Nick Cave bloggt

Poetische Ideen sind flüchtig wie Glühwürmchen

Nick Cave & The Bad Seeds spielen auf dem Open er Festival 2018 im polnischen Gdynia
Der australische Künstler Nick Cave hat einen Blog aufgemacht: "Weil ich das Bedürfnis habe, über bestimmte Dinge zu sprechen." © Karol Makurat / imago stock&people
Von Florian Werner · 18.10.2018
Das Motiv des Mannes mit der "roten rechten Hand" taucht immer wieder bei Nick Cave auf. Nun hat er unter "theredhandfiles.com" ein Blog geschaffen und lädt zum Reden ein: "Ihr könnt mich alles fragen. Es gibt keinen Moderator. Das hier bleibt unter uns."
Das Motiv der roten Hand tauchte im Werk von Nick Cave erstmals vor knapp 25 Jahren auf: In dem Song "Red Right Hand" besang er einen mysteriösen, hochgewachsenen Fremden, der auf Sturmschwingen angeritten kommt, einen staubigen schwarzen Italo-Western-Mantel trägt – und der vor allem, aus welchen Gründen auch immer, eine rote rechte Hand hat.
"On the gathering storm comes,
a tall, handsome man,
In a dusty black coat with,
a red right hand."
(Nick Cave, "Red Right Hand")

Rote rechte Hand in Blutbuchstaben

Offenbar ließ das Bild den Sänger nicht los: Auf seinem nächsten Album "Murder Ballads" ließ er einen Serienkiller auftreten, der den Slogan von der "roten, rechten Hand" in Blutbuchstaben an der Tatortwand hinterlässt. Dabei legte Cave auch gleich die literaturgeschichtliche Quelle der Wendung offen.
"In my house he wrote 'his red right hand',
That I’m told is from Paradise Lost"
(Nick Cave, "Song of Joy")
Genau: Die Formulierung stammt aus dem Versepos "Das Verlorene Paradies" des englischen Dichters John Milton. Die "rote rechte Hand" – das ist dort die strafende Hand Gottes. Nun steht sie als Leitmotiv über der neuen Webseite von Nick Cave.
"Ihr könnt mich alles fragen. Es gibt keinen Moderator. Das hier bleibt unter uns. Warten wir ab, was passiert."

Einladung zum digitalen Zwiegespräch

Mit diesem persönlichen, versöhnlichen Versprechen lädt der Künstler zum digitalen Zwiegespräch ein. Die Gestaltung der Seite ist unprätentiös, wie es sich für ein niedrigschwelliges Format gehört. Ein paar Schnappschüsse. In blutroter Schrift: die Fragen. Darunter, in eckiger Courier-Schrift, als hätte Cave sie mit der Schreibmaschine hingetippt: seine Antworten.
"Ich habe die Red Hand Files ins Leben gerufen, weil ich das Bedürfnis habe, über bestimmte Dinge zu sprechen, aber es bisher nicht den richtigen Ort dafür gab. Manche Themen sind schwierig und benötigen etwas Raum oder bedürfen sogar der nuancierten Betrachtung."
Zum Beispiel: der tragische Unfalltod seines Sohnes Arthur, der Cave vor drei Jahren in eine tiefe persönliche und künstlerische Krise stürzte. Es geht in den Essays, natürlich, um Musik und die Zukunft der Bad Seeds. Doch darüber hinaus verhandeln sie auch universale Themen: Trauerarbeit, Freundschaft, die leuchtenden Leerstellen, die geliebte Menschen durch ihren Fortgang hinterlassen; und immer wieder Fragen der Kreativität.

Schilderung des Schreibprozesses

"Poetische Ideen sind flüchtig wie Glühwürmchen. Sie sind Erscheinungen, die zwischen den Bäumen hin und her huschen. Sobald man ihnen seine Aufmerksamkeit widmet, sind sie auch schon verschwunden."
Caves Schilderung des Schreibprozesses gehört zu den Höhepunkten der bislang erschienen Files. Das verzweifelte Ringen um Inspiration. Das beharrliche Weiterschreiben, auch wenn alle Worte bedeutungslos erscheinen. Und dann der magische Moment, wenn zwei Zeilen aufeinander stoßen und wie bei einer Kernreaktion ungeahnte Energien entfachen. Ein shimmering, wie Cave es nennt. Ein Leuchten.
Dieses Leuchten, so Cave, empfinde er auch bei seinen Live-Konzerten: Zwischen den Menschen im Publikum und ihm verlaufe ein "Fluss aus Licht", der von dem Sänger gespeist werde und dem er zugleich seine eigene Kraft verdanke. Darum müsse er auch immer wieder das Publikum berühren.
Das mag esoterisch klingen – aber wer schon einmal miterleben durfte, wie Cave bei Konzerten seine Red Right Hand ins Publikum reckt, nur um Sekundenbruchteile später wie ein elektrisierter Derwisch über die Bühne zu flattern: Der muss ihm einfach glauben.
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