Nichts Neues über den Metzgersohn
Zu seinen Lebzeiten war der Politiker Franz Josef Strauß in Deutschland sehr umstritten. Jetzt erscheinen zwei neue Biografien über den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten: "Strauß. Die Biographie einer Familie" von Thomas Schuler und "Strauß. Aufstieg und Fall einer Familie" von Werner Biermann. Wo der eine nüchtern und distanziert bleibt, ist der andere emotional und bunt. Aber Neuigkeiten hat keiner von beiden zu bieten.
Sensationelle Neuigkeiten, die den bayerischen Machtpolitiker Franz Josef Strauß in einem neuen Licht erscheinen lassen, finden sich in keiner der beiden Biografien, die jetzt fast zeitgleich erscheinen, 18 Jahre nach seinem Tod. Zwei Biografien, die auch noch fast den gleichen Titel tragen: "Strauß. Die Biographie einer Familie" von Thomas Schuler und "Strauß. Aufstieg und Fall einer Familie" von Werner Biermann.
In beiden kann man weitgehend chronologisch die erstaunliche Karriere des Sohns eines Metzgers aus der Münchner Schellingstraße verfolgen: Klassenprimus, Student, Soldat an der Ostfront, nach dem Krieg Landrat in der Provinz und Mitbegründer der CSU, jüngster Abgeordneter im ersten Bundestag 1949. In den 50er Jahren Atomminister, dann Verteidigungsminister im Kabinett Adenauer.
Ein scheinbar unaufhaltsamer Aufstieg, bis er 1962 über die Spiegelaffäre und da vor allem über seine Lügen vor dem Bundestag stolpert. Aber er kommt zurück, ist Finanzminister in der Großen Koalition von 1966-69. Als bayerischer Ministerpräsident versucht er 1980 erfolglos Kanzler Helmut Schmidt herauszufordern. Das Kanzleramt blieb ihm verwehrt.
Der Journalist Thomas Schuler, der zuletzt eine Biografie über die Familie Mohn veröffentlichte, hat einen alten Weggefährten von Strauß ausfindig gemacht, der offenbart, dass Strauß bereits 1948, bei der Wahl zum Landrat, die Stimme eines SPD-Abgeordneten kaufte. Ein gefährliches Politik-Verständnis, das, so schreibt Schuler, seine Gegner ihm ein Leben lang zum Vorwurf machen werden.
"Strauß ist so ehrgeizig und fühlt sich so sehr im Recht, dass ihm auch fragwürdige Mittel zum Erhalt der Macht recht sind. Er will einer Demokratie dienen mit Mitteln, die eine Demokratie zerstören."
Werner Biermann, der schon mehrere TV-Dokumentationen über Strauß gedreht hat, findet in den Kriegserlebnissen des jungen Franz Josef eine ähnliche Schlüsselstelle. Als Leutnant an der Ostfront setzt er sich über Anweisungen von Vorgesetzen hinweg und ordnet den Rückzug an, in letzter Minute.
"Hier hat sie ihren Ursprung, die ganz eigene Strauß’sche Moral: Manchmal, unter gewissen Umständen, muss man sich den Richtlinien, Befehlen und Gesetzen widersetzen."
Wenn es um "vorrangige Ziele" geht, die anders nicht zu erreichen sind und die Strauß natürlich selbst definiert. Ein Freibrief, den er sich auch später immer wieder ausstellte.
Werner Biermann erzählt das Leben des umstrittenen Politikers fast wie ein tragisches Heldenepos: Die Geschichte vom kleinen Mann, der sich emporarbeitet, angetrieben von dem fast unstillbaren Verlangen nach Macht und Geld. Die Affären verschweigt Biermann nicht. Doch eine zentralere Rolle spielt bei ihm das Verhältnis Strauß-Augstein, das er zu einem dramatischen Zweikampf stilisiert, zu einem Duell mit dem Spiegel-Chef:
"Ein von Augstein offen erklärtes, aber keineswegs ritterlich geführtes Duell. Augstein hat für diesen Kampf den ganzen Apparat eines Nachrichtenmagazins zur Verfügung (…) Es ist nichts weniger als der Versuch eines Publizisten, einen ihm missliebigen Politiker politisch zu vernichten."
Augstein habe den Dämon "Strauß" geschaffen und damit sein Blatt profiliert und erfolgreich gemacht. Aber auch Strauß habe davon profitiert, da er, der Provinzpolitiker, so bundesweit und international bekannt wurde. Biermann scheint dieses dämonische Bild aufbrechen zu wollen, wobei man an machen Stellen seines Buches den Eindruck bekommt, als wäre das Aufdecken von Affären verwerflicher als die Affären selbst.
Die Familie stand, das ist auch nicht neu, immer kritiklos hinter dem umstrittenen Politiker, vielleicht auch deswegen, weil er so stark in der Kritik stand. Marianne Strauß war, das zeigen beide Autoren, nicht nur Vorzeige-Landesmutter an seiner Seite. Sie verwaltete ein ganzes Geflecht von Sonderkonten, von dem die Öffentlichkeit allerdings erst in den 90er Jahren erfuhr. Auf den Konten waren Spenden in Millionenhöhe, über die Strauß und seine Frau wie über Privatgeld verfügen konnten. Die CSU verdanke, so schreibt Biermann, ihr heutiges Vermögen zu einem guten Teil dem finanziellen Geschick von Marianne Strauß.
