"Nichts, worüber man sich freuen kann"

Moderation: Stephan Karkowsky · 04.07.2013
Natürlich habe es Gründe für den Wunsch nach Veränderung in Ägypten gegeben. Dennoch: Die Situation in Ägypten könne man durchaus als Putsch gegen einen demokratisch legitimierten Präsidenten bezeichnen, meint der Rechtsphilosoph Christoph Möllers.
Stephan Karkowsky: In Ägypten hat erneut das Militär die Macht übernommen. Offenbar hat es der islamistischen Regierung nicht länger zugetraut, einen demokratischen Dialog in Gang zu setzen, der alle Volksgruppen mit einbezieht. Nicht nur die USA fragen sich jetzt, können wir das überhaupt Putsch nennen? Denn falls ja, müsste das nach geltender Rechtslage die sofortige Einstellung jeglicher US-Militärhilfe an Ägypten zur Folge haben. Wir fragen einen Experten, den Rechtsphilosophen und Staatsrechtler Professor Doktor Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität. Herr Möllers, guten Tag!

Christoph Möllers: Guten Tag!

Karkowsky: Staatsstreich, erzwungener Machtwechsel, Putsch – sind das nur unterschiedliche Begriffe für den gleichen undemokratischen Sturz einer Regierung?

Möllers: Ja. Ich denke, erst mal schon. Also, ich glaube, es gibt da jetzt keine ausgefaltete Terminologie. Die Frage ist natürlich eher, ob die Ordnung, die da umgeworfen wurde, als solche in Ordnung war. Also ich denke, wir bemessen letztlich einen Putsch oder die Moralität oder den politischen Wert eines Putsches danach, was er beendet. Es gibt natürlich gute Putsche, wenn ich die Frage aufnehmen darf, solche, die eine autoritäre Ordnung auflösen, aber in diesem Fall ist es halt besonders schwierig, weil die Ordnung in Ägypten halt nicht eindeutig undemokratisch ist.

Karkowsky: Ist denn ein Putsch nicht per se immer undemokratisch, weil da ja kein Volk abstimmt, sondern das Militär eigenmächtig durch die Kraft seiner Waffen ja auch nicht legitimiert dort etwas macht?

Möllers: Das ist richtig, aber gleichzeitig muss man natürlich sehen, dass sozusagen Übergangsphänomene eigentlich immer irgendwie ein Legitimationsproblem haben. Man bekommt eigentlich auch eine autoritäre Ordnung nicht anders weg als mit Mitteln, die ihrerseits nicht gewaltsam sein sollen, auch nicht sozusagen auch unterschiedlich problematisch sein sollen, aber die doch ihrerseits wahrscheinlich nicht wirklich lupenrein demokratisch sind.

Karkowsky: Da stellen Sie aber den friedlichen Revolutionen in Europa ein schlechtes Zeugnis aus, die haben das geschafft.

Möllers: Die haben das geschafft, aber auch da muss man natürlich sagen, dass im Übergang, dass das demokratische Mandat immer zweifelhaft war. Eine friedliche Demonstration von Leuten, die auf der Straße gegen eine Ordnung protestieren, kann ja durchaus auch eine Demonstration einer Minderheit sein. Also das demokratische Verfahren, das wirklich dann uns klar macht, jetzt geht es hier um Mehrheiten, ist ja unter den Bedingungen demokratischer Gleichheit eine Entscheidung getroffen worden. Die kriegt man im Grunde immer erst dann installiert, wenn schon eine andere Ordnung informell gestürzt wurde. Und ob der Sturz wirklich von der Mehrheit getragen wird, weiß man vorher eigentlich nicht.

Karkowsky: Wie sehen Sie denn den Fall in Ägypten?

Möllers: Ich finde den Fall schon sehr schwierig, weil ich denke, wir müssen schon sehen, so problematisch wir vielleicht auch irgendwie die Politik fanden, für die der Präsident oder jetzt der abgelöste Präsident in Ägypten stand, der ist vor einem Jahr gewählt worden. Er ist gewählt worden mit einer Mehrheit von knapp einer Million Stimmen und so was wie drei Prozent, also jetzt auch nicht mit viel weniger Mehrheit als Obama wiedergewählt wurde. Und er ist unter sehr schwierigen politischen Bedingungen – hat er sich wahrscheinlich nicht besonders geschickt verhalten, aber er ist ja erst mal doch demokratisch legitimiert. Ich sehe, dass die Argumente, die dafür sprechen, sagen wir, etwas anderes zu versuchen, aber das ist schon erst mal ein Putsch gegen einen demokratisch legitimierten Präsidenten.

Karkowsky: Und da kann man nicht sagen, bloß, weil er die Politik gemacht hat, die uns nicht passt, putschen wir den runter, und das ist dann in Ordnung, oder?

