Niederlage eines übermächtigen Imperiums

Herfried Münkler im Gespräch mit Joachim Scholll · 15.05.2009
Vor 2000 Jahren standen sich Römer und Germanen in der legendären Varusschlacht gegenüber. Vermutlich hat sich diese Schlacht über mehrere Tage hingezogen", sagte dazu der Politologe Herfried Münkler. In Kalkriese im Osnabrücker Land ist dazu nun auch eine Ausstellung zu sehen.
Joachim Scholl: In diesen Tagen und Wochen ist sie oft erzählt worden, die Geschichte jener legendären Schlacht, als der Cheruskerfürst Arminius die Legionen des Varus vernichtend schlug. 2000 Jahre ist das jetzt her. Das Datum weiß man, den Ort vermutet man ziemlich sicher im Osnabrücker Land. Und dort, in Kalkriese, wird morgen auch eine große Ausstellung eröffnet: "Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht".

Im Studio begrüße ich nun Herfried Münkler. Er ist Politologe, lehrt an der Berliner Humboldt-Universität. Krieg und Kriegführung ist eines seiner Spezialgebiete, und in seinem jüngsten Buch denkt Herfried Münkler über die Deutschen und ihre Mythen nach. Krieg und Mythos, das geht bei Hermann dem Cherusker prächtig zusammen. Willkommen, Herr Münkler!

Herfried Münkler: Ja, hallo!

Scholl: Für alle, Herr Münkler, die in letzter Zeit weder im Fernsehen noch in vielen Zeitungen den Verlauf der Hermannsschlacht minutiös verfolgt haben: Wie haben die Germanen es geschafft, die modernste Armee der Welt, damals die römische, zu schlagen?

Münkler: Ja, indem sie sich nicht in einer offenen Feldschlacht ihnen gegenübergestellt haben. Das war dem Arminius, von dem wir ja im Übrigen nur seinen römischen Namen kennen, klar, der relativ lange in römischen Diensten gestanden hat und also auch hier die Hilfstruppen führt. Wenn sich die Römer zu einer Schlachtordnung formiert haben und ihre Überlegenheit ausspielen können, dann sind die wilden, ungeordneten, taktisch undisziplinierten Haufen der Germanen nicht in der Lage.

Also muss man eine Waldschlacht, wenn man so will, führen, und so wird das dann auch später bezeichnet. Man zieht also die römischen Kräfte auseinander, attackiert sie immer und verwandelt ihre Stärke, nämlich im Prinzip das Gerät und die Ausrüstung, die sie mit sich führen, in eine Schwäche, indem das Ganze immer lastender wird und die Soldaten immer erschöpfter. Und am Schluss wollen vermutlich viele von ihnen auch einfach nur sterben, geben sich selber den Tod oder hören auf zu kämpfen. Und so erlischt gewissermaßen die Kraft und der Geist dieser drei Legionen.

Scholl: 20.000 römische Soldaten waren es, das ist doch eine gewaltige Streitmacht eigentlich. Drei Legionen, drei Reiterabteilungen, sechs Kohorten und Tross, die Stärke und auch Professionalität der Römer ist bestens dokumentiert. Von den Germanen weiß man das nicht so. Guerillataktik, sagen Sie, das heißt, da bricht dann immer so ein Haufen aus dem Wald raus und attackiert dann das Ende, die Spitze dieser 20.000. Ich meine, 20.000, fast niemand hat überlebt von den Römern. Wie muss man sich das eigentlich konkret vorstellen? Also wirklich immer so kleine Scharmützel, und das hat wirklich in der Summe diese vernichtende Niederlage ergeben?

Münkler: Also vermutlich hat sich diese Schlacht ja über mehrere Tage hingezogen, jedenfalls so berichten es die römischen Historiker völlig richtig. Aus germanischer Sicht wissen wir gar nichts darüber. Es ist sozusagen nur römisch-lateinische Literatur. Und immer wieder eine Attacke, mit dem Ergebnis, dass die Römer nicht zur Ruhe kommen, dass sie permanent Aufmerksamkeit aufbringen müssen, sich dann neu formieren zum Gefecht. Und dann tauchen die Germanen wieder auf, aber verschwinden wieder. Und wenn gewissermaßen die Formation der Römer sich wieder aufgelöst hat und sie in Marschordnung übergegangen sind, dann brechen sie wieder herein. Und das zermürbt natürlich, das zermürbt auch Berufssoldaten, denn das ist das, was die Römer dort aufgeboten haben.