Biermanns Biografie ist insgesamt kompakter, runder, bunter, emotionaler, hat mehr menschelnde Anekdoten. Eine gut geschriebene, sehr bildhafte Zeitreise durch das 20. Jahrhundert, auf den Spuren des bayerischen Ausnahmepolitikers. Das macht sein Buch unterhaltsamer, gleichzeitig erscheint die Person Strauß aber oft auch wie sehr wohlwollend durch einen Weichzeichner gefilmt, besonders wenn der Fokus auf den privaten Strauß gerichtet ist.
Immer wieder scheint es, als wolle Biermann Strauß in Schutz nehmen, den über Gebühr geschmähten, der "fassungslos und traurig" ist, wenn ihm "unbändiger Hass entgegenschlägt." Dann unternimmt er "kleine Fluchten" und fliegt "nach Angola zur Großwildjagd oder nach Südafrika und Namibia." "Kleine Fluchten", das klingt dann doch stark nach Seifenoper.
Thomas Schulers Analyse ist im Vergleich nüchterner und distanzierter. Er setzt andere Schwerpunkte, streift manches nur, was Biermann ausbreitet, wie zum Beispiel den Milliardenkredit an die DDR, der überraschenderweise gerade vom Kommunistenfresser Franz Josef Strauß eingefädelt worden war. Dafür geht Schuler an manchen Stellen stärker ins Detail, ohne dass der Erkenntnisgewinn dadurch unbedingt wachsen würde: Bei der Schilderung des Gerichtsverfahren gegen Max Strauß etwa und beim chronologisch erzählten zähen Abgang der Straußtochter Monika Hohlmeier vom Amt der Kultusministerin.
Edmund Stoiber, der Ziehsohn des mächtigen CSU-Vorsitzenden, scheint spätestens zu diesem Zeitpunkt mit dem System Strauß abgeschlossen zu haben. Die Kinder Max und Monika konnten oder wollten sich nicht aus dem Schatten des Vaters lösen.
"Sie sind daran gescheitert, woran auch Strauß gescheitert ist: am Vertrauen in die Demokratie."
Das schreibt Thomas Schuler. Werner Biermann zieht nach dem Rücktritt von Monika Hohlmeier im April 2005 eine generationenübergreifende Bilanz:
"Hundert Jahre nach der Eröffnung eines Metzgerladens in der Schellingstraße ist die Herrscherfamilie, die einst so stolz schien, so mächtig und unverwundbar, endgültig abgestürzt."
Werner Biermann, Strauß: Aufstieg und Fall einer Familie
Rowohlt Berlin, 2006
352 Seiten, 19,90 Euro
Thomas Schuler: Strauß. Die Biographie einer Familie
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2006
382 Seiten, 19,90 Euro
In beiden kann man weitgehend chronologisch die erstaunliche Karriere des Sohns eines Metzgers aus der Münchner Schellingstraße verfolgen: Klassenprimus, Student, Soldat an der Ostfront, nach dem Krieg Landrat in der Provinz und Mitbegründer der CSU, jüngster Abgeordneter im ersten Bundestag 1949. In den 50er Jahren Atomminister, dann Verteidigungsminister im Kabinett Adenauer.
Ein scheinbar unaufhaltsamer Aufstieg, bis er 1962 über die Spiegelaffäre und da vor allem über seine Lügen vor dem Bundestag stolpert. Aber er kommt zurück, ist Finanzminister in der Großen Koalition von 1966-69. Als bayerischer Ministerpräsident versucht er 1980 erfolglos Kanzler Helmut Schmidt herauszufordern. Das Kanzleramt blieb ihm verwehrt.
Der Journalist Thomas Schuler, der zuletzt eine Biografie über die Familie Mohn veröffentlichte, hat einen alten Weggefährten von Strauß ausfindig gemacht, der offenbart, dass Strauß bereits 1948, bei der Wahl zum Landrat, die Stimme eines SPD-Abgeordneten kaufte. Ein gefährliches Politik-Verständnis, das, so schreibt Schuler, seine Gegner ihm ein Leben lang zum Vorwurf machen werden.
"Strauß ist so ehrgeizig und fühlt sich so sehr im Recht, dass ihm auch fragwürdige Mittel zum Erhalt der Macht recht sind. Er will einer Demokratie dienen mit Mitteln, die eine Demokratie zerstören."
Werner Biermann, der schon mehrere TV-Dokumentationen über Strauß gedreht hat, findet in den Kriegserlebnissen des jungen Franz Josef eine ähnliche Schlüsselstelle. Als Leutnant an der Ostfront setzt er sich über Anweisungen von Vorgesetzen hinweg und ordnet den Rückzug an, in letzter Minute.
