergleich zur romantischen Tradition", zählt sie auf.
Allerdings: "Um das Programm wirklich durchzubringen, hätte es vielleicht zehn Jahre gebraucht. Das nimmt man immer so als untersten Schätzwert. Aber ich glaube, mit meinen sieben Jahren bin ich auch sehr gut gefahren."

Der Nachfolger soll es anders machen

Nike Wagner selbst will sich nach der letzten Festival-Ausgabe erstmal ins Privatleben zurückziehen: "Aber ich glaube, ich werde so eine Art Elder Statesman-Rolle haben im Kulturleben. Ich bin ja in vielen Akademien, Vereinen und Stiftungen, wo sich immer wieder eine Gelegenheit zur Einflussnahme ergibt."
Ihrem Nachfolger, dem Deutsch-Amerikaner Steven Walter, wünscht sie, dass er es vollkommen anders macht:
"Ein Festival muss in Bewegung bleiben, und Beethoven ist ja nicht ungefährlich: Da tendieren die Leute zu Bewahrungskultur im Unterschied zur Kreativkultur. Bewahrenskultur ist einerseits richtig, aber ich bin ganz gegen eine Tendenz des Beethoven-Abfeierns, die es hier im Rheinland auch gibt – und woanders auch."
(mfu)
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