Möllers: Nein, das kann man eigentlich nicht sagen. Man kann natürlich jetzt überlegen, wo das Problem lag. Ich sehe hier ein massives Problem in Ägypten lag darin, dass man jedenfalls beobachten konnte, dass die Anhänger des Präsidenten und die, die ihn politisch vielleicht auch beeinflussen, vielleicht sogar steuern, vor Gewaltanwendung nicht zurückgeschreckt haben und eigentlich auch aufgerufen haben, Politik nicht nur mit den Mitteln zu machen, die auch demokratisch sind, sondern auch mit Gewalt. Das ist sicherlich immer ein Problem, das die Legitimation dann auch eines gewählten Präsidenten in Frage stellt. Aber grundsätzlich ist der ganze Prozess, so wie er jetzt verläuft, sicherlich nichts, worüber man sich einfach nur freuen kann.

Karkowsky: Versuchen wir doch, die Mursi-Anhänger mal zu verstehen. Die wussten, dass da das Militär eventuell versucht, ihren demokratisch legitimierten Präsidenten abzusetzen. Haben die dann nicht das Recht auch quasi, aus zivilem Ungehorsam auf die Straße zu gehen und zu sagen, wenn ihr das macht, dann wehren wir uns?

Möllers: Unserem Verständnis nach jedenfalls, wir würden natürlich immer sagen, dass alle immer das Recht haben, auf die Straße zu gehen, also sozusagen Protest muss immer erlaubt sein. Gewaltanwendung kann eigentlich nie wirklich erlaubt sein, und dann stellt sich die Frage, klar, wie deutet man das, dass ein Militär aufzieht, erst mal nicht schießt und keine körperliche Gewalt anwendet, aber doch präsent ist, und dann Leute sozusagen absetzt – kann man als Gewalt sehen, kann man natürlich als Rechtfertigung sehen, sich mit Gewalt dagegen zu wehren, aber das führt dann letztlich in einen Bürgerkrieg, und das kann eigentlich auch nicht die richtige Lösung sein.

Ich denke, der Punkt, den man sich klar machen muss, ist, dass demokratische Ordnungen immer irgendwie darauf beruhen, dass die Minderheit irgendwie doch den Eindruck hat, dass die Mehrheit zwar nicht das macht, was sie will, aber irgendwie sozusagen sie auch mit repräsentiert auf eine vielleicht etwas abstraktere Art und Weise. Und dass hier das Problem von Mursi und seinen Anhängern natürlich war, dass mit einem knappen Mandat Politik gemacht wurde, die vielleicht doch irgendwie eine große, fast gleich große Minderheit sehr weitgehend auszuschließen suchte.

Karkowsky: Gute Putsche, schlechte Putsche, Sie hören dazu den Rechtsphilosophen und Staatsrechtler Professor Doktor Christoph Möllers aus Berlin. Herr Möllers, lassen Sie uns den Fokus mal ein bisschen weiter fassen. Wir haben Putsche die letzten 30 Jahre vor allem in Mittel- und Südamerika erlebt. Also der letzte europäische Putschversuch 1981 in Spanien, der letzte erfolgreiche Putsch ein Jahr zuvor in der Türkei, und danach regierte dann General Kenan Evren neun Jahre lang als Staatspräsident. Lässt sich die Situation in der Türkei damals irgendwie vergleichen mit der Lage in Ägypten oder sind das zwei komplett verschiedene Schuhe?

Möllers: Na ja, sie lässt sich natürlich insofern schon vergleichen, als wir es tun haben mit einem Konflikt, der etwas zu tun hat mit einem starken Militär, das eigentlich säkularistisch ist und das eigentlich die Bedeutung von Religion im öffentlichen Raum zurückdrängen will, und mit weiten Bevölkerungskreisen, ländlichen Bevölkerungskreisen, die sozusagen über Religion politisiert, aber auch demokratisiert werden und deren Interessen im Grunde nicht zuletzt auch dahin gehen, ihre Religion im öffentlichen Raum und im politischen Betrieb so weit wie möglich durchzusetzen. Also in der Türkei sehen wir jetzt trotz aller Probleme, die wir vielleicht gegenwärtig haben, ist der Prozess in gewisser Weise doch relativ erfolgreich verlaufen bisher. Ägypten ist vielleicht dann doch noch heterogener und noch problematischer. Aber der Vergleich ist sicherlich interessant.

Karkowsky: Das Militär hat 1980 die Regierung Demirel in der Türkei abgesetzt. Die stand dem Westen sehr nahe und betrieb eine eher neoliberale Wirtschaftspolitik. Jetzt kann man natürlich eine politische Haltung dazu entwickeln. Der Westen hat das getan und gesagt, so geht es ja nicht, das sind unsere Freunde, die Demirels. Aber das geht ja auch nicht. Eigentlich muss doch ein Demokrat jeglichen Putsch ablehnen.