Scholl: Wir haben in den letzten Jahren ja auch neue Begriffe gelernt, zum Beispiel die asymmetrische Kriegführung. Wäre das ein erstes Beispiel, Herr Münkler?

Münkler: Ja, ob das ein erstes Beispiel ist, das würde ich eher bezweifeln. Also solche Formen asymmetrischer Gefechtsführung, die sind ja auch aus dem Orient bekannt. Es ist im Prinzip die Kampfweise von militärtechnologisch und militärtaktisch unterlegenen Akteuren gegen einen überlegenen, ein Verfahren, dessen Stärke in Schwäche zu verhandeln. Das ist die einzige Chance, in der Schwächere dem gewachsen und vielleicht auch auf die Dauer überlegen sind. Also in diesem Fall auch das Hinausziehen in die Zeit, der Stoß der Römer in einem kurzen, entscheidenden Gefecht besteht im Prinzip darin, die Konzentration der Kräfte in Raum und Zeit. Genau das verweigert Arminius, er führt so etwas wie einen, mit Mao gesprochen, lange dauernden Krieg. Wenn das auch hier nicht über Jahre, sondern eigentlich nur über mehrere Tage geht, genügt es aber, um diese gewaltige Kampfmaschine zu erledigen.

Scholl: Vor 2000 Jahren die Schlacht im Teutoburger Wald. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Politologe Herfried Münkler. Ziel der Römer damals war die Kontrolle der rechtsrheinischen Gebiete bis zur Elbe. Nach der Niederlage blieben die Römer hinter dem Limes. War das Imperium damals überdehnt, an seine Grenzen gestoßen, hat also Arminius hier eigentlich zur richtigen Zeit so eine Schlacht geführt?

Münkler: Also Überdehnung ist ein relativer Begriff, man kann so etwas nicht objektiv messen. Aber was gewissermaßen die Attraktivität dieses Gebietes anbetrifft, also seinen potenziellen Nutzen, seinen Beherrschungsnutzen, in Verhältnis gesetzt zu den Kosten seiner Kontrolle, ist spätestens der Kaiser Tiberius dann zu dem Ergebnis gekommen, dass es unattraktiv ist, über Rhein und weit über Donau hinaus in diese Gebiete vorzustoßen, die aus Wäldern und Sümpfen bestanden und in denen sich nichts Wirkliches holen ließ. Und deswegen sagte er, wir wollen sie ihren eigenen Streitigkeiten überlassen. Und in der Tat, der Arminius fällt ja dann solchen Auseinandersetzungen innerhalb der Stämme zum Opfer, und das war’s dann. Also sozusagen die mythische Prolongierung der deutschen Uneinigkeit und des inneren Streits, die hier beginnt.

Scholl: Kommen wir gleich auf den Mythos, aber noch vielleicht ein Wort zu Arminius, das ist doch ein interessanter Charakter. Eigentlich, wenn man so will, mit modernen Termini gesprochen, ein integrierter Römer, als Germane gehört er zur römischen Nomenklatura, spricht fließend Latein, ist ein Heerführer und wendet sich als Renegat, ja, wie soll man sagen, vielleicht als eine Art Osama bin Laden gegen die eigene Klasse.

Münkler: Na ja, das ist aber etwas, was in diesen Partisanenaufständen, Guerillakriegen eigentlich immer der Fall gewesen ist: Zerfall des französischen Kolonialreichs finden Sie vom subsaharischen Afrika bis zu Ho Chi Minh, ja immer wieder Leute, die letzten Endes mit der französischen Kultur, mit dem Studium in Paris und derlei mehr in Berührung gekommen sind und die sich nicht nur gewissermaßen als Renegaten, wie Sie so schön sagen, davon abwenden, sondern die auch, weil sie mit dieser Kultur so gut vertraut sind, deren Schwächen kennen. Das ist ja die Voraussetzung.

