Nichtverlängerungen an Theatern

Endlich mitgestalten

10:51 Minuten
Die Künstler des Staatstheaters stehen mit einem Banner „Solidarität mit allen Freischaffenden!“ vor dem Haus.
Mitarbeiter, Schauspieler, Tänzer und Sänger des Staatstheaters Mainz haben mit einem Flashmob darauf aufmerksam gemacht, dass das Ensemble trotz der Schließung weiter da und lebendig ist. © dpa / Andreas Arnold
Friedrich Pohl im Gespräch mit Janis El-Bira · 06.03.2021
Audio herunterladen
An zahlreichen deutschen Theatern protestieren Schauspieler und Tänzer gegen die Praxis der Ensemble-Nichtverlängerungen beim Wechsel der künstlerischen Leitung. Friedrich Pohl hat deswegen das Netzwerk Dancers Connect gegründet.
Es gibt Begriffe, die klingen noch absurder als der Vorgang, den sie beschreiben. Zum Beispiel: Nichtverlängerungsgespräch. Gemeint ist damit die an deutschen Theatern gängige Praxis, bei einem Wechsel der künstlerischen Leitung den Mitgliedern des bisherigen Schauspiel- oder Tanzensembles in einem Gespräch das Ende ihrer Anstellung, also eben die Nichtverlängerung ihrer Verträge mitzuteilen.
Treffen kann das jeden, der oder die nicht seit mindestens 15 Jahren am Haus beschäftigt ist. Eine Begründung braucht es für die Entlassungen in aller Regel auch nicht. Lange galt dieser Vorgang als Standard. Doch seit der Coronakrise stoßen Ensemble-Nichtverlängerungen vermehrt auf Widerstand. Proteste gab es etwa in Osnabrück, Eisenach, Greifswald oder zuletzt durch Tänzer am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin.

Klassisches Hierarchieprinzip

Für deren Interessen setzt sich seit einigen Jahren das Netzwerk Dancers Connect ein, zu dessen Mitgründern der Ex-Tänzer Friedrich Pohl gehört. Er leitet das "Nichtverlängerungsregime" von einem grundsätzlichen Kunstverständnis an den Theatern ab:
"Wenn man ein bisschen aus dem Theater herauszoomt und die Vogelperspektive einnimmt, dann ist das sicherlich historisch bedingt. Es liegt diesem Regelungsregime, dieser Handhabung ein ganz bestimmtes, jahrzehntealtes Kunstverständnis zugrunde: Wie machen wir Kunst, wie schaffen wir Kunst, wie sind die Rollen verteilt? Es gibt Leute, die schöpfen und die Werke schaffen, und dann gibt es eben Darsteller, die diese Werke oder auch die Konzepte des Intendanten umsetzen. In diesem Kunstverständnis ist im Prinzip die Hierarchie schon angelegt."

Nicht mehr nur soziale Gründe

Dass sich nun erstmals vermehrt Ensembles gegen die Praxis der Nichtverlängerung mit öffentlichem Protest zur Wehr setzen, hat für Pohl auch damit zu tun, dass Schauspieler ihre Rolle neu definierten:
"Es geht jetzt im Moment darum, dass auch die Darstellenden Interessen haben. Zu diesen Interessen gehören eben nicht nur soziale und berufliche Interessen, sondern – und das ist jetzt durchaus etwas Neues, so wurde es wahrscheinlich bis jetzt noch nicht formuliert und auch nicht von den Künstlern formuliert – jetzt haben diese darstellenden Künstler auch künstlerische Interessen, die sie an den Bühnen verfolgen. Diese ganzen Interessen, die alle komplett nachvollziehbar sind, müssen eben in einen Ausgleich gebracht werden."
Friedrich Pohl
Friedrich Pohl ist Mitgründer der Tänzer-Interessenvertretung Dancers Connect und sattelt - nach seiner eigenen Nicht-Verlängerung als Tänzer im Düsseldorfer Ensemble - mittlerweile auf Jura um.© Martin Chaix
Dieses Berufen auf das künstlerische Interesse im Zusammenhang mit der Anstellung kann weitreichende Konsequenzen haben. Denn sie stelle die – auch juristisch relevante – Frage nach der Autorenschaft am Theater, also letztlich die nach der Urheberschaft und der Verantwortung für die aufgeführten Werke. Diese könnte damit nicht mehr allein beim Intendanten oder der Regie liegen.
Für Friedrich Pohl ist es deshalb wichtig, dass sich die Darsteller künftig besser gewerkschaftlich organisieren – auch deshalb, weil individuelle Prozesse gegen die Befristung der Anstellung schon aus finanziellen Gründen selten erfolgversprechend seien. Stattdessen sollten die an den Theatern angestellten Künstler verstehen, "dass sie durchaus etwas bewegen können, wenn sie sich in der Gewerkschaft stärker engagieren, einfach aktiv werden in diesen Strukturen und anfangen, diesen Tarifvertrag mit zu verhandeln".
(jeb)
Mehr zum Thema