Niedrige Zinsen, viel Liquidität, mutlose Politik

Von Susanne Schmidt |
Auf diesen Pfaden sind wir schon einmal gewandelt, das war vor der großen Finanzkrise. Da hatte die amerikanische Notenbank die Finanzmärkte jahrelang mit zu viel Liquidität versorgt und die Zinsen niedrig gehalten; da jagten die Investoren nach Rendite; da wurde sich verschuldet, billiges Geld aufgenommen und in obskure Anlagen gesteckt; da entstanden Blasen auf den Finanzmärkten.
Aber eine höhere Rendite geht immer mit höherem Risiko einher, das ist ein ehernes Gesetz. Und so kam es unaufhaltsam zum Krach und es zeigte sich, dass diese ganzen riesigen Gewinne, die sich die globale Finanzwirtschaft über Jahre einverleibt hatte, unter völlig unsoliden Prämissen kalkuliert worden waren. Viele Bankbilanzen glichen stinkenden Müllhalden und uns, den Steuerzahlern, blieb es überlassen, diese Halden wieder abzutragen.

Man sollte meinen, die Verantwortlichen hätten aus dieser Geschichte gelernt. Es ist schließlich noch nicht einmal drei Jahre her, dass Lehman Pleite gegangen ist. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Im Gegenteil, man kann sich eines beängstigenden Déjà-vu nicht erwehren.

In den USA beträgt der effektive Leitzinssatz null Prozent, und obwohl die amerikanische Inflationsrate immerhin bei drei-komma-zwei Prozent liegt, druckt die Notenbank außerdem fleißig zusätzliches Geld. In Großbritannien steht der Leitzins bei einem halben Prozent, während die Inflation mittlerweile auf viereinhalb Prozent gestiegen ist. Und in der Eurozone hat die EZB zwar im April den Zinssatz auf ein-einviertel Prozent erhöht, aber auch die Inflation ist gestiegen und beträgt zurzeit zwei-komma-sieben Prozent.

Das heißt: In der gesamten westlichen Welt haben wir schon seit geraumer Zeit negative Realzinsen. Wer sein Geld solide und risikolos anlegen will, bekommt also nach Abzug der Inflationsrate nicht etwa einen positiven Zins gut geschrieben, sondern muss im Gegenteil auch noch draufzahlen.

Was ist die Folge? Schon seit letztem Jahr wird wieder laut zur Jagd nach Rendite geblasen, und das könnte durchaus zu einer neuen Finanzkrise führen. Einige Anlagemärkte sind zum Verdampfen heißt, Risiko ist wieder gefragt und auch der Privatkunde greift erneut zu Zertifikaten oder synthetischen Indexfonds.

All das ist unschön genug. Aber auch das sonstige Umfeld tut ein Übriges, um trotz der sommerlichen Temperaturen zu frösteln. Zum Beispiel die Staats-Schuldenkrise. Nicht etwa nur die periphären Staaten der Eurozone sind davon betroffen, sondern auch und insbesondere die Vereinigten Staaten oder Großbritannien. Keine Frage, die weltweite Finanzkrise, die staatlichen Rettungsmaßnahmen und die Rezession rund um den Globus haben tiefe Schleifspuren hinterlassen und allerorten tut sich die Politik schwer, die Finanzen wieder in Ordnung zu bringen.

Mag ja vielleicht so sein, heißt es dann, aber wir seien ja schon so weit mit der Neuregulierung des Finanzwesens gekommen. Die Banken stünden heute doch so viel besser da als vor der Krise, hätten so viel mehr Eigenkapital, würden so viel besser reguliert. Es gäbe keinen Grund zu Kassandra-Rufen. Alles in Butter! Vor einer neuerlichen Finanzkrise bräuchten wir keine Angst zu haben. Ach wirklich, frage ich, den Eindruck habe ich nicht.

Bürger und Steuerzahler sind überhaupt und gar nicht besser vor der nächsten Krise geschützt. Die Neuregulierung des Finanzwesens ist halbherzig, von der Finanz-Lobby erfolgreich ausgehöhlt und verwässert worden. Die amerikanische Haushalts-Politik ist Besorgnis erregend. Und wenn sich die europäische Politik nicht bald in Sachen Griechenland & Co. zusammen rauft und beherzte Schritte ergreift anstatt auf Meinungsumfragen zu schielen, dann könnte uns die Situation in der Eurozone noch ganz schlimm um die Ohren fliegen und ebenfalls eine neue, gravierende Krise auslösen.

Derweil sind die globalen Banken und Investoren zum "business as usual" übergegangen und machen weiter wie gehabt. Am Horizont dräuen schwarze Gewitterwolken, und sie kommen näher!


Susanne Schmidt war über 30 Jahre in der Londoner City beschäftigt. Sie hatte leitende Aufgaben im internationalen Großkreditgeschäft des Commercial Banking. Danach wechselte sie als politische Analystin in die Research-Abteilung einer Investmentbank. Zuletzt war sie Moderatorin beim Finanzsender Bloomberg TV. Seither schreibt sie als Autorin über die Probleme globaler Finanzmärkte. Im April 2010 erschien ihr Bestseller "Markt ohne Moral".
Susanne Schmidt
Susanne Schmidt© Helmut Henkensiefken