Nichts Neues in den Banlieus

Von Kersten Knipp |
Vor zwei Jahren gingen in französischen Vorstädten zahlreiche Autos in Flammen auf: Jugendliche aus Immigrantenfamilien machten ihrem Ärger über fehlende Perspektiven Luft. Doch geändert hat sich seitdem wenig, sagen Soziologen und viele aus dem Maghreb stammende Intellektuelle. Dabei könnten die Jugendlichen eine wichtige Mittlerrolle spielen.
Wer eigentliche begehrte in den französischen Vorstädten auf? Waren es maghrebinische und schwarze Jugendliche? So sah es damals die französische Presse. Zu Teilen sieht sie es auch heute noch so, auch wenn sich das Sprachbewusstsein spürbar sensibilisiert hat.

Genau das ist ein entscheidender Punkt, meint der algerisch-französische Schriftsteller Yasmina Khadra. Denn in der Wortwahl entscheide sich, ob Frankreich das Problem als das wahrnehme, was es ist: eine soziale Misslage, durch die sich alle Bürger der Republik herausgefordert fühlen sollten.

Khadra: "Zunächst sind es französische Jugendliche, die sich in die französische Gesellschaft integrieren wollen. Sie wurden in Frankreich geboren, sie gingen auf französische Schulen, sie träumen von Frankreich. Dennoch werden sie immer wieder als Immigrantenkinder abgetan. Es gibt keine schlimmere Gefahr für eine Gesellschaft als den Ausschluss ihrer jungen Menschen. Dabei wollen sie Frankreich beweisen, dass sie bereit sind, für dieses Land zu arbeiten."

Ein Wille, der allzu oft nicht honoriert, ja nicht einmal wahrgenommen wird. Die französische Gesellschaft, meint der französisch-algerische Historiker Benjamin Stora, einer der bedeutendsten Spezialisten für die Geschichte des Maghreb, ist auf einem Auge blind: Sie nehme vor allem die Rückschläge und Probleme der Integration wahr, schaue nur auf die dunklen Seiten einer an sich sehr alten Erfolgsgeschichte.

"Die Einwanderung nach Frankreich ist sehr alt. Sie begann in den 1920er, 30er Jahren, verstärkte sich dann in den 60er, 70er Jahren. Mittlerweile gibt es in Frankreich mehrere Millionen maghrebinischer Einwanderer; und mehrere hunderttausende aus dem Maghreb stammender Jugendlicher, die perfekt in die französische Gesellschaft integriert sind. Nur spricht man von ihnen nicht."

Doch die jahrzehntelange Erfahrung zählt offenbar wenig gegenüber der Aufregung der letzten Jahre. Der 11. September, so der französisch-marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jalloun, war auch für die französischen Immigranten eine Katastrophe. Das Attentat und die vor allem von den USA betriebene Propaganda voller Verdächtigungen und Unterstellungen allen Muslimen gegenüber habe auch in Frankreich Wirkung gezeigt. Das Land habe zwar gegen den Irakkrieg gestimmt - dennoch begegneten die meisten Franzosen den Muslimen im eigenen Land mit größtem Misstrauen.

"Die Propaganda der USA hat sehr schlimme Wirkung auf das Image der arabischen und muslimischen Länder gehabt, natürlich auch auf die Migranten in Frankreich. In Frankreich hat bislang kein einziger Immigrant eine Bombe gelegt - und dennoch werden die Immigranten als Islamisten verdächtigt. Das ist eine sehr bequeme Haltung, der auch die französische Presse wenig entgegenarbeitet. So entsteht ein Klima der Verdächtigung, das sich auf jeden Araber oder Muslim bezieht."

Viele dieser Vorbehalte sind unbegründet, meint der tunesisch-französische Soziologe und Autor Albert Memmi, der vor 50 Jahren das "Porträt des Kolonisierten", einen Klassiker der Dekolonisierungstheorie, schrieb. Die Orientierung der französischen Migranten an der Kultur ihrer Herkunftsländer sei vordergründig - das schlichte Faktum, dass sie in Frankreich lebten, verhindere jede dauerhafte Identifikation mit der Heimat ihrer Eltern und Großeltern.

"Wenn ein junger Algerier während der Semesterferien in den Maghreb fährt, merkt er sehr schnell, dass er dort nicht zu Hause ist. Er spricht in erster Linie Französisch, er wurde mit der entsprechenden Kultur groß, kann natürlich auch Arabisch und kennt die maghrebinische Kultur. Aber sein eigentliches Umfeld liegt in Frankreich - und die Kultur seiner Vorfahren eignet er sich im Rahmen des in Frankreich Möglichen an."

Dennoch sind die Verhältnisse zum Herkunftsland meist so eng, dass die Migranten gleich mit zweierlei Kulturen vertraut sind. Eben dadurch könnten sie eine wichtige Mittlerfunktion einnehmen, der Mehrheitsgesellschaft auch etwas von ihrer Kultur mitteilen. Das wäre dringend nötig, meint Yasmina Khadra. Denn im Hinblick auf die arabischen Länder zeige sich der Westen bestürzend ignorant.

"Wir haben etwas, was Sie nicht haben: Wir haben eine doppelte Kultur. Unsere, die arabische. Und Ihre, die westliche. So könnten zumindest die gebildeten Immigranten Übersetzungs- und Verständigungsarbeit leisten. Aber der Westen scheint es vorzuziehen, mit sich selbst zu sprechen, sich seine eigenen Deutungen zu machen. Das ist nicht gut. Denn die arabischen Gesellschaften entwickeln sich kulturell und politisch sehr langsam, und so gibt es junge Menschen, die die Dinge umstürzen wollen. Und dann ist die Revolution da."

So zeigt sich zwei Jahre nach den Ausschreitungen, dass die Selbstkritik des Westens auch in Frankreich nicht sonderlich ausgeprägt ist - ebenso wenig wie seine Bereitschaft, sich auf die Migranten einzulassen, sich einen Eindruck im direkten Umgang mit ihnen und nicht nur über die Medien zu verschaffen. Vielleicht stellt man dann fest, dass der Andere gar nicht so anders ist, wie man es bislang zu wissen meinte.