Niederlagen in der Politik

Über das Erodieren von Normen in der politischen Kultur

06:59 Minuten
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gibt eine Pressekonferenz nach den Gremiensitzungen der Partei nach der Bundestagswahl 2021 im Konrad-Adenauer-Haus.
Warum ist das Eingestehen einer Niederlage so schwer? Philosophin Sabine Döring analysiert das am Beispiel Armin Laschets. © dpa/ picture alliance/ Michael Kappeler
Sabine Döring im Gespräch mit Nicole Dittmer · 28.09.2021
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Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet bestand am Wahlabend darauf, die Regierung zu bilden – trotz hoher Verluste. Die Philosophie-Professorin Sabine Döring sieht das als Beispiel für Normen, die in der politischen Kultur zunehmend verletzt werden.
Das Wahlergebnis der CDU/CSU von 24,1 Prozent ist nicht schönzureden. Trotzdem beanspruchte CDU-Chef Armin Laschet noch am Wahlabend den Auftrag der Wähler für sich, eine Regierung zu bilden. Inzwischen klingen sowohl er als auch andere führende Unionspolitiker zurückhaltender.
Dennoch bleibt das Bild: Armin Laschet reiht sich ein in die Riege derer, denen es schwerfällt, eine Niederlage einzugestehen.
Sabine Döring, Philosophie-Professorin an der Universität Tübingen, sieht diesen Fall als Beispiel dafür, dass bestehende Normen insbesondere in der politischen Kultur erodierten. Die Normen, die dem Eingeständnis einer Niederlage zugrunde lägen, seien etwa Anstand, Sitte und Tugend. "Gerade die konservativen Parteien, die stolz auf ihre bürgerlichen Tugenden sind, müssten hier eine Vorbildfunktion übernehmen", sagt Döring. Laschet habe das verpasst.
Als internationales Beispiel falle ihr der Umgang des Ex-US-Präsidenten Donald Trump mit seiner Niederlage ein, erklärt Döring: "Ich will hier nicht sagen, dass Laschet beim Verweigern des Eingestehens der Niederlage auf dem Niveau vom Trump agiert, aber es geht in die gleiche Richtung – und er ist auch in Deutschland nicht allein."

Wenn die Wahrheit den Kandidaten nicht interessiert

Sie vermute, sagt Döring, dass im Fall Laschets der Machterhalt eine große Rolle spiele. Aber grundsätzlich stelle sich die Frage, wie es überhaupt möglich sei, dass die Normen erodierten. "Ein Punkt ist ein Mangel der Verpflichtung auf Wahrheit", erklärt die Philosophin. Ein Stichwort sei hier "alternative Fakten". Wenn man an Tatsachen nicht besonders interessiert sei, dann sei es einfacher, am eigenen Selbstbild als Sieger festzuhalten.
"Das passt leider gut zu der Figur, die Laschet insgesamt gesehen abgibt: von den erfundenen Klausurnoten über die Coronapolitik, die fehlende Ernsthaftigkeit angesichts der Hochwasserkatastrophe, den Unwillen, sich inhaltlichen Debatten zu stellen, bis hin zu seinem Verhalten jetzt", so die Philosophin Sabine Döring.
Sie könne keine Aussage dazu treffen, ob dieses Verhalten typisch männlich sei oder ob es bei Frauen gleichermaßen auftrete. "Annalena Baerbocks Umgang mit ihrem Lebenslauf und ihrem Buch war ja nun auch nicht eine Stunde der Wahrhaftigkeit", sagte Döring. Trotz dieser Einzelfälle denke sie aber, dass Deutschland mit seiner politischen Kultur im internationalen Vergleich nicht schlecht dastehe.
(ske)
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