Niederländischer Expo-Pavillon in Hannover

Die "gestapelten Landschaften" – 20 Jahre danach

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Drohnenansicht des leerstehenden Holländischen Pavillon.
Um den 50 Meter hohen niederländischen Expo-Pavillon zu sehen, standen die Menschen vor 20 Jahren Schlange. © Imago / Future Image / U. Stamm
Von Alexander Budde · 08.08.2020
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Der spektakuläre Niederländische Pavillon war das heimliche Wahrzeichen der Expo 2000 in Hannover. Seitdem rottete die verwaiste Anlage vor sich hin, sie zog Vandalen und Sprayer an – ein "Lost Place". Nun kommt Bewegung in den Pavillon.
Björn Jeschina schlüpft durch den Zaun mit dem Nato-Draht. Jeschina, ein studierter Architekt und Betriebswirt, leitet die Niederlassung der Wohnkompanie Nord in Hannover. Der Immobilienentwickler will dem verwaisten Niederländischen Pavillon auf dem Expogelände neues Leben einhauchen – nach 20 Jahren Stillstand.
Wohin das Auge blickt: morsches Holz, rostiges Metall, bröckelnder Beton. Jeschina schaut zu, wie sich der Meißel eines Abbruchhammers unerbittlich durch den Putz bohrt. Das Erdgeschoss war ursprünglich eine Dünenlandschaft mit Caféterrasse.
"Hier wird gerade untersucht, wie tragfähig die Welle tatsächlich ist", sagt Jeschina. "Bei Sonderbauteilen muss man dann durchaus mal zerstörerisch gucken, wie viel Stahl ist tatsächlich im Beton verarbeitet? Hat man damals gespart oder war man da eher großzügig? So richtige Zeitzeugen gibt's nicht mehr."
Vor 20 Jahren standen die Menschen hier Schlange, um "gestapelte Landschaften" zu bestaunen, die sich 50 Meter hoch auftürmten. Eine Rampe windet sich hinauf ins erste Stockwerk – ursprünglich ein duftendes Blumenfeld. Auf der dritten Ebene wurde in luftiger Höhe ein Wald gepflanzt. Auf dem Dach drehten sich Windräder. Der Länderpavillon der Niederlande war als schrillstes und höchstes Bauwerk der Publikumsmagnet.
Nach der Expo wurde es ruhiger. Dohlen und Turmfalken nisten in der Ruine. Vandalen und Graffitikünstler haben ihre Spuren hinterlassen. "Ich möchte mal behaupten, spätestens ab dem Jahr 2002 war jeder Jugendliche zumindest im Südosten von Hannover in diesem Gebäude drinnen", sagt Björn Jeschina. "Und wir haben hier schräg gegenüber die Hochschule Hannover mit den Designstudiengängen, wo durchaus kreatives Potenzial da ist. Es waren nicht nur nächtliche Besucher, die hier farbenfroh ihre Kunstwerke übereinander projiziert haben. Das löst einen gewissen Reiz aus."

Der Verfall und die Patina

Draußen vor dem Zaun reizt der Pavillon einen Drohnen-Piloten zu riskanten Flugmanövern. Das elektronische Auge soll wohl einen Blick ins Innere des verlassenen Rohbaus erhaschen.
Auch Irène Zandel nutzte den Pavillon schon als Kulisse für ihre Künstlerporträts – vor 20 Jahren war sie noch Fotografiestudentin. "So eine Zeit lang hat sich das ganz spannend ent eine spannende Stimmung. Denn ein bisschen bleibt ja immer noch das erhalten, was es mal war – und die Natur holt sich das dann zurück, wenn man sie lässt."
Bizarre Pläne gab es für die Nachnutzung schon: Die Idee mit der Krabbenzucht war ein Flop, ebenso das Zentrum für ökologisches Heizen mit Pellets. 2017 erwarb die Wohnkompanie Nord das spektakuläre achtstöckige Gebäude ohne Außenmauern. Der Investor will den Pavillon entkernen, umbauen und dann wieder als Veranstaltungszentrum nutzen - allen technischen Widrigkeiten zum Trotz.
Ansicht eines leerstehenden Stockwerks im Holländischen Pavillon.
Auf der Baustelle im Niederländischen Expo-Pavillon© Alexander Budde
Über die umlaufenden Außentreppen ist Projektleiter Jeschina inzwischen in die dritte Etage gestiegen. Per Ultraschall horchen Statiker hier in massive Eichenstämme. Die Baumstämme bilden momentan noch die tragende Struktur für die darüber liegenden Etagen. Jeschina bereitet das einiges Kopfzerbrechen. Neue Stützen für 300 Tonnen Gewicht müssen her:
"200 Jahre alte, gewachsene Bäume: Sind zwar alle untersucht worden und haben seinerzeit zur Expo eine halbjährige Zulassung gehabt als Bauteil. Seither schrumpfen sie. Dadurch, dass sie nicht mehr weiterwachsen und natürlich auch Ungeziefer ausgesetzt sind. Und wir müssen halt regelmäßig nachweisen, dass das, was da steht, noch in der Lage ist, das darüber liegende Stahltragwerk zu tragen."

365 Mikrowohnungen sind geplant

Gedanklich ist Jeschina schon vorausgeilt. Der Bauantrag: So gut wie auf dem Weg, sagt er. Nach dem Umbau könnten hier auf der Etage auch wieder Büsche und Bäume gedeihen. Auf dem Grundstück sollen flankierend 365 schmucke Mikrowohnungen entstehen.
20 Jahre sind vergangen – und bei der Nachnutzung des heimlichen Expo-Wahrzeichens haben sich die Stadtoberen bislang nicht mit Ruhm bekleckert. Irène Zandel, die Fotografin, bleibt skeptisch: "Man sieht hier einen Zaun, man sieht einen Stacheldraht drumrum und in der Mitte diese Ruine und denkt natürlich sofort an die Zeit, wie schön das hier war. Was das für ein Aufbruch war, wie die Stimmung war bei der Expo. Das stimmt ein bisschen traurig. Man hätte sich ja vorstellen können, dass das hier immer noch etwas ganz Schönes und Spannendes sein könnte."
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