Möllers: Ja. Der Westen hat sich ja nicht – der Westen hat natürlich eigentlich, wenn man sich das anguckt in den letzten 30, 40 Jahren, nicht wirklich konsequent gesagt, weder konsequent gesagt, dass wir sozusagen nur demokratischen Wandel unterstützen noch demokratische Ordnung unterstützen. Gerade die Militärdiktaturen in Südamerika sind ja selbst von der Bundesregierung in den 70er-Jahren sehr, sehr pfleglich behandelt worden. Also das Verhalten des Westens ist da immer relativ heuchlerisch gewesen und fällt einem dann eigentlich auch immer wieder auf die Füße, weil natürlich klar ist, in dem Augenblick, wo sich demokratische Mehrheiten durchsetzen, werden sie sich daran erinnern, wie wir uns gegenüber ihren Vorgängerregierungen, gegenüber den autoritären verhalten haben.

Die Amerikaner haben das natürlich in gewisser Weise auch verstanden, also jetzt jenseits der Frage der Militärhilfe, die Sie im Vorspann erwähnt haben, ist den Amerikanern, glaube ich, schon klar, dass sie hier sozusagen mit einer deutlichen Unterstützung der Aktionen des Generalstabs, des ägyptischen, im Grunde auch ein großes Problem in der Zukunft kriegen könnten.

Karkowsky: Und die Amerikaner, sie haben die erwähnt, die pumpen ja in kein Land der Welt mehr Geld als nach Ägypten. Das waren schon zu Mubaraks Zeiten 1,3 Milliarden Dollar US-Militärhilfe im Jahr, dann Wirtschaftshilfen, noch mal 700 Millionen. Wird das ägyptische Militär dadurch zum verlängerten Arm der USA?

Möllers: Also sie pumpen, glaube ich, nach Pakistan ehrlich gesagt viel, viel mehr Geld als nach Ägypten.

Karkowsky: Militärhilfe?

Möllers: Militärhilfe, ja, ja. Also das pakistanische Militär kriegt viel mehr als eine Milliarde Dollar, und das ist insofern vielleicht interessant als Vergleich, weil man daran sieht, dass es wenig nützt. Also Militär, das von den Amerikanern finanziert wird, wird dadurch nicht unbedingt amerika-freundlich, sondern offensichtlich sind auch die identitätsbildenden Prozesse so eines militärischen, einer militärischen Organisation doch sehr komplex. Und diese Abhängigkeit kann auch eher zu Ressentiments führen. Das ist also, denke ich – ich bin mir nicht sicher, ob das sozusagen ein sicheres Rezept ist. Aber natürlich, für die Amerikaner ist die Stabilisierung Ägyptens schon sehr, sehr wichtig. Und solange sie nichts anderes haben, werden sie versuchen, da sozusagen einen Mittelweg irgendwie auch finanziell zu fördern.

Karkowsky: Aber wenn US-Präsident Obama damit droht, diese Militärhilfe zu streichen, dann wird sich das Militär doch dreimal überlegen, ob es jetzt irgendetwas tut, was den USA nicht passt?

Möllers: Ja. Aber man muss auch sagen, sie haben sich natürlich generell, und ich würde das jetzt nicht unbedingt als Abhängigkeit von den Amerikanern deuten. Man sieht natürlich schon, dass diese Generation von Militärs auf eine verblüffende Art von der letzten Intervention gegenüber Mubarak schon irgendwie was gelernt hat, nicht, also sich deutlich zurückhaltender formuliert, sich andererseits persönlicher adressiert durch den Generalstabschef. Es wurde sofort gesagt, dass sie sozusagen sich selber aus der Politik raushalten. Sie haben einen Richter ernannt – die Rolle der Justiz ist ja auch sehr interessant und auch durchaus ambivalent in solchen Prozessen, auch in der Türkei, auch in Pakistan. Also sie haben jetzt einen Richter ernannt und damit im Grunde dem Ganzen natürlich, wieder dem obersten Richter natürlich auch wieder eine andere Form von Legitimation zu geben. Das muss man nicht gutheißen, ich heiße es auch nicht gut, aber es ist natürlich schon etwas intelligenter gemacht als beim letzten Mal.

Karkowsky: Sie haben das bestimmt heute gehört, ausgerechnet Saudi-Arabien hat als einziges Land eindeutig den Militärs in Ägypten zum Putsch gratuliert. Hätten die Islamisten da nicht froh sein sollen, eine ebenfalls islamistische Regierung in Ägypten als Nachbarn zu haben?

Möllers: Na ja, Saudi-Arabien ist ja kein islamistisches Land, sondern Saudi-Arabien ist erst mal ein Land mit einer harten islamischen Ideologie, das aber gleichzeitig sozusagen erst mal den Primat der inneren Sicherheit doch auf eine relativ brutale Weise, glaube ich auch, durchsetzt. Die wollen erst mal Stabilität in der Region. Die interessiert, glaube ich, nicht so sehr, ob die innere Ordnung ihrer Nachbarn legitim ist, solange sie Ruhe hält.

Karkowsky: Sieg der Demokratie oder undemokratischer Militärputsch, das wird auch Thema sein in unserer Debatte um zehn vor vier. Und Sie hörten dazu den Rechtsphilosophen und Staatsrechtler Professor Doktor Christoph Möllers von der Humboldt-Universität Berlin. Herr Möllers, Danke für das Gespräch!

Möllers: Ich danke auch! Wiederhören!

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