Blei-Recycling in Nigeria

Tödliches Geschäft mit alten Batterien

Halle mit vielen Batterien und zwei Arbeitern
Arbeiter von Metalworld in Nigerias Millionenstadt Lagos – eine Firma, die aus alten Batterien Blei gewinnt. © Adetona Omokanye
Von Petra Sorge, Mitarbeit: Isaac Anyaogu  · 14.02.2019
Die Nachfrage nach Blei steigt weltweit, auch für den deutschen Automarkt. Afrika, vor allem Nigeria, kann die Nachfrage bedienen – mit dem Recyceln von alten Batterien. Doch das Gesundheitsrisiko ist riesig: der Rohstoff vergiftet Arbeiter und Anwohner.
Nnewi, eine Stadt im Osten Nigerias mit rund 400.000 Einwohnern. Hier, im Dschungel zwischen Kokosnuss- und Palmölplantagen, steht die Recyclingfabrik des Batterieherstellers Union Autoparts, eine Tochter des erfolgreichen nigerianischen Industriekonzerns Ibeto. Die Firma macht aus alten Autobatterien neue. Allein in die Recyclinganlage hat Union Autoparts 7,3 Millionen Euro investiert.
"Stand heute ist das die modernste Anlage in der Bleirecycling-Industrie. Die Drehrohrofen sind vollständig mit Emissionsschutz ausgestattet", erklärt Manager Vincent Eijke. Das Problem: Die Recyclinganlage steht seit letztem Oktober still. Es fehlen die Altbatterien. Gebrauchte Bleibatterien sind viel zu teuer geworden. Union Autoparts hat höhere Betriebskosten als die meisten anderen Bleihütten in Afrika – und kann im ruinösen Wettbewerb kaum mithalten. Also wurde das Recycling gestoppt. Für Eijke sind die ausländischen Blei-Importeure für die Preistreiberei mitverantwortlich.
"Wir haben jetzt Ausländer hier, die um gebrauchte Batterien kämpfen, um sie in ihre jeweiligen Heimatländer zu exportieren. Sie kümmern sich nicht um das Wohlbefinden des nigerianischen Arbeiters. Sie wollen ihn bloß ausbeuten. Aber ich habe als örtlicher Produzent eine Verantwortung – nicht nur, Geld zu machen, sondern auch das Leben meiner Angestellten zu bewahren und die Umwelt zu schützen."

Defizit-Geschäft: Recyclen von Altbatterien

Einst gab es 14 Hersteller von Batterien in Nigeria. Heute ist nur noch Union Autoparts übrig. Anders als in der Recycling-Abteilung läuft die Batterieproduktion hier wenigstens noch ab und an. Manager Eijke zeigt die Abteilung, in der die Teile zusammengebaut werden.
Sie läuft nur dank der massiven Quersubventionen der Mutterfirma Ibeto. Ein defizitäres Geschäft. Aber woran liegt das? Welche Rolle spielen wir Europäer dabei? Bleihütten stehen oft in unmittelbarer Nähe von Siedlungen. In sieben afrikanischen Ländern haben internationale Wissenschaftler Bodenproben im Umfeld solcher Anlagen entnommen – und extreme Bleiwerte festgestellt. Wie gefährlich ist das Recyceln von Bleibatterien für die Anwohner? Alles Fragen, denen ich nachgehen will.
Die Nachfrage nach dem Rohstoff Blei steigt weltweit, besonders in den Industrieländern. Afrika, vor allem Nigeria, kann die Nachfrage bedienen – nicht mit der Produktion von neuen Batterien, sondern mit dem Recyceln von alten. Jährlich fallen dort rund 500.000 Bleibatterien an, schätzt die Recyclinginitiative REDIN. Deutsche Autobatterien machen einen nicht unbeträchtlichen Anteil aus. Von hier kommt das Blei zurück nach Deutschland – als Schredder, Paste oder in Barren gepresst, um daraus wieder neue Batterien zu machen. Der Schritt dazwischen ist hochgefährlich, erklärt Leslie Adogame von der Umweltorganisation SRADev.
"Anstatt die besten Recyclingmethoden anzuwenden, gibt es hier nur diesen rudimentären Ansatz: Sie brechen die Batterien, um das Blei in Form von Barren zu exportieren. Alte Bleisäurebatterien sind ein Boomgeschäft, besonders für die Mittelklasse."

