Nie wieder Rock 'n' Roll!

17.10.2013
Ein Generationskonflikt wird ausgeleuchtet: Die junge Rock 'n' Roll-Generation der 50er-Jahre reibt sich an den Eltern. Die Gräben werden in dem Buch nicht überwunden, die "Schande der Eltern" aus der Nazi-Zeit bleibt.
Ganz schön halbstark – so ein kategorischer Imperativ im Titel! Die Geschichte spielt in den 1950er-Jahren, in der provisorischen Hauptstadt Bonn. Es geht um Lederjacken und Rock 'n' Roll, um vermisste Väter und Bill Haley, Rot-Kreuz-Suppenküchen und das erste Moped. Danny besucht das Beethoven-Gymnasium, eine reine Jungenschule, wo der Direktor seine Ansprachen in der Aula auf Altgriechisch hält, aber nicht verhindern kann, dass sich einige Schüler mit rebellischem Gedankengut befassen.

Danny schmiert sich Brillantine ins Haar, klebt Eisenplättchen unter seine Schuhe, und wenn einer in der Klasse "die Lehrer mit Nietzsche-Zitaten in ihrer Hans-Carossa-Andacht stört", fühlt er sich "unterbelichtet", weil er keinen von beiden kennt. Genau wie seinen Vater, der nicht aus dem Krieg zurückgekehrt ist und den er nie gesehen hat. In einer Mischung aus Scham, Verzweiflung und Zorn vermisst er diesen Fremden schmerzlich und entwirft ihn sich nach seinem eigenen Bild.

"Nie wieder Beethoven!" ist ein Adoleszenzroman, der den alten Generationenkonflikt geschickt um eine Lücke herum konstruiert. Trotz seiner unverkennbar autobiografischen Grundierung hat der 1943 geborene Gruner, der als Kommunikationstrainer arbeitet und unter dem Pseudonym Stefan Tomas bereits eine Reihe von Romanen veröffentlichte, dieses Buch ganz in der, das Geschehen objektivierenden, dritten Person verfasst.

Pubertät der Republik
Eine präzise eingesetzte Schlaglichttechnik, die einzelne Szenen grell ausleuchtet, bewahrt den Roman vor epischer Überbreite. Wie Danny seine erste Elvis-Platte hört ("ein Erdbeben"), wie er nach vergeblichen Anläufen das Begehren, die Liebe und das wilde Leben entdeckt - da ist der Autor ganz präzise, sehr nah dran und erzeugt schöne Zeitstimmungen. Leider gelingt es ihm nicht durchweg, seine Empathie auch sprachlich entsprechend umzusetzen. Auch der nachgeahmte Redestil der 50er klingt mitunter krampfhaft salopp.

Gruners Buch schließt keinen Frieden über alte Gräben hinweg. Sein Held hadert mit den Eltern, dem Vater, der ihn allein gelassen hat, der Mutter, die sich mit nächtlichen Tipparbeiten aufreibt und keine Kraft mehr hat für Gefühl und Wärme. Halt findet er in Freundschaften, in wechselnden Cliquen. Bei dem "Bomber" Heinz, der später als Berufsboxer Karriere macht und den schmächtigen Gymnasiasten raushaut, wenn es bei Randalen brenzlig wird; bei Enno, dem Sohn aus gutem Hause, der mit Perserteppichen und einem Klavier neben dem Bett aufwuchs und als erster einen VW-Käfer fährt; und bei den angeschmachteten Doros, Elis, Evis in verrauchten Clubs und Kneipen.

Zu den Stärken des Buches gehört die Entschiedenheit, mit der es sich von dem heroischen Image der Rock 'n' Roll-Ära verabschiedet. Indem es den Rebellen von damals die "Schande der Eltern" als ihr Glück vorbuchstabiert, weil sie von deren "Ameisenfleiß" profitierten, liefert es einen nostalgiefreien Blick auf die "Pubertät der Republik". Und eine überraschende Variante auf die viel geschmähte Parole von der Gnade der späten Geburt.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Stefan T. Gruner: Nie wieder Beethoven!
Klöpfer & Meyer-Verlag, Tübingen 2013
264 Seiten, 20 Euro