"Hier hat sie ihren Ursprung, die ganz eigene Strauß’sche Moral: Manchmal, unter gewissen Umständen, muss man sich den Richtlinien, Befehlen und Gesetzen widersetzen."
Wenn es um "vorrangige Ziele" geht, die anders nicht zu erreichen sind und die Strauß natürlich selbst definiert. Ein Freibrief, den er sich auch später immer wieder ausstellte.
Werner Biermann erzählt das Leben des umstrittenen Politikers fast wie ein tragisches Heldenepos: Die Geschichte vom kleinen Mann, der sich emporarbeitet, angetrieben von dem fast unstillbaren Verlangen nach Macht und Geld. Die Affären verschweigt Biermann nicht. Doch eine zentralere Rolle spielt bei ihm das Verhältnis Strauß-Augstein, das er zu einem dramatischen Zweikampf stilisiert, zu einem Duell mit dem Spiegel-Chef:
"Ein von Augstein offen erklärtes, aber keineswegs ritterlich geführtes Duell. Augstein hat für diesen Kampf den ganzen Apparat eines Nachrichtenmagazins zur Verfügung (…) Es ist nichts weniger als der Versuch eines Publizisten, einen ihm missliebigen Politiker politisch zu vernichten."
Augstein habe den Dämon "Strauß" geschaffen und damit sein Blatt profiliert und erfolgreich gemacht. Aber auch Strauß habe davon profitiert, da er, der Provinzpolitiker, so bundesweit und international bekannt wurde. Biermann scheint dieses dämonische Bild aufbrechen zu wollen, wobei man an machen Stellen seines Buches den Eindruck bekommt, als wäre das Aufdecken von Affären verwerflicher als die Affären selbst.
Die Familie stand, das ist auch nicht neu, immer kritiklos hinter dem umstrittenen Politiker, vielleicht auch deswegen, weil er so stark in der Kritik stand. Marianne Strauß war, das zeigen beide Autoren, nicht nur Vorzeige-Landesmutter an seiner Seite. Sie verwaltete ein ganzes Geflecht von Sonderkonten, von dem die Öffentlichkeit allerdings erst in den 90er Jahren erfuhr. Auf den Konten waren Spenden in Millionenhöhe, über die Strauß und seine Frau wie über Privatgeld verfügen konnten. Die CSU verdanke, so schreibt Biermann, ihr heutiges Vermögen zu einem guten Teil dem finanziellen Geschick von Marianne Strauß.
Biermanns Biografie ist insgesamt kompakter, runder, bunter, emotionaler, hat mehr menschelnde Anekdoten. Eine gut geschriebene, sehr bildhafte Zeitreise durch das 20. Jahrhundert, auf den Spuren des bayerischen Ausnahmepolitikers. Das macht sein Buch unterhaltsamer, gleichzeitig erscheint die Person Strauß aber oft auch wie sehr wohlwollend durch einen Weichzeichner gefilmt, besonders wenn der Fokus auf den privaten Strauß gerichtet ist.
Immer wieder scheint es, als wolle Biermann Strauß in Schutz nehmen, den über Gebühr geschmähten, der "fassungslos und traurig" ist, wenn ihm "unbändiger Hass entgegenschlägt." Dann unternimmt er "kleine Fluchten" und fliegt "nach Angola zur Großwildjagd oder nach Südafrika und Namibia." "Kleine Fluchten", das klingt dann doch stark nach Seifenoper.
Thomas Schulers Analyse ist im Vergleich nüchterner und distanzierter. Er setzt andere Schwerpunkte, streift manches nur, was Biermann ausbreitet, wie zum Beispiel den Milliardenkredit an die DDR, der überraschenderweise gerade vom Kommunistenfresser Franz Josef Strauß eingefädelt worden war. Dafür geht Schuler an manchen Stellen stärker ins Detail, ohne dass der Erkenntnisgewinn dadurch unbedingt wachsen würde: Bei der Schilderung des Gerichtsverfahren gegen Max Strauß etwa und beim chronologisch erzählten zähen Abgang der Straußtochter Monika Hohlmeier vom Amt der Kultusministerin.
Edmund Stoiber, der Ziehsohn des mächtigen CSU-Vorsitzenden, scheint spätestens zu diesem Zeitpunkt mit dem System Strauß abgeschlossen zu haben. Die Kinder Max und Monika konnten oder wollten sich nicht aus dem Schatten des Vaters lösen.
"Sie sind daran gescheitert, woran auch Strauß gescheitert ist: am Vertrauen in die Demokratie."
Das schreibt Thomas Schuler. Werner Biermann zieht nach dem Rücktritt von Monika Hohlmeier im April 2005 eine generationenübergreifende Bilanz:
"Hundert Jahre nach der Eröffnung eines Metzgerladens in der Schellingstraße ist die Herrscherfamilie, die einst so stolz schien, so mächtig und unverwundbar, endgültig abgestürzt."
Werner Biermann, Strauß: Aufstieg und Fall einer Familie
Rowohlt Berlin, 2006
352 Seiten, 19,90 Euro
Thomas Schuler: Strauß. Die Biographie einer Familie
Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2006
382 Seiten, 19,90 Euro