Bleigewinnung ohne Arbeitsschutz

Das Licht ist schummrig. In der Ecke stapeln sich alte Autobatterien. Hier, in einer Werkstatt in Nigerias Millionenstadt Lagos, hat die Firma Metalworld ihren Sitz. Ein junger Mann mit nacktem Oberkörper steht vor einer Batterie, mit einem rostigen Messer schlägt er mehrmals auf sie ein. Seitlich fließt Batteriesäure heraus. Der Arbeiter will nicht sprechen, wirkt ängstlich.
Mädchen vor rauchenden Fabrikschornsteinen
Luftverschmutzung im nigerianischen Dorf Ipetoro – welche Rolle spielt Europa?© Adetona Omokanye
Ich möchte erfahren, wie deutsche Batterien hier zerlegt werden. Als ich den Arbeiter anspreche, wissen will, was er da macht, druckst er rum. Und dann kommen auch schon die Aufseher, ich muss weg, denn ich bin hier unangekündigt auf Recherche. Mit Voranmeldung beim Firmenchef würde alles womöglich ganz anders aussehen.
Der Inhaber von Metalworld ist ein Inder, Vinod Kumar. Auch das ist Globalisierung. 2005 begann Kumar in Nigeria. Heute exportiert er nach Asien, Belgien und Spanien. Ich treffe ihn später in seinem Privathaus und zeige ihm ein Foto des Arbeiters. Sind das etwa die Zustände in seiner Firma?
"Niemals, niemals, niemals. Erstens geben wir ihnen Stiefel und eine Atemmaske, wenn sie arbeiten. Wir erlauben das nicht. Selbst wenn der Arbeiter sagt, es ist mir zu viel, Chef, dann kann ich das nicht machen. Dann sage ich, verlasse das Unternehmen. Was ich mache, ist das Beste, was irgendein Batterierecycler unter den jetzigen Umständen machen kann."

Höchster Bleiwert bei der nigerianischen Metalworld

Vor anderthalb Jahren nahm die Umweltorganisation SRADev hier Bodenproben. In den USA analysierte "Occupational Knowledge International" den Bleigehalt. Das war Teil der Studie in sieben afrikanischen Ländern, für die 118 Proben genommen wurden. Die Proben von Metalworld hatten die höchsten Werte. Adogame von der betreffenden Umweltorganisation war geschockt:
"Das war alarmierend. Selbst für uns Wissenschaftler. Niemals hätten wir gedacht, wir könnten solche Werte finden. Als wir dieses Ergebnis publizierten, wurde sogar das Bundesumweltministerium von Nigeria aufmerksam."
Das Ministerium entzog Metalworld die Exportlizenz. Der spanische Zoll habe jüngst sogar eine Ladung von Metalworld beschlagnahmt, erzählt ein Beamter in Nigerias Hauptstadt Abuja. In Lagos selbst hat sich aber nichts geändert. Metalworld macht einfach weiter. Die zuständige Umweltbehörde weiß zwar um das Problem.
"Aber ich als Umweltschützer muss zwei Alternativen abwägen – und die sind: Wirtschaft auf der einen, Umweltschutz auf der anderen Seite", sagt Antonio Ayodele. Er ist Generalmanager einer Umweltschutzagentur, die für den gesamten Bundesstaat Lagos in Nigeria zuständig ist. Dass er so zögert, hat auch mit dem Geld zu tun, das das Batterierecycling einbringt. Und das ist beträchtlich: Die Wirtschaftszeitung ‚BusinessDay Nigeria‘ schätzt den Marktwert – konservativ – auf mindestens 240 Millionen Euro jährlich. Die Stadt Lagos dürfte als wichtigster Exporthafen des Landes am stärksten profitieren.
Da fühlt sich Kumar von Metalworld so sicher, dass er sogar die extremen Boden-Bleiwerte anzweifelt.
"Wenn irgendeine Nichtregierungsorganisation das sagt, ohne mich zu treffen, ohne meine Firma zu besuchen, dann ist das Betrug."
Eine verfahrene Situation: Auf der einen Seite gibt es die Umweltwissenschaftler mit ihren eindeutigen Ergebnissen, auf der anderen Seite die Unternehmer, die sagen, das stimme nicht. Die Behörden wägen ab – meist zugunsten von Jobs und Steuereinnahmen. Als Journalistin helfen mir Zweifel nicht weiter. Ich brauche Fakten und beschließe eine neue Testreihe. Ich kontaktiere den Umweltwissenschaftler Adogame, der schon die Proben bei Metalworld gemacht hat und frage ihn, ob er dabei mitmacht. Ich will herausfinden, ob das Blei aus dem Boden und aus den Batterien auch für die Menschen gefährlich sein kann. Dafür wollen wir Blutproben nehmen – mit dem Gerät "Lead Care II" des US-Herstellers Meridian Bioscience. Es ermöglicht sofortige Ergebnisse im Feld.
Der Präsident des Batterie-Recyclingverbandes erklärt sich bereit mitzumachen. Vincent Nwodo, 60 Jahre, besitzt selbst eine kleine Bleihütte. Er beliefert auch Metalworld.