Die anderen, die das nicht kennen, die scheitern schnell. Aber das ist eine Spaltungslinie, die durch sozusagen die Familie des Arminius durchgeht, denn Tacitus erzählt uns ja, wie am Weserfluss er auf seinen Bruder Flavus trifft, der die andere Entscheidung getroffen hat, nämlich in römischen Diensten zu bleiben. Und dann streiten die beiden sich, und Arminius verhöhnt seinen Bruder gewissermaßen, der Knecht Roms geblieben zu sein, während der darauf steht, dass die Anerkennung des Kaisers und die Orden, die er trägt, für ihn etwas sehr Wichtiges seien.

Scholl: Aus Arminius dem Rebellen wurde Hermann der Cherusker. Und damit sind wir beim Mythos. Sie, Herfried Münkler, haben in Ihrem jüngsten Buch "Die Deutschen und ihre Mythen" ja von einer gewissen Phasenverschiebung im mythologischen Denken der Deutschen gesprochen, also nach der mythenversessenen Phase der Kaiser und Nazizeit seien wir mittlerweile in einer mythenfreie Zone angelangt. Jetzt findet allerdings die Varusschlacht wirklich auf allen medialen Kanälen statt. Morgen diese Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel. Erleben wir derzeit so eine Art Remythologisierung deutscher Geschichte und taugt denn die Varusschlacht, taugt denn Arminius zu nem deutschen Mythos?

Münkler: Also sicherlich nicht mehr, nicht mehr heute. Und er war eigentlich schon in der Kaiserzeit ein Problem, denn dieser Arminius ist ja ein politisch unzuverlässiger Geselle, nicht. Was er macht, ist so eine Art Verrat – raffiniert, geschickt, erfolgreich, aber es bleibt das Problem des Verrats an Rom. Ein Unruhestifter. Einer, auf den man sich nicht wirklich verlassen kann. Und insofern hat schon die Kaiserzeit, also Wilhelm und andere, mit diesem Arminius große Probleme gehabt, und man könnte sagen, das gewaltige Denkmal bei Detmold ist sozusagen die Feststellung dieses ewig unruhigen Geistes. Und was uns heute anbetrifft, ja gut, wir haben ja wirklich keine antiimperiale Stoßrichtung, also vielleicht hätte die DDR mit Arminius was anfangen können, und Ulbricht hat auch mal ein bisschen in diese Richtung herumgespielt, um hier gewissermaßen eine antiamerikanisch, antiimperialistische Dimension aufzubauen. Aber gegen wen sollte das heute sein? Es ist eher sozusagen eine historische Erinnerung an ferne Zeiten und natürlich die Bedienung touristischer Neugier.

Scholl: Umgekehrt ließe sich ja auch sagen, wir haben eher von den Römern profitiert, von der römischen Kultur, und nicht sozusagen von dem rebellischen Barbarentum.

Münkler: Ja, das ist ja eine Frage, die doch über lange Zeit gleichsam quer durch Deutschland gegangen ist, jedenfalls für diejenigen, die in irgendeiner Weise in der Schule sich mit Rom und dem Lateinunterricht auseinandergesetzt haben: Bist du innerhalb des Limesgebiets oder außerhalb geboren? Bist du ein Zivilisierter oder ein Barbar? Und in gewisser Hinsicht kann man das ja noch heute sehen bei der Frage, wohin der Wein gekommen ist, jedenfalls, wo ein etwas besserer Wein hingekommen ist. Das ist in der Regel römisches Gebiet, und jenseits dessen beginnt dann das Territorium des Bieres. Also sozusagen ein Zivilisationsgefälle ist bis heute da beobachtbar. Sage ich als jemand bitte, der aus der hessischen Stadt Friedberg, also innerhalb des römischen Gebiets geboren worden ist.

Scholl: So hat Nietzsche mal das deutsche Wesen charakterisiert.

Münkler: Genau.

Scholl: Zu viel Bier. Hermann, der Cherusker, und sein Sieg über die römischen Legionen vor 2000 Jahren. Ab morgen wird es die große Ausstellung im Osnabrücker Land in Kalkriese geben, "Imperium Konflikt Mythos" ist sie überschrieben. Und bei uns im Studio war der Politologe Herfried Münkler. Schönen Dank für Ihren Besuch!

Münkler: Bitteschön!