Nihilisten auf Abenteuerurlaub

Vorgestellt von Tobias Rapp |
Auch der Schrecken der Leere hat seine Anziehungskraft - im ewigen Eis geht man ja schließlich nicht einfach verloren. Man begibt sich erst einmal dorthin, um sich dann genau dieser Gefahr auszusetzen. Darum geht es in dem zweiten Roman der Hamburger Autorin Tina Uebel: eine Wanderung zum Südpol.
Erzählt wird vor allem aus der Perspektive eines durchschnittsdeutschen Hobby-Marathon-Mannes, der in die Antarktis aufbricht, um den Tod seiner Mutter zu vergessen und sich von den Erinnerungen an seine gescheiterte Beziehung abzulenken, aber auch weil er nichts mit sich anzufangen weiß.

Außerdem dabei: Susan, die amerikanische Einhandseglerin, die den Atlantik alleine überquert hat, Anwältin für Umweltrecht ist und die verkörperte Selbstdisziplin. Ralph, der verschluderte Holländer, der sich von niemandem etwas sagen lässt. Michael, der "seven-summits-man" aller Erdteile, der die sieben höchsten Gipfel bestiegen hat, inklusive des Mount Everest, ein unsympathisches Großmaul (dem das Buch Gerechtigkeit widerfahren lässt, so viel sei verraten).

Angeleitet werden sie von Jeff und Andrew, den Guides, mit bewundernswerter Übersicht und Selbstkontrolle: zwei Ruhepole, über die man kaum etwas erfährt.

Zwei Monate und 730 Meilen geht es durch das ewige Eis, einer der Protagonisten wird schneeblind, ein Blizzard zwingt sie für Tage in die Zelte. Psychodramen spielen sich ab, kleine Spielchen zwischen den Wandernden, Kämpfe um Dominanz und Ausdauer. Zu Anfang nervt dieser Kontrast zwischen existenziellem Großthema und kleinlichem Gerede am Gaskocher manchmal - aber genau davon handelt dieser ausgezeichnet recherchierte Roman: die große Leere mit der kleinen Leere zu kontrastieren und zu bevölkern.

Arthur Schopenhauer würde das Buch gefallen, nicht nur weil es mit dem gleichen Wort aufhört wie sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung: "Nichts". Die Protagonisten von "Horror Vacui" sind samt und sonders Agenten ihres leer drehenden Willens. Sie stiefeln und stolpern durch die Antarktis, weil sie es können, nicht weil sie müssten, vor etwas davon laufen würden oder von etwas getrieben würden.

Die Extremtouristen sind merkwürdige Widergänger ihrer historischen Vorbilder wie Amudsen oder Scott: von dem gleichen mystisch-nihilistischen Nichts des ewigen Eises angezogen, wissen sie allerdings, dass sie im Zweifelsfalle immer ein Flugzeug der Reiseveranstalter aus dem Schlamassel holen wird.

Tina Uebel: "Horror Vacui"
Verlag Kiepenheuer & Witsch,