Bleisäure wird in der Gosse entsorgt

An einem Mittwoch Ende Oktober lädt Nwodo zum Test auf sein Gelände. Seine Mitarbeiter hat er freigestellt, auch Kollegen sind da. Der Münchner Kinderarzt Tobias Eisenhut nimmt Nwodo einen Tropfen Blut ab.
Arzt nimmt einem Kind Blut ab, das auf dem Schoß einer Frau sitzt
Die festgestellten Werte bei Kindern: zwischen 10 und knapp unter 30 Mikrogramm pro Deziliter.© Adetona Omokanye
"Das Ergebnis ist ungefähr 46 oder so…. 44,6."
44,6 Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut. Bereits ein Wert ab 10 Mikrogramm gilt laut der Weltgesundheitsorganisation als Vergiftung. Eins ist sicher: Vincent Nwodo hat sich durch seine Arbeit selbst vergiftet. Das liege aber auch an seiner Arbeitsumgebung. Die Batteriesäure kann in den Erdboden sickern. Nwodo hat weder Filter noch eine Abwasserreinigung.
Ich besuche weitere Bleihütten im Großraum Lagos. Fünf Recycler erzählen mir, dass sie die Bleisäure in der Gosse entsorgen. Einer nimmt Wasser zur Verdünnung. Ein anderer glaubt, er könne die Säure mit Limonade neutralisieren und seine Arbeiter schützen, indem er ihnen Milch gibt. Mythen und Legenden, denn nichts davon hilft: Ein 16-Jähriger, der einmal pro Woche Batterien zerlegt, hat einen so hohen Blutbleiwert, dass er außerhalb des Messbereichs von Lead Care II landet. Irgendwas über 65 Mikrogramm.

Indische Firma vergiftet nigerianische Dorfbewohner

Und was ist mit den Nachbarn solcher Bleihütten? Was richtet die Säure da an, wo sie versickert?
Ich fahre mit Adogame ins Dorf Ipetoro, zwei Stunden östlich von Lagos. Hier leben rund 500 Familien. Sie klagen über Husten, Kopfschmerzen, Fieber. Die Firma Everest Metal Recycling Nigeria hat hier ihren Produktionssitz. Die Manager sind Inder. Die Firma entsorge ihr Abwasser direkt im Dorf, klagt der Ingenieur Yusuf Ismaila von der Gemeindeversammlung Ipetoro.
"Wir haben uns auch bei ihnen beschwert – weil das Wasser direkt auf die Straße läuft, und wegen unserer Kinder. Wenn man das Wasser so sieht, schaut es sauber aus. Aber diese Chemie wird dir die Haut vom Bein schälen."
Das giftige Rinnsal kommt aus einer Mauer hinter der Fabrik. Ein Dorfbewohner zeigt die Stelle.
"Die Säure im Wasser – die haben unseren Ort verschmutzt! Das hier tötet uns!"
Fabrik eingerahmt vom Dorf und Fluss
Everest Metal Recycling Nigeria in Ipetoro, die Firma entsorge ihr Abwasser direkt im Dorf, klagt ein Vertreter der Gemeindeversammlung.© Adetona Omokanye
"An diesem Ort haben wir auch eine Form von Gemüse gefunden. Ugu – das ist eine bestimmte Pflanze, die hier wuchs, aus der wir Suppe machen, eine Art Kürbis. Das ist verwüstet. Völlig verwüsteter Boden. Man kann hier keinerlei Landwirtschaft betreiben, bis man diese Umwelt hier saniert hat."
Ergänzt Umweltwissenschaftler Adogame. In Ipetoro lassen 40 Freiwillige ihr Blut testen. 39 von ihnen überschreiten den Blei-Grenzwert und sind vergiftet.
Darunter sind auch viele Kinder, die in die Grundschule direkt gegenüber der Everest-Fabrik gehen. Der Kinderarzt Tobias Eisenhut über die Befunde:
"Die Ergebnisse im Feld waren bei Kindern Werte zwischen 10 und knapp unter 30 Mikrogramm pro Deziliter. Alle diese Werte sind zu hoch. Wenn ein Wert über 10 bei Kindern längere Zeit besteht, werden sie mit einer großen Wahrscheinlichkeit Probleme in ihrer Entwicklung bekommen."
Everest reagiert auf Anfragen zunächst gar nicht. Erst als ich signalisiere, dass wir verheerende Blutwerte haben, trifft sich ein Manager mit uns und versucht, uns zu bestechen. Er will verhindern, dass wir darüber berichten. Offenbar fürchtet er um seinen Ruf in Europa.

Die Rolle Deutschlands ist mitentscheidend

Mich interessiert aber auch die Rolle der deutschen Firmen an diesem tödlichen Geschäft. Wie groß ist sie? Und welche Interessen spielen da rein?
Die Behörden erfassen Blei-Importe nicht systematisch. Nur die niedersächsische Gesellschaft zur Endlagerung von Sonderabfall nennt eine Zahl: Demnach wurden im Jahr 2017 rund 110.000* Tonnen Blei aus Nigeria eingeführt – und das allein nach Niedersachsen. Der Rohstoff gelangt verschleiert nach Deutschland, über Umwege und Zwischenhändler. Ich erhalte den Kontakt eines solchen Agenten – Philip Gottlieb von WITL Limited in Großbritannien.
Gottlieb bietet nicht nur an, die Vorschriften zu umgehen. Er nennt auch seinen deutschen Kunden: Weser-Metall, eine Recyclingfirma im niedersächsischen Nordenham und nach eigenen Angaben drittgrößte Bleiverarbeitung Europas. Weser-Metall liefert auch an Johnson Controls, das in den Werken Hannover und Zwickau Fahrzeugbatterien praktisch aller großen Autohersteller produziert: BMW, Mercedes, Volkswagen, Opel. Hochgiftiges Blei, das in Nigeria Menschen vergiftet, könnte unter jeder Motorhaube stecken.
Johnson Controls kündigt eine Untersuchung an. Der Geschäftsführer von Weser-Metall Matthias Compes erklärt schriftlich, man habe mit Everest gar keine direkten Geschäfte getätigt.
"Wir wurden von unserem Lieferanten nicht über eine Rechtsverletzung oder ein Fehlverhalten dieses Unternehmens informiert. Zu Ihrer Information, von diesem Lieferanten kaufen wir kein Material mehr."
Als auch die britische Agentur WITL der Firma in Nigeria kündigt, bekomme ich einen Anruf aus Indien. Ein Manager der Everest-Mutterfirma ist am Telefon. Er bettelt, verspricht, nun zu investieren, alles richtig zu machen. Der wirtschaftliche Druck sei immens. Und tatsächlich: Anfang Januar trifft sich das Management mit den Gemeindevertretern von Ipetoro. Everest verspricht, eine Kläranlage zu bauen und regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen zu finanzieren.
Umweltwissenschaftler Adogame sieht aber auch die Deutschen in der Pflicht:
"Vieles läuft international über Mitwisserschaft. Es ist wichtig für einen deutschen Investor sicherzustellen, dass er auf verantwortungsvolle Recyclingprozesse schaut, zu garantieren, dass ihre Zulieferer zertifiziert sind."
Ein verpflichtendes Zertifikat für fair produziertes Blei: Das wäre ein Anfang. Doch der Weg dorthin ist lang. Das zeigt das Beispiel Metalworld. Inhaber Vinod Kumar hält seine Fabrik schon jetzt für nachhaltig.
Die Recherche wurde unterstützt vom European Journalism Centre und der Bill & Melinda Gates Foundation.
*Hier wurde zuvor versehentlich eine Null vergessen, wir haben den Fehler korrigiert.
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